Entscheidungsstichwort (Thema)

Anerkennung als Tropenkrankheit nur in besonders gelagerten Fällen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Anerkennung der Virushepatitis als Tropenkrankheit iS der BKVO 6 Anl 1 Nr 44 ist von den besonderen Verhältnissen in dem jeweiligen tropischen bzw subtropischen Land, in dem der betriebsbedingte Aufenthalt zur Infektion führte, abhängig.

2. Eine durch den Genuß verdorbener Lebensmittel hervorgerufene Virushepatitis ist auch dann dem privatwirtschaftlichen Tätigkeitsbereich zuzuordnen, wenn die Nahrungsaufnahme während einer Dienstreise erfolgte.

3. Als Tropenkrankheit iS der BKVO 6 Anl 1 Nr 44 kommen nicht nur solche Krankheiten in Betracht, die den Tropen und Subtropen ausschließlich eigentümlich sind.

4. Eine in Rio de Janeiro zugezogene Hepatitis infectiosa bzw epidemica stellt auch für eine Flugbegleiterin keine Berufskrankheit dar, wenn sie dort in einem Hotel mit europäischem Standard untergebracht war und keinen beruflichen Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung, insbesondere in den Randgebieten der Stadt hatte.

 

Normenkette

BKVO 3 Anl 1 Nr. 44 Fassung: 1961-04-28

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 4. Dezember 1974 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin war seit 1956 Stewardess bei der Deutschen L (DLH). Vom 12. Januar 1966 bis zum 1. Februar 1966 befand sie sich aus dienstlichen Gründen in R. Sie wohnte im Vertragshotel E. Die Unterbringung wurde von der DLH bezahlt, die Verpflegung mußte sie sich selbst beschaffen. Nach dem Genuß von Austern in einer Gaststätte am 26. Januar 1966 erkrankte die Klägerin unter dem Bilde eines Brechdurchfalls, später wurde eine Hepatitis infectiosa (Infektion mit Hepatitis-A-Virus) festgestellt.

Aufgrund einer Stellungnahme des Landesgewerbearztes lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 26. August 1966 eine Entschädigung ab: Die Virushepatitis sei keine Tropenkrankheit im Sinne der Nr 44 der Anlage zur 6. Berufskrankheiten-Verordnung - BKVO - vom 28. April 1961 (BGBl I 505); eine Anerkennung als Berufskrankheit (BK) nach Nr 37 der Anlage (Infektionskrankheit) sei nicht möglich, weil die Klägerin nicht zu dem hiernach geschützten Personenkreis gehöre.

Die Klägerin hat Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Klägerin aufgrund des am 26. Januar 1966 erlittenen Arbeitsunfalls zu entschädigen (Urteil vom 8. Dezember 1971): Eine BK liege nicht vor, die Klägerin habe sich aber wahrscheinlich durch den Genuß von Austern am 26. Januar 1966 infiziert und daher einen Arbeitsunfall erlitten. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen und die Anschlußberufung der Klägerin, "für die Folgen der Hepatitis Leistungen zu gewähren", zurückgewiesen (Urteil vom 4. Dezember 1974). Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Klägerin habe sich am 26. Januar 1966 durch den Genuß von Austern eine - bereits seit langem folgenlos ausgeheilte - Hepatitis infectiosa zugezogen. Die Hepatitis sei keine BK, auch ein Arbeitsunfall habe nicht vorgelegen. Als Flugbegleiterin habe die Klägerin nicht zu dem nach Nr 37 der Anlage zur 6. BKVO ("Infektionskrankheiten") geschützten Personenkreis gehört. Die am 1. Juli 1968 in Kraft getretene 7. BKVO vom 20. Juni 1968 (BGBl I 721) sei hier nicht anwendbar, da sie nicht rückwirkend gelte; es könne deshalb dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen der Erweiterung der Nr 37 der Anlage auf Versicherte, die "durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt" gewesen seien, hier vorgelegen hätten. Die Hepatitis sei keine Tropenkrankheit iS der Nr 44 der Anlage zur 6. BKVO. In der BKVO sei der Begriff der Tropenkrankheit nicht bestimmt worden. Im Merkblatt des BMA zu Nr 44 sei darauf hingewiesen, daß Tropenkrankheiten vorwiegend den Tropen und Subtropen eigentümliche Erkrankungen seien, die infolge der besonderen klimatischen und anderen Verhältnisse dort bevorzugt bzw besonders häufig aufträten. Unter den beispielhaft aufgeführten Tropenkrankheiten sei die Hepatitis nicht erwähnt. Der 8. Senat des Bundessozialgerichts - BSG - (SozR 5676 Anl Nr 44 - 6. BKVO - Nr 1) habe entschieden, daß allein auf die oben bezeichnete Begriffsdefinition, nicht auf die beispielhafte Aufzählung abzustellen sei; daß eine Krankheit auf der ganzen Welt anzutreffen sei, schließe nicht aus, daß die Krankheit zu den den Tropen vorwiegend eigentümlichen Krankheiten zähle, die dort infolge der spezifischen Verhältnisse "besonders häufig" vorkämen; dazu gehöre die Bazillenruhr, die in den warmen Gebieten eine weit gefährlichere Bedrohung der Gesundheit - gerade auch eines aus Deutschland dorthin entsandten Beschäftigten - darstelle als die auch in gemäßigten Breiten gelegentlich auftretende Ruhr. Auch unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sei die von der Klägerin durchgemachte Hepatitis keine Tropenkrankheit. Denn die Hepatitis infectiosa trete in den warmen Gebieten nicht sehr häufiger auf als in Deutschland. Sie komme in allen Ländern vor und habe keine Beziehung zu klimatischen Einflüssen. Zwar bringe der Aufenthalt in Entwicklungsländern mit mangelhaften hygienischen und sanitären Verhältnissen für Europäer auch heute noch ein stark erhöhtes Infektionsrisiko an Hepatitis infectiosa mit sich. Die Häufigkeit der Erkrankung nehme mit einem vermehrten Kontakt zur einheimischen Bevölkerung deutlich zu. Es bestehe eine direkte Abhängigkeit der Erkrankungshäufigkeit zum Standard der sanitären und hygienischen Lebensverhältnisse der Bewohner. In den außereuropäischen Großstädten und in tropischen und subtropischen Gebieten mit guten hygienischen Verhältnissen liege die Häufigkeit von Hepatitiserkrankungen jedoch nur unwesentlich höher als in Europa. Ein erhöhtes Erkrankungsrisiko im obigen Sinne bestehe auch für das fliegende Personal der DLH nicht. Von der als Tropenkrankheit anerkannten Bazillenruhr unterscheide sich die Hepatitis infectiosa auch dadurch, daß sie für deutsche Versicherte in den warmen Gebieten keine gefährlichere Bedrohung der Gesundheit darstelle als bei einer in Deutschland auftretenden Hepatitis infectiosa. Da das fliegende Personal der DLH in Übersee in der Regel in ausgesucht guten Hotels untergebracht werde, bestehe nur ein verhältnismäßig geringes Ansteckungsrisiko; der Dienst erfordere grundsätzlich keinen engen beruflichen Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung. Auch die Klägerin habe nicht vorgebracht, daß sie beruflichen Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung gehabt habe. Es sei ihr freigestellt gewesen, wo und wann sie ihre Mahlzeiten habe einnehmen wollen. Den Ausführungen von Professor Dr. Mohr im Gutachten vom 25. Oktober 1974 (SG Frankfurt S 4 U 60/69), das zu Nr 37 der Anlage zur 7. BKVO erstattet worden sei, könne nicht entnommen werden, daß die Hepatitis infectiosa eine Tropenkrankheit iS der Nr 44 der Anlage der 6. BKVO sei.

Die Erkrankung der Klägerin sei nicht die Folge eines Arbeitsunfalls gewesen. Eine Hepatitis-Infektion entstehe im wesentlichen durch Nahrungsaufnahme. Die Nahrungsaufnahme sei grundsätzlich dem privaten Lebensbereich zuzurechnen. Dies gelte auch für den Genuß von Austern, bei dem sich die Klägerin wahrscheinlich infiziert habe. Das Austernessen sei nicht betriebsbedingt gewesen, sondern dem Wunsch entsprungen, sich eine besondere Essensfreude zu bereiten. Daran ändere nichts, daß damals in Rio gerade eine erhebliche Überschwemmung stattgefunden habe. Nach den Angaben der Klägerin sei wegen Typhusverdachts vor dem Genuß von Trinkwasser gewarnt worden, offenbar wegen des Eindringens von Abwässern in die Wasserrohre. Daß dadurch der Genuß von Austern, die vor der Küste gezüchtet würden, mit besonderen Gefahren verbunden gewesen sein solle, sei nicht ersichtlich. Die Mitarbeiter der Klägerin, die gemeinsam mit ihr Austern gegessen hätten, seien auch nicht erkrankt. Die Klägerin habe sich somit rein zufällig infiziert. Eine Entschädigung nach § 551 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) komme nicht in Betracht, weil hinsichtlich der Hepatitis-Infektionen keine neuen Erkenntnisse iS dieser Vorschrift vorlägen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt und die Verletzung der §§ 548, 551 RVO sowie der 6. BKVO gerügt. Sie trägt vor: Sie habe sich betriebsbedingt in einer Umgebung mit erhöhter Infektionsgefahr aufgehalten und die dort landesüblichen Speisen zu sich nehmen müssen. Hinzu komme, daß zur damaligen Zeit wegen Typhusgefahr vor dem Genuß von Trinkwasser gewarnt worden sei. Ferner sei zu berücksichtigen, daß sie sich selbst habe verpflegen müssen und dabei einem höheren Infektionsrisiko als in Deutschland ausgesetzt gewesen sei. Da die Spesen nicht hoch gewesen seien, habe sie in preisgünstigen, überwiegend von der einheimischen Bevölkerung aufgesuchten Restaurants mit erhöhter Ansteckungsgefahr ihre Mahlzeiten einnehmen müssen. Ihre Erkrankung sei daher als Folge eines Arbeitsunfalls anzusehen. Unabhängig davon sei die Hepatitis infectiosa nach tropenärztlicher Auffassung eine BK nach Nr 44 der Anlage zur 6. BKVO. Professor Dr. ... rechne in seinem Gutachten vom 25. Oktober 1974 die Krankheit ebenso wie die Bazillenruhr zu den "fakultativen Tropenkrankheiten". Die vom 8. Senat des BSG zur Bazillenruhr angestellten Überlegungen träfen auch auf die Hepatitis infectiosa zu. Die Auffassung des LSG, das fliegende Personal der DLH sei keinem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt, sei unzutreffend. Das vom LSG zugrunde gelegte Zahlenmaterial sei unvollständig.

In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin unter Bezugnahme auf das Urteil des 8. Senats des BSG vom 22. Oktober 1975 (SozR 5676 Anl Nr 44 - 6. BKVO - Nr 2) ihren Anspruch in erster Linie darauf gestützt, daß die Hepatitis infectiosa eine Tropenkrankheit sei. Das LSG werde jedoch noch tatsächliche Feststellungen darüber treffen müssen, ob die vom 8. Senat (aaO) dafür geforderten Voraussetzungen - insbesondere ein wesentlich erhöhtes Infektionsrisiko infolge mangelhafter hygienischer und sanitärer Verhältnisse - hier gegeben seien. Es sei auch nicht von der Hand zu weisen, daß die hohe Luftfeuchtigkeit und die Hitze sowie die damals herrschende Überschwemmung in Rio de Janeiro eine erhöhte Erkrankungsgefahr mit sich gebracht hätten.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen und das Urteil des SG dahin zu ändern, daß die Beklagte verurteilt wird, für die Folgen der Hepatitis Entschädigung zu gewähren,

hilfsweise den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Entschädigung für die Folgen der Virushepatitis (Hepatitis infectiosa), an der sie im Januar 1966 erkrankt war. Ihre Krankheit war keine Berufskrankheit und auch nicht die Folge eines Arbeitsunfalls.

Nach § 551 Abs 1 Satz 1 RVO gilt eine Berufskrankheit als Arbeitsunfall. Berufskrankheiten im unfallversicherungsrechtlichen Sinne sind jedoch nicht alle Krankheiten als Schädigungsfolge beruflicher Tätigkeiten, sondern nur die im Rahmen der in § 551 Abs 1 Satz 3 RVO erteilten Ermächtigung durch Rechtsverordnung bezeichneten Krankheiten. Vom Versicherungsschutz wird der Versicherte nur erfaßt, wenn er die in der BKVO bezeichnete Krankheit bei einer der in den §§ 539, 540, 543 bis 545 RVO aufgeführten Tätigkeiten erleidet. (§ 551 Abs 1 Satz 2 RVO; zur See-Unfallversicherung s. jedoch § 840 RVO und § 2 der 7. BKVO mit der Erstreckung des Versicherungsschutzes ua gegen Tropenkrankheiten - wie schon nach § 4 der 3. BKVO - auch auf den Landgang, s. § 839 RVO). Die Klägerin hat sich nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG die Hepatitis-Infektion wahrscheinlich durch den Genuß von Austern zugezogen, während sie sich vom 12. Januar bis zum 1. Februar 1966 aus dienstlichen Gründen aufgrund ihrer Tätigkeit als Flugbegleiterin in Rio de Janeiro aufhielt. Zutreffend wendet sie sich insoweit nicht gegen den Bescheid der Beklagten und das Urteil des LSG, als die Voraussetzungen einer entschädigungspflichtigen Infektionskrankheit verneint worden sind. Infektionskrankheiten waren nach Nr 37 der Anlage zur 3. BKVO vom 16. Dezember 1936 (RGBl I 1117) idF der 6. BKVO Berufskrankheiten nur, wenn sie durch berufliche Beschäftigung in einem in Spalte III der Anlage neben der Krankheit bezeichneten Unternehmen verursacht waren (§ 1 der 3. BKVO). In einem solchen Unternehmen (Krankenhaus, Heil- und Pflegeanstalt, Entbindungsheim, usw) war die Klägerin jedoch nicht beschäftigt. Durch die 7. BKVO ist zwar in Nr 37 der Anlage nunmehr der im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätige Kreis der gegen Infektionskrankheiten Versicherten um diejenigen erweitert worden, die "durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt" waren. Es bedarf jedoch keiner Entscheidung, ob diese Voraussetzung für die Anerkennung einer entschädigungspflichtigen Infektionskrankheit auf die in der Luftfahrt beruflich Tätigen zutrifft, weil die Nr 37 der Anlage zur 7. BKVO auf eine Infektionskrankheit, die ein Versicherter - wie die Klägerin im vorliegenden Fall - vor dem Inkrafttreten der 7. BKVO (1. Juli 1968, s § 11 der Verordnung) erlitten hat, nicht anwendbar ist; die 7. BKVO gilt insoweit nicht rückwirkend (s §§ 9, 11; BSG in SozR 5676 Anl Nr 44 - 6. BKVO - Nr 2). Die Klägerin ist jedoch unter Bezugnahme auf das Urteil des 8. Senats des BSG vom 22. Oktober 1975 (SozR 5676 Anl Nr 44 - 6. BKVO - Nr 2) der Ansicht, das LSG habe die Hepatitis infectiosa, an der sie erkrankt gewesen sei, zu Unrecht nicht als Tropenkrankheit im Sinne der Nr 44 der Anlage zur 6. BKVO angesehen. Diese Ansicht trifft nicht zu.

Welche Krankheiten zu den Tropenkrankheiten zählen, die aufgrund gesetzlicher Ermächtigung durch Verordnung als Berufskrankheiten bezeichnet worden sind, ist in der Nr 44 der Anlage zur 6. BKVO nicht festgelegt. Auch die 2. BKVO vom 11. Februar 1929 (RGBl I 27), durch die zum erstenmal Tropenkrankheiten - damals noch auf Betriebe der Seeschiffahrt beschränkt - der Unfallversicherung unterstellt wurden (s § 4 und Nr 21 der Anlage zu dieser Verordnung), sowie die 3. bis 5. BKVO enthalten keine Begriffsbestimmung der Tropenkrankheiten. Es ist jedoch anerkannt, wie der 8. Senat des BSG dargelegt hat (SozR 5676 Anl Nr 44 - 6. BKVO - Nr 1 und Nr 2), daß Tropenkrankheiten die den Tropen und Subtropen vorwiegend eigentümlichen Erkrankungen sind, die infolge der besonderen klimatischen und anderen Verhältnisse dort besonders häufig vorkommen bzw dort bevorzugt auftreten (vgl RVA, Entscheidung vom 3. Februar 1931 in EuM Bd 29, 232; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 8. Aufl, Bd II S 492 n; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, Anm 2 zu § 840; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl, Stand 1977, Kennzahl 231 S 19; BSG aaO mit weiteren Nachweisen). Auch im Merkblatt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) zu Nr 44 der Anlage zur 6. BKVO (s Bekanntmachung vom 28. Oktober 1963 in Arbeitsschutz - Fachteil des Bundesarbeitsblatts 1963, 287), das allerdings nicht Bestandteil der BKVO ist (s BSG aaO; Lauterbach aaO Anm 5 e zu § 551), wird diese Definition verwendet. Aus der anerkannten Begriffsbestimmung der Tropenkrankheiten ist gefolgert worden, daß darunter nicht die über die ganze Erde verbreiteten Krankheiten - wie Typhus, Tuberkulose, Hepatitis epidemica (= Hepatitis infectiosa) - fallen (s RVA aaO; Brackmann aaO; Koetzing/Linthe, Die Berufskrankheiten, 2. Aufl, S 235; Hessisches LSG in Breithaupt 1962, 112 = BG 1962, 258; Podzun aaO). Im Merkblatt des BMA zu Nr 37 der Anlage zur 7. BKVO (s Bekanntmachung vom 15. August 1969 in Arbeitsschutz - Fachteil des Bundesarbeitsblatts 1969, 202) wird darauf hingewiesen, daß die Virushepatitis (zusammenfassende Bezeichnung für die Hepatitis infectiosa und die Serumhepatitis) weltweit verbreitet und eine der häufigsten Infektionskrankheiten überhaupt ist. Unter den rund 30 Krankheiten (davon 16 Infektionskrankheiten) in der beispielhaften Aufzählung von Tropenkrankheiten im Merkblatt zu Nr 44 der Anlage zur 6. BKVO ist die Hepatitis infectiosa nicht erwähnt. Der Hinweis auf die weltweite Verbreitung der Virushepatitis und damit auch der Hepatitis infectiosa einerseits sowie die Nichterwähnung der Hepatitis infectiosa in der beispielhaften Aufzählung im Merkblatt andererseits lassen erkennen, daß der BMA in Übereinstimmung mit den Mitwirkenden bei der Ausarbeitung der Merkblätter diese Krankheit nicht zu den Tropenkrankheiten rechnet (s auch Wende/Eggeling, Schwerpunkte der Berufskrankheiten in der Bundesrepublik Deutschland, Forschungsbericht Nr 123 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallforschung, 1974, S 125). Dies ist für die Beurteilung, ob die Hepatitis infectiosa als Tropenkrankheit anzusehen ist, insofern von Bedeutung, als die Merkblätter das Ergebnis der jeweils neuesten medizinischen Erkenntnisse und Erfahrungen darstellen (s Lauterbach aaO Anm 5 e zu § 551). Die Empfehlungen der EWG-Kommission an die Mitgliedsstaaten zur Annahme einer Europäischen Liste der Berufskrankheiten vom 23. Juli 1962 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft Nr 80 vom 31. August 1962; s auch Koetzing/Linthe aaO S 62 ff) erwähnen ebenfalls die Hepatitis infectiosa nicht unter den Tropenkrankheiten, die aaO (Anlage I zu D Nr 4) aufgeführt sind. Bei der Prüfung, ob die Hepatitis infectiosa zu den Tropenkrankheiten im Sinne der BKVO gehört, können die Merkblätter des BMA aus den angeführten Gründen zwar eine Entscheidungshilfe bieten, maßgebend ist jedoch allein, ob diese Krankheit die Merkmale erfüllt, die nach der anerkannten Definition der Tropenkrankheiten gegeben sein müssen (so auch der 8. Senat des BSG aaO Nrn 1 und 2). Davon ist auch das LSG im angefochtenen Urteil ausgegangen. Es hat dabei auch die Auffassung des 8. Senats des BSG (aaO) zugrunde gelegt, nach welcher der Begriff der Tropenkrankheiten weit zu fassen sei, so daß unter die Nr 44 der Anlage zur 6. BKVO auch die Tropen oder Subtropen nicht ausschließlich eigentümlichen Krankheiten fallen könnten, die sporadisch oder ab und zu außerhalb der Tropen ebenfalls beobachtet würden, den Tropen aber sonst eigentümlich seien und dort besonders häufig vorkämen. Daß nach der Auffassung des 8. Senats eine auf der ganzen Welt anzutreffende Krankheit unter bestimmten Umständen gleichwohl zu den Tropenkrankheiten gezählt werden kann, hat es ebenfalls berücksichtigt. Nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil, die das LSG insbesondere in Würdigung des von ihm eingeholten tropenärztlichen Gutachtens getroffen hat, tritt die Hepatitis infectiosa - unabhängig von klimatischen Einflüssen - in allen Gebieten der Erde auf und kommt in den Tropen und Subtropen nicht wesentlich häufiger als außerhalb dieser Gebiete vor; sie stellt in den warmen Gebieten der Erde auch keine gefährlichere Bedrohung der Gesundheit eines aus Deutschland nach dort entsandten Versicherten dar, als es bei einer in Deutschland auftretenden Hepatitis infectiosa der Fall ist. Die Feststellungen des LSG sind mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen nicht angegriffen und deshalb für das BSG bindend (§ 163 SGG). Das LSG hat angenommen, daß unter diesen Umständen die Hepatitis infectiosa keine vorwiegend den Tropen und Subtropen eigentümliche Erkrankung ist, die infolge der besonderen klimatischen und anderen Verhältnisse in diesen Gegenden besonders häufig vorkommt. Seine Auffassung, daß die Erkrankung der Klägerin somit nach der anerkannten Begriffsbestimmung keine Tropenkrankheit im Sinne der BKVO ist, läßt einen Rechtsirrtum nicht erkennen.

Der erkennende Senat weicht nicht im Sinne des § 42 SGG von dem - erst nach der Entscheidung des LSG ergangenen - Urteil des 8. Senats des BSG vom 22. Oktober 1975 (8 RU 54/75 in SozR 5676 Anl Nr 44 Nr 2) ab. In diesem Urteil hat der 8. Senat entschieden, eine in Nigeria erworbene Hepatitis infectiosa bzw epidemica sei als Tropenkrankheit anzuerkennen. Er ist davon ausgegangen, daß der Aufenthalt in Entwicklungsländern mit mangelhaften hygienischen und sanitären Verhältnissen für Europäer auch heute noch ein stark erhöhtes Infektionsrisiko an Hepatitis infectiosa mit sich bringe und gerade in den letzten Jahren eine auffallend große Anzahl von Hepatitis-epidemica-Erkrankungen bei Rückkehrern aus Westafrika, Indien und Indonesien beobachtet worden sei; die Häufigkeit der Erkrankungen nehme mit einem vermehrten Kontakt zur einheimischen Bevölkerung deutlich zu. Nigeria (Westafrika) gehört nach den Ausführungen des 8. Senats zu den Gebieten mit wesentlich erhöhtem Erkrankungsrisiko. Aus diesem Grunde ist nach der Auffassung des 8. Senats eine Hepatitis infectiosa, die sich ein Versicherter während seines beruflichen Aufenthalts in Nigeria zugezogen hatte - nur über diese Erscheinungsform der Lebererkrankung ist entschieden worden -, als Tropenkrankheit anzuerkennen; in dem Urteil wird ausdrücklich offengelassen, ob dies auch gelten würde, wenn der Erkrankte in einem Luxushotel mit europäischem Standard untergebracht gewesen wäre. Es erscheint zweifelhaft, kann jedoch dahingestellt bleiben, ob eine Hepatitis infectiosa unter der Voraussetzung als Tropenkrankheit im Sinne der BKVO anzusehen ist, daß ein Versicherter aufgrund der vom 8. Senat aufgezeigten besonderen Umstände an ihr erkrankt. Diese besonderen Umstände liegen hier jedenfalls nicht vor. Es bedarf keiner weiteren Aufklärung darüber, ob im brasilianischen Hinterland von Rio de Janeiro - ähnlich, wie dies der 8. Senat für Nigeria angenommen hat - mangelhafte hygienische und sanitäre Verhältnisse vorherrschen, die bei vermehrtem Kontakt eines aus Deutschland dorthin entsandten Versicherten mit der einheimischen Bevölkerung zu einer erhöhten Infektionsgefahr an Hepatitis infectiosa führen könnten. Denn nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, die nicht wirksam angefochten sind, war der Aufenthalt der Klägerin in der Zeit, in der sie sich beim Genuß von Austern infiziert hat, auf die Großstadt Rio de Janeiro beschränkt; die Klägerin war in einem guten Hotel untergebracht und hatte keinen beruflichen Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung, insbesondere auch nicht in den Randgebieten der Stadt. Auf die von der Revision hervorgehobenen klimatischen Verhältnisse Rio de Janeiros kommt es auch nach der Auffassung des 8. Senats nicht an. Eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG zu weiterer Sachaufklärung ist deshalb auch insoweit nicht erforderlich.

Da - wie dargelegt - keine besonderen Umstände hier vorgelegen haben, die es unter Zugrundelegung der Ausführungen des 8. Senats rechtfertigen könnten, eine Tropenkrankheit anzunehmen, war noch zu prüfen, ob nach allgemeinen Grundsätzen die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls (§ 548 RVO) gegeben sind (s BSGE 15, 41, 45). Es fehlt jedoch an dem für die Annahme eines Arbeitsunfalls erforderlichen ursächlichen Zusammenhang der versicherten Tätigkeit der Klägerin mit der Hepatitisinfektion durch den Genuß von Austern. Der Versicherungsschutz entfällt auch bei einem betrieblich bedingten Aufenthalt an einem fremden Ort, wenn der Reisende sich rein persönlichen, von der Betriebstätigkeit nicht mehr beeinflußten Belangen widmet (ständige Rechtsprechung, vgl BSGE 8, 48, 49; 39, 180, 181; SozR 2200 § 548 Nr 21; s auch Brackmann, aaO S 481 t; Lauterbach, aaO, Anm 65 zu § 548, jeweils mit Nachweisen). Die Nahrungsaufnahme gehört zu den zumindest überwiegend dem privaten Lebensbereich zuzurechnenden Betätigungen (vgl Brackmann, aaO S 481 b) grundsätzlich auch während einer Dienst- oder Geschäftsreise. Betriebliche Umstände waren nicht wesentlich mitbestimmend dafür, daß die Klägerin ihr Essen in einer bestimmten Gaststätte eingenommen hat; es stand im Belieben der Klägerin, wo und wie sie sich während ihres Aufenthalts in Rio de Janeiro verpflegte. Die damals in Rio herrschende Überschwemmung mit dem Eindringen von Abwässern in die Trinkwasserversorgung hat nach den nicht wirksam angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG keine besondere Gefahr für den Genuß von Austern mit sich gebracht. Auch insoweit liegen folglich keine Umstände vor, die einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Genuß verseuchter Austern begründen könnten.

Mangels neuer Erkenntnisse hinsichtlich der Hepatitis-Infektionen liegen die Voraussetzungen eines Anspruchs nach § 551 Abs 2 RVO nicht vor, wie das LSG bereits zutreffend ausgeführt hat; die Klägerin hat dem nicht widersprochen.

Die Revision ist danach zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1653898

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