Leitsatz (amtlich)

Verliert der Beschädigte nach schädigungsbedingtem Verlust eines Auges das Sehvermögen auf dem anderen Auge durch schädigungsunabhängige Einflüsse, so ist die Versagung eines Härteausgleichs für die durch den Nachschaden verursachte Blindheit nicht rechtswidrig.

 

Orientierungssatz

1. Die Nichtberücksichtigung einer unabhängig von der anerkannten Schädigungsfolge nachträglich entstandenen Beeinträchtigung einer Körperfunktion bei der versorgungsrechtlichen Beurteilung ist eine Folgerung, die sich in gleicher Weise bei paarigen oder anderen Organen aus der Anwendung der Kausalitätsnorm ergibt. Nur der Anspruch auf Pflegezulage ist im Ergebnis anders zu beurteilen, weil hier zu den Voraussetzungen, die den Anspruch auf Rente begründen, eine weitere, nämlich die der Hilflosigkeit, hinzutritt.

2. Bei der Gesetzesfassung "besondere Härten" in BVG § 89 Abs 1 handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der aus dem Gesetz selbst auszulegen und der gerichtlichen Nachprüfung zugänglich ist.

Mindestens grundsätzlich muß davon ausgegangen werden, daß ein besonderer Härtefall nur dann vorliegt, wenn für den Anspruch auf Versorgung nicht alle Voraussetzungen erfüllt sind, so daß der Antragsteller durch Ablehnung des Antrages wegen Fehlens in der Regel nur einer Voraussetzung besonderes hart betroffen wird.

Der in BVG § 89 als Voraussetzung der Ermessensausübung gezogene Rahmen würde aber jedenfalls rechtssystematisch in der Regel überschritten, wenn für eine körperliche Beeinträchtigung, die nach der Kausalitätsnorm nicht mehr in den Bereich einer versorgungsrechtlichen Regelung fällt, eine Versorgungsleistung gewährt würde.

 

Normenkette

BVG § 89 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 4. November 1965 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der Kläger wurde mehrfach verwundet und verlor durch den militärischen Dienst sein linkes Auge. Vor der Einberufung zum Heeresdienst war er als Landwirt, nach der Entlassung als Pächter eines kleinen landwirtschaftlichen Betriebes und als landwirtschaftlicher Arbeiter sowie in Gärtnereien tätig. Durch Neufeststellungsbescheid vom 28. April 1959 wurde die Leidensbezeichnung geändert und die seither nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 v. H. gewährte Rente nur noch nach einer MdE von 30 v. H. gezahlt. Als Schädigungsfolge nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wurde u. a. Verlust des linken Auges anerkannt. Seit 1952 litt der Kläger an Hornhautentzündungen, die 1961 zur Feststellung der Erblindung auf dem rechten Auge führten. Den Antrag, die Rente wegen des auf dem rechten Auge aufgetretenen Leidens zu erhöhen und Pflegezulage zu gewähren, lehnte das Versorgungsamt (VersorgA) ab, da die Erblindung auf dem rechten Auge nicht Schädigungsfolge sei. Im Klageverfahren nahm der Kläger den Antrag, den Beklagten zu verpflichten, Rente nach einer höheren MdE zu gewähren, zurück. Er beantragte, ihm Pflegezulage nach Stufe III zu gewähren, ferner ihm gemäß § 89 Abs. 1 BVG im Wege des Härteausgleichs einen neuen Bescheid über die Gewährung von Rente nach einer höheren MdE zu erteilen. Das Sozialgericht (SG) verurteilte den Beklagten zum Erlaß eines neuen Bescheides, durch den dem Kläger ab 1. Dezember 1960 eine Pflegezulage nach Stufe III gewährt werde. Der Beklagte nahm seine Berufung zurück. Mit Bescheid vom 2. Januar 1964 lehnte das VersorgA den Antrag auf Gewährung eines Härteausgleichs ab. Der Widerspruch war erfolglos. Das SG lud die Bundesrepublik bei. Mit Urteil vom 10. Juni 1965 hob es die Bescheide vom 2. Januar 1964 und vom 24. September 1964 auf und verpflichtete den Beklagten, einen neuen Bescheid dahingehend zu erteilen, daß dem Kläger ab 1. September 1962 eine Rente nach einer MdE von 50% zu gewähren ist. Auf die Berufung des Beklagten hob das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 4. November 1965 das Urteil des SG auf und wies die Klage ab. Auf Grund des Befundberichtes des Augenarztes Dr. B und der gutachtlichen Stellungnahme des Dozenten Dr. habil. H sei bewiesen, daß die Erblindung des rechten Auges mit größter Wahrscheinlichkeit nicht durch den als Schädigungsfolge anerkannten Verlust des linken Auges verursacht sei. Die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), nach der für die Folgen einer Schädigung ausschließlich auf den Zeitpunkt der Schädigung abzustellen sei, entspreche der Systematik des BVG. Das SG habe bei der Zuerkennung des Härteausgleichs verkannt, daß es nicht dem Sinn und Zweck des § 89 Abs. 1 BVG entspreche, eine nach der Systematik des BVG und der ständigen Rechtsprechung des BSG zu verneinenden Versorgung auf dem Umweg über den Härteausgleich zu gewähren. Diese Vorschrift erlaube nur einen Ausgleich, sofern sich in einzelnen Fällen aus den Vorschriften des BVG besondere Härten ergäben. Es müßten materiell-rechtliche Voraussetzungen erfüllt sein, damit die Versorgungsbehörde einen Ausgleich gewähren könne. Der unbestimmte Rechtsbegriff der besonderen Härte sei aus dem Gesetz selbst auszulegen. Es genüge nicht eine Härte schlechthin, sie müsse sich vielmehr noch besonders, d. h. unbillig auswirken. Ein Härteausgleich sei grundsätzlich nicht zulässig, wenn alle Voraussetzungen des Anspruchs auf erhöhte Versorgungsrente wegen der versorgungsrechtlich nicht erheblichen Erblindung des rechten Auges fehlten. Die Gerichte dürften eine nach § 89 Abs. 1 BVG erlassene Ermessensentscheidung nur darauf überprüfen, ob die Versorgungsbehörde die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht habe. Soweit das Gesetz bei der Anwendung von Rechtsbegriffen einen Beurteilungsspielraum lasse, dürfe der Richter nur die Grenzen dieses Spielraums ziehen, er dürfe diesen nicht durch eigene Beurteilung ersetzen, wenn ihm die Ausübung des Ermessens durch die Versorgungsbehörde nicht angemessen erscheine. Im vorliegenden Falle sei die Versorgungsbehörde sogar rechtlich gehindert gewesen, den Härteausgleich zu bewilligen, weil der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) als Beigeladener die nach § 89 Abs. 1 BVG erforderliche Zustimmung versagt habe.

Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung des § 89 Abs. 1 BVG iVm § 1 BVG, Art. 20 des Grundgesetzes (GG) und des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Zwar bestehe kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Verletzung im Kriege und der Erblindung des rechten Auges und damit nach der Rechtsprechung des BSG auch kein Anspruch auf Neufeststellung der Rente nach § 62 BVG. Bisher habe das BSG aber nicht entschieden, inwieweit nach dem schädigungsunabhängigen Verlust eines zweiten paarigen Organs ein Ausgleich über § 89 BVG gewährt werden könne. Es sei nicht ersichtlich, daß der Gesetzgeber eine günstigere Versorgung in den Fällen habe ausschließen wollen, in denen bei paarigen Organen der Wehrdienstschaden durch einen späteren schädigungsunabhängigen Nachschaden höchst nachteilig beeinflußt werde. Die nach § 1 Abs. 1 BVG für die Folgen der Schädigung gewährte Versorgung schließe in solchen Fällen die Berücksichtigung von Nachschäden in ihrer Wirkung auf die anerkannte MdE zumindest nicht im Sinne eines mittelbaren Kausalzusammenhangs aus. Das Fehlen der Sehkraft des beschädigten Auges sei und bleibe eine wesentliche Mitursache für die durch den Nachschaden zwar ausgelöste, aber nicht durch ihn allein hervorgerufene Erblindung. Die bei der Bemessung der MdE für die kriegsbedingte Schädigung berücksichtigte kompensierende Funktion des paarigen Organs falle durch den Nachschaden weg und lasse dadurch einen Zustand eintreten, der mit dem ursprünglichen nicht verglichen werden könne. Werde dafür kein Ausgleich nach § 89 Abs. 1 BVG gewährt, so sei unklar, welche Berechtigung dieser Vorschrift überhaupt noch zukomme, zumal nicht zweifelhaft sein könne, daß es sich hierbei um eine besondere, aus der Anwendung des BVG (§ 62 Abs. 1) entstehende Härte handele. Die Versagung eines Härteausgleichs stelle einen Ermessensfehlgebrauch dar. Jede andere Entscheidung als die Gewährung des Ausgleichs verstoße gegen Art. 20 GG. Deshalb sei die von der Beigeladenen verweigerte Zustimmung durch richterliche Entscheidung zu ersetzen.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 4. November 1965 nach dem Klageantrag zu erkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladene bezieht sich auf ihre Ausführungen in den früheren Rechtszügen. Die Versagung von Versorgung auf Grund der Anwendung der Kausalitätsnorm möge im Einzelfall unbillig erscheinen. Sie stelle jedoch, da vom Gesetzgeber erkennbar gewollt, keine besondere ausgleichbare Härte im Sinne von § 89 Abs. 1 BVG dar. Der Gesetzgeber habe sich durch Übernahme der Kausalitätsnorm zu einer allgemeinen Haftungsbegrenzung in der Kriegsopferversorgung bekannt und damit bestimmt, was als sozial angemessen in Erfüllung des ihm in Art. 20 GG erteilten Auftrages zu gelten habe. Die Anwendung des § 89 Abs. 1 BVG finde ihre Grenze dort, wo sie unter Verletzung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu einer Umgehung des Gesetzes führen müsse.

Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG) und deshalb zulässig. Sachlich ist sie nicht begründet.

Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Bescheide vom 2. Januar 1964 und 24. September 1964, mit denen der Beklagte die Gewährung eines Härteausgleichs nach § 89 Abs. 1 BVG abgelehnt hat. Nach § 89 Abs. 1 BVG idF des Ersten Neuordnungsgesetzes (1. NOG) vom 27. Juni 1960 (BGBl I, 453) kann, sofern sich in einzelnen Fällen aus den Vorschriften dieses Gesetzes besondere Härten ergeben, mit Zustimmung des BMA in Fällen der Kriegsopferfürsorge des Bundesministers des Innern, ein Ausgleich gewährt werden. Diese Vorschrift ist unverändert in das BVG idF des Zweiten Neuordnungsgesetzes (2. NOG) vom 21. Februar 1964 (BGBl I, 85) und des Dritten Neuordnungsgesetzes (3. NOG) vom 28. Dezember 1966 (BGBl I, 750) übernommen worden. Dasselbe gilt von der in § 89 Abs. 3 BVG idF des 1. NOG (§ 89 Abs. 2 BVG idF des 2. und 3. NOG) enthaltenen, dem BMA erteilten Ermächtigung, der Gewährung von Härteausgleichen allgemein zuzustimmen. Nach den von der Revision nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG ist die Erblindung des rechten Auges mit größter Wahrscheinlichkeit nicht durch den vorher entstandenen, als Schädigungsfolge anerkannten Verlust des linken Auges, verursacht worden. An diese Feststellung ist der erkennende Senat gebunden (§ 163 SGG). Auf Grund der von dem BSG in ständiger Rechtsprechung vertretenen Rechtsauffassung, daß der schädigungsunabhängige Nachschaden (Verlust des rechten Auges) keine erhöhte Bewertung der Erwerbsminderung zuläßt (BSG 17, 99, 116 ff; 19, 201; 23, 188 sowie die Urteile des erkennenden Senats vom 26. August 1965 - 9 RV 1142/61 - und 27. Januar 1967 - 9 RV 728/64 -), hat der Kläger keinen Anspruch auf Versorgung für den durch die Erkrankung auf dem rechten Auge verursachten vollständigen Verlust des Sehvermögens. Daß die unabhängig von der anerkannten Schädigungsfolge nachträglich entstandene Beeinträchtigung einer Körperfunktion bei der versorgungsrechtlichen Beurteilung nicht berücksichtigt werden kann, ist eine Folgerung, die sich in gleicher Weise bei paarigen oder anderen Organen aus der Anwendung der Kausalitätsnorm ergibt. Nur der Anspruch auf Pflegezulage ist ... im Ergebnis anders zu beurteilen, weil hier zu den Voraussetzungen, die den Anspruch auf Rente begründen, eine weitere, nämlich die der Hilflosigkeit, hinzutritt (BSG 17, 119). Der Anspruch auf eine höhere Rente ist auch nicht Gegenstand dieses Verfahrens, da der Kläger die Klage insoweit zurückgenommen hat. Es ist deshalb nur zu prüfen, ob der Beklagte durch Ablehnung eines Härteausgleichs das ihm nach § 89 Abs. 1 BVG eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat.

Das LSG hat im Ergebnis zutreffend eine solche Rechtsverletzung verneint. Das Gesetz knüpft die Ausübung des Ermessens an die Voraussetzung, daß sich in einzelnen Fällen aus den Vorschriften des BVG besondere Härten ergeben. Bei den besonderen Härten im Sinne dieser Vorschrift handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der aus dem Gesetz selbst auszulegen und der gerichtlichen Nachprüfung zugänglich ist (BSG, Urteil vom 18. Dezember 1963 - 7 RV 1302/61 in Breithaupt, 1964 S. 327). Sind die Voraussetzungen dieses unbestimmten Rechtsbegriffs nicht erfüllt, kann die Ablehnung des Härteausgleichs nicht rechtswidrig sein, weil in diesem Falle die in § 89 Abs. 1 BVG enthaltene Ermächtigung eine Ermessensentscheidung nicht zuließ. Das trifft für den vorliegenden Fall zu.

Der Härteausgleich des § 89 Abs. 1 BVG ist ein Rechtsinstitut, das aus früheren Versorgungsgesetzen übernommen wurde (vgl. zB § 113 des Reichsversorgungsgesetzes idF der Bekanntmachung vom 22. Dezember 1927 - RGBl I, 515; § 19 des Kriegspersonenschädengesetzes idF vom 22. Dezember 1927 - RGBl I, 533, 515; § 104 des Wehrmachtversorgungsgesetzes idF vom 19. September 1925 - RGBl I, 349; § 196 Abs. 1 des Wehrmachtfürsorge- und -versorgungsgesetzes vom 26. August 1938 - RGBl I, 1077). In der Begründung zum Entwurf des BVG wurde auf die schon in früheren Versorgungsgesetzen vorgesehene Möglichkeit der Gewährung eines Härteausgleichs hingewiesen und ausgeführt, auch in diesem Gesetz sei eine entsprechende Vorschrift dringend notwendig (Deutscher Bundestag, 1. Wahlperiode, Drucks. Nr. 1333 S. 36, 71 zu § 88 des Entwurfs - § 89 des Gesetzes -). Das Bedürfnis zu einem Härteausgleich gerade auf dem Gebiete des Versorgungsrechts ergibt sich aus der Erfahrung, daß der Gesetzgeber kaum in der Lage ist, alle möglichen Einzelfälle oder Gruppen von Einzelfällen in ihrer Vielgestaltigkeit zu übersehen und sie durch ausreichend differenzierte Normen einer angemessenen und gerechten gesetzlichen Regelung zuzuführen. Da er die Besonderheit der Einzelfälle nicht ausreichend überschauen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1962 - BVerwG V C 138.62 in Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des BVerwG 409.2, § 40 des Abgeltungsgesetzes Nr. 3) oder auch unabhängig hiervon eine Normierung im Gesetz für untunlich hält, geht er von der Unvollständigkeit der gesetzlichen Regelungen aus. Die Vielgestaltigkeit der möglichen Tatbestände kann somit zu einem Mißverhältnis zwischen der Anwendung des Gesetzes und dem Maß an Gerechtigkeit führen, das der Gesetzgeber verwirklicht sehen will. Auch das Fehlen einer Vorschrift im Gesetz kann eine sich aus dem Gesetz ergebende Härte darstellen (Wilke, BVG 2. Aufl. § 89 Anm. I). Die gesetzliche Ermächtigung zur Gewährung eines Härteausgleichs nach dem BVG ist aber in mehrfacher Hinsicht begrenzt. Der Härteausgleich hat zunächst einen subsidiären Charakter. Ein Anspruch, der schon auf Grund analoger Anwendung des Gesetzes oder Ausfüllung einer Gesetzeslücke zuzuerkennen ist, steht außerhalb der Ermächtigung zu einem Härteausgleich. Das schließt nicht aus, daß die Versorgungsbehörde, wenn sie glaubt, eine analoge Anwendung oder die Ausfüllung einer Gesetzeslücke nicht rechtfertigen zu können, sich zu einem Härteausgleich veranlaßt sehen kann. Eine unbillige Härte, die sich nicht aus der Anwendung des Gesetzes selbst, sondern aus anderen Gesetzen oder Tatbeständen ergibt, muß außer Betracht bleiben. Die Anwendung des § 89 BVG ist ferner auf die Beseitigung von Härten in einzelnen Fällen oder Gruppen von Einzelfällen beschränkt, in denen die Anwendung des Gesetzes eine besondere, d. h. unbillige dem Sinn der Versorgung widersprechende Härte ergibt (ähnlich Wilke aaO, § 89 Anm. I). Damit ist der Anwendungsbereich der Vorschrift trotz der im übrigen allgemeinen Fassung begrenzt. Eine Ermächtigung, die der Verwaltung über die Regelung von Sonderfällen hinaus einen durch die Norm nicht mehr eingeschränkten Spielraum einräumen würde, wäre nicht ausreichend bestimmt, würde die verfassungsmäßige Abgrenzung der Aufgaben von Rechtsprechung und Verwaltung verwischen und stünde mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht im Einklang. Auch deshalb muß angenommen werden, daß die Ermächtigung der Verwaltung zur Gewährung eines Härteausgleichs ihrer Natur nach begrenzt ist (vgl. BVerwG vom 12. Dezember 1962 aaO). Zwar hat der BMA in zahlreichen Fällen und Fallgruppen von der Ermächtigung nach § 89 BVG Gebrauch gemacht (vgl. Nr. 2 der Verwaltungsvorschriften - VerwV - zu § 89 BVG idF vom 23. Januar 1965 - Bundesanzeiger Nr. 19 vom 29. Januar 1965; Jenette-Sladeck, Kannbezüge, Härteausgleiche, einmalige Unterstützungen in der Kriegsopferversorgung, 3. Aufl. S. 10 ff; vgl. auch die schriftlichen Ausführungen in den Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 4. Wahlperiode, 79. Sitzung, Anl. 2 zum stenogr. Bericht S. 3863 D und S. 3831 C). Hier kommt es jedoch nicht auf die Zahl der Ausnahmeregelungen, sondern auf ihr Gewicht, also darauf an, ob auch allgemeine grundsätzliche Entscheidungen des Gesetzgebers, die für die gesamte Kriegsopferversorgung als maßgebend angesehen werden müssen, durch Ausnahmeregelungen durchbrochen werden dürfen. Regelungen dieser Art würden zu einer Aushöhlung und Umgehung des Gesetzes führen. Sie sind nicht mehr durch die Ermächtigung des § 89 BVG gedeckt. Mindestens grundsätzlich muß deshalb davon ausgegangen werden, daß ein besonderer Härtefall nur dann vorliegt, wenn für den Anspruch auf Versorgung nicht alle Voraussetzungen erfüllt sind, so daß der Antragsteller durch Ablehnung des Antrages wegen Fehlens in der Regel nur einer Voraussetzung besonders hart betroffen wird (Wilke, aaO, § 89 Anm. I; derselbe in Der Versorgungsbeamte, 1954 S. 69 f darüber, daß diesem Grundsatz die in den VerwV zu § 89 BVG erwähnten allgemein zugelassenen Härteausgleiche entsprechen und daß nur die Gewährung von Härteausgleichen bei Versäumnis der Anmeldefristen eine Sonderstellung einnimmt - S. 70 -). Der in § 89 BVG als Voraussetzung der Ermessensausübung gezogene Rahmen würde abe-r jedenfalls rechtssystematisch in der Regel überschritten, wenn für eine körperliche Beeinträchtigung, die nach der Kausalitätsnorm nicht mehr in den Bereich einer versorgungsrechtlichen Regelung fällt, eine Versorgungsleistung gewährt würde. Damit wäre die Versorgung, die im BVG bewußt auf die im militärischen Dienst erlittenen Schädigungen und die diesem Dienst gleichgestellten Tatbestände beschränkt ist, auf Sachverhalte ausgedehnt, die grundsätzlich außerhalb der vom Staat anerkannten Leistungspflicht liegen. Es würde damit die klare Trennung zwischen Schädigungsfolgen und Nichtschädigungsfolgen verwischt und der Weg zu einer unübersehbaren Ausweitung der Leistungen eröffnet. Eine solche Auslegung der in § 89 Abs. 1 BVG erteilten Ermächtigung kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, wenn das Gesetz keinen entsprechenden Hinweis enthält. Das ergibt sich auch aus § 89 Abs. 2 BVG idF des 1. NOG (§ 1 Abs. 3 Satz 2 BVG idF des 2. und 3. NOG), wo für den Fall, daß Ungewißheit über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft besteht, eine besondere Regelung getroffen ist. Dabei ist von Bedeutung, daß, wenn § 89 Abs. 1 BVG die von der Revision vertretene weite Auslegung zuließe, nicht nur bei paarigen Organen ein Härteausgleich in Betracht käme. Der Ausgleich könnte auch anderen Beschädigten nicht verweigert werden, die in ähnlicher Weise durch die Beeinträchtigung eines nichtpaarigen Organs besonders schwer betroffen sind, zB dadurch, daß sich die Folgen des schädigungsunabhängigen Leidens mit denen des Kriegsleidens verbinden und eine besonders empfindliche Auswirkung auf den Gesamt-Körperzustand haben (zB Herz-Lunge). Das spätere Leiden ist auch keine mittelbare Schädigungsfolge, wie die Revision meint, wenn die anerkannte Schädigung nicht die Ursache oder Mitursache für die Entstehung oder Verschlimmerung der weiteren körperlichen Beeinträchtigung (Nachschaden) war. Bei paarigen Organen geht zwar die Kompensationsfähigkeit durch Verlust des zweiten Organs verloren. Bei schädigungsbedingtem Verlust des einen Auges kann aber nicht deswegen, weil vielleicht später durch ein schädigungsunabhängiges Leiden auch das zweite Auge verlorengehen könnte, die MdE bei Anerkennung des Leidens höher bewertet werden als es der tatsächlich eingetretenen Beeinträchtigung entspricht, also nicht etwa grundsätzlich mit einer MdE um 50 v. H.. Die Versorgungsbehörde ist auch nach Wegfall der Kompensationsmöglichkeit - durch den schädigungsunabhängigen Verlust des zweiten Auges - nicht verpflichtet, wie das SG gemeint hat, aus Gründen sozialer Gerechtigkeit die MdE nunmehr höher, etwa mit 50 v. H., zu bemessen; denn die zusätzliche Einschränkung des Sehvermögens ist allein dem Nachschaden zuzuschreiben. Die Versorgungsbehörde hat mit der Bewertung der MdE von regelmäßig 30 v. H. für den anerkannten Augenverlust somit auch keinen "Vorteil" für sich in Anspruch genommen, der einen entsprechenden Ausgleich erforderlich machen könnte. Die Ablehnung eines Härteausgleichs durch die Versorgungsbehörde ist in einem solchen Falle schließlich auch kein Verstoß gegen die Verpflichtung zu sozialstaatlicher Auslegung der Gesetze (Art. 20 Abs. 1 GG). Der Auftrag des GG, die Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen zu regeln (Art. 74 Nr. 10 GG), verpflichtete den Gesetzgeber nicht, in einem solchen Gesetz für die Abhilfe der sozialen Notstände zu sorgen, die sich aus anderen Tatbeständen ergeben. Er genügte seiner Verpflichtung dadurch, daß er ihm Rahmen des ihm als Gesetzgeber zukommenden Ermessens im BVG das Maß dessen bestimmte, was im Bereich der Kriegsopferversorgung angemessen ist. Dem Schutzbedürfnis der Blinden ist im übrigen in § 35 Abs. 1 Satz 3 BVG idF des 1., 2. und 3. NOG dadurch Rechnung getragen worden, daß sie in der Regel die Pflegezulage nach Stufe III erhalten und hier nur vorausgesetzt wird, daß die Schädigung wesentliche Bedingung der Hilfslosigkeit ist; dies ist auch dann der Fall, wenn - wie hier - der Verlust des zweiten Auges auf schädigungsunabhängige Ursachen zurückgeht.

Zutreffend hat die Revision darauf hingewiesen, daß der Reichsarbeitsminister (RAM) im Geltungsbereich des dem § 89 Abs. 1 BVG entsprechenden § 113 des Reichsversorgungsgesetzes (RVG) durch Zubilligung der Vollrente Härteausgleich auch in Fällen gewährt hat, in denen das zweite Auge nicht durch Einflüsse des Wehrdienstes verloren gegangen war (vgl. Handbuch der Reichsversorgung, Bd. I, Ausführungsbestimmungen - AB - Nr. 3 zu § 27 RVG; Treffehn, Auslegungen zum RVG, Altrentnergesetz und Kriegspersonenschädengesetz, 2. Aufl. Nr. 3 zu § 27 RVG (S. 62) und Nr. 2 d zu § 113 RVG (S. 172); Arendts, RVG, 2. Aufl. § 113 Anm. 2 (7) und § 27 Anm. 5). Hiernach kam ein Härteausgleich dann in Frage, wenn der Beschädigte für die durch den Verlust des zweiten Auges entstandene Blindheit nicht anderweitig entschädigt wird (AB Nr. 3 zu § 27 RVG; Erlasse des RAM vom 19. Oktober 1922, IX. 24404, 22 F und Runderlaß 1928, Nr. 182, zitiert bei Treffehn, aaO S. 62 und Arendts, aaO § 113 Anm. 2 (7) ). Zu einer solchen Verwaltungsübung mag die Rechtsprechung des Reichsversorgungsgerichts beigetragen haben, daß nach dem RVG weder ein Anspruch auf Vollrente noch auf Pflegezulage gegeben war, wenn der Verlust des einen Auges als Dienstbeschädigungsfolge anerkannt war und nachträglich unabhängig von einer Dienstbeschädigung das andere Auge verlorenging (RVG Bd. 5 Nr. 44 S. 156, 158 f und Arendts aaO § 31 Anm. 3, der darauf hinweist, daß etwa dadurch entstehenden Härten nur auf dem in § 113 RVG vorgesehenen Wege abgeholfen werden kann). Da der Blinde nach dem BVG Anspruch auf Pflegezulage schon dann hat, wenn die Schädigungsfolge (Verlust eines Auges) Mitursache für die durch die Blindheit eingetretene Hilflosigkeit ist und diese Voraussetzung auch dann erfüllt ist, wenn der spätere Verlust des zweiten Auges nicht auf Einflüssen des militärischen Dienstes beruht, ergibt sich nunmehr eine für den kriegsbeschädigten Blinden gegenüber dem RVG grundsätzlich verschiedene Rechtslage. Es kann dahingestellt bleiben, ob die in § 113 RVG erteilte Ermächtigung eine der Verwaltungsübung des RAM entsprechende weite Auslegung zuließ; jedenfalls kann mit Rücksicht auf die nach dem RVG und dem BVG unterschiedlichen Rechtsansprüche des Blinden aus dieser Verwaltungsübung kein zwingender Schluß auf den Umfang der in § 89 Abs. 1 BVG der Versorgungsverwaltung erteilten Ermächtigung zu Ermessensleistungen an Blinde hergeleitet werden. Selbst wenn in diesen Fällen nach dem Sinn des § 89 Abs. 1 BVG ein Härteausgleich nicht ausgeschlossen wäre, könnte ein Fehlgebrauch dieses Ermessens nicht schon darin gefunden werden, daß die Versorgungsbehörde nicht prüft, in welchem Umfang der Blinde einen Ausgleich auf Grund des Verlustes des zweiten Auges gefunden hat. Die Gerichte sind nicht befugt, besonders nicht in Fällen, in denen mindestens zweifelhaft ist, ob § 89 Abs. 1 BVG überhaupt anwendbar ist, der Verwaltung die ihr übertragene Regelungsinitiative dadurch zu nehmen, daß eine ohne Prüfung dieser Frage ausgesprochene Ablehnung eines Härteausgleichs als ermessensfehlerhaft angesehen wird. Im vorliegenden Fall hat das LSG festgestellt, daß der Kläger aus der Arbeiterrentenversicherung seit dem 1. Januar 1965 eine Rente von 216,- DM (einschließlich Kinderzuschlag) bezieht. Ob er wegen des Verlustes des rechten Auges als Folge eines Arbeitsunfalls (Infektion durch Rübensamen) Ansprüche aus der landwirtschaftlichen Unfallversicherung hat, ist bisher nicht festgestellt. Die Versorgungsbehörde durfte unabhängig hiervon berücksichtigen, daß anstelle der früher im Wege des Härteausgleichs gewährten Vollrente nun nach § 35 Abs. 1 BVG in der Regel bzw. mindestens die Pflegezulage Stufe III als Rechtsanspruch getreten ist. Der Senat ist der Auffassung, daß die Entscheidung, ob den Blinden wegen ihres schweren Schicksals versorgungsrechtlich durch Einräumung einer Sonderstellung noch wirksamer geholfen werden soll, als dies nach geltendem Recht möglich erscheint, durch den Gesetzgeber getroffen werden muß, wenn er einer auf § 89 Abs. 1 BVG gestützten ablehnenden Verwaltungspraxis nicht zustimmen will; bei der Frage, in welchem Umfange der Blinde bei schädigungsunabhängigem Verlust des zweiten Auges abweichend von allgemeinen Grundsätzen besonders entschädigt werden soll, handelt es sich um eine grundsätzliche Entscheidung, der der Gesetzgeber nicht ausweichen kann, auch dann nicht, wenn er neben der Gewährung von Ansprüchen eine dem Einzelfall angepaßte Härteregelung vorgesehen hat (vgl. auch die Hinweise bei Arendts aaO § 31 Anm. 6 auf das österreichische, französische und italienische Recht); denn die in § 89 Abs. 1 dem BMA erteilte Ermächtigung läßt der Feststellung eines Ermessensfehlers bei Versagung einer besonderen Ausgleichsleistung als Härteausgleich für Blinde oder gar eine Verurteilung des Beklagten zur Gewährung einer solchen Ermessensleistung nicht zu.

Da somit die Ablehnung eines Härteausgleichs durch den Beklagten nicht zu beanstanden war und das LSG die Klage zutreffend abgewiesen hat, mußte auch die Revision als unbegründet zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 75

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