Beteiligte

Klägerin und Revisionsklägerin

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob das Ereignis vom 2. November 1972 als Arbeitsunfall anzuerkennen ist. Der Ehemann der Klägerin ist bei der beklagten Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft (BG) auf Grund ihrer Satzung gegen Unfall versichert. Am 12. Januar 1973 zeigte er dieser an, die Klägerin habe sich am 2. November 1972 um 17.35 Uhr eine Fraktur am rechten Sprunggelenk zugezogen, als sie aus dem Garten habe Gemüse holen wollen und dabei ausgerutscht sei. Auf eine entsprechende Rückfrage erklärte der Ehemann der Klägerin, diese habe Lauch, Wirsing etc. aus dem Garten holen wollen, und das Gemüse sei für das Nachtessen bestimmt gewesen. In der Anlage zum Fragebogen über die Betriebsverhältnisse beantwortete der Kläger die Frage, ob die Erzeugnisse aus seinem Garten hauptsächlich dem eigenen Haushalt dienten, mit "ja". Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 27. März 1973 die Gewährung einer Unfallentschädigung mit der Begründung ab, der Unfall habe sich bei einer hauswirtschaftlichen Tätigkeit ereignet. Haushaltungen des Unternehmers stünden gemäß § 777 Reichsversicherungsordnung (RVO) nur dann unter Versicherungsschutz, wenn sie dem Unternehmen wesentlich dienten; dieser Voraussetzung sei hier aber nicht genügt.

Mit der Klage ändert die Klägerin die Schilderung des Unfalles dahin, das Gemüse, das sie habe abernten wollen, sei für das Mittagessen des folgenden Tages bestimmt gewesen. Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte am 19. September 1974 verurteilt, das Ereignis vom 2. November 1972 als Arbeitsunfall anzuerkennen und dementsprechend Verletztengeld und Unfallrente nach einer noch festzusetzenden Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Zur Begründung hat es sich auf § 539 Abs. 1 Nr. 5 RVO gestützt und die Auffassung vertreten, das Abernten des Wirsings, Lauchs und einiger anderer Gemüsesorten habe eine ernstliche Erntetätigkeit im landwirtschaftlichen Sinne dargestellt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es ist der Ansicht, die Klägerin habe, als sie den Unfall erlitt, keine landwirtschaftliche, sondern eine der Haushaltung eines landwirtschaftlichen Unternehmens zugehörige Tätigkeit verrichtet. Es komme nicht darauf an, ob das Gemüse zur Zubereitung des Abendessens oder des Mittagessens für den folgenden Tag geerntet werden sollte. Entscheidend sei vielmehr, daß es für den eigenen Haushalt bestimmt gewesen sei. Die Tätigkeit der Klägerin sei nicht anders zu beurteilen, als die des Einkaufens in einem einschlägigen Geschäft. Die Voraussetzungen des § 777 Nr. 1 RVO lägen nicht vor, denn die Klägerin habe mit ihrer Haushaltstätigkeit nicht dem landwirtschaftlichen Unternehmen wesentlich gedient. Sie habe unstrittig das Gemüse dafür verwenden wollen, eine Mahlzeit für ihre eigene Familie zuzubereiten.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin, nachdem auf Grund ihrer Nichtzulassungsbeschwerde der Senat die Revision durch Beschluß vom 19. August 1975 zugelassen hat, dieses Rechtsmittel eingelegt und zur Begründung ausgeführt, es habe sich um ein versichertes Abernten gehandelt, dabei könne es keinen Unterschied machen, ob der Inhaber des Betriebes die abgeernteten Früchte verkauft oder sie für sich verwendet. Auch komme es auf die Art der Früchte nicht an und auch nicht darauf, wann er diese abernte, denn das hänge unter anderem davon ab, welche Lagermöglichkeiten ihm zur Verfügung stünden. Dem Versicherungsträger erwachse dadurch, daß alle abgeernteten Früchte im Haushalt des Erzeugers verbraucht würden, kein größeres Risiko. Im übrigen sei die Klägerin sowohl als Erzeugerin als auch als Käuferin anzusehen.

Die Klägerin beantragt,

1.

das Urteil des LSG für das Saarland vom 14. Februar 1975 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG für das Saarland vom 19. September 1974 zurückzuweisen,

2.

die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Beschwerde- und des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Revision der Klägerin gegen das Urteil des LSG für das Saarland vom 14. Februar 1975 zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und ist der Auffassung, das beabsichtigte Gemüseholen stelle keinen Weg zu einer Aberntungstätigkeit im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung dar. Der Weg habe ausschließlich eigenwirtschaftlichen Zwecken gedient, weil er zur Beschaffung landwirtschaftlicher Erzeugnisse geringerer Menge zum alsbaldigen Verzehr oder Gebrauch zurückgelegt werden sollte. Der Hauhalt sei hier unversichert.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die vom Senat zugelassene Revision der Klägerin ist nicht begründet.

Nach § 539 Abs. 1 Nr. 5 RVO sind gegen Arbeitsunfälle in der Unfallversicherung (UV) Unternehmer versichert, solange und soweit sie als solche Mitglieder einer landwirtschaftlichen BG sind. Außerdem sind versichert ihre mit ihnen in häuslicher Gemeinschaft lebenden Ehegatten. Nach § 776 Abs. 1 Nr. 1 RVO umfaßt die landwirtschaftliche UV unter anderem Unternehmen der Landwirtschaft. Der Ehemann der Klägerin war Unternehmer eines solchen Unternehmens. Zwar hat das LSG nicht festgestellt, welche Landfläche das Unternehmen des Ehemannes der Klägerin umfaßt. Der Ehemann der Klägerin ist aber unter Würdigung der Feststellungen des LSG wenigstens deswegen als Unternehmer eines landwirtschaftlichen Betriebes anzusehen, weil mindestens ein formalrechtliches Versicherungsverhältnis bestand (vgl. dazu Urteil des Senats vom 26. Juni 1973 in BSG 36, 71, 73, 74), so daß die Klägerin nach § 539 Abs. 1 Nr. 5 RVO als in häuslicher Gemeinschaft mit dem Unternehmer lebender Ehegatte mitversichert war. Ein Versicherter ist in der landwirtschaftlichen UV aber nicht bei eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten versichert. Der Begriff der Landwirtschaft ist im Gesetz nicht definiert. Hierzu wird im allgemeinen die Bodenbewirtschaftung gerechnet (siehe Urteil des Senats vom 20. März 1973 in SozR Nr. 7 zu § 776 RVO). Ein Teil der Bodenbewirtschaftung ist die Aberntung (vgl. BSG 19, 117, 118, BSG 32, 211, 212).

Hinsichtlich der Aberntung von Früchten eines Baumes hat das Reichsversicherungsamt (RVA) die Auffassung vertreten, daß dies seinem Wesen nach regelmäßig als Abschluß der von dem Ernteberechtigten ausgeübten landwirtschaftlichen Tätigkeit zu betrachten und daher im allgemeinen dem landwirtschaftlichen Betrieb zuzurechnen ist (siehe EuM 25 S. 27; vgl. auch BSG 19, 117, 118). Dieser Auffassung tritt der erkennende Senat bei, denn es handelt sich insoweit um eine dem landwirtschaftlichen Unternehmen dienende und für dieses Unternehmen notwendige, ihrer Art nach typische landwirtschaftliche Tätigkeit. Von dieser Regel hat das RVA (a.a.O.) jedoch dann eine Ausnahme gemacht, wenn die unfallbringende Tätigkeit nicht im Rahmen der landwirtschaftlichen Arbeiten lag und nicht in ordnungsgemäßer Ausübung des landwirtschaftlichen Betriebes, das heißt im Betriebsinteresse, erfolgte. Demgemäß wurde z.B. das Abpflücken von Obst nicht als Erntetätigkeit angesehen, wenn es sich um das Pflücken geringer Obstmengen zum alsbaldigen Verzehr handelte (vgl. RVA a.a.O. unter Hinweis auf mehrere Rekurs-Entscheidungen u.a. auf die vom 18. Januar 1929 - I a 667.28 -). Dieser Auffassung hat sich auch die neuere Rechtsprechung der Instanzgerichte (vgl. u.a. LVAmt Württ. -Baden, Breithaupt 1951, 674, 677, 678 und LSG Rheinland-Pfalz vom 4. November 1970 - L 3 U 119/69; Lauterbach Kartei Nr. 8107 zu § 776) und auch die Literatur (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-8. Aufl., Stand 15. Februar 1975), Band II, S. 496 oben; Breiter-Hahn/Schieke, Unfallversicherung, 4. Aufl., Stand: Mai 1975, § 776 Anm. 3 c; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl. Stand Mai 1975, § 776 Anm. 5 a) S. 1102/1; Miesbach/Baumer, Die Gesetzliche Unfallversicherung, Stand: Januar 1975, § 776 Anm. 7 a) bb) S. 391 unten sowie S. 392 letzter Abs. vor cc); Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, Stand September 1975, Kennzahl 112 S. 7) angeschlossen.

Im vorliegenden Falle ist nun zwar nicht eine geringe Menge Obst abgeerntet worden, sondern die Klägerin ist in den Garten gegangen, um Gemüse für ihr Nachtessen am selben, oder, wie sie später behauptet hat, für ihr Mittagessen am nächsten Tage zu holen. Diese beabsichtigte Verrichtung diente jedoch nicht landwirtschaftlichen Zwecken, sondern dem Interesse ihrer Hauswirtschaft. Sie kann, wie das LSG zutreffend erkannt hat, nicht als eine landwirtschaftliche Tätigkeit angesehen werden. Denn sie ist nicht im Interesse des landwirtschaftlichen Betriebes erfolgt. Das ist grundsätzlich nur dann der Fall, wenn die Tätigkeit der ordnungsgemäßen Ausübung des landwirtschaftlichen Betriebes (vgl. RVA a.a.O.) dient. Darunter fallen - bei einem Garten - Arbeiten, die mit dem Haushalt nichts zu tun haben, wie etwa das Umgraben und Lockern des Erdreichs, das Düngen, das Säen, Pflanzen, Lichten und Versetzen, die Beseitigung des Unkrauts, das Gießen und Wässern, die Beschneidung von Bäumen, Sträuchern und sonstigen Gewächsen sowie auch das Ernten der Früchte zu einem Zeitpunkt, in dem die Aberntung nach den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Bodenbewirtschaftung angebracht bzw. geboten ist. Dem landwirtschaftlichen Betrieb können ferner Tätigkeiten in einem anderen Bereich zugerechnet werden, wie z.B. die Aberntung eines an einer Straße stehenden Apfelbaumes, dessen Früchte ersteigert worden sind, sofern diese Tätigkeit des Obstaberntens mit dem eigenen landwirtschaftlichen Betrieb in einem wirtschaftlichen Zusammenhang steht (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 26.6.1973 in SozR Nr. 40 zu § 539 RVO). Der Revision ist schließlich noch zuzugeben, daß der Zeitpunkt des Aberntens bei nicht lagerfähigen Früchten durch die Möglichkeit des alsbaldigen Verkaufs bestimmt sein kann. Aber auch dann dient das Abernten - wie der Verkauf der Erträgnisse - dem landwirtschaftlichen Betrieb. An dieser Voraussetzung fehlt es jedoch, wenn nur Lauch, Wirsing oder Suppengrün (BSG-Akte Bl. 38) für das Abendessen oder für das darauf folgende Mittagessen "geholt" werden soll. Dabei handelt es sich schon dem Wortlaut nach um ein "Holen" und nicht um ein "Ernten", d.h. es liegt eine Befriedigung der jeweiligen Bedürfnisse des Haushalts vor. Diese Tätigkeit dient daher dem Haushalt und ist deshalb unversichert, sofern der Haushalt nicht i. S. des § 777 Nr. 1 RVO dem landwirtschaftlichen Unternehmen wesentlich dient und aus diesem Grund als Teil des landwirtschaftlichen Unternehmens gilt. Ob der vorliegende Fall - wie das LSG meinte- nicht anders zu beurteilen ist, als wenn eine Hausfrau die Lebensmittel in einem Geschäft einkauft (vgl. dazu AN 1897, 503), konnte dahinstehen, da jedenfalls aus den obigen Gründen ein Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 5 bzw. § 776 Abs. 1 Nr. 1 RVO zu verneinen war. Im übrigen wird für den ähnlichen Fall des Einsammelns von Hühnereiern für Zwecke der Hauswirtschaft auf die Entscheidung des RVA in AN 1897, 502, 503 unter Hinweis auf AN 1896, 288 verwiesen. Auch nach § 777 Nr. 1 RVO bestand kein Versicherungsschutz. Denn nach den von der Revision nicht angegriffenen und daher für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) diente die Haushaltung nicht wesentlich dem Unternehmen.

Somit war das angefochtene Urteil zu bestätigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf unmittelbarer bzw. hinsichtlich der Beschwerde auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518783

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