Leitsatz (amtlich)

1. Bei der nach RKG § 45 Abs 2 erforderlichen Gleichwertigkeitsprüfung ist der wirtschaftliche Wert der bisher verrichteten knappschaftlichen Arbeit und nicht die Beitragsbemessungsgrenze (RKG § 130 Abs 3 und 4) maßgebend.

2. Zur Bestimmung des wirtschaftlichen Wertes einer außertariflich vergüteten Tätigkeit (hier: eines Elektrofahrsteigers unter Tage).

 

Normenkette

RKG § 45 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, § 130 Abs. 3 Fassung: 1965-06-09, Abs. 4 Fassung: 1965-06-09

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. November 1968 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Der im Jahre 1923 geborene und seit 1938 knappschaftlich versicherte Kläger war seit 1962 als Elektrofahrsteiger unter Tage (uT) beschäftigt. Wegen eines im Mai 1965 erlittenen Herzinfarktes wurde er im März 1966 in den Tagesbetrieb verlegt; er beaufsichtigt als Elektrofahrsteiger die Zentral-Elektrowerkstatt der Schachtanlage H.

Seinen Rentenantrag vom 14. April 1966 lehnte die Ruhrknappschaft mit der Begründung ab, er sei weder berufsunfähig noch vermindert bergmännisch berufsfähig; zwar könne er seine bisherige Tätigkeit als Elektrofahrsteiger uT noch nicht wieder ausüben, wohl aber könne er die dieser im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeit als Elektrofahrsteiger in der Elektrowerkstatt uneingeschränkt und ohne Gefährdung seiner Gesundheit verrichten. Der Widerspruch des Klägers, mit dem er sich gegen die Versagung der Bergmannsrente wandte und geltend machte, er erleide durch die Verlegung nach Übertage eine finanzielle Einbuße von mehr als 30 v.H., wurde zurückgewiesen. Zur Begründung wird ausgeführt, bei Prüfung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit könnten seine früheren Bezüge nur im Rahmen der Beitragsbemessungsgrenze (für 1966 monatlich 1.600,- DM) berücksichtigt werden. Nach Abzug von 25 v.H. bliebe hiernach ein monatlicher Betrag von 1.200,- DM als untere Grenze der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit; sein derzeitiger Verdienst liege aber noch wesentlich höher.

Das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen hat die auf Gewährung der Bergmannsrente gerichtete Klage mit der Begründung abgewiesen, das derzeitige Einkommen des Klägers übersteige die für ihn maßgebliche Rentenbemessungsgrundlage; daher stehe ihm aus dem in § 86 Abs. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) enthaltenen Rechtsgedanken die Bergmannsrente nicht zu.

Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) dieses Urteil abgeändert und die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zur Gewährung der Bergmannsrente ab 1. April 1966 verurteilt. Der Kläger, so wird zur Begründung ausgeführt, habe die Wartezeit erfüllt und sei vermindert bergmännisch berufsfähig. Nach dem vorliegenden ärztlichen Gutachten vom 5. Oktober 1966 sowie nach Art und Schwere der Erkrankung des Klägers sei als erwiesen anzusehen, daß er noch nicht wieder im Bergbau uT eingesetzt werden könne. Für seine derzeitige Tätigkeit als Leiter der Elektrowerkstatt über Tage, die er ohne Gefährdung seiner Gesundheit ausüben könne, benötige er keine anderen oder neuen Kenntnisse und Fertigkeiten als diejenigen, über die er bereits als Elektrofahrsteiger uT verfügt habe: demgemäß könnten - entgegen der Entscheidung des SG - die Grundsätze des § 86 Abs. 2 RKG hier nicht zur Versagung des Rentenanspruchs führen. Abzulehnen sei aber auch die Auffassung der Beklagten, bei der Prüfung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit sei der Verdienst aus der bisher verrichteten Tätigkeit deshalb nur bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze zu berücksichtigen, weil sie nur insoweit Beiträge als Gegenleistung für das übernommene Risiko erhalten habe. Es sei vielmehr grundsätzlich zu unterscheiden zwischen den in § 45 geregelten Voraussetzungen des Anspruchs auf Bergmannsrente und der u.a. durch die Beitragshöhe bestimmten Höhe der Rente, deren Berechnung sich aus den §§ 53 bis 62 RKG ergebe. Das Risiko der verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit werde durch die jeweilige Beitragsbemessungsgrenze nur hinsichtlich der Rentenhöhe eingeschränkt, nicht auch hinsichtlich der Rentenvoraussetzungen. Die Praxis der Beklagten führe dazu, daß bei höheren Verdiensten die Rentenaussichten eines Versicherten um so geringer würden, je mehr sein Verdienst die Beitragsbemessungsgrenze überschreite; so müßte hiernach der Versicherte - bezogen auf das Jahr 1966 - auf jeden Fall eine Verdiensteinbuße in Höhe der Differenz zwischen seinem früheren monatlichen Einkommen und dem Betrag von 1.200,- DM hinnehmen. Die Beklagte hätte also bei Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze ein geringeres Risiko zu tragen als bei niedrigeren Arbeitsverdiensten; das würde aber dem Versicherungsprinzip widersprechen. Die Prüfung des Rentenanspruchs müsse sich daher - da ein Tariflohn nicht in Betracht komme - am tatsächlichen bisherigen Arbeitseinkommen des Versicherten und an den ihm später noch verbliebenen Verdienstmöglichkeiten orientieren. Die derzeitige Tätigkeit des Klägers - eine andere Verweisungsmöglichkeit sei nicht zu erkennen - sei seiner früheren Tätigkeit als Elektrofahrsteiger uT nicht im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig. Aus den vorgelegten Gehaltsabrechnungen und der Arbeitsauskunft vom 12. Juni 1967 ergebe sich, daß der Kläger vor der Krankheit monatlich durchschnittlich 2.422,50 DM und danach über Tage 1.692,- DM, also 730,50 DM oder rund 30 v.H. weniger verdient habe. Nach der Arbeitgeberauskunft vom 28. Oktober 1968 ergebe sich ab 1. Juli 1968 eine Differenz von 741,- DM oder rund 29 v.H. Auch wenn bei höheren Einkommen die Grenze der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit, die beim Hauer 20 v.H. ausmache, prozentual heraufzusetzen sei, erschiene im Falle des Klägers eine Einbuße von mehr als 25 v.H unzumutbar; eine solche Progression lasse sich nicht zu sehr steigern. Selbst wenn man die Vergütung für nicht gezahlte Bergmannsprämie außer Betracht lasse, liege die relative Gehaltsdifferenz noch über 26 v.H. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Revision zugelassen.

Mit der Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts und einen Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht. Sie führt aus, der sogenannte Hauptberuf - das sei im Falle des Klägers die Tätigkeit des Elektrofahrsteigers uT - könne durch die Versicherung nur insoweit geschützt sein, als für ihn Beiträge zur knappschaftlichen Rentenversicherung entrichtet wurden; nur insoweit sei das Versicherungsrisiko durch Beitragszahlung gedeckt. Auch die Rechtsprechung sei in den zur Frage der Berufsunfähigkeit bei Selbstversicherten ergangenen Entscheidungen davon ausgegangen, daß berufliche Qualifikation und Beitragsleistung gekoppelt seien und daß das nicht nur in der Rentenhöhe, sondern bereits im Versicherungswagnis zutage trete. Wenn bei einem Selbstversicherten zur Frage der Verweisbarkeit der bisherige Beruf nur insoweit berücksichtigt werden könne, als es der Höhe der Beiträge entspreche, so könne für Pflichtversicherte im Ergebnis nichts anderes gelten. Man könne einen Versicherten, dessen beitragspflichtiges Einkommen etwa der Beitragsbemessungsgrenze entspreche, im Rahmen des § 45 Abs. 2 RKG nicht weitergehend verweisen als einen Versicherten mit höherem, insoweit aber nicht dem Beitragsabzug unterliegendem Verdienst; der Gleichheitsgrundsatz erfordere bei gleicher Beitragszahlung gleichen Berufsschutz. Die Auffassung des LSG müsse auch dazu führen, daß die außertariflich besoldeten (AT-)Angestellten des Bergbaus besser gestellt würden als die Hauer, deren über dem Gedingerichtsatz liegender Verdienst trotz entsprechender Beitragszahlung unberücksichtigt bleibe.

Gehe man aber von dem tatsächlichen Verdienst des Klägers als Elektrofahrsteiger uT aus, so müsse bei dessen Höhe eine Einbuße von 30 v.H. als noch zumutbar angesehen werden. Bei dem Vergleich könnten die Vergütung für nicht gezahlte Bergmannsprämie ebenso wie die je nach Familienstand gewährte Pauschalvergütung für Strom- und Gasverbrauch sowie der Steuerwert der freien Dienstwohnung nicht berücksichtigt werden. Schließlich könne auch aus der Gleichwertigkeit der für die Tätigkeiten des Klägers unter und über Tage erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten auf eine im wesentlichen gleichwertige Besoldung geschlossen werden.

Als Verletzung des § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) rügt die Beklagte, das LSG habe es zu Unrecht unterlassen, die berufliche Einsatzfähigkeit des Klägers neu zu überprüfen. In dem vorliegenden Gutachten vom 5. Oktober 1966 hätten die Ärzte angenommen, daß eine Beschäftigung des Klägers im Untertagebetrieb noch nicht wieder in Betracht komme, dabei aber eine Nachuntersuchung nach Ablauf eines Jahres für erforderlich gehalten. Zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung im November 1968 hätte daher das LSG nicht mehr ohne weiteres von der Grubenuntauglichkeit des Klägers ausgehen können, sich vielmehr zu einer Beweiserhebung hierüber gedrängt fühlen müssen.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 5. Juni 1968 zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für richtig. Die Rechtsprechung zur Berufsunfähigkeit bei Selbstversicherten könne hier nicht herangezogen werden; im Bereich der Pflichtversicherung müsse der Hauptberuf als die pflichtversicherte Tätigkeit ausschlaggebend sein. Es sei auch abwegig, einen höheren Satz als 25 v.H. in Betracht zu ziehen, da die tatsächliche Einbuße bei höheren Einkommen ohnehin größer werde. Auch müßten die Bezüge des Elektrofahrsteigers uT in ihrer Gesamtheit berücksichtigt werden. Die Vergütung für die Bergmannsprämie sei ebenso Gehaltsbestandteil wie die gewährten Sachbezüge, die ja auch von der Beklagten in das beitragspflichtige Entgelt einbezogen würden; diese Bezüge seien auch je nach der Stellung im Betriebe für die AT-Angestellten unterschiedlich hoch. Schließlich greife auch die Verfahrensrüge nicht durch; die Feststellung des LSG, er könne noch nicht wieder unter Tage eingesetzt werden, sei medizinisch untermauert.

II

Die Revision ist insofern begründet, als der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist, weil dessen tatsächliche Feststellungen zur endgültigen Entscheidung nicht ausreichen.

Streitig ist die Frage, ob der Kläger seit April 1966 vermindert bergmännisch berufsfähig ist, d.h. ob er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr imstande ist, seine bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit oder andere im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Arbeiten von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben auszuüben. Als bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit kommt hier - wie auch die Beklagte nicht bestreitet - nur die Tätigkeit als Elektrofahrsteiger uT in Betracht. Diese Tätigkeit konnte der Kläger aber nach Feststellung des LSG krankheitshalber nicht mehr verrichten. Es kommt also darauf an, ob der Kläger im Rahmen des § 45 Abs. 2 RKG auf eine andere Tätigkeit verwiesen werden kann. Als solche kommt, da eine höherwertige Tätigkeit, die er noch verrichten könnte, nicht zu erkennen ist, die von ihm seit März 1966 tatsächlich verrichtete Übertagetätigkeit als Leiter der Zentral-Elektrowerkstatt in Betracht.

Bei der Prüfung, ob diese Tätigkeit dem Hauptberuf des Klägers noch im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig ist, ist das LSG zu Recht vom Wert der bisher tatsächlich verrichteten Arbeit und nicht vom Betrag der jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze ausgegangen. Da es nach § 45 Abs. 2 RKG eindeutig auf den wirtschaftlichen Wert der bisherigen Tätigkeit ankommt, würde die letztere Handhabung im Gesetz keine Stütze finden. Die Begrenzung der Beitragshöhe nach § 130 Abs. 1 RKG hat mit dem Wert der bisherigen Tätigkeit des Klägers nichts zu tun. Sie wirkt sich vielmehr lediglich auf die Rentenberechnung aus, bei der die persönliche Rentenbemessungsgrundlage nach § 54 Abs. 1 Halbsatz 2 RKG höchstens bis zu der im Jahre des Versicherungsfalles geltenden Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt wird. Die Vorschriften über die Rentenvoraussetzungen und die Vorschriften über die Rentenberechnung sind zudem im Gesetz nicht nur äußerlich, sondern auch systematisch streng voneinander getrennt; eine systemwidrige Vermengung dieser Vorschriften ist daher auch aus diesem Grunde unzulässig. Es ist also nicht möglich anzunehmen, daß sich die Beitragsbegrenzung für den höherverdienenden Versicherten nicht nur - der geringeren Beitragshöhe entsprechend - auf die Höhe der Rente, sondern darüber hinaus auch auf seine Rentenerwartung als solche - also in zweifacher Hinsicht - mindernd auswirken könnte.

Die Auffassung der Beklagten läßt sich auch nicht aus den vom Bundessozialgericht (BSG) zur Berufsunfähigkeit bei Selbstversicherten entwickelten Grundsätzen (s. SozR RVO § 1246 Nr. 60, 64 und 66 - BSG 25, 129) rechtfertigen. Der Grundsatz, daß bei Prüfung der Zumutbarkeit von Verweisungstätigkeiten im Rahmen des § 1246 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) der bisherige Beruf nur insoweit zu berücksichtigen ist, als die zur Rentenversicherung entrichteten Beiträge ihm entsprechen, mag allenfalls auf das Institut der Selbstversicherung passen, das - wie in BSG 25, 129 ausdrücklich hervorgehoben wird - einen Fremdkörper in der Rentenversicherung darstellt, auf den das Leistungsrecht nicht schematisch anzuwenden ist. Die besondere Situation der pflichtversicherten AT-Angestellten, deren Bruttoarbeitsentgelt die Beitragsbemessungsgrenze überschreitet, kann jedoch mit der der Selbstversicherten nicht verglichen werden. Davon abgesehen, passen die für die genannten Entscheidungen im wesentlichen maßgebenden Gesichtspunkte auch sonst nicht auf die Gleichwertigkeitsprüfung im Rahmen des § 45 Abs. 2 RKG bei höherverdienenden Arbeitnehmern. Zunächst entfällt hier der Gesichtspunkt, der Selbstversicherte habe die Höhe seiner freiwilligen Beiträge selbst bestimmt und es daher zu vertreten, wenn er nicht die seiner beruflichen Qualifikation entsprechenden, sondern wesentlich niedrigere Beiträge entrichtet hat. Denn für den pflichtversicherten AT-Angestellten werden die Beiträge entrichtet, die für seine die Versicherungspflicht begründende Beschäftigung gesetzlich vorgeschrieben sind. Diese Beiträge "entsprechen" also, wenn sie auch von einer gewissen Höhe ab nicht mehr mit dem Entgelt ansteigen sondern konstant bleiben, der Beschäftigung, für die sie entrichtet werden. Vor allem beruhen aber die o.a. Urteile entscheidend auf der Abgrenzung von "ungeschützten" und "geschützten" Berufen bei Prüfung der Voraussetzungen für die Berufsunfähigkeit nach § 1246 Abs. 2 RVO. Es wurde als unbillig angesehen, daß mit freiwilligen Beiträgen, die nur den Pflichtbeiträgen für niedrig entlohnte "ungeschützte" Berufe entsprechen, der besondere "Berufsschutz" für eine qualifizierte Tätigkeit erworben werden sollte. Für die verminderte bergmännische Berufsfähigkeit jedenfalls, bei der die Prüfung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit und damit auch des Werts der bisher tatsächlich verrichteten Tätigkeit entscheidend ist, kann aus dem Begriff des "Berufsschutzes" nicht die Folgerung gezogen werden, daß bei einem Pflichtversicherten nicht der Wert des tatsächlich bisher ausgeübten Berufs allein maßgebend zu sein hat.

Ist somit bei der Gleichwertigkeitsprüfung das LSG zu Recht nicht von der Beitragsbemessungsgrenze als Grenzwert ausgegangen, so erscheint doch das Ergebnis seiner Prüfung in anderer Hinsicht nicht zweifelsfrei. Entsprechend dem Versicherungszweck der Bergmannsrente ist hierbei von dem objektiven wirtschaftlichen Wert der versicherten Tätigkeit, also des Hauptberufs, auszugehen. Dieser Wert ergibt sich in der Regel aus der tariflich vorgeschriebenen Vergütung, auf die der Arbeitnehmer auf jeden Fall Anspruch erheben kann. Demgemäß kommt es bei der Tätigkeit des Hauers, für den ja die Bergmannsrente in erster Linie gedacht ist, allein auf den tariflichen Gedingerichtsatz an, nicht etwa auf den tatsächlich erzielten Individuallohn oder den effektiven Hauerdurchschnittslohn, die beide regelmäßig erheblich höher liegen. Wenn nun auch die Tätigkeit des Elektrofahrsteigers uT nicht tarifvertraglich erfaßt wird, so gebietet es der Grundsatz der versicherungsrechtlichen Gleichbehandlung doch, die für tarifgebundene Arbeiten entwickelten Grundsätze nach Möglichkeit hier entsprechend anzuwenden. Der Wert der Tätigkeit ist demgemäß nach der Vergütung zu bemessen, die ein Elektrofahrsteiger uT im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau bei normaler Arbeitsleistung und unter normalen Verhältnissen erwarten kann. Es ist also von der in diesem Tarifgebiet für diese Berufsgruppe üblichen Vergütung auszugehen. Soweit hierfür keine von den beteiligten Kreisen praktisch anerkannten und im wesentlichen eingehaltenen tarifähnlichen Richtsätze bestehen sollten, ergibt sich dieser Wert aus dem tatsächlichen Durchschnittsentgelt der Berufsgruppe; dabei ist nicht die Mitte zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Satz zu errechnen, sondern auch die Anzahl der jeweils entsprechend besoldeten Arbeitnehmer zu berücksichtigen (sog. gewogenes Mittel). Grundsätzlich gilt das nicht nur für das eigentliche Gehalt, sondern auch für die sonstigen Bezüge. Jedoch müssen hierbei vom Arbeitsergebnis abgeleitete echte Leistungsprämien außer Betracht bleiben, weil sie wegen individueller Leistungen gewährt werden und daher nicht für die objektive Bewertung des versicherten Berufes kennzeichnend sind. Sie entsprechen vielmehr dem Teil des Gedingelohns, den der Gedingearbeiter über den tariflichen Gedingerichtsatz hinaus erzielt. Anders ist es mit den tariflich festgelegten prozentualen Leistungszulagen zum Gehalt für technische Angestellte, soweit sie ohne Rücksicht auf die individuelle Leistung und das spezielle Arbeitsergebnis gezahlt werden und daher als feste Gehaltsbestandteile anzusehen sind. Solche festen Zulagen sind in der tariflich garantierten bzw. bei AT-Angestellten in der allgemein üblichen Mindesthöhe zu berücksichtigen.

Da die Bergmannsprämie nach ständiger Rechtsprechung des Senats bei Prüfung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit außer Betracht bleiben muß (s. SozR § 45 RKG Nr. 21), kann auch die an deren Stelle gewährte "Vergütung für nicht gezahlte Bergmannsprämie" insoweit grundsätzlich nicht berücksichtigt werden, zumal sonst auch leicht eine Verzerrung im Vergleich zu Tätigkeiten, für die Bergmannsprämie gewährt wird, eintreten würde.

Die Gewährung freier Wohnung und damit zusammenhängender Sachleistungen oder die an deren Stelle gewährten Pauschalvergütungen (Wohnungsgeldzuschuß) sind ebenfalls bei Prüfung der Gleichwertigkeit in dem Rahmen zu berücksichtigen, in dem sie für Angestellte dieser Art im Tarifgebiet allgemein üblich sind. Hierbei ist allerdings noch der in § 86 Abs. 2 Satz 3 RKG für einen ähnlichen Vergleich niedergelegte Rechtsgedanke zu beachten, daß solche Leistungen nur in der Höhe zu berücksichtigen sind, in der sie auch ledigen Versicherten ohne Angehörige gewährt werden.

Für die Bewertung der Verweisungstätigkeit gelten die vorgenannten Erwägungen entsprechend. Im vorliegenden Falle handelt es sich allerdings bei der Vergleichstätigkeit des Klägers als Leiter einer ganz bestimmten Werkstatt offenbar um eine Einzeltätigkeit, für die ein Richtsatz vielleicht nicht zu ermitteln ist; in einem solchen Fall müßte die Bewertung nach den individuellen Bezügen erfolgen, soweit diese nicht etwa vergönnungsweise gewährt werden.

Da hiernach noch nicht feststeht, wie hoch der wirtschaftliche Wert der bisherigen Tätigkeit des Klägers zu bemessen ist, kann auch die Frage noch nicht entschieden werden, wie hoch - in Prozenten ausgedrückt - die relative Wertdifferenz vom Hauptberuf zur Verweisungstätigkeit sein muß, um die Annahme verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit zu begründen. Es gilt der Grundsatz, daß bei höherem Verdienst auch eine höhere relative Einbuße hinzunehmen ist. Die maßgebende Grenze liegt beim Hauerberuf bei 20 v.H., während ein Lohnabfall um 15 v.H. auch bei den niedrigst entlohnten Tätigkeiten noch als tragbar angesehen wird (s. SozR § 35 RKG aF Nr. 26). Dem LSG ist schon wegen der notwendigen Abgrenzung zu den Voraussetzungen für die Berufsunfähigkeit darin zuzustimmen, daß die Progression nicht unbegrenzt fortgesetzt werden kann; auch bei den höchstbewerteten Tätigkeiten könnte die zumutbare Einbuße hiernach allenfalls bis zu einem Drittel gehen. Um die Tätigkeit eines Elektrofahrsteigers uT in diese Progression angemessen einzuordnen, bedarf es daher der Ermittlung, wie sich die damit verbundene Vergütung zu den Entgelten für die darunter und die darüber liegenden knappschaftlichen Tätigkeiten verhält, soweit für die höheren Dienstgrade der Eintritt verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit überhaupt praktisch noch in Betracht kommt. Ohne dem Ergebnis dieser Prüfung vorzugreifen, wird man sagen können, daß, geht man beim Steiger von einem Satz von 22 v.H. aus, für den Reviersteiger ein Satz von etwa 24 v.H. noch angemessen erscheinen und dementsprechend der Satz für den Fahrsteiger etwa um 26 v.H. gesucht werden könnte. Im Grenzfall wird dabei zu berücksichtigen sein, daß es dem Sinn des Gesetzes entspricht, daß im allgemeinen die Untauglichkeit für den Hauptberuf allein nicht schon die verminderte bergmännische Berufsfähigkeit bedingt, daß vielmehr regelmäßig wenigstens noch eine gesundheitlich weniger anspruchsvolle Tätigkeit im Verweisungsbereich liegt. Entsprechend der Verweisung des Elektrohauers auf die Tätigkeit als Elektriker über Tage und des Elektrosteigers unter Tage auf die des Elektrosteigers über Tage bietet sich für den Elektrofahrsteiger uT die Verweisung auf eine diesem Dienstgrad entsprechende Tätigkeit über Tage an, wenn die Verdiensteinbuße sich noch im Rahmen einer allerdings endgültig noch festzulegenden Progressionsskala hält.

Das BSG kann die hiernach für die Prüfung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit noch erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nicht selbst treffen; der Rechtsstreit muß daher an das LSG zurückverwiesen werden. Da das LSG auch zu prüfen haben wird, ob und ggf. seit wann eine Änderung in dem gesundheitlichen Zustand des Klägers eingetreten ist, brauchte der Senat auf die Verfahrensrüge der Revision nicht einzugehen.

 

Fundstellen

BSGE, 274

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