Entscheidungsstichwort (Thema)

Bemessung der MdE bei beruflich bedingten Hautkrankheiten

 

Leitsatz (amtlich)

Zu den Voraussetzungen für die Entziehung der Rente bei einer Hauterkrankung (Berufskrankheit nach BKVO 7 Anl 1 Nr 46).

 

Orientierungssatz

1. Daß nach BKVO 7 Anl 1 Nr 46 die Hauterkrankung "zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit" gezwungen haben muß, ist lediglich Voraussetzung für die Anerkennung der Hauterkrankung als Berufskrankheit. Hieraus ist nicht herzuleiten, daß es bei einer Hauterkrankung als Berufskrankheit anders als bei Arbeitsunfällen für die Bemessung des Grades der MdE auf das Ausmaß des durch die Berufskrankheit bedingten konkreten Einkommensverlustes ankomme.

2. Zur Frage, ob bei einer Berufskrankheit nach BKVO 7 Anl 1 Nr 46 die nach Aufgabe der beruflichen Beschäftigung als Friseurin später von der Versicherten ausgeübten wirtschaftlichen gleichwertigen Angestelltentätigkeiten eine wesentliche Änderung der für die Feststellung der Leistung maßgebenden Verhältnisse darstellen.

 

Normenkette

RVO § 551 Abs 1 S 1 Fassung: 1963-04-30; BKVO 7 Anl 1 Nr 46 Fassung: 1968-06-20; RVO § 622 Abs 1 Fassung: 1963-04-30, § 581 Abs 1 Nr 2

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Entscheidung vom 28.02.1978; Aktenzeichen I UBf 26/77)

SG Hamburg (Entscheidung vom 25.02.1977; Aktenzeichen 24 U 520/74)

 

Tatbestand

I

Die Klägerin war unselbständige Friseurin; 1968 hatte sie die Meisterprüfung abgelegt. Wegen einer Kontaktallergie an den Händen gab sie ihre berufliche Tätigkeit im Dezember 1970 auf. Durch Bescheid vom 17. Februar 1972 gewährte ihr die Beklagte wegen einer Berufskrankheit nach Nr 46 der Anlage 1 zur Siebenten Berufskrankheiten-Verordnung (7. BKVO) vom 20. Juni 1968 (BGBl I 721) ab 28. Dezember 1970 vorläufige Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 vH. Als Folgen der Berufskrankheit erkannte sie an: Ekzem der Hände bei Überempfindlichkeit gegenüber p-Phenylendiamin, p-Toluylendiamin, Marfanil und Haarfarbe-Preference; verminderte Alkaliresistenz der Haut. Durch Bescheid vom 8. September 1972 wurde die Leistung als Dauerrente festgestellt. Diesem Bescheid lag ein Gutachten des Facharztes für Hautkrankheiten Dr. B im H vom 26. Mai 1972 zugrunde. Danach war das Ekzem der Hände abgeheilt. Vom 1. September 1971 bis 31. Januar 1973 erhielt die Klägerin Berufshilfe. Die Abschlußprüfung der Ausbildung zur kaufmännischen Angestellten bestand sie nicht. Auf die Wiederholung der Prüfung verzichtete sie und wurde ab 1. Februar 1973 als Verwaltungsangestellte der Vergütungsgruppe BAT VII bei der S -Berufsgenossenschaft (BG) in H beschäftigt. Da die Klägerin die Erwartung, binnen Jahresfrist als Zuarbeiterin angelernt zu werden, nicht erfüllte, wurde sie ab Dezember 1975 als Bucherin beschäftigt. Hierbei leistete sie einfache Bürohilfsarbeiten, die auch ungelernten Kräften offenstehen und im Tarifgefüge der S -BG an zweitunterster Stelle stehen. Während eine Zuarbeiterin nach vier Jahren in die nächsthöhere Vergütungsgruppe aufsteigt, ist dies bei einer Bucherin erst nach zwölf Jahren der Fall.

Durch Bescheid vom 28. Oktober 1974 entzog die Beklagte die Dauerrente mit Ablauf des Monats November 1974, weil das Ekzem der Hände abgeheilt und die Klägerin mit Erfolg umgeschult worden sei. Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat auf Klage der Klägerin den Bescheid vom 28. Oktober 1974 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 1. Dezember 1974 Dauerrente nach einer MdE von 20 vH zu gewähren (Urteil vom 25. Februar 1977). Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Hamburg zurückgewiesen (Urteil vom 28. Februar 1978). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt: Das Handekzem der Klägerin sei bereits abgeheilt gewesen, als ihr die Beklagte im September 1972 die Dauerrente bewilligt habe. Im übrigen sei die Haut der Klägerin nach wie vor gegen Parastoffe überempfindlich, wodurch der Klägerin wegen der weiten Verbreitung dieser Stoffe der gesamte Bereich des handwerklichen Gewerbes und ein großer Teil der Industrie verschlossen seien. Die für die Rentenfeststellung maßgebend gewesenen Umstände hätten sich allein in beruflicher Hinsicht geändert. Doch sei diese Änderung nicht so wesentlich, daß sie zum Rentenentzug berechtigte, sondern nur dazu, die Rente nach einer MdE von 30 vH auf eine MdE von 20 vH herabzusetzen. Denn als Verwaltungsangestellte der Vergütungsgruppe BAT VII übe die Klägerin keine sozial, sondern nur eine wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeit aus. Verglichen mit ihrem wegen des Hautleidens aufgegebenen Beruf einer unselbständigen Friseurmeisterin verdiene sie jetzt etwas mehr.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Durch die letztlich erfolgreiche Berufshilfe hätten sich die Verhältnisse hier darin geändert, daß die Klägerin von der Berufskrankheit keinen Schaden mehr hinsichtlich ihrer Erwerbsfähigkeit hinnehmen müsse oder allenfalls nur einen geringfügigen. Hierfür genüge die vom LSG festgestellte wirtschaftliche Gleichwertigkeit der neuen Tätigkeit. In diesem Sinne habe bereits der 8. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) entschieden. Soweit das LSG die Gleichwertigkeit in sozialer Hinsicht verneine, treffe dies nicht zu.

Die Beklagte beantragt, die Urteile des LSG Hamburg vom 28. Februar 1978 und des SG Hamburg vom 25. Februar 1977 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

II

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Zu Recht hat das LSG entschieden, daß die Voraussetzungen für eine Entziehung der Dauerrente der Klägerin gemäß § 622 Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht vorgelegen haben.

Nach § 622 Abs 1 RVO setzen eine Neufeststellung und auch eine Entziehung der Leistung eine wesentliche Änderung in den für die Feststellung der Leistung maßgebenden Verhältnissen voraus. Maßgebend für die der Klägerin 1972 bewilligte Dauerrente war eine durch die Berufskrankheit verursachte MdE von 30 vH. Dabei richtete sich die MdE einerseits nach der Schwere des akuten Krankheitszustandes (BSGE 39, 49, 50; 44,274, 277; 47, 249, 252) sowie andererseits nach dem Umfang der dem Erkrankten verbleibenden Arbeitsmöglichkeit auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (SozR 5677 Anl 1 Nr 46 Nr 8; Urteil vom 22. Februar 1979 - 8a RU 32/78), wie dies allgemein bei Unfallfolgen gilt (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl, S 568 f ff, 566y I ff; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 581 Anm 5a; jeweils mit Nachweisen). Beides hat das LSG berücksichtigt und hinsichtlich des medizinischen Sachverhalts eine wesentliche Änderung der Verhältnisse zutreffend verneint, wogegen sich die Revision nicht wendet. In bezug auf den Umfang des verbliebenen Arbeitsfeldes ist dem LSG entgegen dem Revisionsvorbringen darin beizupflichten, daß die nach Aufgabe der beruflichen Beschäftigung als Friseurin später von der Klägerin ausgeübten wirtschaftlich gleichwertigen Angestelltentätigkeiten bei der S -BG keine wesentliche Änderung der für die Feststellung der Leistung maßgebenden Verhältnisse darstellen, die zum völligen Entzug der Rente berechtigt, weil dadurch etwa die MdE unter 20 vH abgesunken wäre (§ 581 Abs 1 Nr 2 RVO). In welchem Umfang Unfallfolgen tatsächlich zu einem Einkommensverlust führen, wäre im Rahmen eines k o n k r e t e n  Schadensausgleichs erheblich. Hingegen hängt die Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung von einer  a b s t r a k t e n  Schadensbemessung ab, und zwar sowohl bei Folgen von Arbeitsunfällen als auch bei einem Hautleiden als Berufskrankheit, da diese nach § 551 Abs 1 Satz 1 RVO als Arbeitsunfall "gilt" (BSGE 39, 49; 47, 249; SozR 2200 § 622 Nr 10; SozR 5677 Anl 1 Nr 46 Nr 8). Abstrakt erfolgt die Unfallentschädigung insofern, als sie sich nicht nach dem jeweils tatsächlich eingetretenen Personenschaden oder Vermögensschaden richtet, sondern losgelöst davon nach einem Vomhundertsatz der MdE. Hierin drückt sich das Verhältnis aus, in dem die durch die Persönlichkeit des Versicherten individuelle geprägte Arbeitsmöglichkeit, bezogen auf das Gesamtgebiet des Erwerbslebens eingeschränkt ist (BSG aaO; Brackmann aaO S 566 y I ff, 568b und f bis h). Daß nach Nr 46 der Anlage 1 zur 7. BKVO die Hauterkrankung "zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit" gezwungen haben muß, ist lediglich Voraussetzung für die Anerkennung der Hauterkrankung als Berufskrankheit. Hieraus herzuleiten, daß es bei einer Hauterkrankung als Berufskrankheit anders als bei Arbeitsunfällen für die Bemessung des Grades der MdE auf das Ausmaß des durch die Berufskrankheit bedingten konkreten Einkommensverlustes ankomme, läßt sich weder aus der Entstehungsgeschichte noch aus dem Zweck der Regelung herleiten. Eine derartige Auffassung wäre auch mit dem höherrangigen Recht der Verordnungsermächtigung in § 551 Abs 1 Satz 3 RVO sowie dem allgemeinen Gleichheitssatz nach Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) nicht vereinbar. Der Senat hat dies in seinen Urteilen vom 26. Januar und 20. April 1978 (SozR 2200 § 551 Nr 10 und SozR 5677 Anl 1 Nr 46 Nr 8) eingehend dargelegt. Er hält daran fest (vgl BSG, Urteil vom 29. April 1980 - 2 RU 60/78 -).

Dem stehen die Entscheidungen des 8. Sentas des BSG (BSGE 39, 49; BSGE 44, 274; 47, 249; SozR 2200 § 622 Nr 7 und 10; SozR 5677 Anl 1 Nr 41 Nr 2; Urteil vom 22. Februar 1979 - 8a RU 32/78; Urteil vom 26. Juli 1979 - 8a RU 58/78) nicht entgegen. Der 8. Senat hat zwar bei Hauterkrankungen und Bronchialasthma die Entziehung einer deswegen gewährten Rente bejaht, wenn sich dem Versicherten infolge neu erworbener Kenntnisse und Fähigkeiten ein erweitertes Arbeitsfeld mit gleichwertigen Verdienstmöglichkeiten und Erwerbsmöglichkeiten wie in der aufgegebenen beruflichen Beschäftigung eröffnet hat. Jedoch liegen auch diese Voraussetzungen hier nicht vor. Die Klägerin hat die Ausbildung zur kaufmännischen Angestellten nicht mit einer erfolgreichen Prüfung abgeschlossen. Die Anlerntätigkeit bei der S -BG als Zuarbeiterin verlor sie mangels Bewährung. Danach wurde sie nur mit einfachen Büroarbeiten beschäftigt, die auch ungelernten Kräften offenstehen (seit 1. Juli 1978 ist sie arbeitslos). Diese Tätigkeiten geben keinen Anhalt dafür, daß die Klägerin Kenntnisse und Fähigkeiten erworben hat, die ihr den Zugang zu neuen Berufsmöglichkeiten und Erwerbsmöglichkeiten eröffnet haben. Zur Verrichtung einfacher Bürohilfsarbeiten war die Klägerin von Anfang an fähig. Daraus und aus der Feststellung des LSG, daß der Klägerin infolge der weiterhin bestehenden Empfindlichkeit gegen Parastoffe der gesamte Bereich des handwerklichen Gewerbes und ein großer Teil der Industrie verschlossen sind, rechtfertigt sich die Annahme einer durch die anerkannte Berufskrankheit weiterhin bedingten MdE von 20 vH.

Die Revision der Beklagten war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1659279

Breith. 1981, 210

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