Leitsatz (amtlich)

Ist ein Versicherter vor dem 1961-08-01 - dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des ÄndG ArbKrankhG - mit Krankengeld ausgesteuert worden und dauert die den Versicherungsfall begründende Erkrankung über den 1961-07-31 hinaus an, so steht dem Wiederaufleben des Anspruchs auf Krankengeld am 1961-08-01 nicht entgegen, daß der Versicherte zu diesem Zeitpunkt nur noch eine Mitgliedschaft ohne Krankengeldberechtigung besaß (Weiterentwicklung BSG 1962-02-13 3 RK 63/61 = BSGE 16, 177).

 

Leitsatz (redaktionell)

Die in RVO § 182 Abs 1 Nr 2 S 2 ausgesprochene Beschränkung, daß die in RVO § 165 Abs 1 Nr 3 und 4 (RVO § 315a) bezeichneten Versicherten keinen Anspruch auf Krankengeld haben, gilt nur für solche Versicherungsfälle, die während der Mitgliedschaft zur Rentner-Krankenkasse eingetreten sind. Ein bereits auf Grund früherer Versicherungspflicht erworbener unbeschränkter Anspruch auf Versicherungsleistungen kann daher nicht durch den Beginn eines neuen Versicherungsverhältnisses mit begrenzter Leistungspflicht beseitigt werden.

 

Normenkette

RVO § 182 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Fassung: 1961-07-12, § 165 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1957-07-27, Nr. 4 Fassung: 1957-07-27, § 183 Fassung: 1961-07-12; ArbKrankhGÄndG Art. 6 Fassung: 1961-07-12

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 26. Mai 1964 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Die Klägerin war seit dem 1. Oktober 1958 versicherungspflichtiges Mitglied der beklagten Ersatzkasse. Sie erhielt von dieser wegen einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Erkrankung das satzungsmäßige Krankengeld für die Zeit vom 23. Mai 1960 bis zum 23. Mai 1961. Die Arbeitsunfähigkeit hielt bis Anfang Februar 1962 an.

Am 2. Mai 1961 beantragte die Klägerin bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) Rente aus der Angestelltenversicherung und meldete sich gleichzeitig bei der beklagten Ersatzkasse zur Rentnerkrankenversicherung an. Der Rentenantrag wurde abgelehnt (Bescheid vom 11. Dezember 1961). Die hiergegen gerichtete Klage hat die Klägerin zurückgenommen.

Den Antrag der Klägerin, vom 1. August 1961 an, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfall vom 12. Juli 1961 - LeistungsverbesserungsG - (BGBl I 913), ihr wieder Krankengeld zu gewähren, lehnte die beklagte Ersatzkasse mit der Begründung ab, als Mitglied der Rentnerkrankenversicherung habe sie keinen Anspruch auf Krankengeld (Bescheid vom 29. Mai 1962). Mit der gleichen Begründung wies die Widerspruchsstelle der beklagten Ersatzkasse den Widerspruch der Klägerin zurück (Bescheid vom 4. Juli 1962).

Das Sozialgericht (SG) hat dem Klageantrag gemäß die beklagte Ersatzkasse verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1. August 1961 an für weitere 26 Wochen Krankengeld nach Maßgabe von Gesetz und Satzung zu gewähren (Urteil vom 31. Oktober 1962). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen; die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 26. Mai 1964). Das LSG ist davon ausgegangen, die Klägerin habe, wenn auch ihr Anspruch auf Krankengeld mit der Aussteuerung am 23. Mai 1961 erloschen sei, über diesen Zeitpunkt hinaus Anspruch auf Krankenpflege gehabt. Der Versicherungsfall sei im Zeitpunkt des Inkrafttretens des LeistungsverbesserungsG - wegen Fortdauer der Behandlungsbedürftigkeit - noch nicht abgeschlossen gewesen. Solche noch nicht abgewickelten "alten" Versicherungsfälle würden aber nach der Zwecksetzung des LeistungsverbesserungsG von § 183 Abs. 2 RVO nF erfaßt, wie das Bundessozialgericht (BSG) in seiner Entscheidung vom 13. Februar 1962 (BSG 16, 177) dargelegt habe. Ob die Mitgliedschaft, während der der Versicherungsfall eingetreten sei, noch fortbestehe, spiele dabei keine Rolle. Auch stehe dem Anspruch der Klägerin auf die verbesserten Leistungen nach § 183 Abs. 2 RVO nicht entgegen, daß die Klägerin inzwischen als Rentenantragstellerin versichert sei. Das Bestehen dieses Versicherungsverhältnisses - mit seiner Versagung des Krankengeldes (§ 182 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 RVO) - wirke sich nur bei Versicherungsfällen aus, die nach dem Beginn der Rentnerkrankenversicherung eingetreten seien. Stehe dagegen einem Versicherten auf Grund der Abwicklung eines während des früheren Versicherungsverhältnisses eingetretenen Versicherungsfalles ein Anspruch auf Krankengeld zu, so sei die Rentnerkrankenversicherung subsidiär.

Gegen dieses Urteil hat die beklagte Ersatzkasse Revision eingelegt mit dem Antrag,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Sie hält die Auffassung des LSG im angefochtenen Urteil für irrig, daß § 183 Abs. 2 RVO nF auf "alte" Versicherungsfälle auch dann anzuwenden sei, wenn am 1. August 1961 kein Versicherungsverhältnis mit Krankengeldberechtigung bestanden habe.

Die Klägerin hat beantragt,

die Revision der Beklagten als unzulässig zu verwerfen,

hilfsweise, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin bezweifelt, ob die Beklagte ihrer Pflicht zur Begründung der Revision genügt habe. Sie habe sich zur Begründung ihres Revisionsantrages im wesentlichen nur auf Vorgänge außerhalb dieses Rechtsstreits - nämlich Entscheidungen von Landessozialgerichten - bezogen und zum Schluß ihrer Ausführungen die Anregung gegeben, dieses Verfahren bis zur Entscheidung in Parallelprozessen auszusetzen.

Die beigeladene ... beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, aus der Entscheidung des Senats vom 13. Februar 1962 (BSG 16, 177) folge, daß an der Leistungsverbesserung nach § 183 Abs. 2 RVO nF auch die "alten", im Zeitpunkt des Inkrafttretens des LeistungsverbesserungsG noch nicht abgewickelten Versicherungsfälle teilhaben, bei denen das ursprüngliche Versicherungsverhältnis nicht fortgedauert habe.

II

Die Revision der beklagten Ersatzkasse ist zulässig. Die Zweifel der Klägerin daran, ob die beklagte Ersatzkasse ihrer Pflicht zur Begründung der Revision im Sinne des § 164 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) genügt habe, sind nicht begründet. Die Revisionsbegründung der Beklagten ist zwar kurz, bezeichnet aber hinreichend deutlich "die verletzte Rechtsnorm". Die Ausführungen der beklagten Ersatzkasse lassen klar erkennen, daß ihrer Auffassung nach durch das angefochtene Urteil § 182 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 RVO sowie die entsprechende Bestimmung ihrer Versicherungsbedingungen (§ 10 a Abs. 11) verletzt sind, wonach krankenversicherte Rentner grundsätzlich keinen Anspruch auf Krankengeld haben.

Die Revision ist aber nicht begründet. Zutreffend hat das LSG die beklagte Ersatzkasse für verpflichtet erachtet, der Klägerin vom 1. August 1961 an für weitere 26 Wochen Krankengeld zu gewähren.

Wie in dem vom Senat am gleichen Tage entschiedenen Rechtsstreit 3 RK 89/64 näher dargelegt ist, findet § 183 Abs. 2 RVO nF auch dann auf bereits vor dem 1. August 1961 eingetretene und zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossene Versicherungsfälle Anwendung, wenn die Mitgliedschaft mit der Aussteuerung erloschen war. Nichts anderes kann gelten, wenn an die Stelle des ursprünglichen Versicherungsverhältnisses, während dessen der Versicherungsfall eingetreten ist, ein anderes Versicherungsverhältnis ohne Krankengeldberechtigung - hier: das Pflichtversicherungsverhältnis des Rentenantragstellers (§ 315 a Abs. 1 Nr. 1 RVO) - getreten ist. Da der Anspruch auf Krankengeld nicht davon abhängt, daß während der ganzen Dauer der Arbeitsunfähigkeit überhaupt eine Mitgliedschaft bestand, vielmehr die maßgebliche Grundlage für ihn schon damit gegeben ist, daß der Versicherungsfall - die Krankheit - während des Bestehens eines Versicherungsverhältnisses mit Krankengeldberechtigung eingetreten ist, kann die spätere Umgestaltung des Versicherungsverhältnisses der Klägerin bei der beklagten Ersatzkasse - zu einem Formalversicherungsverhältnis ohne Krankengeldberechtigung (§ 315 a Abs. 1 Nr. 1, § 182 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 RVO) - den aus dem früheren Versicherungsverhältnis "nachgehenden" Anspruch der Klägerin auf Krankengeld nicht berühren. Wie das Bayerische LSG in seiner Entscheidung vom 28. September 1960 (Breithaupt 1961, 199) zutreffend ausgeführt hat, gilt die Beschränkung, daß krankenversicherte Rentner (oder Rentenantragsteller; § 315 a RVO) keinen Anspruch auf Krankengeld haben, nur für Versicherungsfälle, die während der Mitgliedschaft zur Rentnerkrankenversicherung eingetreten sind. Ein bereits auf Grund früherer Versicherungspflicht erworbener unbeschränkter Anspruch auf Versicherungsleistungen kann nicht durch den Beginn eines neuen Versicherungsverhältnisses mit begrenzter Leistungspflicht beseitigt werden. Es würde auch nicht dem Sinn der Rentnerkrankenversicherung entsprechen, wenn mit ihrem Einsetzen die Rechtsstellung der Rentner in der Krankenversicherung gemindert würde.

Der Auffassung, daß der aus dem früheren Versicherungsverhältnis nachgehende Anspruch auf Krankengeld durch den Beginn eines neuen Versicherungsverhältnisses ohne Krankengeldberechtigung nicht beeinträchtigt wird, steht die Entscheidung des Senats vom 27. November 1962 (BSG 18, 122) nicht entgegen. Hiernach erwirbt ein Versicherter, bei dem der Versicherungsfall der Krankheit während eines Versicherungsverhältnisses ohne Krankengeldberechtigung, die Arbeitsunfähigkeit aber erst während eines an das erste Versicherungsverhältnis anschließenden Pflichtversicherungsverhältnisses als abhängig beschäftigter Arbeitnehmer eingetreten ist, mit dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit den uneingeschränkten Anspruch auf Krankengeld. Diese Entscheidung erlaubt nicht den Umkehrschluß, daß bei umgekehrter Reihenfolge der Versicherungsverhältnisse der Anspruch auf das Krankengeld zu versagen ist. Daß der pflichtversicherte Arbeitnehmer Krankengeld auch dann erhält, wenn der Versicherungsfall bereits vor Beginn dieses Versicherungsverhältnisses zu einer Zeit eingetreten ist, als er entweder gar nicht oder nur beschränkt - ohne Krankengeldberechtigung - versichert war, beruht vielmehr auf der dem Pflichtversicherungsverhältnis der abhängig Beschäftigten eigentümlichen Regelung, daß auch bereits vor Beginn des Pflichtversicherungsverhältnisses eingetretene Erkrankungen in dieses Versicherungsverhältnis - im Gegensatz zur Mitgliedschaft Versicherungsberechtigter (§ 310 Abs. 2 Satz 1 RVO) "eingebracht" werden und bei Eintritt der sonstigen Leistungsvoraussetzungen Ansprüche begründen können (vgl. BSG aaO S. 124 f.).

Demnach ist die beklagte Ersatzkasse, wie die Vorinstanzen richtig entschieden haben, zur Gewährung von Krankengeld für weitere 26 Wochen vom 1. August 1961 an verpflichtet. Die Revision der Beklagten wurde daher zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380020

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