Orientierungssatz

Die Grundsätze des Senats zum Versicherungsschutz bei Unfällen auf Dienst- oder Geschäftsreisen sind auch dann anzuwenden, wenn der Versicherte nicht Übernachtungsgast in einem Hotel war, sondern lediglich das Hotel-Restaurant aufgesucht hatte.

 

Normenkette

RVO § 542 Abs. 1 Fassung: 1942-03-09

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgericht Niedersachsen vom 20. April 1961 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Der Kläger wurde am 29. März 1957 von einem Unfall betroffen. Er befand sich an diesem Tage als technischer Angestellter des Prüf- und Beschaffungsamtes für Heil- und Hilfsmittel beim Landesversorgungsamt Niedersachsen in Hannover auf einer Dienstreise in Bad Oeynhausen. Er hatte die am Ort befindlichen Schuhfabriken aufzusuchen. Über Mittag unterbrach er die Betriebsbesuche wegen der allgemeinen Mittagspause. Er hielt sich während dieser Zeit im Hotelrestaurant "Hohenzollern" auf; dort aß er. Gegen 14 Uhr brach er von Tisch auf; er wollte zur Fortsetzung seiner dienstlichen Besuche das Hotel verlassen. Er war schon mit Mantel und Hut bekleidet, als er auf dem Wege zur Ausgangstür noch im Speiseraum auf einem Teppich ausrutschte und sich den linken Arm brach. Vor dem Verlassen des Hotels wollte er noch die an dem Gang zur Außentür gelegene Toilette aufsuchen.

Der Beklagte lehnte durch Bescheid vom 26. Juli 1957 den Entschädigungsanspruch ab, weil der Kläger bei einer seinem privaten Lebensbereich zuzurechnenden Betätigung zu Schaden gekommen sei.

Die Klage hiergegen hat das Sozialgericht (SG) Hannover durch Urteil vom 7. August 1959 abgewiesen. Es hatte die Deutsche Angestellten-Krankenkasse Hamburg zum Verfahren beigeladen.

Auf die Berufung des Klägers, der seinen Versicherungsschutz im Zeitpunkt des Unfalls vor allem darin begründet sieht, daß er gestürzt sei, als er sich auf dem Wege zur Fortsetzung seiner Arbeit befunden habe, hat das Landessozialgericht (LSG) am 20. April 1961 den Beklagten verurteilt, dem Kläger für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 29. März 1957 Entschädigung zu gewähren. Zur Begründung ist im wesentlichen ausgeführt: Der Entschädigungsanspruch sei unter Berücksichtigung der in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für den Versicherungsschutz bei Unfällen auf Dienstreisen (BSG 8, 48) begründet. Der Kläger habe im Zeitpunkt des Unfalls sein Mittagessen beendet gehabt und sich auf dem Wege zum Ausgang des Hotelrestaurants zwecks Fortsetzung seiner versicherten Tätigkeit befunden. Die Absicht des Klägers, vor dem Verlassen des Hotelgebäudes noch die am Wege zum Ausgang liegende Toilette aufzusuchen, stehe der Annahme des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Unfall und der dienstlichen Tätigkeit nicht entgegen.

Das LSG hat die Revision zugelassen, da - anders als in den bisher vom Bundessozialgericht (BSG) entschiedenen Fällen - der Kläger nicht aus Anlaß des Übernachtens in einem Hotel, sondern im Anschluß an die Einnahme eines Mittagessens in einem Hotelrestaurant anläßlich einer Dienstreise verunglückt sei.

Das Urteil ist dem Beklagten am 9. Juni 1961 zugestellt worden. Dieser hat hiergegen am 27. Juni 1961 Revision eingelegt und sie am 3. August 1961 wie folgt begründet: Das LSG habe die §§ 542, 543 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht richtig angewandt. Es habe verkannt, daß der Aufenthalt des Klägers in dem Hotel zur Einnahme des Mittagessens seiner persönlichen Sphäre zuzurechnen sei. Mit dem Durchschreiten der Außentür der Gaststätte und deren Betreten sei für den Kläger der Versicherungsschutz beendet gewesen.

Der Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.

Der Kläger und die Beigeladene beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie pflichten der Begründung des angefochtenen Urteils bei.

II

Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -); auch die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind gegeben. Die Revision hatte jedoch keinen Erfolg.

Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, ist der Unfall des Klägers vom 29. März 1957 ein Arbeitsunfall. Nach den das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 163 SGG) befand sich der Kläger am Tage des Unfalls auf einer Dienstreise; er verunglückte, als er nach Beendigung seiner Mittagsmahlzeit in einem Hotelrestaurant zum Ausgang unterwegs war, um seine dienstliche Tätigkeit fortzusetzen. Bei diesem Sachverhalt hat das LSG mit Recht die Grundsätze angewandt, die in der Rechtsprechung des Senats zum Versicherungsschutz bei Unfällen auf Dienst- oder Geschäftsreisen entwickelt worden sind (vgl. BSG 8, 48; SozR RVO § 542 aF Bl. Aa 7 Nr. 17). Danach ist auch bei solchen Reisen zu unterscheiden zwischen Betätigungen, die mit dem Beschäftigungsverhältnis zusammenhängen und deshalb versichert sind, und anderen Verrichtungen, welche der privaten Lebensphäre des Beschäftigten angehören und daher unversichert sind. Hierbei ist allerdings ein Maßstab anzulegen, der dem Umstand Rechnung trägt, daß der Reisende aus dienstlichem Anlaß an dem fremden Ort verweilt. Der Versicherungsschutz wird daher in der Regel nur dann entfallen, wenn der Beschäftigte sich rein privaten, von der Betriebstätigkeit nicht mehr beeinflußten Belangen widmet, und jedenfalls noch gegeben sein, wenn sich aus dem Zweck der Betätigung eine nähere Beziehung zur dienstlichen Sphäre des Reisenden ergibt.

Das Vorhandensein einer solchen Beziehung zwischen dem zum Unfall führenden Weg des Klägers und seinen dienstlichen Belangen ist nach Auffassung des erkennenden Senats in Übereinstimmung mit dem LSG zu bejahen. Der Umstand, daß im Unterschied zu den bisher entschiedenen Fällen der Kläger während seines Aufenthalts am Ort der Dienstreise nicht Übernachtungsgast in dem Hotel war, sondern lediglich das Hotel-Restaurant aufgesucht hatte, schließt die Anwendung dieser Grundsätze, die inzwischen auch weiteren Entscheidungen des Senats zugrunde gelegt worden sind (vgl. SozR RVO § 542 aF Bl. Aa 55 Nr. 57 und Urteil vom 26. April 1962 - 2 RU 148/59 -), nicht aus. Auch in einem Hotelrestaurant können gelegentlich eines Aufenthalts zur Einnahme einer Mahlzeit dienstliche Tätigkeiten (Anfertigung von Berichten über geschäftliche Handlungen; Ordnen von Arbeitsunterlagen, Ferngespräche usw.) verrichtet werden. Der Kläger war im Zeitpunkt des Unfalls mit seinem Mittagessen fertig, hatte nach der nicht angegriffenen Feststellung des LSG Hut und Mantel bei sich und war in dem Speiseraum des Hotel-Restaurants nach draußen unterwegs. Auf diesem Wege widmete er sich nicht rein persönlichen, von seiner Dienstlichen Tätigkeit unbeeinflußten Belangen; denn er war im Begriff, seine durch das Mittagessen unterbrochenen dienstlichen Besuche wieder aufzunehmen. Diesem Zweck diente der zum Unfall führende Weg auch schon, als er erst zum Verlassen des Speiseraumes zurückgelegt wurde; er war bereits in diesem Zeitpunkt wesentlich auf die Fortsetzung der eigentlichen dienstlichen Tätigkeit gerichtet und deshalb nicht von rein privaten Belangen beeinflußt.

Dem steht nicht entgegen, daß der Kläger beabsichtigte, auf dem Wege nach dem Hotelausgang die noch innerhalb des Anwesens gelegene Toilette aufzusuchen. Abgesehen davon, daß sich diese an sich private Zweckbestimmung des Weges örtlich noch nicht ausgewirkt hatte, als sich der Unfall ereignete, tritt sie gegenüber der ursächlichen Verknüpfung des Weges mit der beabsichtigten Fortsetzung der dienstlichen Tätigkeit so stark in den Hintergrund, daß sie als rechtlich wesentlich unberücksichtigt zu bleiben hat.

Die Revision beruft sich zu Unrecht auf das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 24. Mai 1960. Der dort entschiedene Fall betrifft einen Unfall, der einer Beschäftigten aus Anlaß der Einnahme des Mittagessens in einem Restaurant am Betriebsort zugestoßen ist. Die Ablehnung des Versicherungsschutzes ist deshalb auch nicht mit Erwägungen gerechtfertigt worden, die für Unfälle auf Dienst- oder Geschäftsreisen gelten.

Das LSG hat nach alledem den Beklagten zu Recht zur Entschädigungsleistung verurteilt. Es hat erkennbar ein Grundurteil im Sinne des § 130 SGG erlassen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind gegeben. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils ist es wahrscheinlich, daß der geltend gemachte Leistungsanspruch in einer Mindesthöhe besteht (vgl. BSG SozR SGG § 130 Bl. Da 3 Nr. 3 und Da 4 Nr. 4). Die Revision ist somit als unbegründet zurückzuweisen, (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380298

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