Beteiligte

Klägerinnen und Revisionsklägerinnen

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Tod des Ehemannes und Vaters der Klägerinnen, des Taxi-Mitunternehmers G … A … (A.), als Wegeunfall zu entschädigen ist.

A. erlitt am 11. September 1975 einen Verkehrsunfall. Er war an diesem Tag zur Nachuntersuchung wegen eines früheren Arbeitsunfalls - Bruch des linken Unterarmes - für 12.30 Uhr in das Städtische Krankenhaus in Achim bestellt und fuhr etwa um 12.00 Uhr mit einem Taxi-Fahrzeug von seiner Familienwohnung ab. Um zum Krankenhaus zu gelangen, hätte er an der Einmündung seiner Wohnstraße "Z … W … in die Bundesstraße (B) 75 nach einer Fahrstrecke von wenigen hundert Metern rechts abbiegen müssen. Das Taxi fuhr jedoch ohne Verminderung der zuvor erreichten Ortsgeschwindigkeit geradeaus weiter bis auf die Gegenfahrbahn der B 75 und wurde hier von einem Lastzug gerammt. Um 12.15 Uhr stellte die Notärztin Dr. T … fest, daß der auf dem Fahrersitz aufrecht sitzende, zwischen Lenkrad und Rückenlehne eingeklemmte A. tot war. Im Leichenschauschein vermerkte sie als Todesursache: "Herzstillstand, Atemlähmung, Kreislaufversagen"; die Frage nach vorausgegangenen Krankheiten oder äußeren Ursachen beantwortete sie mit "Autounfall". Die Zustimmung zur Leichenöffnung verweigerten die Klägerinnen. Deren Hinterbliebenenentschädigung lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 26. März 1976 ab; A. sei zwar auf der Unfallfahrt nach § 555 der Reichsversicherungsordnung (RVO) versichert gewesen; sein Tod sei aber nicht ursächlich auf den Unfall zurückzuführen, weil er auch ohne das Unfallereignis durch tödliches Herzversagen eingetreten wäre. Die erhobenen Ansprüche seien jedenfalls deshalb abzulehnen, weil die Todesursache nur durch die von den Klägerinnen verweigerte Obduktion sicher hätte geklärt werden können.

Das Sozialgericht (SG) Stade hat nach Beweisaufnahme durch Zeugen und einen ärztlichen Sachverständigen mit Urteil vom 10. Dezember 1976 den Bescheid der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, den Klägerinnen aus Anlaß des Arbeitsunfalls Witwen- und Waisenrente, Überbrückungshilfe und Sterbegeld zu gewähren. Wenn die Beklagte sich darauf berufe, daß eine innerkörperliche Verkehrsuntüchtigkeit den Tod des A. allein verursacht habe, müsse sie die Folgen der insoweit bestehenden Ungewißheit tragen.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen mit Urteil vom 22. September 1977 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es ist zu dem Ergebnis gelangt, A. sei nicht an den Folgen eines Arbeitsunfalls verstorben. Auf der nach § 555 RVO versicherten Fahrt sei es wahrscheinlich infolge einer Ohnmacht des A. zu dem Unfall gekommen. Die Ohnmacht stehe aber mit den Gefahren des an sich versicherten Weges nicht in ursächlichem Zusammenhang. Auf die Beweislastverteilung komme es deshalb nicht mehr an. Es sei auch nicht notwendig gewesen, aufzuklären, ob A. vor dem Unfall einen Herzinfarkt erlitten habe, weil davon ausgegangen worden sei, daß bei A. vor dem Unfall keine lebensbedrohende Gesundheitsstörung aufgetreten sei, die noch vor dem, Unfall zu seinem Tode geführt habe.

Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision machen die Klägerinnen geltend, das LSG habe verkannt, daß ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und der versicherten Tätigkeit bestehe, wenn die besondere Gefährlichkeit eines Arbeitsgeräts zum Zustandekommen des schädigenden Ereignisses entscheidend beigetragen habe. Gerade um einen solchen Fall handele es sich hier.

Die Klägerinnen beantragen,das Urteil des LSG Niedersachsen vom 22. September 1977 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Stade vom 10. Dezember 1976 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Klägerinnen ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Stade vom 10. Dezember 1976 ist zurückzuweisen.

Die unter den Beteiligten streitigen Ansprüche auf Sterbegeld, Hinterbliebenenrente und Überbrückungshilfe setzen nach § 589 Abs. 1 RVO den Tod durch Arbeitsunfall voraus. Diesen hat das LSG zu Unrecht verneint. Den Klägerinnen sind die von § 589 Abs. 1 RVO beim Tod durch Arbeitsunfall vorgesehenen Leistungen zu gewähren.

Arbeitsunfall ist nach § 548 Abs. 1 RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Daran fehlt es hier zwar. Als Folge eines Arbeitsunfalls gilt aber nach § 555 Abs. 1 RVO auch ein Unfall, den der Verletzte bei der Durchführung der Heilbehandlung auf einem dazu notwendigen Wege erleidet. A. fuhr im Unfallzeitpunkt zur Heilbehandlung wegen eines vorausgegangenen versicherten Unfalls. Der ursächliche Zusammenhang des Unfalls mit diesem Weg zur notwendigen Heilbehandlung entfällt auch nicht deshalb, weil A. nach den weder von den Klägerinnen noch von der Beklagten beanstandeten und mithin für den Senat gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG vor dem Zusammenprall mit dem Lkw bewußtlos geworden ist. Der Unfall ist in Ablauf und Schwere nämlich nicht allein darauf zurückzuführen.

Zutreffend hat das LSG zwar die zu dem Schadensereignis führende innerkörperliche Ursache dem persönlichen Lebensbereich des A. zugerechnet und für unfallversicherungsrechtlich nicht geschützt erachtet (BSG SozR Nr. 18 zu § 543 RVO a.F., Nr. 28 zu § 548 RVO). Das LSG hat jedoch verkannt, daß die Ohnmacht des A. nicht allein zu dem tödlichen Verkehrsunfall geführt hat. Anders als in den oben durch Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) bezeichneten Fällen, in denen die Ohnmacht jeweils nur zum Sturz auf das Pflaster einer Straße oder auf den Fußboden einer, Toilette führte, hat die Ohnmacht hier bewirkt, daß der von A. in Richtung auf die B 75 gesteuerte Pkw seinen Weg mit dem bewußtlosen A. am Steuer bis auf die Gegenfahrbahn der B 75 und bis zum Zusammenprall mit dem auf dieser Fahrbahn heranrollenden Lastzug fortsetzte. Anders als in den vom BSG bereits entschiedenen Fällen ist A. also durch die Ohnmacht nicht nur den Gesetzen der Schwerkraft ausgeliefert worden; er ist vielmehr dadurch den Gefahren des Straßenverkehrs erlegen, denen er ohne die Ohnmacht als erfahrener Kraftfahrer leicht hätte ausweichen können. Zur Ohnmacht als innerer Ursache für den Tod des A. ist noch die durch ihr Zusammentreffen mit der Ohnmacht für A. unausweichlich gewordene tödliche Gefahr des Straßenverkehrs gekommen. Sie war jedenfalls im naturwissenschaftlichen Sinne neben der Ohnmacht des A. Bedingung für seinen Tod. Das LSG hätte deshalb prüfen müssen, ob auch diese Bedingung des Todes Ursache im Rechtssinne war. Dies hat es jedoch unterlassen. Es hat sich vielmehr mit der Feststellung, A. sei wahrscheinlich infolge einer Ohnmacht verunglückt, und mit dem Hinweis begnügt, vor dem Unfall des A. habe weder ein Herzinfarkt noch eine andere lebensbedrohende Gesundheitsstörung zu seinem Tod geführt.

Das LSG hat mithin die für die Unfallversicherung maßgebliche Kausalitätsnorm der wesentlichen Bedingung nicht hinreichend beachtet. Danach sind Ursachen im Rechtssinne nicht alle Bedingungen eines Erfolges, einerlei, mit welcher Schwere sie zu ihm beigetragen haben und in welchem Zusammenhang sie dazu stehen, sondern nur diejenigen Bedingungen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Die Entscheidung darüber, welche Bedingungen im Einzelfall als Ursache oder Mitursache im Rechtssinne zu gelten haben und welche nicht, ist aus der Auffassung des praktischen Lebens abzuleiten (BSGE 1, 72, 76; 12, 242, 246; 38, 127, 129). Daß eine Bedingung für den Erfolg wesentlich gewesen ist, ist ein Tatbestandsmerkmal der Kausalitätsnorm. Bei der Subsumtion von Tatsachen unter die Kausalitätsnorm wird diese angewandt. Es handelt sich nicht darum festzustellen, was als erwiesen anzusehen ist, sondern es wird beurteilt, welche Bedingungen nach der Kausalitätsnorm zu den Ursachen im Rechtssinne gehören (BSGE 7, 288, 291 = SozR Nr. 106 zu § 162 SGG). Der Senat ist deshalb nicht gehindert, aufgrund der vom LSG festgestellten Tatsachen, daß A. infolge einer Ohnmacht den Verkehrsunfall erlitten hat und daß vor diesem Unfall weder ein Herzinfarkt noch eine andere lebensbedrohende Gesundheitsstörung zu seinem Tod geführt hat, die Bedeutung der Verkehrsgefahr für den Tod des A. nach der für die Unfallversicherung geltenden Kausalitätsnorm zu beurteilen.

Die sich für A. aus der Notwendigkeit der Heilbehandlung und des Weges dorthin ergebende Gefahr bestand darin, daß er bei der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr durch die hier herrschenden Geschwindigkeiten und die dadurch wirksam werdenden Massenenergien Verletzungen in einem Zeitraum und in einem die außerhalb des Straßenverkehrs im privaten Lebensbereich bestehenden Gefährdungen um ein Mehrfaches übersteigenden Ausmaß ausgesetzt wurde. Die aus der bloßen Ohnmacht im privaten Bereich entstehende Gefahr, zu Boden zu fallen und sich allein durch den Aufschlag oder besonders an dort befindlichen Unebenheiten zu verletzen, vervielfachte sich während der Fahrt am Steuer des Taxis. Diese erhebliche Gefahr ist neben der bloßen Ohnmacht für den hier eingetretenen Erfolg nicht außer acht zu lassen und deshalb im Verhältnis zum eingetretenen Schadensereignis eine der Ohnmacht zumindest gleichwertige Bedingung. Da nach den nicht beanstandeten und deshalb gemäß § 163 SGG für den Senat bindenden Feststellungen des LSG A. vor dem Unfall keinen Herzinfarkt (Herzanfall) oder eine andere lebensbedrohende Gesundheitsstörung erlitten hat, die noch vor dem Unfall zu seinem Tod geführt hat oder ohne den Unfall dazu geführt hätte, ist die besondere Wegegefahr des A. im fahrenden Taxi ebenso Mitursache seines Todes im Rechtssinne wie die sie auslösende - auf innerer Ursache beruhende und daher als solche Acht vom Schutz der Unfallversicherung erfaßte - Ohnmacht.

Der Unfall, den A. auf dem zur Heilbehandlung notwendigen Weg erlitten hat, gilt gemäß § 555 Abs. 1 RVO als Folge eines Arbeitsunfalls, zumal nicht geltend gemacht worden ist, A. habe diesen Weg in ihm zumutbarer anderer, weniger gefährlicher Weise zurücklegen können. Auf die von den Beteiligten angeschnittenen Fragen, ob A. im Unfallzeitpunkt das Taxi als sein Arbeitsgerät im Sinne von § A9 RVO benutzt hat und ob dieses Arbeitsgerät für ihn angesichts seiner beruflichen Fahrpraxis besonders gefährlich war, kommt es unter diesen Umständen nicht mehr an. Denn für die in § 555 Abs. 1 RVO enthaltene Fiktion der Folge eines Arbeitsunfalls ist es unerheblich, ob dabei ein Arbeitsgerät im Sinne von § 549 RVO verwahrt, befördert, instandgehalten oder erneuert worden ist und welche Gefahr im konkreten Fall davon ausging.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518673

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