Leitsatz (amtlich)

Die Klagefristen des ZPO § 586 Abs 1 und 2 sind nicht entsprechend anwendbar bei der Wiederaufnahme des Verfahrens nach SGG § 181.

 

Normenkette

SGG § 181 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 586 Abs. 1 Fassung: 1877-01-30, Abs. 2 Fassung: 1877-01-30; SGG § 202 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Die Revision der Beklagten zu 2) gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 10. Februar 1970 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte zu 2) hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger ist bei der Beklagten zu 2) als selbständiger Schmiedemeister versichert. Er begehrt Entschädigung wegen einer Meniskusverletzung.

Der Kläger wurde während seines Wehrdienstes am 2. September 1943 beim Pferdebeschlagen von dem Pferd gegen die linke Kniescheibe geschlagen. In der Sammelurkunde Nr. 3039 - Krankenmeldebuch Mar. Stat. d. Nordsee 2. S. M. A. - 15.9.1943 - ist "Bänderzerrung linkes Knie" angegeben und der Kläger als dienstfähig bezeichnet. Weitere Unterlagen über diesen Unfall liegen nicht vor, ebenso nicht über einen weiteren Unfall, der sich vermutlich im Frühjahr 1944 ereignete. Dabei wurde der Kläger beim Ausreiten von einem scheuenden Pferd gegen die linke Kniescheibe geschlagen. Der Kläger trug für einige Zeit einen Gehgips. Beschwerden am linken Knie traten nach Angaben des Klägers bis zum Jahre 1951 nicht mehr auf.

Nach Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft im Juni 1947 arbeitete der Kläger in seiner eigenen Schmiede und erlitt mehrere das linke Knie betreffende Unfälle. So wurde er am 4. Dezember 1951 beim Beschlagen eines jungen Pferdes zur Seite gedrückt und fiel zu Boden. Die Beklagte zu 2) erkannte den Unfall als Arbeitsunfall an und gewährte dem Kläger zunächst die Vollrente und später bis zum 31. Dezember 1953 eine Teilrente von 25 v. H. der Vollrente. Der Kläger wurde ambulant und im Juli/August 1952 wegen Kniegelenksergusses links stationär behandelt. Auch in den Jahren 1954/1955 erfolgten Behandlungen wegen Knieverletzungen. Am 21. Dezember 1959 rutschte der Kläger bei der Arbeit auf einem Bauernhof aus, wobei es wieder zu heftigen Schmerzen und einem Erguß im Kniegelenk kam. Am 6. Januar 1960 wurde in der Orthopädischen Klinik Sanderbusch das Gelenk geöffnet und eine Meniskusschädigung festgestellt. Diese wurde, auch nach dem histologischen Befund, nicht als eine primäre degenerative Meniskopathie angesehen. Es handelte sich vielmehr um zahlreiche, meist ältere traumatische Meniskusläsionen mit sekundären degenerativen Umbauherden.

Die Beklagte zu 2) lehnte mit Bescheid vom 18. Juli 1960 ab, die Meniskusverletzung als Folge eines Arbeitsunfalls zu entschädigen. In diesem Bescheid heißt es abschließend: "Da also weder der Vorgang vom 21. Dezember 1959 die wesentliche Ursache des Schadens ist, noch die erforderliche Wahrscheinlichkeit für die Verursachung durch das Ereignis vom 4. Dezember 1951 besteht, sind Ansprüche nicht begründet". Das Sozialgericht (SG) Oldenburg hat mit Urteil vom 16. März 1961 (S 10 U 256/60) die Klage des Klägers abgewiesen, da der Unfall vom 21. Dezember 1959 nicht Ursache der Meniskusschädigung sei. Die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen mit Urteil vom 24. April 1963 (L 3 U 211/61) - zugestellt am 28. Juni 1963 - zurückgewiesen und in den Entscheidungsgründen u. a. ausgeführt: Der Meniskus des Klägers sei vorgeschädigt gewesen. Es sei wahrscheinlich, daß das Ausrutschen am 21. Dezember 1959 nur noch eine Gelegenheitsursache für den später festgestellten Meniskusschaden gewesen sei. Bei dem Arbeitsunfall im Dezember 1951 habe es sich zwar um ein typisches Ereignis für die Entstehung eines Meniskusschadens gehandelt. Das LSG halte es für wahrscheinlich, daß die beiden Unfälle während des Wehrdienstes bereits erste Schädigungen des Meniskus verursacht hätten. Die - vom LSG nicht zugelassene - Revision des Klägers hat der erkennende Senat durch Beschluß vom 24. Juli 1964 als unzulässig verworfen.

Aufgrund des Urteils des SG Oldenburg vom 16. März 1961 beantragte der Kläger wegen der Meniskusschädigung Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Das Versorgungsamt Oldenburg lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 17. August 1962 ab. Den Widerspruch wies das Landesversorgungsamt Niedersachsen mit Bescheid vom 24. September 1963 zurück.

Das SG Oldenburg hat die Klage mit Urteil vom 29. Juli 1965 mit der Begründung abgewiesen, daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Meniskusschädigung und den Unfällen während des Wehrdienstes nicht bestehe.

Der Kläger hat Berufung eingelegt.

Am 12. November 1968 hat das LSG beschlossen, das Verfahren S 10 U 256/60 SG Oldenburg/L 3 U 211/61 LSG Niedersachsen gemäß § 181 SGG wiederaufzunehmen.

Mit Urteil vom 10. Februar 1970 hat das LSG die Berufung des Klägers zurückgewiesen, die Urteile des LSG Niedersachsen vom 24. April 1963 und des SG Oldenburg vom 16. März 1961 und den Bescheid der Beklagten zu 2) vom 18. Juli 1960 aufgehoben und festgestellt, daß für die Folgen des beim Kläger bestehenden "Meniskusschaden links" die Beklagte zu 2) leistungspflichtig ist. Das LSG hat in den Entscheidungsgründen u. a. ausgeführt: Es sei nicht wahrscheinlich, daß die beiden Verletzungen des Klägers während des Wehrdienstes durch Hufschläge Ursachen der Meniskusdegeneration gewesen seien. Das Verfahren gegen die Beklagte zu 2) sei von Amts wegen wieder aufzunehmen. Die Notfrist von einem Monat sei gewahrt. Ob ein solches Verfahren dennoch unter dem Gesichtspunkt der Wahrung des Rechtsfriedens nach Ablauf von fünf Jahren seit der Rechtskraft unstatthaft sei, könne dahingestellt bleiben, denn diese Frist sei nicht verstrichen. Das Urteil des LSG vom 24. April 1963 sei erst durch den Beschluß des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. Juli 1964 und nicht bereits mit Ablauf der Berufungsfrist rechtskräftig geworden. Der Beschluß des LSG vom 12. November 1968 sei also vor Ablauf von fünf Jahren seit Eintritt der Rechtskraft ergangen. Wahrscheinlich sei nach allem, daß der Unfall vom 4. Dezember 1951 die Ursache der Meniskusdegeneration gewesen sei. Die weitere Verschlimmerung durch den Unfall vom 15. Juli 1952 habe den bereits geschädigten Meniskus betroffen. Damit sei aber die Beklagte zu 2) wegen der Folgen des Unfalles vom 4. Dezember 1951 leistungspflichtig.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte zu 2) hat dieses Rechtsmittel eingelegt.

Sie führt aus: Die Wiederaufnahme des Verfahrens S 10 U 256/60 - L 3 U 211/61 sei unzulässig, da bei Erlaß des Beschlusses des LSG vom 12. November 1968 die Fünfjahresfrist bereits abgelaufen gewesen sei. Das Urteil des LSG vom 24. April 1963 sei bereits mit der Zustellung an alle Bevollmächtigten, spätestens mit Ablauf der Rechtsmittelfrist, und nicht erst mit dem Beschluß des BSG vom 24. Juli 1964 rechtskräftig geworden. Außerdem sei die Zuständigkeit des LSG zweifelhaft. Dessen ungeachtet sei die Wiederaufnahme des Verfahrens auch aus sachlichen Gründen unstatthaft. Sowohl eine erneute Entscheidung nach § 627 der Reichsversicherungsordnung (RVO) als auch eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach den §§ 179 ff. des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kämen nur in Betracht, wenn das Prinzip der Gerechtigkeit dies zwingend gebiete. Das bedeute, daß hier die Meniskusschädigung des Klägers unstreitig auf irgendeiner traumatischen Schädigung beruhen müsse, die entweder einen Versorgungstatbestand im Sinne des BVG oder einen Arbeitsunfall bilde. Das LSG sei jedoch zu Unrecht dem Gutachten des Dr. Sch vom 13. Mai 1968 gefolgt. Der entscheidende Fehler des LSG liege aber darin, daß es nur auf Unfälle während des Kriegsdienstes abstelle, die es für nichtursächlich halte, und außerdem nur auf den zu entschädigenden Arbeitsunfall vom 4. Dezember 1951. Es kämen nicht nur diese vier oder fünf Unfälle als Ursachen für den Meniskusschaden in Betracht. In Wirklichkeit beständen noch fünf verschiedene anderweitige Möglichkeiten und Ursachen für das Meniskusleiden u. a. sowohl eine anlagebedingte Bänderschwäche als auch die anderen Unfälle während des Wehrdienstes. Der Kläger habe außerdem nicht nur Arbeitsunfälle erlitten. Diese Unfälle habe das LSG außer acht gelassen. Schließlich hätte es nahe gelegen, an die Möglichkeit eines Antrages auf Neufeststellung wegen Verschlimmerung der Folgen des Arbeitsunfalles vom 4. Dezember 1951 aus § 622 RVO zu denken. Allenfalls hätte man sogar die bereits erwähnte Vorschrift des § 627 RVO in Betracht ziehen können.

Die Beklagte zu 2) beantragt,

unter Aufhebung bzw. Änderung des angefochtenen Urteils nach den Anträgen in der Vorinstanz, hilfsweise auf Zurückverweisung an die Vorinstanz zu erkennen.

Der Kläger und der Beklagte zu 1) beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung entschieden; die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 SGG sind erfüllt.

Die zulässige Revision ist nicht begründet.

Das LSG hat die Streitsache mit Recht als Wiederaufnahmeverfahren nach § 181 SGG behandelt. Voraussetzung für ein solches Verfahren ist, daß ein Gericht - hier das LSG - die Klage gegen einen Versorgungsträger - hier das beklagte Land - abweisen will, weil es einen Versicherungsträger - hier die beklagte BG - für leistungspflichtig hält, obwohl dieser den Anspruch bereits bindend abgelehnt hat. Mit dem Beschluß vom 12. November 1968 hat das LSG das Wiederaufnahmeverfahren, wie im Gesetz vorgesehen, von Amts wegen eingeleitet. In diesem Verfahren ist die beklagte BG ebenso Beklagter wie das in dem ursprünglichen, noch nicht abgeschlossenen Klageverfahren in Anspruch genommene Land Niedersachsen (s. BSG 14, 177, 179).

Das LSG ist auch für Bestimmung des Leistungspflichtigen zuständig (s. BSG aaO). Haben zwei Senate desselben Gerichts entschieden, so handelt es sich um die Entscheidung des einen, nicht aber verschiedener Gerichte (s. BSG 26, 38, 39; BSG Beschluß v. 27.9.1968 - 2 S 1/65). Der Beschluß des erkennenden Senats vom 24. Juli 1964, in dem er die Revision des Klägers gegen das Urteil des LSG Niedersachsen vom 24. April 1963 als unzulässig verworfen hat, ist keine Sachentscheidung im Sinne des § 181 SGG (BSG Breith. 1969, 816, 819; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 7. Aufl., S. 260; Peters/Sautter/Wolff, Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl., § 179 Anm. 2, Anm. zu § 584 ZPO; Rohwer-Kahlmann, Aufbau und Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl., § 179 Rdnr. 49).

Die Wiederaufnahme des gegen die Beklagte gerichteten Verfahrens ist entgegen der Auffassung der Revision auch nicht gem. § 586 Abs. 1 und 2 Zivilprozeßordnung - ZPO - unzulässig. Unter den in § 181 Satz 1 SGG angeführten Voraussetzungen hat das Gericht die Sache von Amts wegen an das gemeinsame nächsthöhere Gericht abzugeben oder - wie hier - selbst zu entscheiden. Nach § 181 Satz 2 SGG gilt im übrigen u. a. § 180 Abs. 5 SGG entsprechend. Danach wiederum gelten für die Durchführung des Verfahrens im übrigen die Vorschriften über die Wiederaufnahme des Verfahrens entsprechend. Ein rechtskräftig beendetes Verfahren kann nach § 179 Abs. 1 SGG entsprechend den Vorschriften des 4. Buches der ZPO wiederaufgenommen werden. Zu diesen Vorschriften zählt auch § 586 Abs. 1 und 2 ZPO. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift sind Klagen vor Ablauf einer Notfrist von einem Monat zu erheben. Diese Frist beginnt mit dem Tage, an dem die Partei von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erhalten hat, jedoch nicht vor eingetretener Rechtskraft des Urteils (§ 586 Abs. 2 Satz 1 ZPO). § 181 SGG betrifft aber keine Wiederaufnahmeklage. Diese Vorschrift bestimmt vielmehr unter welchen Voraussetzungen das Gericht von Amts wegen ein früher rechtskräftig oder bindend abgeschlossenes Verfahren wieder aufzunehmen hat. Wann die Urteilsbildung des Gerichts soweit fortgeschritten ist, daß es die Klage gegen den im Verfahren ursprünglich beklagten Versicherungsträger oder ein Land ablehnen und das frühere Verfahren wiederaufnehmen will, steht nicht im Einfluß- und Entscheidungsbereich des Klägers. Deshalb kann auch die Frist, die für die in die Disposition des Klägers gestellte Wiederaufnahmeklage besteht, nicht für die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 181 Abs. 1 SGG durch das Gericht gelten. Schließlich sprechen neben Sinn und Zweck des § 181 SGG das Ergebnis einer gegenteiligen Auffassung gegen die Anwendung des § 581 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Das LSG müßte nach Ablauf der Frist gegebenenfalls die Klage abweisen und damit dem Kläger die Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 SGG eröffnen. Ebenso gilt im Rahmen der Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 181 SGG nicht die Frist des § 586 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Nach dieser Vorschrift sind Wiederaufnahmeklagen nach Ablauf von fünf Jahren, von dem Tage der Rechtskraft des Urteils an gerechnet, unstatthaft. Ob in dem anhängigen Verfahren das frühere Streitverfahren gegen den anderen Versicherungsträger oder einen Versorgungsträger und wann es gegebenenfalls wiederaufgenommen wird, steht nicht in der Entscheidung des Klägers. Demnach kann ihm auch nicht ein Fristablauf angelastet werden. Es bedarf deshalb keiner Stellungnahme zu der Frage, ob die Fünfjahresfrist mit der Zustellung des Urteils des LSG Niedersachsen vom 24. April 1963 (s. BFH 103, 36) oder erst mit der Verwerfung der Revision gegen dieses Urteil als unzulässig (s. u. a. RGZ 70, 431; BGHZ 4, 294, 295) zu laufen begonnen hätte.

Die Voraussetzungen des § 181 Abs. 1 SGG sind auch im übrigen erfüllt. Diese Vorschrift ist, wie der 7. Senat des BSG in seinem zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteil vom 28. September 1972 (Az. 7 RU 20/70) auch anzuwenden, wenn sich - wie hier - der Anspruch gegen die Beklagte BG und der Anspruch gegen das beklagte Land nicht auf dasselbe schädigende Ereignis gründen: § 181 SGG soll es - ebenso wie § 180 SGG und § 75 Abs. 5 SGG - verfahrensrechtlich ermöglichen, im Sozialrecht widersprechende Entscheidungen zu vermeiden und die materiell-rechtlich richtige Entscheidung ohne Rücksicht auf eine bereits eingetretene Bindungs- oder Rechtskraftwirkung durchzusetzen. Während durch § 75 Abs. 5 SGG - auch aus prozeßökonomischen Zwecken - erreicht werden soll, daß schon im Verfahren gegen den ersten ablehnenden Bescheid widersprechenden Entscheidungen vorgebeugt wird, bieten die §§ 180, 181 SGG eine verfahrensrechtliche Handhabe, verbindliche oder rechtskräftige Entscheidungen zu beseitigen, die einander widersprechen (§ 180 SGG) oder im Widerspruch zu einer beabsichtigten Entscheidung stehen (§ 181 SGG). Der aus dem engen Zusammenhang zu entnehmende Sinn der §§ 75 Abs. 5, 180, 181 SGG, widersprüchliche Entscheidungen ohne Rücksicht auf die Bindungs- oder Rechtskraftwirkung zu vermeiden, ergibt sich auch aus der geschichtlichen Entwicklung dieser Vorschriften. Schon in § 1703 RVO - aufgehoben durch § 224 Abs. 3 Nr. 1 SGG - sowie in § 82 des Gewerbeunfallversicherungsgesetzes vom 30. Juni 1900 (RGBl S. 573, 616) war zugleich mit der § 75 Abs. 5 SGG entsprechenden Verurteilungsmöglichkeit geregelt, daß - wie nach § 181 SGG - eine bereits vorliegende rechtskräftige Ablehnung nicht entgegensteht. Der Zweck des § 181 SGG, widersprüchliche Entscheidungen zu vermeiden, würde indessen nur unvollkommen erreicht, wenn sich das Begehren des Klägers immer auf den gleichen, einheitlichen Sachverhalt gründen müßte und lediglich zweifelhaft sein dürfte, gegen welchen Sozialleistungsträger sich der aus diesem einheitlichen Sachverhalt hergeleitete Anspruch richtet. Zwar wird die Widersprüchlichkeit besonders deutlich, wenn aufgrund eines einheitlichen Lebenssachverhalts streitig ist, welcher Sozialleistungsträger zur Leistung verpflichtet ist. Dem aus dem Zusammenhang der Vorschriften der §§ 75, 180, 181 SGG zu entnehmenden Willen des Gesetzes würde es aber auch nicht entsprechen, wenn widersprüchliche bindende oder rechtskräftige Entscheidungen hingenommen werden müßten, denen zwar ein einheitlicher Lebenssachverhalt nicht zugrunde liegt, bei denen aber doch ein einheitlicher Schaden (Gesundheitsstörung) vorliegt, der - in dem streitigen Ausmaß - nur auf dem einen oder anderen von zwei verschiedenen tatsächlichen Vorgängen beruhen und daher sowohl den einen wie auch den anderen Sozialleistungsträger zur Leistung verpflichten kann. Es wäre mit dem Grundgedanken der Vorschriften der §§ 75, 180, 181 SGG unvereinbar, wenn ein Gericht der Sozialgerichtsbarkeit feststellen müßte, daß zwar eine Gesundheitsstörung vorliege, für die ein bestimmter Sozialleistungsträger entschädigungspflichtig sei, daß aber dieser Sozialleistungsträger nicht verurteilt werden könne. Für die Anwendung des § 181 SGG muß es deshalb genügen, daß sich das Begehren des Klägers auf den Ausgleich eines Schadens richtet, der entweder auf das eine oder andere von zwei schädigenden Ereignissen im Sinne der im Unfallversicherungs- und Versorgungsrecht geltenden Kausalitätsnorm zurückzuführen und es deshalb streitig ist, welcher Sozialleistungsträger zu leisten hat. Auch hat schon das frühere Reichsversicherungsamt entschieden, daß der Anwendung des bereits erwähnten § 82 des Gewerbeunfallversicherungsgesetzes nicht entgegenstand, daß die Verpflichtung der in Betracht kommenden Versicherungsträger auf zwei zeitlich getrennten Unfällen beruhte (AN 1907 S. 472; vgl. auch Handbuch der Unfallversicherung, Bd. I, 1909, § 82 GUVG, Anm. 2; Lehmann, RVO, 5. und 6. Buch, 4. Aufl., 1926, § 1703 Anm. 3). Der durch § 151 des Gesetzes vom 10. Januar 1922 (RGBl S. 59, 83) eingefügte und durch das SGG außer Kraft gesetzte § 1738 a RVO ließ im Verhältnis Unfallversicherung zur Versorgung ausdrücklich genügen, daß "derselbe Schaden" vorlag. Es ist deshalb auch für die Anwendung des § 181 SGG ausreichend, wenn es in der bereits bindenden oder rechtskräftigen Entscheidung und in der beabsichtigten Entscheidung um "denselben Schaden" geht.

Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsauffassung an.

Ohne Rechtsirrtum hat das LSG schließlich die Beklagte für leistungspflichtig angesehen.

Das Berufungsgericht hat aufgrund der Beweise die Überzeugung gewonnen, daß die Meniskusschädigung des Klägers wahrscheinlich durch den Arbeitsunfall am 4. Dezember 1951 - jedenfalls wesentlich - mitbedingt worden ist. Die Beklagte meint zu Unrecht, eine Verurteilung zur Leistung nach Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens gem. § 181 SGG sei ebenso wie im Rahmen des § 627 RVO nur zulässig, wenn das Prinzip der Gerechtigkeit dies zwingend gebiete. Die Vorschriften der §§ 180, 181 SGG enthalten keine Einschränkung dahin, daß die Verurteilung des in einem früheren Verfahren rechtskräftig nicht für leistungspflichtig angesehenen Versicherungsträgers oder Versorgungsträgers nur zulässig sei, wenn dieser aufgrund von neuen Ermittlungsergebnissen oder einer geläuterten Rechtsauffassung als davon "überzeugt" anzusehen ist, daß seine frühere Entscheidung unzutreffend ist. Daß die von der Revision vertretene Ansicht, die Grundgedanken des § 627 RVO müßten hier entsprechend angewendet werden, nicht zutreffen kann, ergibt sich schon daraus, daß es dann wegen der insoweit ähnlichen Vorschriften in § 1300 RVO, § 79 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) und § 40 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung vom 2. Mai 1955 (BGBl I S. 202) in den wesentlichen Fällen einer Wiederaufnahme nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 und § 181 SGG nicht bedurft hätte. Deshalb schließt auch die Möglichkeit einer Neufeststellung nach § 627 RVO entgegen der Auffassung der Revision ein Verfahren nach § 181 SGG nicht aus.

Die Revision meint auch zu Unrecht, das LSG stelle es nur auf die Unfälle während des Wehrdienstes ab, die es nicht als Ursache der Meniskusschädigung ansehe, und außerdem nur auf den zu entschädigenden Arbeitsunfall vom 4. Dezember 1951; das Berufungsgericht berücksichtige dagegen nicht die später eingetretenen Unfälle.

Das LSG hat insbesondere, gestützt auf das Gutachten von Dr. Sch eingehend dargelegt, weshalb es die Unfälle des Klägers während des Kriegsdienstes nicht als Ursache der Meniskusschädigung angesehen hat. Das LSG hat außerdem begründet, weshalb es sich der Auffassung von Dr. Sch auch insoweit anschließt, daß der Arbeitsunfall vom 4. Dezember 1951 jedenfalls eine wesentliche Mitursache der Meniskusschädigung gewesen ist. Das LSG hat aufgrund dieser Überzeugung nicht auch noch zu entscheiden brauchen, ob die von der Revision aufgeführten, später eingetretenen Unfälle ebenfalls die Meniskusschädigung wesentlich mitverursacht haben. Den tatsächlichen Feststellungen des LSG sind auch entgegen dem Vorbringen der Revision keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, daß der Kläger nach seiner Entlassung aus dem Wehrdienst und vor dem Arbeitsunfall am 4. Dezember 1951 weitere Unfälle am linken Knie erlitten hat. Die Revision hält dies lediglich selbst für nicht ausgeschlossen. Dies kann jedoch nicht als formgerechte Rüge mangelnder Sachaufklärung oder fehlerhafter Beweiswürdigung angesehen werden.

Die Revision der Beklagten war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 147

NJW 1973, 1343

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