Leitsatz (amtlich)

Der Vertreter eines niedergelassenen Arztes unterliegt grundsätzlich nicht dem für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis wesentlichen Direktionsrecht des Praxisinhabers. Er ist daher in der Regel nicht versicherungspflichtig. Das gilt auch für den Vertreter eines Kassenarztes.

 

Normenkette

RVO § 165 Fassung: 1949-09-06; AVG § 1 Fassung: 1945-03-17

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 1. Februar 1955 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Der Kläger, ein Röntgenfacharzt, erkrankte im Juli 1951 und mußte sich auf unbestimmte Zeit in Krankenhausbehandlung begeben. Er bestellte den als Flüchtling in West-Berlin lebenden, nicht frei praktizierenden Röntgenfacharzt Dr. H... E... gegen ein festes monatliches Entgelt zu seinem Vertreter. Die Vertretung dauerte vom 16. Juli 1951 bis zum 13. Juni 1952. Die Beklagte forderte den Kläger auf, Sozialversicherungsbeiträge für seinen Vertreter zu entrichten.

Die dagegen vom Kläger beim Beschwerdeausschuß der Beklagten erhobene Beschwerde blieb erfolglos. Seine Beschwerde beim Bezirks-Berufungsausschuß des Sozialversicherungsamts B..., die bei Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage auf das Sozialgericht (SG.) Berlin überging, hatte insofern Erfolg, als das SG. die ersten drei Monate der Vertretertätigkeit auf Grund des § 9 Abs. 4 Nr. 3 des Berliner Sozialversicherungsanpassungsgesetzes vom 3. Dezember 1950 (VOBl. I S. 542) - BSVAG - in Verbindung mit Abschnitt V Nr. 1 der Vorläufigen Neuordnung des Beitrags- und Meldewesens der Versicherungsanstalt Berlin vom 13. Dezember 1950 (VOBl. I S. 585) nicht als versicherungspflichtig ansah.

Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG.) Berlin unter Änderung des sozialgerichtlichen Urteils festgestellt, die Tätigkeit des Vertreters in der Praxis des Klägers sei auch in der Zeit vom 16. Oktober 1951 bis zum 13. Juni 1952 nicht versicherungspflichtig gewesen, weil Dr. E... jedenfalls nicht in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis zum Kläger gestanden habe. Für die Entscheidung sei § 9 BSVAG maßgebend, dessen Inhalt im wesentlichen dem des § 165 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und des § 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) - beide in der Fassung der Ersten Vereinf. VO - entspreche, so daß bei Prüfung der Versicherungspflicht die zu diesen Vorschriften entwickelten Grundsätze anzuwenden seien. Es sei daher entscheidend, ob Dr. E... von dem Kläger persönlich und wirtschaftlich abhängig gewesen sei. Zweifelhaft sei schon, ob der Vertreter in den "Betrieb" des von ihm vertretenen Arztes eingeordnet sei; jedenfalls könne ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis nicht schon deshalb angenommen werden, weil der Vertreter vor Übernahme der Vertretung nicht selbständig gewesen sei. Daß der Vertreter die ärztliche Praxis in den Räumen des Vertretenen mit dessen Instrumenten zu den von diesem festgelegten Sprechstunden im Namen und für Rechnung des Vertretenen gegen ein festes monatliches Entgelt geführt habe, begründe nicht seine persönliche Abhängigkeit. Unerheblich sei auch, daß der Arztvertreter an die allgemeine Einweisung durch den Vertretenen in die Besonderheiten der Kassenpraxis gebunden und zur Anfertigung von Aufzeichnungen und Berichten über besondere Vorkommnisse verpflichtet gewesen sei. Entscheidend sei vielmehr, daß der Vertreter anstelle des verhinderten selbständigen Arztes dessen berufliche Funktionen selbständig erfüllt, die volle ärztliche Verantwortung getragen sowie beruflich und sozial die Stellung des Vertretenen innegehabt habe.

Die Revision ließ das LSG. mit der Begründung zu, es handle sich um eine Entscheidung von grundsätzlicher Bedeutung. Der Anspruch der Beklagten stütze sich zwar auf § 9 BSVAG, eine nicht revisible Vorschrift; § 84 BSVAG erkläre jedoch die Vorschriften der RVO und damit auch deren §§ 165 ff. grundsätzlich für anwendbar, so daß diese zur Auslegung des § 9 BSVAG ergänzend herangezogen werden müßten; die Entscheidung beruhe daher insoweit auf der Auslegung revisibler Vorschriften.

Gegen das der Beklagten am 22. März 1955 zugestellte Urteil richtet sich ihre am 9. April 1955 beim Bundessozialgericht eingegangene und im gleichen Schriftsatz begründete Revision. Sie macht geltend, das LSG. habe die Versicherungspflicht des Vertreters des Klägers deshalb zu Unrecht verneint, weil es das Moment der ärztlichen Entscheidungsfreiheit einseitig in den Vordergrund gerückt und den für eine abhängige Beschäftigung des Arztvertreters sprechenden Gesichtspunkten keine Bedeutung beigemessen habe. Es sei ein für die Frage der Versicherungspflicht wesentlicher Unterschied, ob der Vertreter auch eine eigene Praxis ausübe oder nicht; denn das Fehlen einer eigenen Praxis zusammen mit der Tatsache, daß der Vertreter vor Übernahme und nach Beendigung der Vertretung als abhängiger Arzt tätig gewesen sei, lasse erkennen, daß er zum Kreise der Arbeitnehmer gehöre. Auch die wirtschaftliche Lage des Vertreters sei bedeutsam für die Beurteilung der Versicherungspflicht. Der Arztvertreter habe in sozialer Hinsicht nicht die Stellung des vertretenen Praxisinhabers eingenommen; ein auf die Verwertung seiner Arbeitskraft gegen eine Vergütung von täglich 20,-- DM angewiesener politischer Flüchtling stehe einem seit Jahren niedergelassenen, vielbeschäftigten Röntgenologen mit eigener Praxis nicht gleich. Der Vertreter trage auch kein eigenes finanzielles Risiko, weil er die Praxis nicht für eigene Rechnung, sondern für Rechnung des Vertretenen betreibe. Kassenpatienten dürfe er nur auf Grund der zwischen dem Vertretenen, der kassenärztlichen Vereinigung und dem Versicherungsträger bestehenden Rechtsbeziehungen behandeln; er erlange daraus aber keine eigenen Honoraransprüche. Die Benutzung der Praxisräume und die Einhaltung der Sprechstunden beruhe beim Inhaber der Praxis auf dessen eigenem Entschluß, während sie dem Vertreter zur Pflicht gemacht werde. Ob der Praxisinhaber dem Vertreter im Einzelfall Weisungen erteilt habe, sei unerheblich, entscheidend sei vielmehr die grundsätzlich vorhandene Weisungsbefugnis.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils festzustellen, daß Dr. E... in der Zeit vom 16. Juli 1951 bis zum 13. Juni 1952 in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis zum Kläger gestanden hat.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen. Nach der hier maßgebenden Bestimmung des § 9 BSVAG sei für die Frage der Versicherungspflicht nicht das wirtschaftliche Ergebnis einer Beschäftigung entscheidend. Deshalb sei auch die soziale Stellung des Vertreters, seine Verpflichtung, die Praxisräume des Vertretenen zu benutzen, die von ihm festgelegten Sprechstunden einzuhalten und Aufzeichnungen zu machen, für die Entscheidung unerheblich. Die Beklagte müsse, wenn sie den Vertretenen als selbständig ansehe, auch dessen Vertreter Selbständigkeit zubilligen, denn er übe die gleiche Tätigkeit aus wie der Praxisinhaber, trage die gleiche Verantwortung und sei nicht verpflichtet, Weisungen entgegenzunehmen; er praktiziere alleinverantwortlich an Stelle des Vertretenen und unterscheide sich dadurch vom Assistenten.

II.

Die zugelassene Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und daher zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 und 166 SGG). Sie ist jedoch unbegründet; denn soweit es sich überhaupt um die Anwendung von Vorschriften handelt, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt und die daher revisibel sind (§ 162 Abs. 2 SGG), ist die Auslegung, die ihnen das LSG. gegeben hat, nicht zu beanstanden.

1.) Die Versicherungspflicht des Vertreters des Klägers in der Kranken- und in der Arbeitslosenversicherung regelt sich für die gesamte hier zu beurteilende Zeit (16. Juli 1951 bis 13. Juni 1952) sowie in der Rentenversicherung für die Zeit bis zum 31. März 1952 nach irrevisiblem Recht, denn sie hängt insoweit von der Auslegung der allein in Berlin geltenden Vorschrift des § 9 Abs. 1 BSVAG ab - für die Kranken- und Angestelltenversicherung unmittelbar und für die Arbeitslosenversicherung infolge der Verweisung des § 69 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) in der Fassung des Gesetzes zur vorläufigen Regelung der Arbeitslosenversicherung in Berlin vom 28. Dezember 1950 (VOBl. I S. 566) auf die Versicherungspflicht in der Krankenversicherung. § 9 Abs. 1 BSVAG stimmt aber inhaltlich nicht mit den in der Bundesrepublik für die Frage der Versicherungspflicht maßgebenden §§ 165, 165 b RVO und § 1 AVG in der Fassung der Ersten Vereinf. VO vom 17. März 1945 (RGBl. I S. 41) überein; abweichend von den dort verwendeten, nach besonderen Merkmalen abgegrenzten Begriffen des Arbeiters und des Angestellten, betrifft die Versicherungspflicht nach § 9 Abs. 1 BSVAG alle "unselbständig Beschäftigten".

Auch soweit das LSG. bei der Auslegung der von ihm angewandten Berliner Vorschriften gemäß § 84 BSVAG Vorschriften der Reichsversicherungsordnung über die Versicherungspflicht ergänzend herangezogen hat, handelt es sich doch um die Anwendung irrevisiblen Rechts, da eine solche Heranziehung revisibler Rechtsvorschriften nur der Auslegung irrevisiblen Landesrechts dient, aber keine - unmittelbare - Anwendung revisiblen Rechts darstellt (vgl. BSG. 2 S. 106 [110], BSG. in Sozialrecht SGG § 162 Bl. Da 8 Nr. 43, Bl. Da 13 Nr. 53, BSG. 7 S. 35 [41]). Die Revision ist deshalb unbegründet, soweit es sich um die Anwendung des § 9 Abs. 1 BSVAG und des § 69 AVAVG in der Fassung des Gesetzes zur vorläufigen Regelung der Arbeitslosenversicherung in Berlin handelt.

Dagegen ordnet § 1 Abs. 2 des Berliner Rentenversicherungsüberleitungsgesetzes ( BRVÜG ) vom 10. Juli 1952 (GVBl. I S. 588) mit Wirkung vom 1. April 1952 (vgl. § 54 Abs. 1) die Anwendung der RVO und des AVG in der Fassung der Ersten Verordnung zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts in der Sozialversicherung vom 17. März 1945 (RGBl. I S. 41) an, soweit das BRVÜG nichts Abweichendes bestimmt. Zwar handelt es sich beim BRVÜG um Berliner Recht, seine Anwendung hat aber zur Folge, daß - von Ausnahmen abgesehen - die im übrigen Bundesgebiet für die Rentenversicherung maßgebenden Vorschriften der RVO vom 1. April 1952 an auch in Berlin gelten. Wie sich schon aus der Bezeichnung des Gesetzes ("zur Überleitung der Berliner Rentenversicherung auf das in der Bundesrepublik Deutschland geltende Recht") ergibt, ist dieser Rechtszustand bewußt und gewollt zum Zwecke der Vereinheitlichung des Sozialversicherungsrechts geschaffen worden. Deshalb bestehen gegen die Revisibilität der nach dem RVÜG vom 1. April 1952 an für Berlin geltenden Normen über die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung keine Bedenken (vgl. die obengenannten Entscheidungen sowie BGHZ Bd. 4 S. 219 [220]; Bd. 6 S. 47 [50]).

2.) Die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung der Angestellten während der Zeit vom 1. April 1952 bis 13. Juni 1952, die der Senat somit allein nachprüfen kann, hängt davon ab, ob der Arztvertreter als Angestellter im Sinne des § 1 AVG in Verbindung mit §§ 165, 165 b RVO in der Fassung der Ersten Vereinf. VO vom 17. März 1945 anzusehen ist.

Die Versicherungspflicht setzt persönliche Abhängigkeit des Versicherten von seinem Arbeitgeber voraus (vgl. BSG. Bd. 3 S. 30 ff. [35], ferner Urteile des erkennenden Senats in "Sozialrecht" RVO § 165 Bl. Aa 3 Nr. 6 und Bl. Aa 6 Nr. 8); eine solche Abhängigkeit des Arztvertreters hat im vorliegenden Streitfall nach den vom LSG. getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht bestanden. Zwar hat der Kläger keine eigene Praxis ausgeübt und ist gegen feste monatliche Bezüge tätig gewesen, wie sie im allgemeinen Angestellten gewährt werden. Er war auch gehalten, die Patienten in den Praxisräumen des vertretenen Arztes zu behandeln, die Sprechstunden fortzuführen und sich der von dem Praxisinhaber angestellten Hilfskräfte zu bedienen. Schließlich hatte er die Abrechnung mit der Kassenärztlichen Vereinigung im Namen und für Rechnung des Praxisinhabers vorzunehmen. Solche für eine Abhängigkeit des Arztvertreters sprechenden Umstände treten jedoch zurück gegenüber der Tatsache, daß er - sofern nicht ausdrücklich oder stillschweigend andere, nach ärztlichem Berufsrecht zulässige Vereinbarungen getroffen sind - bei der Ausübung seiner Tätigkeit als Arztvertreter nicht den Weisungen des Praxisinhabers unterworfen ist. Der Praxisinhaber ist insbesondere nicht berechtigt, in die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit seines Vertreters durch Weisungen einzugreifen. Der Vertreter trägt allein die Verantwortung für die Behandlung der Patienten und die sachgemäße Fortführung der ihm anvertrauten Praxis. Er ist - anders als der angestellte Assistenzarzt - nicht in der Lage, die Verantwortung für sein ärztliches Handeln auf den Praxisinhaber "abzuwälzen", und er ist andererseits aber auch nicht verpflichtet, dessen Weisungen zu folgen. Seine Tätigkeit ist zwar nicht schon deshalb als selbständig anzusehen, weil er über die ärztliche Behandlung frei entscheiden kann, ein solches Recht könnte z.B. auch dem leitenden Arzt einer Krankenhausabteilung, der Angestellter ist, vertraglich eingeräumt sein; wesentlich ist vielmehr, daß der Vertreter darüber hinaus auch bei der Einteilung und Ausführung aller ihm als Arztvertreter obliegenden Arbeiten grundsätzlich nicht den Weisungen des Praxisinhabers unterworfen ist, sondern die Praxis in eigener Verantwortung führt. Diese Unabhängigkeit des Arztvertreters bei Ausübung der Praxis wird häufig auch schon dadurch bedingt sein, daß der Praxisinhaber - wenn er z.B., wie im vorliegenden Streitfall, längere Zeit erkrankt ist, oder wenn er sich auf Reisen befindet - tatsächlich nicht in der Lage ist, von einem ihm etwa zustehenden Weisungsrecht in ärztlich zu verantwortender Weise Gebrauch zu machen. Die in der Regel gegenüber dem Praxisinhaber bestehenden Verpflichtungen des Vertreters, die Praxis in der gewohnten oder ausdrücklich vereinbarten Weise, d.h. in der Regel in den Praxisräumen und unter Einhaltung der üblichen Sprechstunden, fortzuführen und dabei auch die kassenärztlichen Verpflichtungen - z.B. hinsichtlich wirtschaftlicher Verordnungsweise - bei der Behandlung der Versicherten zu erfüllen, stellen vertragliche Bindungen gegenüber dem Praxisinhaber dar, die sich zwar auch auf die zu leistenden Dienste beziehen, deren Erfüllung der Vertreter aber auf Grund freier Entschließung verspricht, ohne damit dem Praxisinhaber ein nach seinem Ermessen auszuübendes Weisungsrecht zuzugestehen. Würde der Vertreter dem Praxisinhaber ein derartiges Weisungsrecht einräumen, so würde er seinen Willen und seine Verantwortung dem Willen und der Verantwortung des Praxisinhabers unterordnen und sich damit in persönliche Abhängigkeit, wie sie das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis kennzeichnet, begeben; er würde fremdbestimmte Arbeit leisten. Dagegen steht die vertraglich übernommene Verpflichtung des Vertreters, die Praxis in einer im voraus vereinbarten Weise zu führen, einer selbständigen Tätigkeit grundsätzlich nicht entgegen; seine Arbeit bleibt selbstbestimmt, weil dem Praxisinhaber ein Weisungsrecht, kraft dessen er jeweils nach seinem Willen in die Ausführung der Obliegenheiten seines Vertreters bestimmend eingreifen könnte, grundsätzlich nicht zusteht. Dadurch unterscheidet sich der Arztvertreter von dem ärztlichen Assistenten oder einem sonst angestellten Arzt.

Eine Abhängigkeit des Arztvertreters kann auch nicht damit begründet werden, daß er im Rahmen eines fremden "Arztbetriebes" tätig werde, indem er die Patienten regelmäßig in den Räumen des Praxisinhabers behandele, die von diesem festgelegten Sprechstunden einhalte, die in der Praxis vorhandenen Geräte (z.B. Röntgeneinrichtungen) benutze und sich des vorhandenen ärztlichen Hilfspersonals bediene. Eine Eingliederung in einen fremden Betrieb würde zwar auf das Bestehen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses schließen lassen (vgl. die oben angeführten Entscheidungen des Bundessozialgerichts, ferner Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 6. Aufl. Bd. I S. 39 Anm. 15; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Aufl. Bd. I S. 79; Molitor in "Recht der Arbeit" 1959 S. 2). Um eine "Eingliederung" in diesem Sinne annehmen zu können, müßte aber ein - wie immer geartetes - Unterordnungsverhältnis vorliegen, das indessen, wie oben dargelegt, beim Arztvertreter - sofern nicht abweichende Vereinbarungen getroffen sind - nicht besteht. Seine Stellung unterscheidet sich insoweit grundlegend von derjenigen anderer, in eine ärztliche Praxis oder Klinik eingegliederter Arbeitnehmer, wie etwa einer Sprechstundenhilfe, einer medizinisch-technischen Assistentin oder eines Assistenzarztes (vgl. auch die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und Bundesfinanzhofs zur Frage der Lohnsteuerpflicht des Arztvertreters in RStBl. 1934 S. 1041 Nr. 940 und BStBl. 1953 Teil III S. 142 Nr. 116). Während diese Personen und sonstige ärztliche und nichtärztliche Hilfskräfte in irgendeiner Form einem Vorgesetzten unterstellt sind, mag das Nachordnungsverhältnis (wie beim Oberarzt oder gegebenenfalls gar beim Chefarzt eines Krankenhauses gegenüber dem Krankenhausträger) auch noch so abgeschwächt sein, hat der Arztvertreter für seine Person keinen Vorgesetzten. Ebenso wie der Kassenarzt selbst nach dem ausdrücklichen Hinweis in § 368 c Abs. 3 RVO einen freien Beruf ausübt, ist auch sein Vertreter freiberuflich tätig und daher nicht in die Hierarchie eines Betriebes als dienendes, weisungsgebundenes Glied eingeordnet. Der Arztvertreter nimmt vielmehr, wie schon das Wort andeutet, für die Dauer seiner Tätigkeit die Stelle des Praxisinhabers ein und erfüllt, soweit in der Arztpraxis Arbeitnehmer tätig sind, zeitweilig selbst dessen Arbeitgeberfunktionen. Dieser Umstand schließt es aus, ihn zugleich als in den Betrieb des Praxisinhabers "eingegliedert" anzusehen. Entscheidend für seine Rechtstellung ist - auch unter dem Gesichtspunkt der sog. "Eingliederungstheorie" (vgl. Nikisch a.a.O. S. 140) -, daß er bei Ausübung seiner Tätigkeit als Arztvertreter nicht den Weisungen des Praxisinhabers unterworfen ist und somit nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses, sondern auf Grund eines freien Dienstvertrages tätig wird.

Das LSG. hat festgestellt, daß der Arztvertreter keinen Beschränkungen unterlag, die über die Verpflichtung zur Benutzung der Praxisräume, zur Einhaltung der Sprechstunden und zur Abrechnung im Namen des Vertretenen hinausgingen. Er war daher nicht verpflichtet, seine Tätigkeit im Einzelfall oder auf Grund allgemeiner Weisungen während der Vertretungszeit nach dem Willen des Klägers einzurichten. Der Vertreter versah während der Abwesenheit des erkrankten Klägers dessen Praxis selbständig und in eigener Verantwortung und stand daher zu ihm in keinem durch persönliche Abhängigkeit gekennzeichneten Beschäftigungsverhältnis; seine Arbeit war nicht fremdbestimmt, sondern selbstbestimmt und somit nicht versicherungspflichtig. Die Revision muß daher zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 41

NJW 1959, 2327

MDR 1959, 1044

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