Leitsatz (amtlich)

Solange die Hinterbliebenenrente der geschiedenen Ehefrau des Versicherten nicht zu zahlen ist, weil diese ihren Wohnsitz nicht im Geltungsbereich der RVO hat, ist die Rente der im Gebiet der BRD wohnenden Witwe nicht nach RVO § 1268 Abs 4 zu kürzen.

 

Orientierungssatz

Zum Begriff "Berechtigte".

 

Normenkette

RVO § 1268 Abs. 4 Fassung: 1957-02-23, § 1317 Fassung: 1960-02-25

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 21. Januar 1970 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Der Beigeladenen sind außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin ist die Witwe des am 13. Juni 1967 gestorbenen Versicherten H M. Die Ehe war am 17. Januar 1959 geschlossen worden. In erster Ehe war der Versicherte vom 2. August 1924 bis zum 29. März 1950 mit der Beigeladenen verheiratet. Diese Ehe war aus Verschulden des Versicherten geschieden worden.

Die Beklagte gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 13. September 1967 die Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes vom 1. Juli 1967 an. Die Beigeladene, die in S bei B wohnte, beantragte bei der Beklagten am 25. September 1967 eine Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres geschiedenen Ehemannes. Dieser Anspruch wurde von der Beklagten vom 1. September 1967 an mit Bescheid vom 9. November 1967 anerkannt. Die Beklagte stellte jedoch fest, die Rente ruhe nach § 1317 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in voller Höhe, weil die Beigeladene sich außerhalb des Geltungsbereichs der RVO aufhalte. Mit Bescheid vom 17. November 1967 an die Klägerin änderte die Beklagte den Bescheid vom 13. September 1967 und setzte die Witwenrente wegen Vorhandenseins einer weiteren Berechtigten nach § 1268 Abs. 4 RVO vom 1. Januar 1968 an von monatlich 330,60 DM auf monatlich 81,30 DM herab.

Das von der Klägerin angerufene Sozialgericht (SG) hat mit Beschluß vom 14. August 1968 die geschiedene Ehefrau des Versicherten beigeladen. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 1. Juli 1969 abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) am 21. Januar 1970 das Urteil des SG geändert und den Bescheid der Beklagten vom 17. November 1967 aufgehoben. Im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung seines Urteils hat das LSG im wesentlichen ausgeführt, die Beigeladene habe nach § 1265 RVO einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres geschiedenen Ehemannes. Dieser Anspruch ruhe jedoch nach § 1317 RVO, solange sich die Beigeladene in der DDR aufhalte. Der von der Klägerin angefochtene Bescheid der Beklagten an die Beigeladene vom 9. November 1967 sei daher nicht zu beanstanden. Dagegen habe die Beklagte den Änderungsbescheid vom 17. November 1967 zu Unrecht erlassen. Der § 1268 Abs. 4 RVO enthalte eine Schutzvorschrift, die den Versicherungsträger davor bewahren wolle, aus einem Versicherungsverhältnis mehreren Unterhaltsberechtigten die volle Rente zu zahlen. Unabhängig von der Anzahl der Unterhaltsberechtigten sei der Versicherungsträger verpflichtet, nur einmal die volle Rente zu zahlen, die zwischen den Berechtigten aufgeteilt werde. Eine solche Aufteilung komme aber nicht in Betracht, wenn einer der Hinterbliebenen wegen des Ruhens seines Anspruchs keine Leistungen erhalten könne. Der Klägerin sei daher die volle Witwenrente auszuzahlen, solange die Beigeladene sich im Gebiet der DDR aufhalte.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die unrichtige Anwendung des § 1268 Abs. 4 RVO. Sie ist der Ansicht, § 1268 RVO sei eine reine Berechnungsvorschrift. Bei Vorhandensein mehrerer Berechtigter nach den §§ 1264, 1265, 1266 Abs. 1 und 2 RVO richte sich die Berechnung für jeden der Berechtigten nach § 1268 Abs. 4 RVO. Die Anwendung der Ruhensvorschrift des § 1317 RVO schließe die Anwendung des § 1268 Abs. 4 RVO nicht aus, wenn feststehe, daß zwei Berechtigte im Sinne dieser Vorschrift vorhanden seien und auch zwei Ansprüche nach den §§ 1264, 1265 RVO dem Grunde nach beständen.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin hat sich im Revisionsverfahren nicht zur Sache geäußert. Die Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

II

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Da die Revision der Beklagten sich lediglich gegen die Aufhebung des Bescheides vom 17. November 1967 richtet, ist das Urteil des LSG im übrigen nicht nachzuprüfen. Die Zurückweisung der Berufung der Klägerin, durch die die Klageabweisung insoweit bestätigt wird, als sie den Bescheid vom 9. November 1967 betrifft, ist von keinem der Beteiligten mit der Revision angefochten worden. Es ist daher von der Rechtmäßigkeit dieses Bescheides auszugehen. Damit steht bindend fest, daß die Beigeladene vom 1. September 1967 an einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres geschiedenen Ehemannes hat, der jedoch während ihres Aufenthaltes in der DDR in vollem Umfang ruht. Die Bindungswirkung hindert den erkennenden Senat, die Anspruchsvoraussetzungen des § 1265 RVO und die Frage zu prüfen, ob während des Aufenthalts in der DDR ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente besteht (vgl. hierzu BSG 3, 286).

Die Beklagte hätte den Rentenfeststellungsbescheid vom 13. September 1967, der nach § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindend geworden ist, nur dann nach § 1268 Abs. 4 Satz 2 RVO ändern dürfen, wenn nach der Rentenfeststellung ein weiterer Berechtigter zu berücksichtigen wäre. Das ist jedoch nicht der Fall. Das LSG hat vielmehr mit Recht angenommen, daß die Klägerin einen Anspruch auf die volle, nach § 1268 Abs. 2 RVO berechnete Witwenrente hat, solange der Anspruch der Beigeladenen ruht. Der Beklagten ist zuzugeben, daß § 1268 RVO in seiner Gesamtheit - also auch in seinem Abs. 4 - lediglich Berechnungsvorschriften für die Witwen- und Witwerrente enthält. Diese Erkenntnis trägt aber nicht zur Lösung der Frage bei, ob im vorliegenden Falle die Berechnung nach Abs. 2 oder Abs. 4 des § 1268 RVO vorzunehmen ist. Die Rentenberechnung ist dann nach § 1268 Abs. 4 RVO durchzuführen, wenn mehrere Berechtigte nach den §§ 1264, 1265, 1266 Abs. 1 und 2 RVO vorhanden sind. Das Wort "Berechtigte", auf das es bei der Auslegung der Vorschrift wesentlich ankommt, ist nicht eindeutig. Nach der reinen Wortbedeutung kann es sowohl denjenigen bezeichnen, der von dem Versicherungsträger eine Leistung verlangen kann, als auch den Inhaber eines ruhenden Anspruchs. Für die RVO und für die übrigen Sozialversicherungsgesetze ist das Wort kein feststehender terminus technicus, der nur in dem einen oder anderen Sinne verstanden werden könnte. Die RVO benutzt das Wort außer in § 1268 an vielen Stellen (z. B. §§ 1281, 1287, 1288, 1289, 1295, 1315), ohne daß daraus erkennbar wäre, daß das Wort nur den einen oder anderen Sinn haben kann. Spricht z. B. der § 1315 RVO dafür, daß Berechtigter auch der Inhaber eines ruhenden Anspruchs ist, so lassen die §§ 1289, 1295 RVO erkennen, daß sie den Inhaber eines ruhenden Anspruchs nicht erfassen und als Berechtigten bezeichnen wollen. Der Gesetzgeber hat das Wort in § 1268 Abs. 4 RVO nur deshalb benutzt, um mit dieser kurzen Sammelbezeichnung mehrere Arten von Anspruchsinhabern (Witwen, Witwer und geschiedene Ehefrauen) erfassen zu können. Keinesfalls läßt sich aber aus dem Begriff "Berechtigte" allein ableiten, ob der Inhaber eines ruhenden Anspruchs erfaßt oder ausgeschlossen sein soll. Läßt also das Wort "Berechtigte" in § 1268 Abs. 4 RVO beide Auslegungsmöglichkeiten zu, so kann nur der hinter dieser Vorschrift stehende Sinn Aufschluß darüber geben, welche Bedeutung das Wort in dieser Vorschrift hat.

In den Fällen, in denen der Versicherte mehrere anspruchsberechtigte Ehegatten und geschiedene Ehegatten hinterlassen hat, stand der Gesetzgeber vor der Frage, ob es sozialpolitisch vertretbar sei, jedem Hinterbliebenen einen Anspruch auf die volle Hinterbliebenenrente zu geben. Eine diese Frage bejahende Lösung hätte zu einer erheblichen Erhöhung des Versicherungsrisikos und zu einer unzumutbaren Mehrbelastung des Versicherungsträgers und der Versicherungsgemeinschaft geführt. Der Gesetzgeber hat daher den Weg gewählt, daß der Versicherungsträger unabhängig von der Zahl der anspruchsberechtigten hinterbliebenen Ehegatten als Gesamtbetrag nur soviel zu leisten hat, wie er bei Vorhandensein einer hinterbliebenen Ehefrau zu leisten hätte. Der Versicherungsträger soll also nur einmal die volle Witwenrente zahlen müssen. Die Aufteilung dieser einen Witwenrente unter mehrere hinterbliebene Ehegatten hat also die Funktion, den Versicherungsträger vor einer höheren Leistungspflicht zu schützen. Dieser gesetzgeberische Zweck erlaubt es nicht, aus der Vorschrift abzuleiten, daß der Versicherungsträger unter Umständen weniger als eine volle Witwenrente zu zahlen hat. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, daß bei Vorhandensein mehrerer Berechtigter jeder dieser Berechtigten nicht nur einen Stammanspruch auf die Rente hat, sondern auch einen Anspruch auf die wiederkehrenden Einzelleistungen. Ruht die Rente eines Hinterbliebenen jedoch, so bedeutet das, daß zwar der Stammanspruch bestehen bleibt, daß aber der Anspruch auf die wiederkehrenden Einzelleistungen für die Zeit des Ruhens wegfällt (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 25. März 1971 - 5 RKn 58/69 -). Der Versicherungsträger braucht diese weggefallenen Einzelleistungen weder jetzt noch später zu befriedigen. Der ruhende Anspruch belastet den Versicherungsträger also nicht. Ein solcher Anspruch kann daher auch nicht Grund für die Aufteilung der Hinterbliebenenrente unter mehrere Berechtigte sein. Auch der Satz 2 des § 1268 Abs. 4 RVO spricht dafür, daß eine Aufteilung der Rente nur dann stattzufinden hat, wenn mehrere hinterbliebene Ehegatten die Leistung verlangen können. Nach dieser Vorschrift ist eine Neufeststellung der einmal festgestellten Witwenrente nur dann erforderlich und möglich, wenn ein weiterer Berechtigter zu berücksichtigen ist. Zwar ist auch das Wort "berücksichtigen" nicht eindeutig. Nach dem Sinn der Vorschrift soll darin aber zum Ausdruck kommen, daß der Versicherungsträger eine Neufeststellung dann vornehmen kann, wenn er an mehrere hinterbliebene Ehegatten zu zahlen hat. Für eine Neufeststellung und Aufteilung der Rente besteht keine Veranlassung, wenn der Versicherungsträger den anderen Hinterbliebenen bei der Zahlung der Renten unberücksichtigt lassen kann. Der § 1268 Abs. 4 RVO will den Versicherungsträger nicht über den Normalfall des Vorhandenseins einer Witwe hinaus belasten. Er hat aber nicht den Zweck, ihn darüber hinaus zu entlasten und besser zu stellen, als wenn nur eine hinterbliebene Ehefrau vorhanden wäre.

Die danach unbegründete Revision der Beklagten muß zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat kann gemäß § 126 SGG nach Lage der Akten entscheiden, da keiner der Beteiligten zum Termin erschienen ist und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1669815

BSGE, 7

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