Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 09.07.1970)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 9. Juli 1970 wird zurückgewiesen.

Auf die Revision der Beklagten wird dieses Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Die am 25. Februar 1940 geborene Klägerin nahm am 1. April 1958 bei der Schwesternschaft Ostpreußen des Deutschen Boten Kreuzes (DRK) in Itzehoe die Ausbildung als Krankenschwester auf. Am 1. August 1959 erlitt sie als Schwesternschülerin in den Städtischen Krankenanstalten Itzehoe, in denen sie vom 1. April 1958 bis 31. Dezember 1961 im Dienst der DRK-Schwesternschaft tätig war, einen Unfall. Nach Erstattung einer Unfallanzeige wurden von der Beklagten Ermittlungen durchgeführt. Das Feststellungsverfahren wurde abgeschlossen, ohne daß ein Bescheid erteilt und eine Entschädigung gewährt wurde.

Die Klägerin legte am 7. März 1960 das Schwesternexamen ab. Nach Ableistung des Probejahres erhielt sie am 1. April 1961 das Diplom als geprüfte Krankenschwester.

Vom 1. Januar bis 31. Oktober 1962 war die Klägerin – nach ihrem Austritt aus der DRK-Schwesternschaft – als freie Schwester in den Städtischen Krankenanstalten Itzehoe und sodann in der der Landesversicherungsanstalt (LVA) Schleswig-Holstein gehörenden Sozialmedizinischen Klinik Itzehoe beschäftigt. Hier schied sie am 31. März 1967 aus. Seitdem versorgt sie ihren Haushalt und hilft im Schlachterbetrieb ihres Ehemannes mit.

Auf ihren Antrag vom 15. Februar 1967 bewilligte ihr die Beklagte durch Bescheid vom 10. November 1967 „aus Anlaß des am 1.8.1959 durch Beschäftigung im Betriebe DRK-Schwesternschaft Ostpreußen … erlittenen Unfalles” eine Dauerrente von 20 v.H. der Vollrente vom 15. September 1959 an (Tag des Wegfalls des Anspruchs auf Krankengeld). Hierbei legte sie einen Jahresarbeitsverdienst (JAV) von 2.625,– DM (= das 300-fache des zur Zeit des Unfalls für Erwachsene über 21 Jahre am Beschäftigungsort festgesetzten Ortslohns) zugrunde, weil das 12-fache des durchschnittlichen Monatsverdienstes im Jahr vor dem Unfall – Barverdienst, Wert der Sachbezüge (freie Station und freie Dienstkleidung) – nur einen JAV von 2060,– DM ergebe. Für die Zeit vom Abschluß der Berufsausbildung, vom 1. April 1960 an setzte die Beklagte durch gesonderten Bescheid – ebenfalls vom 10. November 1967 – den JAV auf 3.180,– DM, ab 1. April 1961 auf 3.744,– DM, ab 1. April 1962 auf 3.924,– DM, ab 1. April 1965 auf 4.044,– DM und vom 1. April 1968 an auf 4.164,– DM fest. Hierbei berücksichtigte sie neben dem Wert der Sachbezüge das nach den Richtlinien der DRK-Schwesternschaften festgelegte Bruttomonatsgehalt nach dem zur Zeit des Abschlusses der Berufsausbildung maßgeblichen Stand. Dieses betrug im praktischen Jahr – ab 1. April 1960 – 150,– DM, im ersten Dienstjahr 195,– DM, vom 2.–4. Dienstjahr 210,– DM, vom 5.–7. Dienstjahr 220,– DM und im 8.–10. Dienstjahr 230,– DM; die Bezüge der DEK-Schwestern sind nach der Mitteilung der DEK-Schwesternschaft Ostpreußen vom 26. September 1967 nicht durch Tarifvertrag geregelt. Für die Zeit vom 1. Januar 1964 an erhöhte die Beklagte den so ermittelten JAV nach den jeweiligen Rentenanpassungsgesetzen.

Wegen der nach ihrer Ansicht zu niedrigen Festsetzung des JAV hat die Klägerin zum Sozialgericht (SG) Itzehoe Klage mit der Begründung erhoben, daß sie alsbald nach Beendigung ihrer Ausbildung, die nach den örtlichen Verhältnissen nur bei der DEK-Schwesternschaft möglich gewesen sei, diese verlassen und sich, wie von vornherein beabsichtigt, als freie Krankenschwester betätigt habe. Der in dieser Tätigkeit bei der Stadt Itzehoe und der LVA Schleswig-Holstein erzielte höhere Verdienst müsse deshalb Grundlage der, Rentenberechnung sein. Im übrigen habe sie sogar die Absicht gehabt, sich weiter zur Hebamme ausbilden zu lassen; dieses Berufsziel sei jedoch wegen der Folgen des Unfalls nicht mehr zu verwirklichen gewesen. Deshalb sei vom 1. Januar 1962 an in erster Linie von dem mutmaßlichen Jahreseinkommen einer Hebamme in Höhe von 13.200,– DM auszugehen.

Die Beklagte hat demgegenüber die Ansicht vertreten, daß durch den Unfall vom 1. August 1959 die Ausbildung der Klägerin zur Krankenschwester nicht verzögert worden sei, eine Umrechnung des JAV somit nur für die Zeit nach Beendigung der Ausbildung zu erfolgen habe. Die Klägerin habe als ausgebildete DEK-Schwester noch 9 Monate gearbeitet, so daß der in dieser Tätigkeit erzielte Verdienst maßgeblich sei. Deshalb sei sie – die Beklagte – bereit, den JAV neu festzusetzen und dabei von den an die DEK-Schwestern gezahlten, nach Berufsjahren mit Stand vom 1. April 1961 gestaffelten Vergütungen aus zugehen.

Die Klägerin hat darauf erwidert, daß die von der DEK-Schwesternschaft in dem fraglichen Zeitraum gezahlten Vergütungen nur geringfügig über den Sätzen lägen, von denen die. Beklagte ausgegangen sei. Schwesternschülerinnen hätten im praktischen Jahr monatlich 180,– DM, geprüfte Schwestern im ersten und zweiten Dienstjahr 235,– DM, im 3. und 4. Dienstjahr 243,– DM, im 5. und 60 Dienstjahr 251,– DM, im 7. und 80 Dienstjahr 259,– DM und im 9. und 10. Dienstjahr 267,– DM monatlich erhalten.

Das SG hat durch Urteil vom 10. März 1969 die Beklagte verpflichtet, der Berechnung der Dauerrente folgende JAVe zugrunde zu legen: ab 1. Januar 1962 = 6.448,80 DM, ab 1. Januar 1963 == 8.331,50 DM, ab 1. Januar 1964 = 9.128,80 DM und ab 1. Januar 1965 = 9.837,06 DM; im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Es sei nicht erwiesen, daß die Klägerin den Hebammenberuf angestrebt habe. Dagegen sei dem Hilfsantrag der Klägerin, den JAV einer freien Krankenschwester zugrunde zu legen, zu folgen gewesen, weil eine andere Ausbildungsmöglichkeit für den Beruf einer Krankenschwester als die bei der DEK-Schwesternschaft in Itzehoe nicht bestanden und die Klägerin unmittelbar nach Abschluß ihrer Ausbildung die DKK-Schwesternschaft verlassen habe und als freie Schwester tätig gewesen sei.

Gegen das Urteil des SG haben beide Beteiligte Berufung zum Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Dieses hat zu der Behauptung der Klägerin ihr Berufsziel sei das einer Hebamme gewesen, Zeugen gehört. Ferner hat es ermittelt, welche monatlichen Bezüge die Klägerin vom 1. April 1961 an bei unverändertem Tarif als geprüfte Krankenschwester im Anstellungsverhältnis der Stadt Itzehoe sowie der LVA Schleswig-Holstein erhalten hätte und wie hoch der erste Verdienst sowie daran anknüpfende Dienstalterzulagen einer Hebamme nach abgeschlossener Ausbildung bei der DEK-Schwesternschaft am 1. Oktober 1962 gewesen sein würden.

Das LSG hat durch Urteil vom 9. Juli 1970 – unter Aufhebung des SG-Urteils und Zurückweisung der Berufungen im übrigen – die Bescheide der Beklagten dahin geändert, daß diese für die Zeit vom 1. Juli 1962 an der Rentenberechnung folgende JAVe zugrunde zu legen hat:

  1. 1. Juli 1962–30. Juni 1964 DM 7.068,–
  2. 1. Juli 1964–30. Juni 1966 DM 7.236,–
  3. 1. Juli 1966–30. Juni 1968 DM 7.332,–
  4. ab 1. Juli 1968 DM 7.428,–

Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt:

Die Klägerin habe, wie sich aus den Bekundungen der Stiefmutter der Klägerin, die selbst Hebamme gewesen sei, wenn auch nicht aus den Aussagen der übrigen Zeugen ergebe, von Anfang an die Absicht gehabt, Hebamme zu werden. Dieses Berufsziel wäre zwar auch auf einem kürzeren Ausbildungsweg erreichbar gewesen. Dies besage aber nichts Entscheidendes, weil der von der Klägerin gewählte zeitlich längere Ausbildungsweg – zuerst Ausbildung als Krankenschwester und dann erst als Hebamme – offenbar von vielen jungen Mädchen sogar bevorzugt worden sei. Die Tätigkeit als Krankenschwester könne lediglich als notwendiges Durchgangsstadium angesehen werden. Der künftige Beruf sei zur Zeit des Unfalls der einer Hebamme in abhängiger Beschäftigung gewesen; sie hätte sich ohne den Unfall im Rahmen der DRK-Schwesternschaft der weiteren Ausbildung zur Hebamme unterzogen. Aus der DRK-Schwesternschaft sei sie erst ausgeschieden und freie. Schwester geworden, als festgestanden habe, daß sie wegen der Unfallfolgen nicht als Hebamme tätig sein könne. Die Frage, ob sie später einmal ihr Beschäftigungsverhältnis als Hebamme aufgegeben hätte und freie Hebamme geworden wäre, könne nicht genau beantwortet werden. Selbst in diesem Fall könne nicht der JAV einer selbständigen Hebamme maßgeblich sein. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts, welche § 573 der Reichsversicherungsordnung (RVO – idF seit dem Inkrafttreten: des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes – UVNG –) als rechtserheblich angesehen habe, sei in der vorliegenden Sache § 565 RVO in der bis zum 30. Juni 1963 geltenden Fassung anzuwenden. Diese Vorschrift stelle auf das Einkommen aus abhängiger Beschäftigung von dem Zeitpunkt an ab, in welchem die begonnene Berufsausbildung voraussichtlich abgeschlossen gewesen wäre. Dies wäre bei der Klägerin der 1. Juli 1962 gewesen, weil sie nach Ablegung der Prüfung als Krankenschwester nicht in diesem Beruf habe tätig werden, sondern alsbald die Ausbildung zur Hebamme habe fortsetzen wollen. Wie sich aus der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29. Oktober 1959 (BSG 10, 283) ergebe, könne sich auch eine Lernschwester bereits in der Ausbildung für den Beruf der Hebamme befinden. Dies sei bei der Klägerin der Fall gewesen. Somit seien die nach dem Dienstalter abgestuften Bezüge einer Hebamme, die sich aus der von der DRK-Schwesternschaft eingeholten Auskunft ergäben und in der Urteilsformel im einzelnen aufgeführt seien, jeweils als JAV bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres der Klägerin zugrunde zu legen gewesen.

Das LSG hat die Revision zugelassen. Beide Beteiligte haben dieses Rechtsmittel fristgerecht eingelegt und begründet.

Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer Revision vor: Die Feststellung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe als Berufsziel von Anfang an das einer Hebamme erstrebt, sei nicht in verfahrensgerechter Weise zustandegekommen. Indessen komme es hierauf nicht an, weil die Klägerin zur Zeit des Unfalls sich erst in der Ausbildung für den Beruf einer Krankenschwester befunden habe und diese Berufsausbildung für den Hebammenberuf nicht erforderlich sei; es handele sich insoweit um zwei völlig selbständige, voneinander unabhängige Ausbildungswege. Der Wille der Klägerin, Hebamme zu werden, sei im. Zeitpunkt des Unfalls noch nicht hinreichend konkretisiert gewesen. Infolgedessen sei der JAV nach dem einer DRK-Krankenschwester zu berechnen.

Die Klägerin hält das angefochtene Urteil insofern für unzutreffend, als das Berufungsgericht den JAV einer Hebamme bei der DEK-Schwesternschaft für Rechtens halte. Sie hätte als Hebamme bei der Stadt Itzehoe, bei der sie sich gegebenenfalls beworben hätte – also nicht in selbständiger, sondern in abhängiger Stellung – ein monatliches Gehalt von 1.100,– DM erhalten. Es sei nicht einzusehen, weshalb bei der Festsetzung des JAV allein die Bezüge einer schwesternschaftlich gebundenen Hebamme berücksichtigt werden sollten.

Die Beklagte beantragt,

die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Revision der Klägerin zurückzuweisen, hilfsweise, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache an das LSG zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Bescheide der Beklagten dahin abzuändern, daß diese vom 1. Januar 1962 an einen JAV von 13.200,– DM zugrunde zu legen hat sowie die Revision der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet, die der Beklagten hingegen insofern, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.

Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß die Absätze 1 und 2 des § 573 RVO in der vorliegenden Sache nicht anwendbar sind. Diese Vorschriften sind in Art. 4 § 2 Abs. 1 UVNG nicht auf geführt. Für sie gilt also die allgemeine Übergangsvorschrift des Art. 4 § 1 UVNG, daß sie nur auf Arbeitsunfälle anzuwenden sind, die sich nach dem Inkrafttreten des UVNG (1. Juli 1963 – vgl. Art. 4 § 16 Abs. 1 –) ereignet haben. Die hier maßgebliche Rechtsgrundlage bildet somit die im grundsätzlichen weitgehend mit § 573 Abs. 1 und 2 RVO übereinstimmende Vorschrift des § 565 RVO aF. In dieser hatte das 60 Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9. März 1942 (RGBl. I S. 107) die bis dahin geltenden rechtsähnlichen Vorschriften der §§ 569 a und 569 b RVO zusammengefaßt.

Nach § 565 Abs. 1 RVO aF wird, wenn sich der Verletzte zur Zeit des Unfalls noch in einer Schul- oder Berufsausbildung befand, von dem Zeitpunkt ab, in welchem die begonnene Ausbildung voraussichtlich abgeschlossen gewesen wäre, der JAV nach dem Entgelt berechnet, das dann für Personen gleicher Ausbildung durch Tarif oder sonst allgemein für einzelne Berufsjahre festgesetzt ist; hierbei sind Verdiensterhöhungen, die von der Erreichung eines bestimmten Lebens- oder Berufsjahres ab allgemein festgesetzt sind, die der Verletzte aber voraussichtlich erst nach der Vollendung seines 30. Lebensjahres erreicht hätte, nicht zu berücksichtigen. § 565 Abs. 2 RVO aF schreibt vor, daß Entsprechendes bei einem Verletzten, der zur Zeit des Unfalls noch nicht 21 Jahre alt war, für die nach Vollendung des 21. Lebensjahres zu gewährende Rente gilt, sofern diese Berechnung für den Verletzten günstiger ist. § 565 RVO aF enthält – ebenso wie seine Vorgänger und die ihn ersetzenden Vorschriften des § 573 Abs. 1 und 2 RVO – eine Ausnahme von dem die gesetzliche Unfallversicherung seit jeher beherrschenden Grundsatz, daß die Verdienstverhältnisse vor dem Arbeitsunfall für alle Zukunft maßgebend bleiben und spätere Erwerbsaussichten nicht berücksichtigt werden (s. die amtliche Begründung zum 60 Unfallversicherungsänderungsgesetz, AN 1942 II, 199, 214; Lauterbach, Unfallversicherung, 2. Aufl., Anm. 2 zu § 565 RVO aF; BSG 31, 185, 189). Aber auch in § 565 Abs. 1 RVO aF wird grundsätzlich auf die Verhältnisse zur Zeit des Unfalls insofern abgestellt, als diese auf den Zeitpunkt der voraussichtlichen Beendigung einer – durch den Unfall oftmals hinausgeschobenen, unter Umständen sogar nicht mehr zur Ende geführten – Ausbildung übertragen werden (BSG 31, 38, 40) und die in diesem Zeitpunkt bzw. bei Vollendung des 21. Lebensjahres vorliegenden Entgelte auch maßgeblich bleiben, wenn sie durch spätere tarifliche Änderungen erhöht werden (AN 1942, II 214; Podzun, BG 1952, 250, 252; zu § 573 Abs. 1 RVO siehe Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Stand Juli 1972, Anm. 13, S. 432. oben). Berücksichtigt werden kann dabei jedoch nur eine zur Zeit des Unfalls bereits „begonnene” Ausbildung und der voraussichtliche Abschluß dieser „begonnenen” Ausbildung, wie sich aus § 565 Abs. 1 Halbsatz 1 RVO ergibt. Es ist hiernach also nicht darauf abzustellen, ob der Verletzte ohne den Unfall später eine Ausbildung für einen anderen Beruf begonnen hätte. Ob etwas anderes dann gilt, wenn die im Unfallzeitpunkt begonnene Ausbildung planmäßig in eine darauf aufbauende weitere Ausbildung einzumünden pflegt, braucht nicht entschieden zu werden. Denn ein solcher Fall ist hier nicht gegeben.

Am 1. August 1959 hat sich die Klägerin in der Ausbildung für den Beruf einer Krankenschwester befunden. Die Ausbildung für diesen Beruf war damals durch das Gesetz über die Ausübung des Berufs der Krankenschwester, des Krankenpflegers und der Kinderkrankenschwester vom 15. Juli 1957 (BGBl. I S. 716) geregelt und seine Ausübung von einer behördlichen Erlaubnis abhängig (Näheres s. Kuhns, Das gesamte Recht der Heilberufe, 1958, Teil I S. 592 ff). Ebenso haben aber auch seinerzeit schon Vorschriften über das Hebammenwesen bestanden (Gesetz zur Regelung von Fragen des Hebammenwesens vom 4. Januar 1954, BGBl I S. 1, i.V.m. dem Hebammengesetz vom 21. Dezember 1938, RGBl. I S. 1893 nebst Durchführungsverordnungen; siehe im einzelnen Kuhns, aaO, S. 495 ff; vgl. nunmehr Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Hebammen vom 25. März 1963, BGBl. I S. 167). Es handelt sich insoweit um Zwei verschiedene Berufe, die sich nicht nur hinsichtlich ihres Ausbildungswegs deutlich voneinander unterscheiden, sondern vor allem auch dadurch, daß zur Hebammenausbildung, im wesentlichen nur die Erreichung des 18. Lebensjahres und Volksschulabschluß, jedoch nicht etwa eine vorausgehende Ausbildung zur Krankenschwester erforderlich gewesen ist (so im einzelnen Kuhns, aaO). Auf die Dauer des Lehrgangs in einer Hebammenlehranstalt oder einer sonstigen zugelassenen Anlernanstalt konnte damals lediglich eine Ausbildung als Kranken-, Säuglings- oder Kinderschwester bis zu 3 Monaten (nunmehr für Kranken- oder Kinderkrankenschwester bis zu 6 Monaten und für Wochenpflegerin bis zu 3 Monaten) angerechnet werden. Die Ausbildung für den Hebammenberuf hätte die Klägerin nach Sachlage somit – wenn überhaupt – erst begonnen, nachdem sie die Ausbildung zur Krankenschwester erfolgreich abgeschlossen hatte. Den Arbeitsunfall hat sie aber als Schwesternschülerin erlitten. Somit kann für die Berechnung des JAV nach § 565 Abs. 1 RVO aF nur diese Berufsausbildung berücksichtigt werden. Das LSG vermag seine gegenteilige Auffassung nicht auf das Urteil des 2. Senats des BSG vom 29. Oktober 1959 (BSG 10, 283) zu stützen. Der Sachverhalt in dieser Streitsache weist zwar Ähnlichkeiten mit dem des vorliegenden Rechtsstreits auf. Das BSG hat indessen in der Sache nicht entschieden, sondern nur beanstandet, daß das LSG die Berufung als unzulässig verworfen hatte.

Da, die Klägerin ihre Berufsausbildung als Krankenschwester trotz des Unfalls ohne zeitliche Verzögerung innerhalb der vorgeschriebenen 2-jährigen Ausbildungszeit abgeschlossen hat, ist, wie die Beklagte mit Recht annimmt, der Zeitpunkt für die Erhöhung des JAV nach § 565 Abs. 1 RVO aF durch den tatsächlichen Abschluß der Ausbildung (1. April 1960) eindeutig bestimmt (Podzun, aaO, S. 252).

Streitig bleibt also nur noch, ob der JAV vom Zeitpunkt des Abschlusses der Ausbildung an sowie für die folgende Zeit nach der Vollendung des 21. Lebensjahres bis zum 30. Lebensjahr nach den Bezügen einer DEK-Schwester oder einer freien Schwester festzusetzen und zu erhöhen ist. Die Absätze 1 und 2 des § 565 RVO aF sind hier, da sich der Unfall während der Berufsausbildung und schon vor dem 21. Lebensjahr ereignet hat, einander ergänzend anzuwenden (Lauterbach, 2. Aufl., aaO, Anm. 6 zu § 565 RVO aF; Podzun, aaO, S. 252; BSG 31, 38, 40).

Nach § 565 Abs. 1 EVO aF ist das im Zeitpunkt des Abschlusses der Berufsausbildung für Personen gleicher Ausbildung durch Tarif oder sonst allgemein für einzelne Berufsjahre oder Lebensjahre festgesetzte Entgelt maßgeblich. Dabei ist auf das Unternehmen abzustellen, in dem die Klägerin zur Zeit des Unfalls beschäftigt gewesen ist. Daß nicht die tariflichen Regelungen, die für andere Unternehmen gelten, in die der Verletzte später eingetreten ist oder eintreten wollte, zugrunde zu legen sind, ergibt sich – wie der 2. Senat des BSG im Urteil vom 27. Februar 1970 – 2 RU 135/66 – zu § 573 Abs. 2 EVO nF – zutreffend ausgesprochen hat, aus dem oben schon erwähnten Grundsatz, daß für die Berechnung der Leistungen in der Unfallversicherung (UV) die Verhältnisse vor dem Unfall maßgebend sind (vgl. BSG 31, 38, 40). Wie die Beklagte mit Recht angenommen hat, ist Unternehmerin in diesem Sinne die Schwesternschaft Ostpreußen des DRK und nicht etwa die Stadt Itzehoe gewesen, in deren Krankenhaus die Ausbildung der – als Schwesternschülerin keinesfalls nach § 541 Nr. 3 oder Nr. 4 RVO aF versicherungsfrei gewesenen – Klägerin erfolgt ist (EVA, EuM 33, 130, 133 f, 26, 60; Schönberger, ZfS 1957, 319, 321), bzw, bei der sie später als freie Schwester tätig gewesen ist. Wenn § 565 RVO aF sonach auch eine Ausnahme von dem in der UV geltenden Grundsatz bildet, daß die Verdienstverhältnisse vor dem Arbeitsunfall für alle Zukunft maßgebend bleiben, so wird diesem Grundsatz hier doch insoweit Rechnung getragen, als bei der Berechnung des JAV auch künftig von der vor, dem Unfall begonnenen. Ausbildung und den Verhältnissen des Ausbildungsbetriebs ausgegangen wird. Da die Bezüge der DRK-Schwestern nach der Mitteilung der DRK-Schwesternschaft Ostpreußen vom 26. September 1967 nicht durch Tarifverträge geregelt, sondern aufgrund von Richtlinien der DRK-Schwesternschaften nach Dienstjahren festgesetzt sind, hat die Beklagte die in dieser Mitteilung genannten Sätze dem Grunde nach zu Recht der Berechnung des JAV zugrunde gelegt. Im Klageverfahren hat sie sich jedoch bereit erklärt, den JAV neu festzusetzen anscheinend unter Berücksichtigung der Sätze, welche die Klägerin in Erwiderung auf dieses Angebot dem SG mitgeteilt hat. Nach der damit wohl teilweise übereinstimmenden Aussage der vom LSG als Zeugin gehörten DEK-Oberin Sch. hätte die Klägerin im Jahre 1961 als Jungschwester monatlich 235,– DM in bar und außerdem freie Wohnung, Verpflegung und Dienstkleidung erhalten; außerdem hätte sie die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nicht zu tragen brauchen. Tatsächliche Feststellungen, welche der erkennende Senat seiner Entscheidung zugrunde legen kann, haben jedoch insoweit weder das SG noch das LSG getroffen; von ihrem Standpunkt aus brauchten sie dies auch nicht.

Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen war somit – unter Zurückweisung der unbegründeten Revision der Klägerin – das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes). Dieses wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

 

Unterschriften

Dr. Maisch, Dr. Zimmer, Dr. Kaiser

 

Fundstellen

Dokument-Index HI928083

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