Leitsatz (amtlich)

1. Die Bergmannsprämie ist auch nach ihrem weiteren gesetzlichen Ausbau nicht bei der Feststellung des wirtschaftlichen Werts des bisherigen knappschaftlichen Hauptberufs und der Verweisungsberufe (RKG § 45 Abs 2) zu berücksichtigen.

2. Zu der Frage, wann die wirtschaftliche Gleichwertigkeit einer Verweisungstätigkeit mit dem knappschaftlichen Hauptberuf die Annahme rechtfertigt, daß es sich um eine Arbeit "von Personen mit ähnlicher Ausbildung und im wesentlichen gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten" iS des RKG § 45 Abs 2 handelt.

 

Normenkette

RKG § 45 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 24. Mai 1973 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Der seit 1954 als Lehrhauer im Bergbau tätig gewesene Kläger ist im Jahre 1969 arbeitsunfähig erkrankt. Seit November 1969 ist er als Lampenstubenarbeiter beschäftigt. Bis zum 31. Mai 1971 hat ihm die Beklagte die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit zugebilligt.

Sozialgericht (SG) und Landessozialgericht (LSG) haben dem Kläger die Rente über diesen Zeitpunkt hinaus zugesprochen. Im angefochtenen Urteil des LSG vom 24. Mai 1973 heißt es, die durch die Veränderung der Tarifstruktur zum 1. Juni 1971 eingetretene Veränderung des materiellen Rechts müsse nach den für das Sozialversicherungsrecht entwickelten Grundsätzen für den vorliegenden Fall unberücksichtigt bleiben. Folge man dieser Auffassung nicht, so wäre der Anspruch des Klägers aus folgenden anderen Gründen gerechtfertigt: Der Kläger sei nach seinem gesundheitlichen Vermögen und nach seinen beruflichen Kenntnissen und Fertigkeiten noch in der Lage, die Tätigkeiten eines Magazin-, Lampenstuben- und Hängebankarbeiters 1, eines Kauen- oder Schrankenwärters, eines Pförtners, Telefonisten sowie eines Hilfsarbeiters im Labor oder im Büro zu verrichten. Die davon nach der Lohngruppe 04 über Tage der neuen Lohnordnung vergüteten Arbeiten seien im Vergleich zur Entlohnung eines früheren Lehrhauers als im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig im Sinne des § 45 Abs. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) anzusehen. Im Gegensatz zur Beklagten sei der Kläger dabei als ehemaliger Lehrhauer in die neue Lehngruppe 09 unter Tage einzustufen. Die Arbeiten der Lohngruppe 09 unter Tage seien aber Tätigkeiten der Lohngruppe 04 über Tage nicht nur im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig, sondern auch Arbeiten von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten. Indessen zwinge die gesetzliche, wirtschaftliche und tarifliche Entwicklung der Bergmannsprämie dazu, diese nunmehr bei dem im Rahmen der Prüfung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit notwendig gewordenen Wertvergleich in den Arbeitslohn mit einzubeziehen. Geschehe dies, dann betrage die Lohndifferenz bei Vergleich der Tätigkeit eines früheren Lehrhauers und einer Arbeit nach der Lohngruppe 04 über Tage mehr als 20 v.H., so daß eine wesentliche wirtschaftliche Gleichwertigkeit im Sinne des Gesetzes nicht mehr gegeben sei. Gegen dieses Urteil hat das LSG die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat Revision eingelegt. Sie trägt vor, die Ansicht des LSG, bei der Prüfung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit müsse nunmehr die Bergmannsrente berücksichtigt werden, sei unrichtig und widerspreche der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 3. Mai 1972 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für richtig.

II.

Die zulässige Revision der Beklagten führt zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.

Nach § 45 Abs. 2 RKG ist vermindert bergmännisch berufsfähig ein Versicherter, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte weder imstande ist, die von ihm bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit, noch andere im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Arbeiten von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben auszuüben. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG ist der Kläger nicht mehr imstande, die von ihm bis 1969 ausgeübte Tätigkeit eines Lehrhauers in knappschaftlichen Betrieben, die als Hauptberuf anzusehen ist, weiterhin zu verrichten. Wie das LSG weiter festgestellt hat, ist der Kläger nur noch imstande, in knappschaftlichen Betrieben über Tage die Tätigkeit eines Magazin-, Lampenstuben- und Hängebankarbeiters 1, eines Kauen- oder Schrankenwärters, eines Pförtners, Telefonisten sowie eines Hilfsarbeiters im Labor oder im Büro zu verrichten. Die Frage, ob der Kläger auf diese Tätigkeiten zur Vermeidung verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit verwiesen werden kann, hängt nach dem Gesetz von einem Wert- und Qualitätsvergleich ab.

Wie der Senat bereits wiederholt entschieden hat (vgl. z.B. das Urteil vom 27. Juni 1973 - 5 RKn 28/71 - und SozR Nr. 40 zu § 45 RKG), ist, wenn es sich, wie hier, um eine Anfechtungs- und Leistungsklage handelt, bei der Prüfung der wesentlichen wirtschaftlichen Gleichwertigkeit für jeden vor dem Schluß der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung liegenden, von dem Kläger beanspruchten Rentenbezugszeitraum zu untersuchen, wie die tarifliche Lohndifferenz zwischen bisher verrichteter knappschaftlicher Arbeit und der in Frage stehenden Verweisungstätigkeit ist. Daher sind alle Lohnordnungen heranzuziehen, die den Lohn der Vergleichstätigkeit für die streitige Zeit regeln. Dies gilt auch dann, wenn der Versicherte während eines solchen Zeitraums nicht mehr in seinem Hauptberuf tätig war, die neue Lohnordnung auf ihn also arbeitsrechtlich nicht mehr anwendbar war. Dann kann es sich jedoch nur um eine solche Anwendung der neuen Lohnordnung handeln, bei der die Besonderheiten derartiger Fälle berücksichtigt werden müssen. Da im vorliegenden Fall die Tarifordnung vom 1. Juni 1971 für den Kläger arbeitsrechtlich nicht mehr anwendbar war, muß sie somit unter Beachtung der sich ergebenden Besonderheiten derartiger Übergangsfälle bei dem hier anzustellenden Wertvergleich berücksichtigt werden. In der Regel macht dies keine Schwierigkeiten, wenn der Hauptberuf in die Verweisungsberufe weiterhin in der Lohnordnung aufgeführt sind. Die Besonderheit des vorliegenden Übergangsfalles liegt jedoch darin, daß es in der ab 1. Juni 1971 geltenden Lohnordnung die Berufsbezeichnung "Lehrhauer" nicht mehr gibt.

Der Senat hat bereits durch Urteil vom 27. Juni 1974 - 5 RKn 4/73 - entschieden, daß bei einem ehemaligen, vor dem 1. Juni 1971 bereits aus seiner Tätigkeit ausgeschiedenen Lehrhauer, den es in der neuen Lohnordnung nicht mehr gibt, unter Berücksichtigung aller sich hieraus ergebenden Besonderheiten von der Lohngruppe 09 unter Tage auszugehen ist. Auf die Gründe dieses Urteils wird verwiesen. Die unter die Lohngruppe 03 über Tage fallenden Tätigkeiten eines Magazin- und Lampenstubenarbeiters, eines Kauen- oder Schrankenwärters sowie eines Pförtners sind bei einer Lohndifferenz von mehr als 20 v.H. gegenüber dem Hauptberuf nicht mehr im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig. Auf sie kann der Kläger daher zur Abwendung verminderter bergmännischer Berufstätigkeit nicht verwiesen werden.

Dem Hauptberuf im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig sind dagegen bei einer Lohndifferenz von 17,9 v.H. zur Lohngruppe 09 unter Tage die Tätigkeiten eines Hilfsarbeiters im Büro und im Labor (Lohngruppe 04 über Tage). Zu Unrecht nimmt das LSG an, wirtschaftliche Gleichwertigkeit sei bezüglich dieser Tätigkeit nicht gegeben, weil dem in der bisherigen Berufstätigkeit erzielten Gedingelohn die Bergmannsprämie hinzurechnen sei. Die neuere gesetzliche Entwicklung der Bergmannsprämie nötigt entgegen der Ansicht des LSG jedoch nicht zu der Annahme, diese sei nunmehr im Rahmen des § 45 Abs. 2 RKG sozialversicherungsrechtlich als Bestandteil des Arbeitslohns anzusehen. Die durch das Gesetz vom 22. Dezember 1971 (BGBl I 2110) bewirkte Berücksichtigung der Bergmannsprämie bei der Ermittlung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage bei Berufsunfähigkeits- und Erwerbsunfähigkeitsrente sowie beim Altersruhegeld (§ 54 Absätze 1a und 9a RKG in der ab 1. Januar 1972 geltenden Fassung) belegen allein, daß die Bergmannsrente nur punktuell bei der Ermittlung der Höhe einiger Renten mit heranzuziehen ist. Im Grundsatz bleibt es dessen ungeachtet bei der ausdrücklichen Bestimmung des § 4 Bergmannsprämiengesetz, wonach die Prämie nicht als Entgelt im Sinne des Sozialversicherungsrechts und nicht als Lohn oder Gehalt im Sinne des Arbeitsrechts gilt; soweit nichts anderes bestimmt ist, kann aber eine Entschädigung, für die keine Versicherungsbeiträge zu entrichten sind, auch bei der Feststellung der Leistungen nicht berücksichtigt werden. Daher verbleibt es bei der auf dieser Bestimmung beruhenden Rechtsprechung des erkennenden Senats, daß die Bergmannsprämie nicht bei der wirtschaftlichen Bewertung des Hauptberufs berücksichtigt werden darf (vgl. z.B. SozR Nr. 21 zu § 45 RKG). Auch die Erhöhung der Bergmannsprämie von 2,50 DM auf 5,50 DM pro verfahrene Schicht vermag an dieser Rechtslage nichts zu ändern.

Nach allem sind zwar die Tätigkeiten eines Hilfsarbeiters im Büro und im Labor der bisherigen Hauptberufstätigkeit des Klägers im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig. Indessen nimmt die Beklagte zu Unrecht an, daß diese Tätigkeiten bei Vergleich mit der Arbeit eines Lehrhauers solche von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten sind. Zwar kann in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats im allgemeinen davon ausgegangen werden, daß es sich bei tariflich im wesentlich wirtschaftlichen gleichwertigen Tätigkeiten auch um solche von Personen mit ähnlicher Ausbildung und im wesentlichen gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten handelt. Wie der Senat jedoch immer wieder hervorgehoben hat (vgl. z.B. SozR Nr. 42 bei § 45 RKG), ist eine solche Schlußfolgerung nicht gestattet, wenn die verhältnismäßig hohe tarifliche Einstufung einer Tätigkeit nicht auf der zu ihrer Verrichtung erforderlichen Ausbildung oder auf den zu ihrer Verrichtung erforderlichen Kenntnissen und Fähigkeiten, sondern zumindest in einem wesentlichen Umfang auf anderen Gründen beruht. Gegebenenfalls ist entsprechenden Anhaltspunkten nachzugehen. Ergeben die anzustellenden Ermittlungen insofern kein klares Bild, läßt sich aber trotz der relativ hohen tariflichen Einstufung hinreichend deutlich erkennen, daß diese ihren Grund nicht in der für diese Tätigkeit erforderliche Ausbildung oder den zu ihrer Verrichtung erforderlichen Kenntnissen und Fähigkeiten haben kann, so kann auch schon hieraus allein geschlossen werden, daß andere Gründe Bedeutung für die höhere Einstufung gehabt haben. Für die Tätigkeit eines Hilfsarbeiters im Büro oder im Labor sind keinerlei Kenntnisse und Fertigkeiten erforderlich, die nicht schon jeder Arbeiter ohne weiteres mitbrächte. Es handelt sich um ungelernte Tätigkeiten, die jeder Arbeiter ohne Ausbildung bzw. nennenswerte Einweisung und Einarbeitung verrichten kann. Ein früherer Lehrhauer, der immerhin die Qualifikation eines angelernten Arbeiters hatte (vgl. SozR Nr. 16 zu § 46 RKG), kann selbst dann nicht hierauf verwiesen werden, wenn auch diese Tätigkeit sich aus dem Kreis der ungelernten Tätigkeiten durch besondere Anforderungen an das Verantwortungsbewußtsein, die Zuverlässigkeit oder Wendigkeit hervorhöbe. Diese Merkmale könnten allenfalls dazu führen, eine ungelernte Tätigkeit im Rahmen des § 46 RKG als zumutbar erscheinen zu lassen (vgl. dazu auch die Entscheidung des erkennenden Senats vom 27. Juni 1974 - 5 RKn 5/73 -, in der eine Verweisung des Lehrhauers selbst auf bestimmte einfache Tätigkeiten der Lohngruppe 05 über Tage abgelehnt worden ist).

In Frage steht weiter die Möglichkeit der Verweisung auf die Tätigkeit eines Telefonisten nach der Lohngruppe 04 über Tage. Das LSG hat es unterlassen, diese Tätigkeit in ihrer Qualität mit der bisher verrichteten knappschaftlichen Arbeit des Klägers zu vergleichen. Daher ist noch ungeklärt, worauf die lohnmäßige Einstufung dieser knappschaftlichen Arbeit beruht. Mangels tatsächlicher Anhaltspunkte vermag der Senat nicht zu entscheiden, ob es sich bei der Tätigkeit eines Telefonisten um eine solche handelt, die bei Vergleich mit einem Lehrhauer von Personen mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgeübt wird (vgl. dazu auch den erkennenden Senat in SozR Nr. 42 zu § 45 RKG). Das LSG wird hierbei zusätzlich zu prüfen haben, ob die in Lohngruppe 04 der neueren Lohnordnung eingestuften Telefonistenstellen in aller Regel nicht mehr voll einsatzfähigen eigenen Betriebsangehörigen offenstehen, so daß eine Verweisung anderer Versicherter ohnehin ausscheidet.

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben, um dem LSG Gelegenheit zu geben, die erforderlichen Feststellungen zu treffen. Das LSG wird zudem Gelegenheit haben, die berufliche Qualität weiterer in der Lohngruppe 04 über Tage enthaltener Tätigkeiten zu überprüfen, so z.B. die Tätigkeit eines Hängebankarbeiters 1, von der das LSG festgestellt hat, daß sie der Kläger nach seinen gesundheitlichen Verhältnissen und beruflichen Kenntnissen noch verrichten könnte.

Nach alledem war zu entscheiden wie geschehen, wobei der Ausspruch im Kostenpunkt der endgültigen Entscheidung vorzubehalten war.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1646941

BSGE, 91

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