Entscheidungsstichwort (Thema)

Begründung eines Verwaltungsaktes. Folgen von Begründungsmängeln

 

Leitsatz (amtlich)

Zum Inhalt der Begründung eines Rentenentziehungsbescheides.

 

Orientierungssatz

Die Begründung eines Verwaltungsaktes soll den davon betroffenen Staatsbürger in die Lage versetzen, die Entscheidung einer Behörde zu verstehen und die Überprüfung der dem Verwaltungsakt zugrundeliegenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen zu ermöglichen. Dieser rechtsstaatliche Grundsatz hat bei der Rentenentziehung ein besonderes Gewicht.

 

Normenkette

RVO § 1286 Fassung: 1957-02-23, § 1633 Fassung: 1924-12-15, § 1631 Abs 1; GG Art 20

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 11.11.1980; Aktenzeichen L 5 J 130/79)

SG Schleswig (Entscheidung vom 21.02.1979; Aktenzeichen S 6 J 267/77)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Rentenentziehung.

Der im Jahre 1925 geborene Kläger hat den Beruf eines Zimmerers erlernt und von 1949 bis 1967 ausgeübt. Danach war er bis Ende 1971 als Gastwirt selbständig tätig. Durch Bescheid vom 28. April 1973 gewährte die Beklagte dem Kläger Erwerbsunfähigkeitsrente ab 1. Januar 1973.

Aufgrund einer ärztlichen Nachuntersuchung des Klägers kam die Beklagte zu dem Ergebnis, daß infolge einer Besserung des Gesundheitszustandes Berufs- und Erwerbsunfähigkeit nicht mehr vorliege. Hierauf entzog sie die dem Kläger gewährte Erwerbsunfähigkeitsrente mit Ablauf des Monats August 1977 (Bescheid vom 27.7.1977). In der Begründung des Entziehungsbescheides hält die Beklagte den Kläger für fähig, vollschichtig leichte Arbeiten im Sitzen und Stehen im Wechselrhythmus, ohne überwiegend einseitige Körperhaltung, ohne häufiges Bücken, Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten (ohne mechanische Hilfsmittel) zu verrichten.

Das Sozialgericht Schleswig (SG) hat durch Urteil vom 21. Februar 1979 den Entziehungsbescheid aufgehoben mit der Begründung, eine wesentliche Besserung des Gesundheitszustandes sei beim Kläger nicht eingetreten, es bestehe nach wie vor Erwerbsunfähigkeit. Auf die Berufung der Beklagten hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 11. November 1980 das sozialgerichtliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt, der Gesundheitszustand des Klägers habe sich seit der Rentengewährung insofern gebessert, als nunmehr die Ausübung einer Tätigkeit als qualifizierter Pförtner oder als Museums-, Schloß- oder Galerieaufseher möglich sei.

Mit seiner - vom Senat zugelassenen - Revision trägt der Kläger vor, die Verweisung auf die im angefochtenen Urteil aufgeführten Tätigkeiten sei nicht zulässig, durch diese würde er sowohl gesundheitlich als auch wissens- und könnensmäßig überfordert. Insoweit habe das LSG den Sachverhalt nicht genügend aufgeklärt. Im übrigen stünden die Verweisungstätigkeiten der Arbeitsvermittlung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des Urteils des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 11.11.1980 die Berufung der Beklagten vom 9.5.1979 gegen das Urteil des SG Schleswig vom 21.2.1979 zurückzuweisen hilfsweise: die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Schleswig-Holsteinische LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen. Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist insoweit begründet, als der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen war. Die vom LSG getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, den Wegfall der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit (§§ 1246, 1247 RVO) anzunehmen.

Der angefochtene Entziehungsbescheid der Beklagten weist insoweit einen formellen Mangel auf, als er nicht ausreichend begründet ist (vgl § 1633 iVm § 1631 Abs 1 RVO in der damals geltenden Fassung). Die Begründung eines Verwaltungsaktes soll den davon betroffenen Staatsbürger in die Lage versetzen, die Entscheidung einer Behörde zu verstehen und die Überprüfung der dem Verwaltungsakt zugrundeliegenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen zu ermöglichen. Dieser rechtsstaatliche Grundsatz hat bei der Rentenentziehung ein besonderes Gewicht. Eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bildet schon nach ihrer Zielsetzung im allgemeinen die Lebensgrundlage des Versicherten. Sie tritt regelmäßig an die Stelle des ganz oder teilweise weggefallenen Erwerbseinkommens. Die Entziehung der Rente setzt voraus, daß der Versicherte wieder in hinreichendem Umfang erwerbsfähig ist. Dieser Zustand befähigt ihn, eine Erwerbstätigkeit auszuüben, durch deren Ertrag er seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Durch das Rechtsinstitut der Rentenentziehung bringt das Gesetz zum Ausdruck, daß die Solidargemeinschaft dem Versicherten ein solches Tun auch zumutet. Der Versicherte steht damit vor der Notwendigkeit, seine bisherige, auf dem Renteneinkommen beruhende Lebensführung von Grund auf umzustellen. Aus dieser Sicht beinhaltet die Rentenentziehung einen nachhaltigen Eingriff in die persönliche Lebenssphäre des Versicherten, der die Begründung des Bescheides auch Rechnung tragen muß.

Diesem Grundsatz genügt die Begründung des angefochtenen Entziehungsbescheides insofern nicht, als dort nur ausgeführt wird, der Kläger sei fähig, leichte Arbeiten mit weiteren Einschränkungen vollschichtig zu verrichten. Dem Entziehungsbescheid ist nicht zu entnehmen, die Ausübung welcher Tätigkeiten ihm künftig möglich sei. Insoweit hätte es einer zumindest typisierenden konkreten Bezeichnung bedurft. Der erkennende Senat hat entschieden (vgl Urteil vom 19.4.1978 - 4 RJ 55/77 = SozR 2200 § 1246 Nr 30), daß der Rentenversicherungsträger bereits in einem den Rentenantrag ablehnenden Bescheid die Tätigkeit zu bezeichnen hat, auf die er einen Versicherten verweisen will. Gilt dieser Grundsatz schon für einen die Rente versagenden Verwaltungsakt, so muß er um vieles mehr Geltung beanspruchen für einen die Rente entziehenden Bescheid. Eine Ausnahme könnte allenfalls dann gemacht werden, wenn aufgrund des Leistungsvermögens eines Versicherten evident ist, daß ihm der Arbeitsmarkt nicht verschlossen ist.

Die konkrete Bezeichnung einer zumutbaren Tätigkeit erhält darüberhinaus ihr besonderes Gewicht durch den in § 7 Abs 2 des Rehabilitationsgesetzes (RehaG) normierten Auftrag, Maßnahmen der Rehabilitation den Vorrang vor der Rentenentziehung zu geben (vgl BSG Urteil vom 24.2.1976 - 5 RKn 22/75 = SozR 2200 § 1243 Nr 1). Dies bedeutet, daß der Rentenversicherungsträger vor der Rentenentziehung prüfen muß, ob der Versicherte nicht nur nach seinem Gesundheitszustand, sondern auch nach seiner beruflichen Qualifikation - dies unter besonderer Berücksichtigung einer längeren Entfremdung vom Erwerbsleben - wieder in der Lage ist, eine Erwerbstätigkeit auszuüben und auf diese Weise die wegfallende Rente wirtschaftlich zu ersetzen. Hieraus könnte sich die Notwendigkeit der Einleitung berufsfördernder Maßnahmen ergeben.

Der angefochtene Bescheid bezeichnet weder konkret eine dem Kläger zumutbare Tätigkeit noch läßt er erkennen, daß die Beklagte die Einleitung von Rehabilitationsmaßnahmen in Erwägung gezogen hat. Diese Mängel begründen indessen für sich allein noch nicht den Anspruch auf Aufhebung des Entziehungsbescheides, zumal die Beklagte im Verfahren vor dem Berufungsgericht eine Begründung nachgeschoben hat (vgl dazu BSGE 27, 34, 38), denn entscheidend kommt es zunächst darauf an, ob die in § 1286 Abs 1 RVO aufgeführten tatbestandsmäßigen Voraussetzungen vorliegen. Das vermag indes der Senat noch nicht zu entscheiden. Dies gilt insbesondere für die berufliche Einsatzfähigkeit des Klägers.

Der angefochtene Bescheid beschränkt sich auf die Feststellung, daß sich der Gesundheitszustand des Klägers in medizinischer Hinsicht gebessert habe. Da dies allerdings hier für sich allein noch nicht die Aufhebung des Bescheides begründet, kommt es für die Rentenentziehung weiter darauf an, ob eine wesentliche Änderung in dem Gesundheitszustand des Klägers mit der Folge eingetreten ist, daß er nicht mehr berufsunfähig ist. Hierzu ist es erforderlich zu prüfen, ob der Kläger entweder seinen früheren Beruf wieder ausüben oder ob er auf andere zumutbare Tätigkeiten verwiesen werden kann. Hinsichtlich der Zumutbarkeit der vom LSG in Betracht gezogenen Verweisungstätigkeiten fehlt es an ausreichenden Feststellungen. Das LSG verweist den Kläger lediglich auf Tätigkeiten eines Pförtners und eines Museumsdieners, der gleichzeitig Eintrittsgelder kassiert, jedoch enthält das LSG-Urteil keine Feststellungen darüber, welche Anforderungen diese Verweisungstätigkeiten in beruflicher Hinsicht an den Kläger stellen und ob der Kläger diesen Anforderungen gewachsen ist. Hierfür reicht der Hinweis auf eine dreimonatige Einweisungszeit nicht aus. Das LSG-Urteil läßt nicht erkennen, warum die berufsspezifischen Anforderungen der von ihm in Betracht gezogenen Verweisungstätigkeiten von einem Facharbeiter nach längstens drei Monaten erfüllt werden können. Hinsichtlich der Verweisbarkeit des Klägers wird das LSG zu beachten haben, daß ein Facharbeiter wie der Kläger grundsätzlich nur auf Tätigkeiten eines angelernten Arbeiters verwiesen werden darf. Hierzu zählen neben den Ausbildungsberufen auch solche Tätigkeiten, die sich aus dem Kreis der ungelernten Arbeiten aufgrund besonderer Merkmale - etwa durch eine Vertrauensstellung oder besondere Verantwortung - deutlich herausheben und dadurch dem Niveau eines Ausbildungsberufes entsprechen (so zuletzt die die Frage der Verweisung auf Pförtnertätigkeiten behandelnden Urteile des erkennenden Senats vom 31.3.1982 - 4 RJ 85/80 und 4 RJ 125/80).

Hierzu wird das LSG noch die erforderlichen Feststellungen treffen müssen. Deswegen war auf die Revision des Klägers das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.

Über die Kosten wird das LSG zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Breith. 1983, 324

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