Entscheidungsstichwort (Thema)

Wegeunfall. Tanken des Kraftfahrzeugs

 

Leitsatz (redaktionell)

Das Tanken ist regelmäßig dem unversicherten Bereich zuzurechnen. Ist aber am Vortage auf Reserve geschaltet worden, dann kommt es bei den speziellen Einzelumständen darauf an, ob der Versicherte mit diesem Tankinhalt bis zum Wochenende gereicht hätte. Alsdann hätte der Versicherte am freien Wochenende tanken können.

 

Normenkette

RVO § 550 S. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. Mai 1967 wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Der in L (Landkreis K) wohnhafte Kläger war bei einer Holzwarenfabrik in der 3 km entfernten Ortschaft S beschäftigt. Da beide Orte nur durch einen nicht befahrbaren Feldweg verbunden sind und dem Kläger ein öffentliches Verkehrsmittel nicht seiner Arbeitszeit entsprechend zur Verfügung stand, benutzte er für die Fahrten nach und von der Arbeitsstätte mit seinem Motorrad die von L nach Süden führende Straße bis Sch und von dort wieder nördlich nach S (insgesamt 8 km). Der Tank seines Motorrades faßte 12 bis 14 1, damit konnte er etwa 250 km fahren. Die einzige Tankstelle im Umkreis des Wohn- wie auch des Beschäftigungsortes befand sich in der etwa 3 km nördlich von S gelegenen Gemeinde T diese Tankstelle war nur tagsüber geöffnet. Der Kläger, der häufig - zumal auch Ende Oktober 1963 - Überstunden bis nach 19.00 Uhr machte, tankte hier regelmäßig in der Mittagspause zwischen 12.00 und 13.00 Uhr.

Als der Kläger am Mittwoch, dem 30. Oktober 1963, zu Beginn der Mittagspause in T getankt hatte - nach seinen Angaben gegenüber der Krankenkasse hatte er schon tags zuvor auf Reserve schalten müssen und wollte deshalb für seine Heimfahrt nach Arbeitsschluß vorsorgen -, stieß er auf der Rückfahrt nach S mit einem Pkw zusammen und erlitt schwere Schädelverletzungen. Die Beklagte lehnte den Entschädigungsanspruch mit der Begründung ab, das Tanken werde als eigenwirtschaftliche Tätigkeit vom Unfallversicherungs-(UV)Schutz nicht erfaßt; ein Ausnahmefall sei nicht gegeben, nachdem das Nachfüllen von Treibstoff nicht unerwartet während der Zurücklegung des Weges von oder nach der Arbeitsstätte notwendig geworden sei.

Das Sozialgericht (SG) Bayreuth hat durch Urteil vom 13. Mai 1965 die Klage abgewiesen: Der Kläger hätte - selbst in Anbetracht der Überstundentätigkeit - zu anderen Zeiten, etwa am arbeitsfreien Samstagnachmittag, tanken können.

Auf die Berufung des Klägers hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 17. Mai 1967 die Beklagte verpflichtet, den Unfall des Klägers als Arbeitsunfall zu entschädigen: Der Kläger habe den Unfall am 30. Oktober 1963 auf einem nach § 550 der Reichsversicherungsordnung (RVO) versicherten Weg zum Ort der Tätigkeit erlitten. Nach der Rechtsprechung (BSG 16, 77) gelte zwar nicht jede zur Erhaltung der Fahrbereitschaft des für die Wege nach und von der Arbeitsstätte benutzten Kraftfahrzeugs erforderliche Tätigkeit als versichert. Der motorisierte Arbeitnehmer verfüge nämlich meist über vielfache Auswahlmöglichkeiten zum Tanken, ohne daß eine nähere ursächliche Beziehung zur betrieblichen Tätigkeit geschaffen werde. Der hier zu entscheidende Sachverhalt rechtfertige aber eine Ausnahmebeurteilung. Da die Tankstelle in T die einzige örtlich und zeitlich erreichbare in der ganzen Umgebung gewesen sei, habe bei diesen besonderen Verhältnissen des Zonenrandgebiets für den Kläger eine Auswahlmöglichkeit in örtlicher und zeitlicher Hinsicht nicht bestanden. Der Kläger hätte vor der Arbeit, nach der Arbeit und an den Samstagen keine andere Möglichkeit gehabt, als den Umweg zur Tankstelle in T zu wählen. Ihm könnte nicht zugemutet werden, daß er - um den UV-Schutz nicht zu verlieren - es darauf ankommen ließ, bis eine unvorhergesehene Betriebsunfähigkeit des Motorrads durch Benzinmangel eintrat, um es entweder nach T zu schieben oder von dort mit einem Behälter Benzin zu holen. Der Kläger dürfe nicht schlechter gestellt werden, als wenn er nach einer unterwegs vorgenommenen Reparatur einen Umweg zur Erprobung gemacht hätte (BSG 16, 245). -

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen das am 12. Juli 1967 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 20. Juli 1967 Revision eingelegt und sie am 29. August 1967 wie folgt begründet: Die vom LSG angeführten besonderen Verhältnisse änderten nichts daran, daß das Auftanken des für die Zurücklegung der Wege nach und von der Arbeitsstätte benutzten Kraftfahrzeugs eine rein eigenwirtschaftliche Tätigkeit darstelle, zu welcher Zeit - vor, während und nach der Schicht oder während der Mittagspause - sie auch immer vorgenommen werde. Da der Kläger sich entschlossen hatte, seine Wege nach und von der Arbeitsstätte mit dem Kraftrad zurückzulegen, habe er regelmäßig tanken müssen. Daß er wegen der Betriebsverhältnisse ausschließlich in der Mittagszeit gerade nach T hätte fahren müssen, mache das Tanken noch nicht zu einer versicherten Betriebstätigkeit; vielmehr bleibe es die eigenwirtschaftliche Vorbereitung für die Zurücklegung der nach § 550 RVO versicherten Wege. Die vom LSG angeführte Entscheidung des BSG 16, 245 lasse erkennen, daß Ausnahmen nur bei unvorhergesehenem Betriebsunfähigwerden des Kraftfahrzeugs während der Zurücklegung des Weges in Betracht kämen.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des LSG-Urteils die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Bayreuth zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt Zurückweisung der Revision. Er stimmt dem LSG-Urteil im Ergebnis zu, meint allerdings, der Entschädigungsanspruch beruhe auf § 548 RVO, weil es sich um einen versicherten Betriebsweg gehandelt habe. Die Fahrt zur Tankstelle sei nämlich im Interesse des Arbeitgebers - wenn auch ohne dessen ausdrücklichen Auftrag - ausgeführt worden. Der Betriebsweg habe dem Unternehmen gedient, denn nur so sei gewährleistet worden, daß der Kläger Überstunden verrichtete. Der Sachverhalt sei vergleichbar dem Weg zum Essen und Trinken während einer Mittagspause. Da im übrigen der Kläger bereits am Vortage auf Reserve schalten mußte, sei die unfallbringende Fahrt eine unabweisbare und betrieblich bedingte Notwendigkeit gewesen, um abends nach Hause zurückkehren zu können.

II

Die zulässige Revision der Beklagten hat insofern Erfolg, als die Sache gemäß § 170 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - an das LSG zurückzuverweisen ist.

Die Auffassung des LSG, aus § 549 RVO lasse sich der UV-Schutz für den Kläger nicht herleiten, wird von den Beteiligten nicht in Zweifel gezogen, sie trifft auch zu (vgl. BSG 24, 243, 246; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung 3. Aufl. Anm. 8 zu § 549 mit weiteren Nachweisen). Es hat sich auch nicht - entgegen der vom Kläger in der Revisionserwiderung vorgetragenen Meinung - um einen nach § 548 RVO versicherten Betriebsweg gehandelt; die Bescheinigung des Arbeitgebers vom 10. November 1964 ist nicht geeignet, diese Meinung zu stützen.

Bei seinen Ausführungen zur Frage, ob für den Kläger der UV-Schutz nach § 550 RVO in Betracht kommt, ist das LSG übereinstimmend mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats (BSG 16, 77) davon ausgegangen, daß ein Beschäftigter, der mit seinem für die Zurücklegung der Wege nach und von der Arbeitsstätte benutzten Kraftfahrzeug während einer Arbeitspause zur Tankstelle fährt, um Treibstoff für die später anzutretende Heimfahrt zu tanken, sich hierbei in der Regel nicht unter UV-Schutz befindet; dies ist dadurch gerechtfertigt, daß das Aufsuchen einer Tankstelle durch den motorisierten Arbeitnehmer im allgemeinen nicht - wie das Zurücklegen der Wege nach und von der Arbeitsstätte - zeitlich und örtlich fixiert ist, sondern daß der Arbeitnehmer hierfür meist über vielfache Auswahlmöglichkeiten verfügt, indem er das Tanken während der Freizeit an seinem Wohnort, während einer Arbeitspause am Ort des Betriebes oder auch irgendwo unterwegs vornehmen kann. In dem hier zu entscheidenden Fall waren nun allerdings in örtlicher Hinsicht die Gelegenheiten zum Auftanken dadurch begrenzt, daß die einzige für den Kläger weit und breit in Betracht kommende Tankstelle sich in T befand; zeitlich bestand für den Kläger die Einschränkung, daß er an dieser Tankstelle abends - wenn sich seine Arbeitsschicht durch Überstunden verlängert hatte - nicht mehr bedient wurde.

Diese Umstände mögen zwar als ungewöhnlich beeindrucken; sie rechtfertigen aber nach Meinung des Senats doch nicht ohne weiteres die vom LSG für geboten erachtete Ausnahmebeurteilung. Das LSG hat nicht hinreichend beachtet, daß das Kraftrad des Klägers in vollgetanktem Zustand einen Aktionsradius von etwa 250 km besaß, demnach also keinesfalls jeden Tag neu mit Treibstoff versorgt werden mußte; Feststellungen darüber, in welchen Zeitabständen der Kläger aufgetankt hat, sind nicht getroffen worden; die Annahme liegt nicht fern, daß dies mindestens eine Woche, vielleicht auch eine noch längere Zeitspanne gewesen sein mag. Dann wären aber der Auffassung des SG, der Kläger hätte das Tanken am arbeitsfreien Samstagnachmittag vornehmen können, stärkere Argumente entgegenzustellen gewesen, als sie in den Gründen des angefochtenen Urteils enthalten sind. Konnte der Kläger am Samstagnachmittag von seinem Wohnort L zum Tanken nach T fahren, so würde es den UV-Schutz nicht begründen, wenn er - um sich den doppelten Weg zu ersparen - gleich vom Betrieb in S aus bei Arbeitsschluß am Samstagmittag die Tankstelle aufgesucht hätte. Dies hat das LSG bei seiner Darlegung nicht ausreichend berücksichtigt, der Kläger hätte vor der Arbeit, nach der Arbeit und an den Samstagen keine andere Möglichkeit gehabt, als den Umweg zur Tankstelle in T zu wählen. Widerlegt wäre die vom SG vertretene Auffassung erst, wenn feststünde, daß auch am Samstagnachmittag der Kläger arbeiten mußte oder die Tankstelle geschlossen war.

Der Klaganspruch kann indessen beim gegenwärtigen Stand der Ermittlungen auch nicht als unbegründet erachtet werden. In seiner Revisionserwiderung hat der Kläger darauf hingewiesen, daß er bereits am Tage vor dem Unfall bei seinem Kraftrad auf den Reservetank habe umschalten müssen; er meint, die unfallbringende Fahrt sei deshalb nachweisbar notwendig gewesen, damit er am Abend des 30. Oktober 1963 von der Arbeitsstätte nach Hause zurückkehren konnte. Das LSG hat gleichlautende Angaben des Klägers zwar im ersten Absatz des Urteilstatbestands angeführt, sie jedoch nicht überprüft und auch keine eigenen Feststellungen hierzu getroffen. Solche Feststellungen wären aber hier entscheidungserheblich. Denn nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (SozR Nr. 63 zu § 543 RVO aF; Urt. v. 28.2.1964 BB 1964, 684) kann das Auftanken des für die Wege nach und von der Arbeitsstätte benutzten Kraftfahrzeugs ausnahmsweise dem UV-Schutz unterliegen, wenn der Beschäftigte ohne diese Maßnahme den versicherungsgeschützten Weg nicht vollends zurücklegen könnte. Diese Ansicht bildete sich auf Grund von Fallgestaltungen, bei denen sich die Notwendigkeit des Auftankens unvorhergesehen während der Fahrt nach oder von der Arbeitsstätte ergeben hatte, wobei als Anhaltspunkt für die Notwendigkeit der alsbaldigen Treibstoffergänzung das Umschalten auf den Reservetank angesehen wurde. Im vorliegenden Fall fand der Kläger allerdings unterwegs - also auf seiner täglichen Fahrstrecke L/S - keine Tankstelle vor. In sinngemäßer Handhabung der soeben angeführten Grundsätze ist aber nach Meinung des Senats der UV-Schutz für den Kläger zu bejahen, wenn es als wahrscheinlich anzusehen ist, daß er im Hinblick auf die am Vortage erfolgte Umschaltung auf den Reservetank den Heimweg am Abend des 30. Oktober 1963 und die Fahrt zur Arbeitsstätte am nächsten Tage nicht mehr mit dem restlichen Reservetreibstoff hätte bewältigen können. Dabei spielt es nach Meinung des Senats keine erhebliche Rolle, ob der Kläger das Auftanken - statt in der Mittagspause - auch auf einer Verlängerung des Weges zur Arbeitsstätte am Morgen des Unfalltages hätte vornehmen können.

Da eine Sachentscheidung mangels ausreichender Feststellungen nicht möglich ist, muß der Rechtsstreit auf die begründete Revision der Beklagten unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Dem LSG bleibt auch die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1652433

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