Leitsatz (amtlich)

Daß eine vollstreckbare Urkunde bzw ein Unterhaltsvertrag wegen einer nachträglichen Änderung der Verhältnisse die Eigenschaft eines sonstigen Grundes iS des § 42 Abs 1 S 1 AVG (= § 1265 Abs 1 S 1 RVO) verliert, kann der Versicherte allenfalls durch den Verzicht auf die ihm zustehenden Gegenrechte gegen die Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs (Änderungsklage, Vollstreckungsabwehrklage, Einrede der unzulässigen Rechtsausübung) verhindern. Ein solcher Verzicht muß gegenüber der Unterhaltsgläubigerin - Vollstreckungsgläubigerin - erklärt werden.

 

Normenkette

RVO § 1265 Abs 1 S 1 Alt 2; AVG § 42 Abs 1 S 1 Alt 2; ZPO §§ 323, 767

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 22.10.1986; Aktenzeichen L 4 An 50/85)

SG Kiel (Entscheidung vom 11.07.1985; Aktenzeichen S 5 An 148/84)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die beigeladene frühere Ehefrau des Versicherten Hinterbliebenenrente nach § 42 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) beanspruchen kann und die der Klägerin bewilligte Witwenrente nach Maßgabe des § 45 Abs 4 AVG zu kürzen ist.

Der am 8. April 1983 verstorbene Versicherte war von 1947 bis 1964 sowie von 1966 bis 1970 mit der Beigeladenen verheiratet. Beide Ehen wurden aus Verschulden des Versicherten geschieden. Am 30. Juni 1970 verpflichtete er sich in einer notariellen Urkunde ua, der Beigeladenen ab 1. Juli 1970 Unterhalt in Höhe von 200,-- DM monatlich zu zahlen, und unterwarf sich wegen dieser Forderung der sofortigen Zwangsvollstreckung. Nach der Schilderung in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ist zur selben Zeit auch ein Unterhaltsvertrag gleichen Inhalts zwischen dem Versicherten und der Beigeladenen geschlossen worden.

Im Jahr 1975 heiratete der Versicherte die Klägerin. Die Beklagte bewilligte ihm ab 1. Januar 1978 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und wandelte diese zum 1. März 1982 in Altersruhegeld um.

Nach dem Tode des Versicherten stellten sowohl die Klägerin als auch die Beigeladene Antrag auf Hinterbliebenenrente.

Durch den der Beklagten am 16. Juni 1983 zugestellten Pfändungs- und Überweisungsbeschluß des Amtsgerichts Neumünster vom 7. Juni 1983 wurden auf Antrag der Vereins- und Westbank AG Hamburg (Bank) wegen einer Forderung in Höhe von 8.060,96 DM nebst Zinsen und Kosten die angeblichen Forderungen der Klägerin an die Beklagte auf Zahlung von Witwenrente nach ihrem verstorbenen Ehemann gemäß § 850c der Zivilprozeßordnung (ZPO) so lange gepfändet, bis der Gläubigeranspruch gedeckt ist, und die Forderung, soweit sie gepfändet ist, der Gläubigerin zur Einziehung überwiesen.

Mit Bescheid vom 16. September 1983 bewilligte die Beklagte der Klägerin Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes in der vollen Höhe von 842,-- DM. Dieser Bescheid enthielt den Hinweis, daß aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses von der Rente ab 1. Oktober 1983 196,70 DM einbehalten und an die Bank überwiesen werden. Die Bank erhielt von der Beklagten eine gleichlautende Mitteilung.

Mit Bescheid vom 25. September 1984 erkannte die Beklagte nach Anhörung der Klägerin den Anspruch der Beigeladenen auf Hinterbliebenenrente aus der Versicherung des Verstorbenen an und bewilligte ihr ab 1. Mai 1983 Hinterbliebenenrente (584,-- DM monatlich). Mit Bescheid vom 25. Oktober 1984 setzte die Beklagte die Hinterbliebenenrente der Klägerin unter Hinweis auf die der Beigeladenen bewilligte Rente ab 1. Dezember 1984 auf 233,80 DM monatlich neu fest. Der Bank teilte die Beklagte mit, daß im Hinblick auf die Neufestsetzung der Rente ab 1. Dezember 1984 kein pfändbarer Betrag mehr zur Verfügung stehe.

Die von der Klägerin gegen den Bescheid vom 25. Oktober 1984 erhobene Klage wies das Sozialgericht (SG) Kiel mit Urteil vom 11. Juli 1985 ab. Die Berufung der Klägerin wurde von dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 22. Oktober 1986 zurückgewiesen. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt: Die Hinterbliebenenrente sei nach Maßgabe des § 45 Abs 4 AVG zwischen der Klägerin und der Beigeladenen aufzuteilen. Letzterer stehe ein Rentenanspruch nach § 42 Abs 1 Satz 1 AVG zu, da ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes aufgrund der notariell beurkundeten Erklärung vom 30. Juni 1970 "aus sonstigen Gründen" zum Unterhalt verpflichtet gewesen sei. An diesem Unterhaltsvertrag, der nie aufgehoben worden sei, habe der Versicherte, wie aus seinem Verhalten und seinen zahlreichen schriftlichen Erklärungen folge, bis zuletzt festhalten wollen. Gegen die Möglichkeit, seine Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Beigeladenen im Wege einer Abänderungs- oder Vollstreckungsgegenklage gemäß §§ 323, 767 ZPO bis unter die ein Viertel des Sozialhilferegelsatzes betragende Geringfügigkeitsgrenze zu ermäßigen, spreche, daß er der Beigeladenen verschiedentlich Geldbeträge überbracht habe, die insgesamt deutlich über der Geringfügigkeitsgrenze gelegen hätten, und daß er in der Lage gewesen sei, zumindest zeitweise Zahlungen an die Beigeladene zu leisten, denn er habe bis zum 8. März 1982 neben seiner Rente nicht nur Arbeitseinkommen in unbekannt gebliebener Höhe erzielt, sondern sich auch weitere Geldmittel durch Unterschlagungen beschafft. Die Einkommenssituation der Beigeladenen, die aus dem von ihr betriebenen Imbißstand offensichtlich keine Einnahmen von bedeutsamer Höhe erzielt habe, habe eine Abänderungs- oder Vollstreckungsgegenklage ebenfalls nicht geboten erscheinen lassen.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 42 Abs 1 AVG. Sie ist der Ansicht, daß eine Abänderungsklage des Versicherten gegen den Unterhaltstitel wegen der nachträglich eingetretenen Veränderung seiner Einkommenssituation Erfolgsaussichten gehabt hätte. Daß er eine solche Klage nicht erhoben habe, sei unerheblich, da hierfür keine Veranlassung bestanden habe, denn zwischen ihm und der Beigeladenen habe offensichtlich Einigkeit darüber bestanden, daß eine Vollstreckung aus dem Unterhaltstitel nicht erfolgen sollte. Zu Unrecht habe das LSG angenommen, daß der Versicherte der Beigeladenen Geldbeträge überbracht habe, die deutlich über der Geringfügigkeitsgrenze gelegen hätten. Vielmehr wäre bei erneuter Anhörung der bereits vernommenen Zeugen deutlich geworden, daß es sich bei den Zuwendungen des Versicherten um mehr oder weniger einmalige Leistungen gehandelt habe, die nicht im Zusammenhang mit seiner Unterhaltsverpflichtung gestanden hätten.

Die Klägerin beantragt, die vorinstanzlichen Urteile sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. Oktober 1984 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Nach ihrer Auffassung kommt es nicht darauf an, ob der Versicherte seine Unterhaltsverpflichtung gemäß §§ 323, 767 ZPO bis unter die Geringfügigkeitsgrenze hätte ermäßigen können, denn das LSG habe unter Ausschöpfung des Rahmens seiner freien Beweiswürdigung dargelegt, daß dem Versicherten vor seinem Tode Finanzmittel in nicht unbeträchtlicher Höhe zur Verfügung gestanden hätten und daß sich die materielle Basis der Beigeladenen seit Abschluß der Unterhaltsvereinbarung nicht nennenswert verändert habe. Das LSG sei von einem Fortbestand der Unterhaltsverpflichtung des Versicherten ausgegangen, so daß eine theoretisch mögliche Vollstreckungsgegenklage oder Abänderungsklage nicht erfolgreich hätte sein können.

Die Beigeladene beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist iS der Zurückverweisung begründet.

Nach § 42 Abs 1 Satz 1 AVG wird einer früheren Ehefrau des Versicherten, deren Ehe mit ihm vor dem 1. Juli 1977 geschieden, für nichtig erklärt oder aufgehoben ist, nach seinem Tode Rente gewährt, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes (erste Alternative) oder aus sonstigen Gründen (zweite Alternative) zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat (dritte Alternative).

Das LSG hat es dahinstehen lassen, ob die Voraussetzungen der ersten oder dritten Alternative des § 42 Abs 1 Satz 1 AVG erfüllt sind, und die Auffassung vertreten, der Beigeladenen stehe ein Rentenanspruch aus der zweiten Alternative der Norm zu, da die in der notariellen Urkunde "oder auch im Unterhaltsvertrag übernommene" Unterhaltsverpflichtung unabhängig davon, ob der Versicherte diese hätte ermäßigen oder beseitigen können, deshalb einen sonstigen Grund darstelle, weil der Versicherte an dieser Unterhaltsverpflichtung bis zuletzt habe festhalten wollen.

Dieser Rechtsauffassung des LSG ist nicht zu folgen. Die ersten beiden Alternativen des § 42 Satz 1 AVG knüpfen an eine zur Zeit des Todes des Versicherten, dh während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor seinem Tode (BSG SozR § 1265 RVO Nrn 8 und 22, SozR 2200 § 1265 Nr 80), bestehende Unterhaltspflicht des Versicherten gegenüber seiner früheren Ehefrau an. Nach dem Gesetzeswortlaut kommt es darauf an, ob der Versicherte der geschiedenen Ehefrau zur Zeit seines Todes "Unterhalt zu leisten hatte", ob für ihn eine Pflicht zur Unterhaltsgewährung in dieser Zeit bestanden hatte (BSG SozR 2200 § 1265 Nr 49). Dies entspricht dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung, der darin besteht, durch die Gewährung einer Hinterbliebenenrente an die frühere Ehefrau einen Ausgleich für den durch den Tod des Versicherten eingetretenen Wegfall ihres Unterhaltsanspruchs gegen ihn zu schaffen.

Die Unterhaltsberechtigung der geschiedenen Frau kann sich aus den Vorschriften des Ehegesetzes oder aus sonstigen Gründen ergeben. Auch ein vollstreckbarer Unterhaltstitel, wie ihn die notarielle Urkunde vom 30. Juni 1970 darstellt (§ 794 Abs 1 Nr 5 ZPO), kann ein sonstiger Grund iS des § 42 Satz 1 AVG sein (BSGE 20, 1, 3 = SozR § 1265 RVO Nr 17). Einem vollstreckbaren Unterhaltstitel kommt jedoch diese Bedeutung dann nicht mehr zu, wenn der Versicherte wegen einer nachträglich eingetretenen wesentlichen Veränderung in den Einkommens- oder Vermögensverhältnissen der geschiedenen Ehegatten zur Zeit seines Todes durch eine Abänderungsklage gemäß § 323 ZPO oder eine Vollstreckungsgegenklage iS des § 767 ZPO die vollstreckungsrechtlichen Wirkungen des Unterhaltstitels hätte beseitigen können (BSGE 20, 1, 5; BSG SozR § 1265 RVO Nr 27). In einem solchen Fall besteht nach dem Sinn und Zweck des § 42 Satz 1 AVG kein Anlaß, den nur formell noch weiter gültigen Titel durch Bewilligung einer Rente zu ersetzen (BSGE 20, 1, 6). Es kommt nicht darauf an, ob der Versicherte eine solche Abänderungs- oder Vollstreckungsgegenklage bis zu seinem Tod mit Erfolg durchgeführt oder eine solche Klage zumindest erhoben hatte. Entscheidend ist vielmehr, ob für ihn zur Zeit seines Todes die Voraussetzungen für eine Klage vorgelegen haben (BSG, Urteile vom 27. September 1963 - 12/3 RJ 28/59 -, 29. Oktober 1963 - 12/3 RJ 16/59 - und vom 24. März 1964 - 12/3 RJ 124/60 -). Der Beweggrund des Versicherten für seine Untätigkeit kann dahingestellt bleiben (BSG, Urteil vom 16. Dezember 1964 - 12 RJ 326/62 -). Daß der Versicherte an der Unterhaltsvereinbarung festhalten wollte, daß er zur Beseitigung des Titels bzw Ermäßigung der darin festgestellten Unterhaltsverpflichtung nicht bereit gewesen ist, kann nicht maßgebend sein.

Haben sich die Verhältnisse nachträglich so geändert, daß der Versicherte die Wirkung der vollstreckbaren Urkunde durch eine Änderungs- oder Vollstreckungsabwehrklage beseitigen konnte, dann verliert nach der Rechtsprechung des BSG die Urkunde von selbst die Eigenschaft eines sonstigen Grundes iS des § 42 Abs 1 Satz 1 AVG. Der Versicherte kann diese Rechtswirkung allenfalls durch die gegenüber dem Vollstreckungsgläubiger abgegebene Willenserklärung verhindern, daß er auf die Möglichkeit, den Titel zu beseitigen, verzichte.

Entsprechend ist der Unterhaltsvertrag zu beurteilen. Auch hier kann eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse dazu führen, daß der Versicherte dem Unterhaltsanspruch die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) entgegenhalten kann (BSG SozR Nr 27 zu § 1265 RVO). Der Unterhaltsschuldner kann sich - wenn nicht gegenteiliges vereinbart ist - auf Veränderungen berufen, die so wesentlich sind, daß sie die sog Geschäftsgrundlage berühren (Palandt/Diederichsen, BGB, 45. Aufl, Einf 4 vor § 1601 BGB). Auch auf diese Einrede kann er aber nur durch eine entsprechende Willenserklärung an den Unterhaltsgläubiger verzichten.

Derartige Willenserklärungen hat der Versicherte nicht abgegeben. Das LSG hat zwar festgestellt, daß er seit März 1979, als eine Reihe von gegen ihn gerichteten Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen bei der Beklagten eingegangen war, in Briefen an die Beklagte und in Telefongesprächen mit deren Bediensteten immer darauf hingewiesen habe, er sei zu Unterhaltszahlungen nicht nur an die Klägerin, sondern auch an die Beigeladene verpflichtet und zahle auch immer wieder Geld an die Beigeladene, wenn diese in Not sei und er etwas erübrigen könne. Dazu erwähnt das Vordergericht als Motiv des Versicherten, durch das In-den-Vordergrund-Rücken seiner Unterhaltsverpflichtung eine gewisse Entlastung gegenüber den zahlreichen, ihn mit Pfändungen bedrängenden Gläubigern zu erreichen. Das kann jedoch auf sich beruhen. Denn diese Äußerungen des Versicherten hatten, losgelöst von den möglichen Motiven, nur den Inhalt, daß er Unterhalt zahlen müsse und zahle, nicht aber den, daß er auf die Geltendmachung von Gegenrechten (Klage, Einrede oä) verzichte. In diesem Zusammenhang kommt auch dem Umstand Bedeutung zu, daß der Versicherte die telefonischen und schriftlichen Ausführungen, denen das LSG Verzichtcharakter beizumessen scheint, gerade nicht dem "Gegner", also der Beigeladenen, sondern einem - an der Unterhaltsfrage unbeteiligten - Dritten gegenüber gemacht hat und daß er zu einem Verzicht auf Gegenrechte gegen die Zwangsvollstreckung keinen Anlaß hatte, weil er von der Beigeladenen - im Gegensatz zu den vielen anderen Gläubigern - weder mit einer Zwangsvollstreckung überzogen noch sonst irgendwie bedrängt wurde.

Ein einen Rentenanspruch der Beigeladenen nach § 42 Abs 1 Satz 1 zweite Alternative begründender Unterhaltsanspruch könnte sich allerdings auch daraus ergeben, daß sich der Versicherte zur Zeit seines Todes, dh während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor seinem Tode, nochmals rechtsverbindlich zur Gewährung von Unterhalt an die Beigeladene in Höhe von wenigstens 25 vH des zeitlich und örtlich maßgebenden Regelsatzes der Sozialhilfe - ohne Aufwendungen für Unterkunft - (BSG SozR 2200 § 1265 Nrn 63 und 65) verpflichtet hätte. Zu alledem fehlen Feststellungen des LSG. Der Senat kann diese Feststellungen nicht selbst treffen. Die Sache war deshalb an das LSG zurückzuverweisen.

Das LSG wird bei Klärung der zweiten Alternative zweckmäßigerweise zunächst feststellen, ob der Versicherte in dem letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor seinem Tode der Beigeladenen gegenüber eine neue Unterhaltsverpflichtung eingegangen war, wobei zweifelhaft sein kann, ob er zur laufenden Erfüllung neuer Unterhaltsverpflichtungen finanziell überhaupt in der Lage gewesen wäre. Läßt sich diese Feststellung nicht treffen, wird das LSG zu prüfen haben, ob für den Versicherten zur Zeit seines Todes die Voraussetzungen für eine Klage nach § 323 ZPO bzw nach § 767 ZPO vorgelegen haben, ob er die titulierte Unterhaltsverpflichtung auf diesem Wege hätte beseitigen bzw auf weniger als 25 vH des Sozialhilferegelsatzes hätte reduzieren können. Das angefochtene Urteil enthält keine für eine Entscheidung des Revisionsgerichts ausreichenden tatsächlichen Feststellungen darüber, auf welchen Einkommens- und Vermögensverhältnissen die notarielle Unterhaltsverpflichtung vom 30. Juni 1970 beruhte und welches Einkommen und Vermögen die geschiedenen Ehegatten zur Zeit des Todes des Versicherten hatten sowie ob sich daraus eine solche wesentliche Änderung iS des § 323 ZPO ergibt, daß ein Unterhaltsanspruch der Beigeladenen nicht mehr bzw nicht mehr in einer die Geringfügigkeitsgrenze überschreitenden Höhe bestand.

Entgegen der Auffassung der Beklagten hat das LSG nicht festgestellt, daß dem Versicherten vor seinem Tode Finanzmittel in nicht unbeträchtlicher Höhe zur Verfügung gestanden hätten und daß sich die materielle Basis der Beigeladenen seit Abschluß der Unterhaltsvereinbarung nicht nennenswert geändert habe, so daß eine Abänderungs- oder Vollstreckungsgegenklage zu keinem Erfolg hätte führen können. Das LSG hat lediglich (auf S 10 des Urteils) ausgeführt, die von dem Versicherten an die Beigeladene geleisteten Zahlungen sprächen "gegen die Möglichkeit", daß er seine Unterhaltsverpflichtung bis unter die Geringfügigkeitsgrenze hätte senken können. Die Feststellung, daß sich die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der geschiedenen Ehegatten nicht verändert haben und daß deswegen eine Klage nach § 323 ZPO bzw § 767 ZPO keinen Erfolg gehabt hätte, ist damit nicht getroffen worden. Dies gilt auch für die Ausführungen (auf S 10, 11 des Urteils), der Versicherte sei in der Lage gewesen, zumindest zeitweise Zahlungen an die Beigeladene zu leisten, da er bis zum 8. März 1982 nicht nur Arbeitseinkommen in unbekannt gebliebener Höhe erzielt, sondern sich auch weitere Geldmittel durch Unterschlagungen beschafft habe. Abgesehen davon, daß Unterhaltsmittel, die sich der Versicherte durch fortlaufende Begehung strafbarer Handlungen verschafft hat, bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 42 Abs 1 Satz 1 AVG außer Betracht zu bleiben haben (BSG SozR 2200 § 1265 Nr 68), kann diesen Ausführungen des LSG lediglich entnommen werden, daß der Versicherte bis zu einem vor seinem Tode liegenden Zeitpunkt zeitweise zur Gewährung von Unterhalt an die Beigeladene in der Lage war. Damit ist nicht festgestellt, daß der Versicherte zur Zeit seines Todes die titulierte Unterhaltsverpflichtung nicht in rechtlich relevanter Weise hätte reduzieren können. Vielmehr hat das LSG diese Frage, wie aus der Begründung der Revisionszulassung folgt, offengelassen.

Das LSG wird nicht nur die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Versicherten, sondern auch diejenigen der Beigeladenen festzustellen haben (BSG SozR 2200 § 1265 Nr 80). Die Ausführungen (auf S 11 des Urteils) geben Anlaß zu dem Hinweis, daß die Beigeladene in dem maßgeblichen Zeitraum nicht nur einen Imbißstand in Bad Segeberg betrieben, sondern auch in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden und daraus Einkünfte erzielt hatte.

Ein Rentenanspruch der Beigeladenen kann auch nach der dritten Alternative des § 42 Abs 1 Satz 1 AVG gegeben sein. Das angefochtene Urteil enthält jedoch auch hierzu keine für eine Entscheidung des Revisionsgerichts ausreichenden tatsächlichen Feststellungen darüber, ob der Versicherte der Beigeladenen im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat. Das LSG hat lediglich die von der Revision gerügte Feststellung getroffen, daß der Versicherte der Beigeladenen Geldbeträge in Summen zwischen 70,-- DM und 180,-- DM, die insgesamt deutlich über der Geringfügigkeitsgrenze gelegen hätten, überbracht habe. Es ist offen geblieben, wieviele Zahlungen in welcher Höhe geleistet wurden, in welchem Zeitraum sie erfolgten, insbesondere ob sie im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten erbracht wurden und ob sie, was die Revision in Abrede stellt, für den Unterhalt der Beigeladenen bestimmt waren.

Die Voraussetzungen der dritten Alternative des § 42 Abs 1 Satz 1 AVG sind grundsätzlich nur erfüllt, wenn sich die tatsächlichen Unterhaltszahlungen des Versicherten an seine frühere Ehefrau auf den vollen Jahreszeitraum vor seinem Tode erstreckt haben (BSGE 25, 86, 88 = SozR § 1265 RVO Nr 34; BSG SozR 2200 § 1265 Nr 26). Es reicht nicht aus, daß der Versicherte in diesem Zeitraum überhaupt Unterhalt an die geschiedene Frau gezahlt hat. Die Unterhaltsersatzfunktion der Hinterbliebenenrente verlangt, daß das Gesamtbild der Zahlungen die Annahme einer auf Dauer angelegten Unterhaltsgewährung rechtfertigt, die nach dem Tode des Versicherten durch die Hinterbliebenenrente zu ersetzen wäre (BSG SozR 2200 § 1265 Nr 68). Deshalb müssen die Unterhaltsleistungen des Versicherten im letzten Jahr vor seinem Tode mit einer gewissen Regelmäßigkeit erbracht worden sein, denn nur dann ist Gewähr dafür geboten, daß eine auf Dauer angelegte Unterhaltsgewährung vorgelegen hat. Dazu müssen sich die vom Versicherten bewirkten Zahlungen eindeutig bestimmten Zeitabschnitten zuordnen lassen (BSG aaO). Auch vom Versicherten im letzten Jahr vor seinem Tode an die frühere Ehefrau geleistete, für ihren Unterhalt bestimmte Zahlungen in unterschiedlicher Höhe können die Voraussetzungen der dritten Alternative des § 42 Abs 1 Satz 1 AVG erfüllen, wenn sie mit einer gewissen Regelmäßigkeit erfolgt sind und der Durchschnitt aller im Jahreszeitraum erbrachter Leistungen mindestens 25 vH des zeitlich und örtlich maßgebenden Regelsatzes der Sozialhilfe ohne Aufwendungen für Unterkunft beträgt.

Das LSG wird deshalb festzustellen haben, ob der Versicherte der Beigeladenen im letzten Jahr vor seinem Tode Zahlungen in gewisser Regelmäßigkeit geleistet hat, ob diese in ihrer Gesamtheit die Geringfügigkeitsgrenze zumindest erreicht haben und ob sie zum Unterhalt bestimmt waren oder - ganz oder teilweise - anderen Zwecken, beispielsweise der Tilgung von Verbindlichkeiten, dienten.

Das angefochtene Urteil war gemäß § 170 Abs 2 SGG aufzuheben; die Sache war zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.

Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das LSG ferner prüfen müssen, ob die Bank als Pfändungspfandgläubiger eines Teiles der Witwenrente beizuladen ist (vgl dazu das Urteil des 7. Senats des BSG vom 12.Dezember 1984 - 7 RAr 11/83 - VdK Mitt 1985 Nr 6 S 45). Gegen die Erforderlichkeit der Beiladung könnte allerdings sprechen, daß die Bank - wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angedeutet wurde - erklärt haben soll, sie wolle mit der Einziehung der überwiesenen Forderung bis zum Ende des Rechtsstreites abwarten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1665070

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