Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosenhilfe. Verfügbarkeit. Student. Widerlegung der gesetzlichen Vermutung. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Ein immatrikulierter Student kann die gesetzliche Vermutung, der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung zu stehen, nicht mit dem Vorbringen und Nachweis widerlegen, er sei nur zu studienfremden Zwecken immatrikuliert und gehe dem Studium nicht nach (Fortführung vom 21.4.1993 – 11 RAr 25/92 = BSGE 72, 206 = SozR 3-4100 § 103a Nr 1).

Stand: 24. Oktober 2002

 

Normenkette

AFG § 103 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 103a Abs. 1-2, § 134 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; GG Art. 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 16.10.1996; Aktenzeichen L 3 Ar 1967/93)

SG Freiburg i. Br. (Urteil vom 24.09.1993; Aktenzeichen S 3 Ar 567/93)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Oktober 1996 aufgehoben.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 24. September 1993 wird zurückgewiesen, soweit sie die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe ab 23. Dezember 1992 und den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe ab 1. Juni 1993 betrifft.

Soweit die Berufung die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 1. Oktober 1992 bis 22. Dezember 1992 und die Rückforderung von Arbeitslosenhilfe betrifft, wird die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Der Rechtsstreit betrifft die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi), die Rückforderung von Alhi für die Zeit vom 1. Oktober bis 2. Dezember 1992 und einen Anspruch auf Wiederbewilligung von Alhi.

Der 1952 geborene Kläger steht mit Unterbrechungen seit 1975 im Leistungsbezug der beklagten Bundesanstalt für Arbeit (BA). Seit Oktober 1986 bezieht er Anschluß-Alhi, die die BA zuletzt mit Bescheid vom 25. Mai 1992 ab 1. Juni 1992 für ein Jahr in Höhe von wöchentlich 195,60 DM bewilligte.

Seit dem 1. Oktober 1992 (Wintersemester 1992/93) ist der Kläger in der Universität Freiburg als Student der Mathematik und Chemie mit dem Ziel Magisterabschluß immatrikuliert und ab 1. Mai 1994 (Sommersemester 1994) beurlaubt.

Nachdem die BA durch eine Anfrage des Studentenwerks Freiburg von der Immatrikulation des Klägers erfahren hatte, stellte sie die Leistungen ab 2. Dezember 1992 ein und hob die Alhi-Bewilligung mit Bescheid vom 9. Dezember 1992 mit Wirkung ab 1. Oktober 1992 auf. Die für die Zeit vom 1. Oktober bis 2. Dezember 1992 gezahlte Alhi in Höhe von insgesamt 1760,40 DM forderte sie mit Bescheid vom 4. Januar 1993 zurück.

Mit dem 24. Dezember 1992 datierten Widerspruch (beim Arbeitsamt eingegangen am 23. Dezember 1992) machte der Kläger geltend, er sei zwar immatrikuliert, studiere aber nicht. Er habe sich aus „studienfremden Zwecken” eingeschrieben, um die Veranstaltungen des akademischen Filmclubs besuchen zu können. Er besuche keinerlei Lehrveranstaltungen und stehe deshalb der Arbeitsvermittlung uneingeschränkt zur Verfügung. Den Rechtsbehelf wies die BA mit Widerspruchsbescheid vom 2. März 1993 zurück. Die Immatrikulation als Student begründe die Vermutung, daß der Kläger nur beitragsfreie Beschäftigungen ausüben könne und damit der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stehe. Diese gesetzliche Vermutung habe er nicht widerlegt.

Die dagegen gerichtete Klage, die sich auch gegen ablehnende Bescheide der BA vom 24. Mai und 23. Juli 1993 auf Wiederbewilligungsanträge des Klägers bezieht, hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen (Urteil vom 24. September 1993). Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) dieses Urteil sowie die Bescheide der BA aufgehoben und die BA verurteilt, dem Kläger Alhi über den 31. Mai 1993 hinaus zu bewilligen (Urteil vom 16. Oktober 1996). Das LSG hat die Ansicht vertreten, Student iS des § 103a Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) sei nur, wer tatsächlich die von der Ausbildungsstätte angebotene Ausbildung aufgenommen habe. Dies habe der Kläger nicht getan, so daß die gesetzliche Vermutung nicht gegen seine Verfügbarkeit spreche. Im Sinne von Hilfserwägungen hat das LSG weiter ausgeführt, die Rechtsansicht der BA halte dem Kläger nicht die Möglichkeit offen, die gesetzliche Vermutung zu widerlegen. Eine solche Möglichkeit sei aber verfassungsrechtlich geboten. „Mehr als (tatsächlich) überhaupt nicht zu studieren” könne „der Kläger vernünftigerweise nicht tun, um die Vermutung des § 103a Abs 1 AFG zu widerlegen”. Dem stehe nicht entgegen, daß § 103a Abs 2 AFG zur Widerlegung der Vermutung die „ordnungsgemäße Erfüllung der in den Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen vorgeschriebenen Anforderungen” zugrunde lege. Vielmehr müsse eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung durch individuelle Gegebenheiten möglich sein, weil es andernfalls zu einer verfassungswidrigen Normanwendung komme. Auch die gelegentliche Betreuung eines Kleinkindes, die die Beurlaubung im Sommersemester 1994 begründet habe,schließe die Verfügbarkeit nicht aus.

Mit der vom LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassenen Revision rügt die BA die Verletzung des § 103a Abs 1 AFG. Das LSG habe verkannt, daß es für die Anwendung dieser Vorschrift allein darauf ankomme, daß der Arbeitslose als Student immatrikuliert sei. Im übrigen habe das Bundessozialgericht (BSG) bereits ausgeführt, es sei der BA nicht möglich, sichere Feststellungen darüber zu treffen, wie ein Arbeitsloser sein Studium gestalte. Aus diesem Grunde komme es für die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung nicht auf die Behauptung an, der Kläger gehe seinem Studium nicht nach.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Oktober 1996 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 24. September 1993 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er vertritt die Ansicht, durch die Immatrikulation sei die Verfügbarkeit nicht entfallen, weil er dem Studium nicht nachgehe.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der BA ist begründet. Das Urteil des LSG verletzt § 103a Abs 1 und 2 AFG. Der Kläger ist Student iS des § 103a Abs 1 AFG; er hat nicht dargelegt und nachgewiesen, daß sein Studium bei ordnungsgemäßer Erfüllung der in den Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen vorgeschriebenen Anforderungen eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung zuläßt (§ 103a Abs 2). Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, ob dem Kläger aufgrund der Bewilligung von Alhi bis zur Bekanntgabe des Aufhebungsbescheids vom 9. Dezember 1992 Leistungen zustehen. Das LSG hat Tatsachen, die die Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Vergangenheit rechtfertigen (§ 48 Abs 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren ≪SGB X≫), – nach der von ihm vertretenen Rechtsansicht folgerichtig – nicht festgestellt.

1. Auf die Revision der BA ist das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen, soweit die BA die Bewilligung von Alhi für die Zeit ab 23. Dezember 1992 aufgehoben hat.

Nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung – hier: die Bewilligung von Alhi vom 25. Mai 1992 – aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlaß vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist ua jede rechtserhebliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen.

1.1 Das LSG hat die Immatrikulation des Klägers ab 1. Oktober 1992 zu Unrecht nicht als rechtserheblich erachtet. Sie begründet nach § 87 Abs 1 Satz 1 Gesetz über die Universitäten im Lande Baden-Württemberg idF der Bekanntmachung vom 10. Januar 1995 (GBl II 1) die Mitgliedschaft in der Universität. Damit ist der Kläger unabhängig davon, ob und wie er sein Studium betreibt, Student iS des § 103a Abs 1 AFG. Dies hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 21. April 1993 – 11 RAr 25/95 – ausgesprochen und darauf hingewiesen, daß ein abweichendes Verständnis dem auf Beweiserleichterung gerichteten Zweck der gesetzlichen Vermutung des § 103a Abs 1 AFG nicht gerecht werde (BSGE 72, 206, 209 = SozR 3-4100 § 103a Nr 1). Dieses Verständnis des Gesetzes wird auch durch die geschichtliche Entwicklung des Schutzes von Studenten in der Arbeitslosenversicherung bestätigt. Die Ruhensvorschrift des § 118 Abs 2 AFG idF des Gesetzes über die Krankenversicherung der Studenten vom 24. Juni 1975 (BGBl I 1536) setzte voraus, daß der Arbeitslose immatrikuliert war und die Hochschule besuchte (BSGE 46, 89, 90 = SozR 4100 § 118 Nr 5). Nach § 118a AFG idF des Fünften Gesetzes zur Änderung des AFG vom 23. Juli 1979 (BGBl I 1189) trat das Ruhen der Leistung ein, wenn die Ausbildung die Arbeitskraft des Studenten im allgemeinen voll in Anspruch nahm. Diese Regelung hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) für unvereinbar mit Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) erklärt (BVerfGE 74, 9, 24 = SozR 4100 § 118a Nr 1). Dabei hat es aber zum Ausdruck gebracht, die Verfassung schließe nicht aus, an den Nachweis der Verfügbarkeit immatrikulierter Studenten strengere Anforderungen zu stellen als an andere Arbeitslose. Als Beispiel einer verfassungskonformen Regelung hat das BVerfG die Vermutung der Nichtverfügbarkeit für ein Vollstudium immatrikulierter Studenten, die diese widerlegen müssen, genannt (BVerfG 74, 9, 27 f = SozR 4100 § 118 a Nr 1). Dem entspricht die hier anzuwendende Vorschrift. Der nach Universitätsrecht zu bestimmende Rechtsstatus begründet die Vermutung, daß ein Student neben seinem Studium nicht einer Beschäftigung nachgehen kann, die die Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung begründet. Vorbehaltlich der in den Grenzen des § 103a Abs 2 SGG möglichen Widerlegung der gesetzlichen Vermutung steht er mithin nach § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG iVm §§ 168, 169b AFG der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung, so daß die Anspruchsvoraussetzung für die Alhi nach § 134 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG mit der Immatrikulation entfallen ist.

1.2 Die Möglichkeit, diese Vermutung zu widerlegen, eröffnet § 103a Abs 2 AFG arbeitslosen Studenten nur, soweit sie darlegen und nachweisen, daß der Ausbildungsgang eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung bei ordnungsgemäßer Erfüllung der in den Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen vorgeschriebenen Anforderungen zuläßt. Mit dieser Regelung wird der Grundsatz der amtlichen Sachaufklärungspflicht (§ 20 Abs 1 SGB X; § 103 SGG) durchbrochen und dem Arbeitslosen eine Darlegungs- und Beweisführungslast auferlegt (BSGE 72, 206, 209 = SozR 3-4100 § 103a Nr 1; BSG SozR 3-4100 § 103a Nr 2). Seiner Darlegungs- und Beweislast ist der Kläger nicht nachgekommen. Er hat sich zu den in Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen vorgeschriebenen Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Studium nicht geäußert. Nur auf dieser Grundlage ist die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung möglich. Sie kann – wie das BSG bereits hervorgehoben hat – auch darin bestehen, daß für das vom Arbeitslosen gewählte Studium Anforderungen in den Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen nicht vorgesehen sind oder solche Bestimmungen überhaupt nicht bestehen (BSGE 72, 206, 210, 212 = SozR 3-4100 § 103a Nr 1). Entsprechendes hat der Kläger – trotz eingehender Belehrung über diese Rechtslage im Verwaltungsverfahren – nicht vorgetragen. Mit seiner Behauptung, er habe sich zu „studienfremden Zwecken” eingeschrieben, verfüge nicht über die fachlichen Voraussetzungen für das Studium der Mathematik und Chemie und gehe diesem Studium tatsächlich auch nicht nach, kann er nach § 103a Abs 2 AFG nicht gehört werden. Der Kläger hat sich für das Studium mit dem Studienziel „Magisterabschluß” eingeschrieben. Bei Studiengängen, die auf einen regelförmigen Abschluß gerichtet sind, hat das BSG es als sachgerecht angesehen, daß die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung auf den Nachweis beschränkt ist, der Ausbildungsgang lasse eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung bei ordnungsgemäßer Erfüllung der in den Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen vorgeschriebenen Anforderungen zu (BSGE 72, 206, 210 = SozR 3-4100 § 103a Nr 1). Die geschichtliche Entwicklung des Arbeitslosenversicherungsschutzes von Studenten und die konkrete Entstehungsgeschichte des § 103a AFG belegen, daß die Regelung einerseits dem Schutz studierender Arbeitsloser in der Arbeitslosenversicherung dienen, aber auch durch die in § 103a Abs 2 AFG enthaltene Beweiserleichterung Bedürfnissen der praktischen Rechtsanwendung Rechnung tragen soll (BSGE 72, 206, 209 ff = SozR 3-4100 § 103a Nr 1; BSG SozR 3-4100 § 103a Nr 2). In der Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drucks 11/800, S 20) ist ausdrücklich hervorgehoben, daß die gesetzliche Vermutung nur nach den in § 103a Abs 2 AFG genannten Merkmalen widerlegt werden kann und Darlegungen des Arbeitslosen, zB „durch das Studium nicht voll in Anspruch genommen” zu sein, zur Widerlegung nicht ausreichen. Auf vergleichbare subjektive Umstände richtet sich aber das Vorbringen des Klägers, er sei lediglich zu „studienfremden Zwecken” eingeschrieben, studiere tatsächlich aber nicht. Auch hierbei handelt es sich um praktisch nur schwer überprüfbares Vorbringen, das es den Arbeitsämtern kaum ermöglicht, einigermaßen sichere Feststellungen zu treffen (vgl BT-Drucks 11/800, S 20). Da das Vorbringen des Klägers nach § 103a Abs 2 AFG nicht geeignet ist, die gesetzliche Vermutung zu widerlegen, bedurfte es nicht der Aufklärung, ob ein ordnungsgemäßes Studium der Fächer Mathematik und Chemie mit dem Studienziel Magisterabschluß mit einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung des Klägers vereinbar wäre.

1.3 Das durch Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Zweck der Vorschrift begründete Verständnis des § 103a Abs 2 AFG ist auch nicht unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten einzuschränken. Die Gleichheit vor dem Gesetz (Art 3 Abs 1 Grundgesetz) ist durch diese Konkretisierung des Gesetzes nicht berührt. Sie läßt Möglichkeiten zur Widerlegung der Vermutung offen, allerdings nicht für den vom Kläger vorgetragenen Sachverhalt. Die gesetzliche Vermutung mit der Möglichkeit ihrer Widerlegung ist gerade unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung gewählt worden (BT-Drucks 11/800, S 20 mit Hinweis auf BVerfGE 74, 9, 24 ff SozR 4100 § 118a Nr 1; BSGE 46, 89 ff = SozR 4100 § 118 Nr 5; vgl auch: BSGE 72, 206, 209 f = SozR 3-4100 § 103a Nr 1). Das Argument des LSG, § 103a Abs 2 AFG sei verfassungskonform auszulegen, weil dem Kläger andernfalls die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung nicht möglich sei, trifft nicht zu. Der Kläger hat von der ihm eingeräumten Möglichkeit, die gesetzliche Vermutung im Rahmen des § 103a Abs 2 AFG zu widerlegen, überhaupt nicht Gebrauch gemacht. Erst wenn eine Widerlegung unter den in § 103a Abs 2 AFG gesteckten Grenzen überhaupt nicht möglich wäre, könnte dieses Argument verfassungsrechtliche Bedeutung erlangen. Davon kann im Hinblick auf die vorliegende Rechtsprechung des BSG zu § 103a Abs 2 AFG keine Rede sein. Im übrigen ist zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber durch das Gebot der Gleichheit vor dem Gesetz nicht gehindert ist, bei der Regelung von Massenerscheinungen im Interesse effizienter Verwaltung und praktikabler Rechtsanwendung zu typisieren und zu pauschalieren (st Rspr, vgl BVerfGE 17, 1, 25; 63, 255, 261 ff = SozR 4100 § 111 Nr 6; BVerfG ≪Kammerbeschluß≫ SozR 3-4100 § 111 Nr 2). Bei Studenten liegt wegen ihrer Inanspruchnahme durch das Studium nahe, daß sie der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stehen (BVerfGE 74, 9, 27 = SozR 4100 § 118a Nr 1). Die nach § 103a Abs 2 AFG begrenzte Widerlegungsmöglichkeit ist wegen der Schwierigkeit, individuelle Gestaltungen eines Studiums zu überprüfen, sachgerecht. Wegen der verfassungsrechtlich zulässigen Typisierung ist es nach Art 3 Abs 1 GG nicht geboten, für ein Vollstudium immatrikulierte Studenten, die ihrem Studium nicht nachgehen, die individualisierende Möglichkeit zur Widerlegung der Vermutung ihrer Nichtverfügbarkeit zu eröffnen.

1.4 Die mit der Immatrikulation eingetretene wesentliche Änderung in den Verhältnissen eröffnet eine Aufhebung der Bewilligung von Alhi nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X jedenfalls für die Zukunft. Die Grenze zwischen Vergangenheit und Zukunft iS des § 48 Abs 1 SGB X bezeichnet der Zeitpunkt der Bekanntgabe des Aufhebungsbescheids (BSG SozR 1300 § 48 Nr 28; BSGE 61, 189, 190 = SozR 1300 § 48 Nr 31; BSGE 77, 253, 265 = SozR 3-8570 § 13 Nr 1). Wegen der Regelung des § 114 AFG kann die Lage der betroffenen Zahlungszeiträume hier auf sich beruhen (vgl dazu: BSGE 65, 185, 188 = SozR 1300 § 48 Nr 31; BSG Urteil vom 24. April 1997 – 13 RJ 23/96 –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 9. Dezember 1992 ist am 23. Dezember 1992 beim Arbeitsamt Freiburg eingegangen. Vor diesem Tage muß der Aufhebungsbescheid also dem Kläger bekannt geworden sein. Die Aufhebung „für die Zukunft” bezieht sich damit jedenfalls auf die Zeit ab 23. Dezember 1992. Insoweit ist die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG unbegründet.

2. Unbegründet ist die Berufung auch, soweit der Kläger mit seinen Wiederbewilligungsanträgen Leistungen auf Alhi ab 1. Juni 1993 geltend macht. Mit Recht hat das SG die Klage gegen die Bescheide vom 24. Mai und 23. Juli 1993 abgewiesen, denn der Kläger stand wegen der Immatrikulation auch ab 1. Juni 1993 der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung, so daß diese Anspruchsvoraussetzung des § 134 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG nicht erfüllt ist. Eine andere Entscheidung ist auch nicht für die Zeit ab 1. Mai 1994 möglich. Zwar war der Kläger von diesem Zeitpunkt an als Student beurlaubt, so daß die nach § 103a Abs 1 AFG vermutete Inanspruchnahme durch das Studium möglicherweise nicht durchgreift (vgl dazu: Gagel/Steinmeyer, AFG, § 103a RdNr 54 – Stand: Mai 1992; Hennig/Kühl/Heuer/Henke, AFG, § 103a RdNr 7). Diese Frage kann auf sich beruhen, denn für die Zeit ab 1. Mai 1994 steht dem Kläger unter den hier erörterten Umständen Alhi nicht mehr zu, weil sein Anspruch nach § 135 Abs 1 Nr 2 AFG erloschen ist. Der Kläger hat seit Dezember 1992 Alhi mehr als ein Jahr nicht mehr bezogen. Auch die Voraussetzungen für einen neuen Anspruch auf Alhi sind nicht gegeben, weil der Kläger nicht innerhalb eines Jahres vor dem 1. Mai 1994 Arbeitslosengeld bezogen hat oder mindestens 150 Kalendertage in einer Beschäftigung gestanden oder eine Zeit zurückgelegt hat, die zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dienen kann (§ 134 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AFG).

3. Hinsichtlich der Aufhebung der Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 1. Oktober bis 22. Dezember 1992 und der Rückforderung von 1.760,40 DM ist die Revision der BA im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet.

3.1 Eine Ermächtigungsgrundlage, Leistungsbewilligungen vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse (für die Vergangenheit) aufzuheben, bieten § 48 Abs 1 Satz 2 Nrn 2 bis 4 SGB X. Die Sondervorschrift für die Arbeitsverwaltung § 152 Abs 3 AFG idF des Erstes Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 2309) ist erst am 1. Januar 1994 (Art 14 Abs 1 1. SKWPG) in Kraft getreten und damit hier noch nicht zu berücksichtigen. Maßgebender Zeitpunkt für die Rechtslage ist insoweit grundsätzlich der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 2. März 1993 als letzter die Aufhebung betreffender Verwaltungsentscheidung (BSGE 77, 253, 271 = SozR 3-8570 § 13 Nr 1; vgl zum Übergangsrecht bei Änderungen des Verwaltungsverfahrensrechts genauer differenzierend: Urteil des Senats vom 13. März 1997 – 11 RAr 51/96 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).

3.2 Nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X soll ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung – hier der Bewilligungsbescheid vom 25. Mai 1992, der Alhi bis zum 31. Mai 1993 zuerkannt hatte – vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Die Änderung der Verhältnisse ist hier mit der Immatrikulation am 1. Oktober 1992 eingetreten. Diese Änderung in den Verhältnissen hatte der Kläger als Bezieher von Alhi nach § 60 Abs 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I) unverzüglich mitzuteilen, weil sie – wie im anderen Zusammenhang gezeigt – für die Leistung erheblich ist. Die Mitteilung hat der Kläger versäumt. Über die Aufhebung der Alhi für die Vergangenheit kann der Senat jedoch nicht abschließend entscheiden, weil das LSG nicht festgestellt hat, wann der Aufhebungsbescheid vom 9. Dezember 1992 zur Post gegeben oder dem Kläger bekannt gemacht ist. Diese Tatsache ist – wie gezeigt – Voraussetzung für die Unterscheidung zwischen „Zukunft” und „Vergangenheit” iS des § 48 Abs 1 SGB X. Für die Beurteilung, ob dem Kläger das die Aufhebung für die Vergangenheit rechtfertigende qualifizierte Verschulden – Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit – vorzuwerfen ist, fehlt es ebenfalls an der Feststellung von Tatsachen. Die Immatrikulation ohne Aufnahme des Studiums ist auch für einen Abiturienten nicht ohne weiteres als wesentliche Änderung für den Bezug von Alhi zu erkennen, die nach § 60 Abs 1 Nr 2 SGB I der BA mitzuteilen ist. Voraussetzung für die Feststellung von vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der Mitteilungspflicht ist zunächst der Inhalt des Merkblatts, dessen Erhalt der Kläger im Leistungsantrag quittiert hat. Es ist deshalb festzustellen, ob der Kläger dieses Merkblatt tatsächlich erhalten hat und welchen Inhalt es hatte. Des weiteren hängt der Vorwurf des Vorsatzes oder der groben Fahrlässigkeit von dem subjektiven Erkenntnis- und Beurteilungsvermögen des Klägers ab, zu welchem dem Urteil des LSG – von dem erreichten Schulabschluß abgesehen – tatsächliche Feststellungen nicht zu entnehmen sind.

4. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, daß mit der Immatrikulation die Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung ab 1. Oktober 1992 und damit zwar eine gesetzliche Anspruchsvoraussetzung für die Alhi entfallen ist, sich die Leistungsbewilligung durch Bescheid vom 25. Mai 1992 dadurch allein aber nicht erledigt hat. Ein „Selbstvollzug des Gesetzes” findet insoweit nicht statt (BSGE 77, 253, 259 = SozR 3-8570 § 13 Nr 1 mwN), vielmehr stellt der Bewilligungsbescheid bis zu einer rechtswirksamen Aufhebung eine eigenständige Rechtsgrundlage für das Erhalten und Behaltendürfen der bewilligten Leistung dar (BSGE 47, 241, 246 = SozR 4100 § 134 Nr 11; BSGE 61, 286 f = SozR 4100 § 138 Nr 31; BSGE 72, 111, 117 = SozR 3-4100 § 117 Nr 9; BSGE 77, 253, 272 = SozR 3-8570 § 13 Nr 1). Kann der sich aus dem Bewiligungsbescheid ergebende Leistungsanspruch nur durch gestaltenden Verwaltungsakt aufgehoben werden, so ergibt sich daraus, daß die schlichte Einstellung der Zahlung bewilligter Leistungen rechtswidrig ist. Eine Ermächtigung der Verwaltung, zu solchem Vorgehen besteht nicht. Die weitere Prüfung ist darauf zu richten, ob die Voraussetzungen für eine Aufhebung des Bewilligungsbescheids vom 25. Mai 1992 für die Vergangenheit – dh die Zeit bis zur Bekanntgabe des Aufhebungsbescheids vom 9. Dezember 1992 – gegeben sind. Andernfalls ergibt sich aus dem Bewilligungsbescheid ein Anspruch des Klägers, Leistungen für die Zeit ab Einstellung – nach den Feststellungen des LSG 3. Dezember 1992 – bis zur Bekanntgabe des Aufhebungsbescheids vom 9. Dezember 1992 zu erbringen (vgl auch Steinwedel, KassKomm § 45 SGB X RdNr 17).

5. Über die Kosten des Revisionsverfahrens wird das LSG mit der abschließenden Entscheidung befinden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1172910

SozR 3-4100 § 103a, Nr.13

SozSi 1998, 277

info-also 1998, 99

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt SGB Office Professional . Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge