Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 21.05.1992; Aktenzeichen L 10 Lw 1/91)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 21. Mai 1992 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin begehrt Rente nach ihrem geschiedenen Ehemann.

Sie ist im Jahre 1921 geboren und 1979 aus Polen in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt. Im Jahre 1967 war sie von dem Versicherten, ihrem polnischen Ehemann, aus dessen Verschulden geschieden worden; im Scheidungsurteil wurde dieser verurteilt, für die gemeinsame Tochter Unterhalt zu zahlen. Von der Klägerin vor polnischen Gerichten angestrengte Klagen auf Unterhalt für sich hatten keinen Erfolg. Der Versicherte heiratete im Jahre 1968 die Beigeladene; diese siedelte nach seinem Tod im Jahre 1988 ebenfalls in die Bundesrepublik Deutschland über und erhält hier eine Witwenrente der Beklagten.

Den Antrag der Klägerin auf Rente nach ihrem geschiedenen Ehemann lehnte die Beklagte ab: Weder habe ihr der Versicherte Unterhalt geleistet noch habe ihr gegen ihn ein Unterhaltsanspruch zugestanden (Bescheid vom 6. März 1989, Widerspruchsbescheid vom 29. März 1989). Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung seines Urteils vom 21. Mai 1992 ausgeführt, daß der Klägerin zwar nach polnischem Familienrecht uU ein Unterhaltsanspruch gegen den in Polen lebenden Versicherten im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tode (im Jahre 1988) hätte zustehen können. Dann heißt es weiter:

„Daß die Klägerin keinen solchen Unterhaltsanspruch hatte, ergibt sich aber daraus, daß ihre Unterhaltsklagen von polnischen Gerichten abgewiesen worden sind. Diese Urteile sind aufgrund ihrer Tatbestandswirkung auch in diesem Rechtsstreit zu beachten (BSG SozR 2200 § 1265 Nr 84). Im übrigen tragen diese Urteile dem Umstand Rechnung, daß die Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland ein höheres Renteneinkommen erzielte als K. zur Zeit seines Todes in Polen und K. ihr deshalb unter Berücksichtigung dieser Einkommensverhältnisse nicht zum Unterhalt verpflichtet war. Ferner hat K. der Klägerin auch im letzten Jahr vor seinem Tod tatsächlich keinen Unterhalt geleistet.”

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 65 Abs 1 Satz 1 Reichsknappschaftsgesetz (RKG). Das LSG habe unter Abweichung von der Entscheidung des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ (4 RJ 129/78) verkannt, daß ein klagabweisendes polnisches Urteil nicht die materiell-rechtliche Prüfung zu ersetzen vermöge, ob ein Unterhaltsanspruch nach polnischem Familienrecht zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten bestand. Damit habe das angegriffene Urteil zu Unrecht einen „sonstigen Grund” iS des § 65 RKG verneint. Sie rügt weiterhin als Verfahrensfehler eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Das LSG habe die Grenzen der freien Beweiswürdigung verfahrensfehlerhaft dadurch mißachtet, daß es gegen Denkgesetze verstoßen habe. Es ziehe aus einem polnischen Urteil des Jahres 1985 den Schluß, im Jahre 1988 habe kein Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen ihren geschiedenen Ehemann bestanden. Ebenso verstoße es gegen Denkgesetze, wenn das LSG aus nicht mit Gründen versehenen polnischen Urteilen herleite, diese trügen dem Umstand Rechnung, die Klägerin habe in Deutschland ein höheres Renteneinkommen erzielt als der Versicherte zur Zeit seines Todes in Polen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen – L 6 Kn 3/92 -aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Das LSG habe in tatsächlicher Hinsicht bindend festgestellt, daß die Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland ein höheres Renteneinkommen erzielt habe als ihr geschiedener Ehemann zur Zeit seines Todes in Polen. Damit dürfte zum damaligen Zeitpunkt nach polnischem Recht kein Unterhaltsanspruch vorhanden gewesen sein.

Die Beigeladene hat sich im Revisionsverfahren nicht zur Sache geäußert.

 

Entscheidungsgründe

II

Der Senat hat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 SGG).

Die Revision der Klägerin ist begründet. Der Rechtsstreit ist zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Aufgrund der festgestellten Tatsachen kann nicht entschieden werden, ob der Klägerin ein Anspruch auf Geschiedenen-Witwenrente (§ 65 RKG, nunmehr § 243 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch ≪SGB VI≫) zusteht.

Zu Recht stellt das LSG entscheidend darauf ab, ob der Versicherte, der frühere Ehemann der Klägerin, ihr zur Zeit seines Todes Unterhalt „aus sonstigen Gründen” zu leisten hatte (§ 65 Abs 1 Satz 1 RKG, § 243 Abs 2 Nr 3 SGB VI). Eine derartige Unterhaltsverpflichtung kann auch auf ausländischem materiellen Eherecht beruhen (BSG vom 31. Januar 1979, BSGE 48, 3, 4 = SozR 2200 § 1265 Nr 38; ebenso auch BSG vom 30. Mai 1984, SozR 2200 § 1265 Nr 71).

Entgegen der Auffassung des LSG ergibt sich das Fehlen eines derartigen Anspruchs jedoch nicht bereits aus dem Umstand, daß Unterhaltsklagen der Klägerin von polnischen Gerichten abgewiesen wurden. Eine entsprechende Tatbestandswirkung kommt solchen Urteilen nicht zu. Nach der vom LSG als Beleg für seine Ansicht herangezogenen Entscheidung des BSG vom 24. Juni 1987 (SozR 2200 § 1264 Nr 84) ist dies lediglich dann der Fall, wenn ein derartiges Urteil der geschiedenen Ehefrau Unterhalt zusprach und nicht vom früheren Ehemann im Wege einer Abänderungsklage beseitigt werden konnte (ebenso BSG vom 26. August 1987, SozR 2200 § 1265 Nr 86, S 288 mwN). Im Gegensatz dazu hat das BSG mehrfach entschieden, daß es für die Frage, ob der geschiedene Ehemann der Antragstellerin „zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte” nicht auf zivilgerichtliche Urteile ankommt, die eine derartige Unterhaltspflicht verneinen. Es wäre unbefriedigend und unverständlich, wollte man den uU jahrzehntelangen Rentenbezug von den Zufälligkeiten abhängig machen, die mit der Führung von Unterhaltsprozessen vielfältig verbunden sind (BSG vom 5. Februar 1976, BSGE 41, 160, 162 = SozR 2200 § 1265 Nr 14; ebenso auch für die rechtskräftige Abweisung der Unterhaltsklage durch Gerichte der DDR: BSG vom 25. Oktober 1979, SozR 2200 § 1265 Nr 46, S 160).

Aus den sonstigen vom LSG festgestellten Tatsachen kann das Fehlen eines solchen Unterhaltsanspruchs ebenfalls nicht zwingend abgeleitet werden. Das LSG hat zwar in einer Art Hilfserwägung ausgeführt, die polnischen Urteile trügen dem Umstand Rechnung, daß die Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland ein höheres Renteneinkommen erzielt habe als der Versicherte zur Zeit seines Todes in Polen; dieser sei ihr deshalb unter Berücksichtigung jener Einkommensverhältnisse nicht zum Unterhalt verpflichtet gewesen. Hierin kann jedoch keine eigenständige (Hilfs-) Begründung gesehen werden, die auch für sich allein das Urteil stützen könnte. Denn das LSG stellt weder den Inhalt der Begründung der polnischen Urteile fest noch die für die Beurteilung eines Unterhaltsanspruchs maßgebenden Umstände, nämlich a) das zwischen der Klägerin und dem Versicherten anzuwendende polnische Unterhaltsrecht,

b) das eigene Einkommen der Klägerin im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten (hierzu führt das LSG im Tatbestand lediglich aus, die Klägerin beziehe nach eigenen Angaben „zur Zeit” DM 857,–/Monat an Rente sowie DM 170,–/Monat an Wohngeld) sowie c) das entsprechende Einkommen des Versicherten (hierzu fehlen jegliche Feststellungen).

Das LSG wird bei der ihm nunmehr obliegenden erneuten Entscheidung zu beachten haben, daß das am 6. September 1984 ergangene Urteil des Amtsgerichts in K. … -C. … (Abweisung der Unterhaltsklage der Klägerin gegen den Versicherten) nicht mit Gründen versehen ist. Entgegen dem Tatbestand des LSG-Urteils weist ferner der Beschluß des Wojewodschaftsgerichts in O. … vom 13. Juni 1985 nicht etwa (erneut) eine Unterhaltsklage ab, sondern lediglich die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluß des Amtsgerichts in K. … -C. … vom 4. Januar 1985 zurück. In diesem wiederum heißt es nur, daß der Klägerin keine Begründung des Urteils vom 6. September 1984 zu erteilen sei, da sie die hierfür geltende Antragsfrist versäumt habe.

Es wird daher nicht nur das im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten geltende maßgebende polnische Unterhaltsrecht zu ermitteln sein, sondern auch, sollte es hiernach darauf ankommen, das entsprechende Einkommen der Klägerin einerseits und des Versicherten andererseits. Sollte auf dieser Grundlage ein Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen den Versicherten auf einen bestimmten Betrag in polnischer Währung bestanden haben, so weist der Senat auf sein Urteil vom 2. November 1988 (SozR 2200 § 1265 Nr 88) hin, gleichzeitig aber auch darauf, daß uU für Unterhaltszahlungen aus Polen nach Deutschland im maßgebenden Zeitraum ein besonderer Umrechnungskurs Zloty/DM bestanden haben könnte (wie etwa von Geilke in: Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, 4. Aufl, Abschnitt: Polen, S 11d, Fußnote 6 – Stand 1975 – berichtet).

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174676

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