Entscheidungsstichwort (Thema)

Entschädigungspflicht einer Hauterkrankung nach BKVO 7 Anl 1 Nr 46. vorübergehende Wiederaufnahme der hautgefährdenden Tätigkeit

 

Orientierungssatz

1. In BKVO 7 Anl 1 Nr 46 wird durch das tätigkeitsbezogene einschränkende Merkmal des Zwanges zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit als zusätzliche Voraussetzung der Berufskrankheit in typisierender Weise der Schweregrad der Krankheit beschrieben. Durch die vorgenommene Einschränkung sollen nur die leichteren Fälle beruflich bedingter Gesundheitsstörungen aus dem Schutz der Unfallversicherung herausgenommen werden. Ferner hat das Merkmal allerdings den Zweck, ein Verbleiben des Versicherten auf dem ihn gefährdenden Arbeitsplatz zu verhindern und dadurch eine Verschlimmerung der Krankheit mit der Folge einer erhöhten Entschädigungsleistung zu verhüten (vgl BSG 1959-10-30 2 RU 5/58 = BSGE 10, 286); der Versicherungsträger kann regelmäßig nur in den Fällen zur Entschädigung verpflichtet sein, in denen bei einem Erkrankungsfall die medizinisch notwendige Aufgabe der Beschäftigung vom Versicherten auch vorgenommen worden ist.

2. Zur Frage des Wegfalls des Rentenanspruches wegen einer beruflichen Hautkrankheit bei vorübergehender Wiederaufnahme der hautgefährdenden Tätigkeit.

 

Normenkette

BKVO 7 Anl 1 Nr 46

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 02.08.1979; Aktenzeichen L 7 U 1826/77)

SG Stuttgart (Entscheidung vom 05.08.1977; Aktenzeichen S 3 U 514/74)

 

Tatbestand

Der im Jahre 1938 geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger und war von 1959 bis 1973 in der Bundesrepublik Deutschland als Maurer (Vorarbeiter) beschäftigt. Er leidet an einer durch seine berufliche Beschäftigung verursachten Hauterkrankung. Der Staatliche Gewerbearzt nahm im Juli 1973 an, eine entschädigungspflichtige Berufskrankheit liege insofern nicht vor, als das Hautleiden bislang nicht zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung als Maurer gezwungen habe. Berufsfürsorge in Form einer geeigneten Umschulung bzw Vermittlung einer geeigneten Berufsarbeit sei im Rahmen des § 3 der Siebenten Berufskrankheiten-Verordnung vom 20. Juni 1968 (BGBl I 721) -7. BKVO- angezeigt. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 20 vH. Die Beklagte teilte daraufhin dem Kläger am 24. Juli 1973 mit, er dürfe keine Tätigkeiten mehr ausüben, bei denen er mit schädigenden Stoffen in Berührung komme; ein Berufswechsel sei deshalb unumgänglich.

Am 21. September 1973 gab der Kläger seine berufliche Tätigkeit in Deutschland auf und kehrte für immer nach Italien zurück.

Durch Bescheid vom 4. Februar 1974 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung wegen der berufsbedingten Hauterkrankung ab, weil das Leiden zwar zur Berufsaufgabe zwinge, der Kläger jedoch zu einem Berufswechsel nicht bereit sei und weiterhin eine schädigende Tätigkeit ausübe.

Auf die vom Kläger erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Stuttgart durch Urteil vom 5. August 1977 antragsgemäß diesen Bescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger wegen des beruflich verursachten Leidens "Vulgärekzem bei Abnutzungsdermatose und Kontaktsensibilisierung gegen Kaliumdichromat sowie Minderung der Alkaliresistenz" im Sinne der Nr 5101 der 7. BKVO idF vom 8. Dezember 1976 (BGBl I 3329) vom 22. September 1973 an Rente nach einer MdE um 30 vH zu gewähren. Das SG ist davon ausgegangen, daß der Kläger nach Aufgabe seiner Beschäftigung in Deutschland am 21. September 1973 in Italien keine schädigende Arbeit mehr verrichtet hat.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG dahin geändert, daß die Rente nur bis zum 25. September 1977 zu gewähren sei; die weitergehende Berufung hat es zurückgewiesen, die Klage im übrigen abgewiesen (Urteil vom 2. August 1979). Zur Begründung hat es ua ausgeführt: Für die Zeit bis zum 25. September 1977 stehe dem Kläger Rente nach einer MdE um 30 vH wegen einer schweren Hauterkrankung im Sinne der Nr 5101 der 7. BKVO zu. Es stehe fest, daß der Kläger an einer schweren Hauterkrankung leide, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten zwinge, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich gewesen seien oder sein könnten. Zwar habe der Kläger nach der Aufgabe seiner beruflichen Tätigkeit am 21. September 1973 in Italien kurzfristig - vom 6. Mai bis zum 26. Mai 1975 - als Gärtner gearbeitet. Diese Tätigkeit müsse aber als "nicht anspruchsschädlich" unbeachtet bleiben, da der Kläger mit schadenstiftenden Stoffen nicht in Berührung gekommen sei. Der Rentenanspruch entfalle jedoch vom 26. September 1977 an, weil der Kläger an diesem Tage durch die Aufnahme der Arbeit als Maurer (bis zum 17. November 1977) wieder zu einer ihn schädigenden Tätigkeit zurückgekehrt sei. Damit seien trotz Weiterbestehens der Hauterkrankung die Voraussetzungen für die Weitergewährung der Rente nicht mehr gegeben.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat die Revision auf die Beschwerde des Klägers zugelassen (Beschluß vom 29. Oktober 1980).

Mit der Revision macht der Kläger geltend: Das LSG habe nicht berücksichtigt, daß er bereits am 17. November 1977 seine erneute Tätigkeit als Maurer wieder aufgegeben habe. Unausgesprochen gehe das LSG davon aus, der Versicherungsfall sei durch die vorübergehende schadenstiftende Tätigkeit abgeschlossen und für die fortbestehende Hauterkrankung nunmehr der italienischen Versicherungsträger zuständig. Der nach § 551 Abs 2 Satz 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) geltende Grundsatz eines einheitlichen Versicherungsfalls werde jedoch auch nicht durch Art 57 Abs 1 der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 durchbrochen. Es sei nicht möglich, nach Eintritt des Versicherungsfalls durch vorübergehende Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der EG die Zuständigkeit des Versicherungsträgers willkürlich zu ändern. Solange die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente wegen einer Berufskrankheit - wie hier - erfüllt seien, müßten die Leistungen von der Beklagten erbracht werden.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Berufung

der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts

Stuttgart vom 5. August 1977 in vollem Umfang

zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Durch die Beschäftigung des Klägers als Maurer vom 26. September 1977 an seien die Voraussetzungen für die Gewährung einer Verletztenrente nicht mehr gegeben. Eine Hauterkrankung habe tatbestandsmäßig nicht mehr vorgelegen. Nach Aufgabe der Tätigkeit sei ein neuer Versicherungsfall eingetreten. Die Zuständigkeit des Versicherungsträgers richte sich nunmehr nach der letzten - in Italien - ausgeübten schädigenden Tätigkeit.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung entschieden, da sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

Die Revision des Klägers ist begründet.

Da die Beklagte das Urteil des LSG nicht mit der Revision angefochten hat, steht zwischen den Beteiligten bindend fest (s § 141 Abs 1 SGG), daß der Kläger für die Zeit vom 22. September 1973 bis zum 25. September 1977 gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente nach einer MdE um 30 vH hat. Im Revisionsverfahren ist somit nur noch darüber zu entscheiden, ob dem Kläger die ihm vom SG zuerkannte Rente auch über den 25. September 1977 hinaus zusteht. Entgegen der Auffassung des LSG und der Beklagten ist der Anspruch auch insoweit begründet.

Nach den mit Revisionsrügen nicht angegriffenen Feststellungen im angefochtenen Urteil leidet der Kläger an einer durch seine versicherte Tätigkeit verursachten schweren Hauterkrankung (Vulgärekzem bei Abnutzungsdermatose und Kontaktsensibilisierung gegen Kaliumdichromat sowie Minderung der Alkaliresistenz). Er ist hierdurch in seiner Erwerbsfähigkeit um 30 vH gemindert. Die ihn gefährdende berufliche Beschäftigung als Maurer hat er wegen der Hauterkrankung aufgeben müssen und - am 21. September 1973 - auch tatsächlich aufgegeben. Damit waren die Voraussetzungen einer Berufskrankheit, die gemäß § 551 Abs 1 Satz 1 RVO als Arbeitsunfall gilt, sowie eines Anspruchs auf Gewährung einer Verletztenrente erfüllt. Davon gehen zutreffend die Vorinstanzen und nunmehr auch die Beklagte aus.

Für die Entscheidung im vorliegenden Fall ist allerdings entgegen den Ausführungen des SG und des LSG die Nr 46 der Anlage 1 zur 7. BKVO vom 20. Juni 1968 (BGBl I 721) in der bis zum 31. Dezember 1976 geltenden Fassung maßgebend, nach der zu den Berufskrankheiten schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen gehören, die zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit gezwungen haben. Die ebenfalls Hauterkrankungen betreffende Nr 5101 der Anlage 1 zur 7. BKVO in der Fassung der Verordnung vom 8. Dezember 1976 (BGBl I 3329) ist auf Versicherungsfälle, die - wie hier - vor dem 1. Januar 1977 eingetreten sind, nicht anzuwenden (s Art 4 Abs 1 der VO; BSGE 49, 148, 149 mwN). Für die Entstehung des geltend gemachten Anspruchs ist dies hier jedoch ohne rechtliche Bedeutung, da nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen (auch) die Voraussetzungen der Nr 46 erfüllt waren. Sie sind entgegen der Auffassung des LSG und der Beklagten auch über den 25. September 1977 hinaus gegeben. Der Umstand, daß der Kläger vorübergehend - vom 26. September bis zum 17. November 1977 - wieder als Maurer tätig gewesen ist, führt nicht zum Wegfall des Rentenanspruchs.

Eine wesentliche Änderung in den für die Feststellung der Leistung maßgebend gewesenen Verhältnissen (s § 622 Abs 1 RVO in der bis zum 31. Dezember 1980 geltenden Fassung, s Art II § 4 Nr 1 und § 40 Abs 1 SGB 10) ist nicht eingetreten. Der Kläger leidet vielmehr, wie das LSG festgestellt hat, nach wie vor an der schweren Hauterkrankung mit einer MdE um 30 vH.

Wie der erkennende Senat bereits näher dargelegt hat (SozR 5677 Anl 1 Nr 46 Nr 8), wird in der Nr 46 durch das tätigkeitsbezogene einschränkende Merkmal des Zwanges zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit als zusätzliche Voraussetzung der Berufskrankheit in typisierender Weise der Schweregrad der Krankheit beschrieben. Durch die vorgenommene Einschränkung sollen nur die leichteren Fälle beruflich bedingter Gesundheitsstörungen aus dem Schutz der Unfallversicherung herausgenommen werden. Ferner hat das Merkmal allerdings den Zweck, ein Verbleiben des Versicherten auf dem ihn gefährdenden Arbeitsplatz zu verhindern und dadurch eine Verschlimmerung der Krankheit mit der Folge einer erhöhten Entschädigungsleistung zu verhüten (BSGE 10, 286, 290); der Versicherungsträger kann regelmäßig nur in den Fällen zur Entschädigung verpflichtet sein, in denen bei einem Erkrankungsfall die medizinisch notwendige Aufgabe der Beschäftigung vom Versicherten auch vorgenommen worden ist.

Dementsprechend ist in § 3 der 7. BKVO vorgesehen, daß der Träger der Unfallversicherung, um der Gefahr des Entstehens oder der Verschlimmerung einer Berufskrankheit mit allen Mitteln entgegenzuwirken, den Versicherten erforderlichenfalls zum Unterlassen der gefährdenden Tätigkeiten aufzufordern (s § 3 Abs 1 Satz 1 und 2) und ihm bei Einstellen der Tätigkeit zum Ausgleich hierdurch verursachter wirtschaftlicher Nachteile eine Übergangsleistung - ggf neben einer Rente wegen MdE (s § 3 Abs 3) - zu gewähren hat (s § 3 Abs 2). Nachdem der Kläger der Aufforderung der Beklagten vom 24. Juli 1973, hautschädigende Tätigkeiten zu unterlassen, zunächst durch Aufgabe seiner beruflichen Tätigkeit als Maurer im September 1973 nachgekommen war und damit die in diesem Zeitpunkt allein noch fehlende Voraussetzung für die Rentengewährung erfüllt hatte, handelte er zwar 4 Jahre später, als er vorübergehend erneut Maurerarbeiten verrichtete, entgegen dem mit Nr 46 der Anlage 1 und § 3 der 7. BKVO ua verfolgten Zweck, die Gefahr der Verschlimmerung der Hauterkrankung zu vermeiden. Es besteht jedoch aufgrund der tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil kein Anhalt dafür, daß die vorübergehende hautgefährdende Tätigkeit tatsächlich eine dauernde Verschlimmerung herbeigeführt oder eine etwa mögliche Besserung verhindert hat. Darüber hinaus ist der Kläger nur kurzfristig - für weniger als 8 Wochen - tätig gewesen. Ein Tatbestand, der die Entziehung der Rente (s § 622 Abs 1 RVO) oder deren Wegfall zur Folge hätte, liegt jedenfalls nach den Besonderheiten des Falles nicht vor. Dabei kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Beklagte die Voraussetzungen einer Berufskrankheit nicht nur in dem angefochtenen Bescheid verneint und eine Entschädigung abgelehnt hat, nachdem der Kläger seine berufliche Beschäftigung als Maurer bereits aufgegeben hatte und hierdurch der entsprechenden Aufforderung der Beklagten nachgekommen war, sondern auch in der Zeit, in welcher der Kläger kurzfristig eine gefährdende Tätigkeit wiederaufnahm, im Berufungsverfahren noch die Abweisung der Klage begehrte. Ob die Beklagte dem Kläger Übergangsleistungen gemäß § 3 Abs 2 der 7. BKVO gewährt hat, ist den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen.

Die Gestaltung des vorliegenden Falles erfordert nach alledem keine Entscheidung darüber, ob eine jedenfalls auf gewisse Dauer gerichtete Rückkehr eines Rentenbeziehers in den zunächst aufgegebenen hautgefährdenden Beruf grundsätzlich einen Entziehungstatbestand im Sinne des § 48 SGB 10 (§ 622 Abs 1 RVO aF) bilden oder ob der Versicherungsträger in einem solchen Fall nur auf die für die Verletzung von Mitwirkungspflichten des Versicherten vorgesehenen Sanktionen (s §§ 60 ff SGB 1) zurückgreifen kann oder ob eine durch die Rückkehr in den zunächst aufgegebenen Beruf eingetretene Verschlimmerung oder die einer dadurch nicht eingetretenen Besserung entsprechende MdE nicht mehr in ursächlichem Zusammenhang mit der Berufskrankheit steht.

Die Revision des Klägers ist somit begründet, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG in vollem Umfang zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1660555

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