Entscheidungsstichwort (Thema)

Notwendige Beiladung. Identität des Streitgegenstands. Unfallversicherungsschutz für Blutspender

 

Leitsatz (amtlich)

Personen, die sich einem gewerblichen Unternehmen zur Gewinnung von Blutplasma aus ihrem Blut (Plasmapherese) zur Verfügung stellen, sind dabei als Blutspender iS des § 539 Abs 1 Nr 10 RVO gegen Arbeitsunfall versichert. Zuständiger Träger der Unfallversicherung für die Entschädigung von Arbeitsunfällen dieser Blutspender ist das jeweilige Bundesland oder der von diesem bestimmte gemeindliche Unfallversicherungsträger.

 

Orientierungssatz

1. Erforderlich für die Beiladung nach § 75 Abs 2 Alt 1 SGG ist die Identität des Streitgegenstands im Verhältnis beider Parteien zu dem Dritten. Es genügt weder, daß die Entscheidung logisch notwendig einheitlich ergehen muß, noch daß die tatsächlichen Verhältnisse eine einheitliche Entscheidung erfordern (vgl BSG 15.8.1979 2 RU 53/77 = HVGBG RdSchr VB 240/81).

2. Zu den Blutspendern gehören nicht nur Personen, die sich Blut zur unmittelbaren direkten Übertragung auf andere Personen abnehmen lassen, sondern auch jene, deren gespendetes Blut erst später, eventuell nach Aufbereitung, für klinische Zwecke verwendet wird.

3. Auch die Blutspende zu gewerblichen Zwecken fällt unter § 539 Abs 1 Nr 10 RVO.

 

Normenkette

RVO § 539 Abs. 1 Nr. 10 Fassung: 1963-04-30, § 655 Abs. 2 Nr. 3 Fassung: 1963-04-30, Abs. 3 Fassung: 1963-04-30; SGG § 75 Abs. 2 Alt. 1

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 06.07.1983; Aktenzeichen L 3 U 1486/80)

SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 23.09.1980; Aktenzeichen S 8/3 U 21/79)

 

Tatbestand

Die Klägerin gewährt dem Beigeladenen Rente wegen eines Zustandes nach Hepatitis mit noch erhöhten Leberwerten, und zwar vom 28. August 1979 bis 31. Dezember 1982 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 vH und ab 1. Januar 1983 nach einer MdE von 30 vH als vorläufige Leistung gemäß § 1735 Reichsversicherungsordnung -RVO- (Bescheid vom 25. Oktober 1979 und gerichtlicher Vergleich vom 18. Januar 1983 vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main -SG- - S 8 U 60/80 -). Die Beklagte hat es abgelehnt, ihre Zuständigkeit für die Entschädigung des Beigeladenen anzuerkennen und der Klägerin die von ihr dem Beigeladenen erbrachten Leistungen zu erstatten.

Der Beigeladene gehörte zu einem Kreis von etwa 190 Personen, die in regelmäßigen Abständen bereit waren, sich bei der Firma B.  GmbH in F. (Firma B.) Blut zum Zwecke der Plasmapherese abnehmen zu lassen. Bei der Plasmapherese wird aus dem entnommenen Blut durch Zentrifugieren das Blutplasma gewonnen, während die übrigen Blutbestandteile mit Kochsalzlösung verdünnt dem Spender wieder zugeführt werden (Retransfusion). Nach eigenen Angaben hat der Beigeladene in den ersten beiden Jahren etwa acht Mal monatlich, seit 1977 etwa sechs Mal monatlich je 1000 ml Blut für die Plasmapherese gespendet. Jede Spende wurde ihm mit 35,00 DM honoriert. Im Herbst 1977 erkrankten etwa 70 Personen, unter ihnen auch der Beigeladene, die sich der Firma B. als Blutspender für die Plasmapherese zur Verfügung gestellt hatten, an einer Hepatitis (Non-A-Non-B). Die Klägerin gelangte nach umfangreicher medizinischer Aufklärung zu dem Ergebnis, daß sich der Beigeladene die Krankheit durch eine Virus-Infektion bei einem Plasmapherese-Verfahren der Firma B. im Herbst 1977 zugezogen hat, wahrscheinlich während der Rückführung der Blutbestandteile (Retransfusion).

Aufgrund der von der Klägerin beim SG erhobenen Klage hat das SG antragsgemäß festgestellt, daß die Beklagte zuständig ist zur Anerkennung und Entschädigung der vom Beigeladenen im Herbst 1977 erlittenen Hepatitis (Urteil vom 23. September 1980). Die Berufung der Beklagten hat das Hessische Landessozialgericht (LSG) in der Sache zurückgewiesen (Urteil vom 6. Juli 1983). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei begründet, weil nicht die Klägerin, sondern die Beklagte der zuständige Versicherungsträger für den Unfall des Beigeladenen im Herbst 1977 in Form einer weniger als eine Arbeitsschicht andauernden Infektion mit Hepatitis-Viren auf dem Gemeindegebiet der Stadt F. sei. Der Beigeladene habe einen Arbeitsunfall iS des § 548 Abs 1 iVm § 539 Abs 1 Nr 10 RVO erlitten, da nicht nur der Vorgang der Plasmapherese an sich, sondern eine zusätzliche Komplikation in Form einer Virusinfektion bei der Rückführung der Blutbestandteile die Ursache für die später aufgetretene Hepatitis gesetzt habe. Der Plasmapherese-Spender sei mit dem Blutspender iS des § 539 Abs 1 Nr 10 RVO gleichzusetzen. Da das im Plasmapherese-Verfahren gewonnene Plasma ebenso wie gespendetes Vollblut ausschließlich im öffentlichen Interesse zu Heilzwecken und zur Katastrophenversorgung verwendet werde, gebe es keinen triftigen Grund, den Plasmapherese-Spender von dem gesetzlichen Unfallversicherungsschutz auszuschließen. Daran ändere nichts, daß die Firma B. jedem Plasmapherese-Spender für die einzelne Spende 35,00 DM zahle. Der Begriff des Blutspenders in § 539 Abs 1 Nr 10 RVO ziele nicht auf eine bestimmte Motivation des Spenders ab, sondern auf die objektive Rohstoffgewinnung menschlichen Blutes für dritte Personen. Das sei wegen des mittelbaren oder unmittelbaren Heilzwecks von allgemeinem öffentlichen Interesse. Um die Blutspender vor dem mit der Blutspende zusammenhängenden Unfallrisiko zu schützen, habe der Gesetzgeber die Regelung des § 539 Abs 1 Nr 10 RVO eingeführt. Dabei handele es sich, wie schon in § 539 Abs 1 Nr 9 RVO um eine Regelung ohne Zusammenhang mit der Arbeitswelt. Es fehle jeder versicherungsorganisatorisch ausgeformte Risikoausgleich und eine Beitragszahlung von Beteiligten. Die Unfallversicherungsleistungen seien den Ländern auferlegt, die ermächtigt seien, die Last auf die Gemeindeunfallversicherungsverbände (GUV) und auf Städte mit wenigstens 500.000 Einwohnern abzuwälzen (§§ 655 Abs 2 Nr 3, 656 RVO). Der Gesetzgeber habe mit den Tatbeständen des § 539 Abs 1 Nrn 9 und 10 RVO einen Aufopferungsanspruch anerkannt und demgemäß unter Verzicht auf die Organisation eines eigentlichen Versicherungsträgers das politische Gemeinwesen zum Verpflichteten erklärt. Das habe zweierlei zur Folge. Zum einen sei es gleichgültig, ob und wieviel ein Blutspender als Entgelt für seine Blutspende erhalte. Denn durch die Zahlung eines Entgelts oder Gewährung einer Aufwandsentschädigung werde der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck nicht vereitelt. Zum zweiten sei die von der Firma B. praktizierte Form der Blutgewinnung nicht als mittelbarer oder unmittelbarer Teil ihres Arzneimittelunternehmens zu beurteilen. Die regelmäßige Blutspende sei keine abhängige Tätigkeit iS des § 539 Abs 1 Nr 1 RVO, sondern selbständige Tätigkeit aufgrund einer freiwilligen Entscheidung. Daher könne auch keine Versicherung nach § 539 Abs 2 RVO angenommen werden. Abgesehen davon reiche nach dem Sinn und Zweck des § 539 Abs 1 Nr 10 RVO allein der objektive Tatbestand des Blutspendens für dritte Personen aus, um jedem Versicherungsschutz aus § 539 Abs 2 RVO eine so untergeordnete Bedeutung zuzumessen, daß er als rechtlich unerheblich nicht zu berücksichtigen sei. Die Zuständigkeit der Beklagten sei auch nicht durch § 655 Abs 3 RVO ausgeschlossen, denn der Beigeladene sei nicht Unternehmer oder Beschäftigter des Blutspendedienstes der Firma B. gewesen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Zum Verfahren hätte die Firma B. gemäß § 75 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) notwendig beigeladen werden müssen. Die Firma B. werde durch die Entscheidung in diesem Rechtsstreit in ihren Rechten insofern tangiert, als sie - die Beklagte - im Falle ihrer Zuständigkeit die Firma B. gemäß § 1542 Abs 1 RVO (jetzt § 116 Abs 1 SGB X) wegen der dem Beigeladenen gewährten Leistungen in Regreß nehmen könnte. Der Beigeladene habe sich die Hepatitis nicht bei einer nach § 539 Abs 1 Nr 10 RVO versicherten Tätigkeit als Blutspender zugezogen. Diese Vorschrift schütze nur solche Personen, die aus mehr oder weniger idealen, nicht erwerbsmäßigen Gründen Blut in Unternehmen spenden, die gemeinnützig sind oder sonst den Anliegen und Interessen der Allgemeinheit ausschließlich dienen, wie zB das Deutsche Rote Kreuz. Die Firma B. sei demgegenüber rein privatwirtschaftlich organisiert und betreibe einen Gewerbebetrieb zur Herstellung von Arzneimitteln. Hier ergebe sich der Versicherungsschutz für den Beigeladenen aus § 539 Abs 1 Nr 1 iVm Abs 2 RVO, so daß die Klägerin der für die Entschädigung zuständige Versicherungsträger sei. Gegen einen Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 10 RVO spreche auch, daß bei der Plasmapherese nur ein unwesentlicher Teil des Blutes, nämlich das Plasma, entnommen und die Blutflüssigkeit mit einer Kochsalzlösung versetzt dem Körper des Spenders wieder zugeführt werde. Es werde also nichts gespendet und auf die Dauer dem Körper des Spenders entzogen. Zudem sei zu berücksichtigen, daß die Schädigung des Beigeladenen nicht bei der Entnahme des Blutes, sondern erst bei der Zurückführung eingetreten sei. Unfallversicherungsrechtlich könne hier nicht von einem einheitlichen Vorgang gesprochen werden. Der Beigeladene habe sich die Hepatitis demnach nicht bei der Blutspende zugezogen. Wie sie erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist aus Urkunden erfahren habe, die einen anderen bei der Firma B. als Spender von Blut für das Plasmapherese-Verfahren an Hepatitis Erkrankten betreffen, habe die von der Firma B. gewährte Vergütung für jede einzelne Spende nicht 35,00 DM, sondern 210,00 DM betragen. Bei einem solchen hohen Entgelt könne nicht mehr von einer aus ideellen Gründen veranlaßten freiwilligen Spende gesprochen werden. Vielmehr habe der private Gelderwerb im Vordergrund gestanden.

Die Beklagte beantragt, unter Aufhebung bzw entsprechender Abänderung des angefochtenen Urteils nach den Anträgen in der Vorinstanz, insbesondere im Ergebnis auf Klageabweisung im vollen Umfang, hilfsweise auf Zurückverweisung an die Vorinstanz zu erkennen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie trägt vor, daß der Gesetzgeber das Blutspenden als im öffentlichen Interesse liegend ansehe und deshalb diese Tätigkeit in die gesetzliche Unfallversicherung einbezogen habe. Deshalb sei es unerheblich, ob die Spende zur unmittelbaren Blutübertragung auf einen Empfänger oder für eine Blutbank oder zum Zwecke medizinischer Versuche oder Forschung erfolge. Auch sei es unerheblich, daß das Blut für kommerzielle Zwecke eines privatrechtlichen Unternehmens gespendet werde und der Spender dafür eine Belohnung von nicht unerheblichem Wert erhalte. Der Blutspender übe auch keine Beschäftigung iS des § 539 Abs 1 Nr 1 RVO aus, denn es fehle an einer auch nur vorübergehenden persönlichen Abhängigkeit, die sich auf das Herstellen von Blut beziehen müßte. Die Ausführungen der Beklagten, bei der Plasmapherese werde dem Körper des Spenders nichts entzogen, weil er alles, was er gespendet habe, wieder zurückerhalte, beruhe auf einer unzutreffenden Vorstellung von den biologischen Vorgängen. Dem Blut des Spenders werde das Plasma entzogen und nur der verbleibende Rest, die Blutkörperchen, würden mit einer Kochsalzlösung versetzt dem Spender retransfundiert. Der Körper des Spenders müsse erst wieder das Plasma neu bilden, was allerdings schneller vor sich gehe, wie wenn dem Körper Vollblut entnommen worden sei. In rechtlicher Beziehung sei das Spenden von Blut zur Gewinnung des Plasmas unter Retransfusion der zelligen Bestandteile der Spende dem Spenden von Vollblut gleichzuachten. In beiden Fällen handele es sich um eine Blutspende iS des § 539 Abs 1 Nr 10 RVO. Der Umstand, daß bei dem Beigeladenen die Hepatitisinfektion bei der Retransfusion entstanden sei, stehe dem nicht entgegen, weil auch dies noch den Unfallbegriff erfülle. Bei der Plasmapherese sei das Blutspenden erst nach der Versorgung des Spenders im Anschluß an die Retransfusion der nicht verwendeten Blutteile beendet. Das Vorbringen der Beklagten hinsichtlich der Höhe der Vergütung eines anderen Blutspenders sei verspätet. Ein Restitutionsgrund liege nicht vor. Die Urkunden, die sich auf einen anderen Blutspender bezögen, seien in diesem Verfahren unerheblich.

Der Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten und hat sich nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Entgegen der Ansicht der Beklagten mußte die Firma B. zum Verfahren nicht beigeladen werden. Nach § 75 Abs 2 erste Alternative SGG sind Dritte beizuladen, wenn sie an dem Rechtsstreit derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Erforderlich ist dazu die Identität des Streitgegenstandes im Verhältnis beider Parteien zu dem Dritten. Es genügt weder, daß die Entscheidung logisch notwendig einheitlich ergehen muß, noch daß die tatsächlichen Verhältnisse eine einheitliche Entscheidung erfordern (BSG Urteil vom 15. August 1979 - 2 RU 53/77 -; BSG Beschluß vom 30. November 1982 - 2 BU 73/82 -; Meyer-Ladewig, SGG, 2. Aufl, § 75 Anm 10). Im vorliegenden Fall fehlt es an der Identität des Streitgegenstandes. Die Klägerin, die nach § 1735 RVO (iVm § 43 SGB I) dem Beigeladenen vorläufige Leistungen gewährt, begehrt die Feststellung, daß die Beklagte der - endgültig - zur Leistung verpflichtete Träger der Unfallversicherung ist (§ 55 Abs 1 Nr 2 SGG, § 102 SGB X). Eine diesem Begehren entsprechende Entscheidung, wie sie das SG getroffen hat, entfaltet jedoch noch keine unmittelbare Wirkung gegenüber der Firma B. bezüglich eines etwa gemäß § 116 SGB X auf die Beklagte übergegangenen Anspruchs auf Ersatz eines Schadens.

Der Beigeladene hat bei der Blutspende in den Räumen der Firma B. im Herbst 1977 einen Arbeitsunfall erlitten. Die Beklagte ist der für die Entschädigung zuständige Unfallversicherungsträger.

Nach § 548 Abs 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet.

Bei der Blutspende in den Räumen der Firma B. im Herbst 1977 hat der Beigeladene unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden. Denn nach § 539 Abs 1 Nr 10 RVO sind Blutspender und Spender körpereigener Gewebe gegen Arbeitsunfall versichert. Zu den Blutspendern gehören nicht nur Personen, die sich Blut zur unmittelbaren direkten Übertragung auf andere Personen abnehmen lassen, sondern auch jene, deren gespendetes Blut erst später, eventuell nach Aufbereitung, für klinische Zwecke verwendet wird (vgl Vollmar BG 1969, 267, 268; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl S 474e; Gitter in SGB-- Sozialversicherung-Gesamtkommentar, § 539 Anm 34). Dem Unfallversicherungsschutz wurden Blutspender erstmalig durch § 537 Nr 5 Buchst a RVO idF des Sechsten Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung -6. ÄndGes- vom 9. März 1942 (RGBl I 107) unterstellt. Danach waren Personen gegen Arbeitsunfall versichert, die ohne besondere rechtliche Verpflichtung einen anderen aus gegenwärtiger Lebensgefahr retten oder zu retten unternehmen, bei sonstigen Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten, oder unentgeltlich oder als Inhaber des amtlichen Blutspenderausweises Blut spenden. Nach dem Aufbau dieser Vorschrift war die Blutspendung als Sonderfall des Unternehmens einer Lebensrettung anzusehen (Bescheid des Reichsversicherungsamts vom 20. April 1943 - EuM 50, 250). Durch die Erste Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des 6. ÄndGes vom 20. August 1942 (RGBl I 532) wurde der Versicherungsschutz für Blutspender erweitert. Unentgeltlichkeit oder Besitz des amtlichen Blutspenderausweises war nicht mehr Voraussetzung für den Versicherungsschutz. Versichert waren nunmehr alle Personen, die "zu Blutspenden herangezogen werden". Grund dieser Änderung war, auch diejenigen Personen gegen Arbeitsunfall zu versichern, die vor allem bei Katastrophen, ohne im Besitz des amtlichen Blutspenderausweises zu sein, Blut spenden und dafür eine Vergütung erhalten, wie sie für die amtlichen Blutspender vorgesehen war. Ferner sollten auch diejenigen Personen berücksichtigt werden, die an Kinderlähmung erkrankt gewesen waren und gegen eine festgesetzte Vergütung Blut zur Gewinnung des dringend benötigten Rekonvaleszentenserums spenden (vgl Kilian in Beilage zu AN 1942 Nr 26; Gitter aaO).

Zu den Blutspendern gehörten demnach schon damals auch Personen, deren Blut erst nach Aufbereitung verwendet werden sollte. In diesem Sinne ist auch heute der Begriff des Blutspenders in § 539 Abs 1 Nr 10 RVO zu verstehen. Für die Qualifikation des Beigeladenen als Blutspender ist daher nicht erheblich, daß die Firma B. aus dem vom Beigeladenen abgenommenen Blut im Wege der Plasmapherese lediglich das Blutplasma gewann, die zelligen Bestandteile des Blutes mit einer Kochsalzlösung verdünnt dagegen dem Beigeladenen wieder zuführte. Dabei sieht der Senat die Abnahme des Blutes durch die Firma B. und die Retransfusion der zelligen Blutbestandteile als einen einheitlichen Vorgang an. Die Auffassung der Beklagten, daß mit dem Blutplasma dem Spender nur ein unwesentlicher Anteil seines Blutes entzogen werde, so daß von ihm eigentlich nichts gespendet werde, ist zudem unzutreffend. Das Blutplasma macht 55 % des Gesamtblutes des Menschen aus (vgl Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 254. Aufl, Stichwort: Blut). Aus dem Blutplasma werden, wie das LSG festgestellt hat, prophylaktische und therapeutische Arzneimittel hergestellt. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Klägerin in der Klageschrift vom 24. Januar 1979 (Blatt 5) findet das Plasma hauptsächlich Anwendung bei Infusionen für Schwerstverletzte, wie zB Schwerverbrannte, Anwendung. Die Ansicht der Beklagten, daß die Blutspende zu gewerblichen Zwecken, wie das hier der Fall war, nicht unter § 539 Abs 1 Nr 10 RVO falle, teilt der Senat nicht. Der Gesetzeswortlaut enthält keine entsprechende Einschränkung. Die dargelegte Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift zeigt vielmehr, daß seit der Erweiterung des Versicherungsschutzes für Blutspender durch die Erste Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des 6. ÄndGes (aaO), die wie das 6. ÄndGes am 1. Januar 1942 in Kraft trat, auch die Aufbereitung des Spenderblutes durch gewerbliche Unternehmen zu einem Heilserum den Versicherungsschutz nach § 537 Nr 5 Buchst a RVO aF und § 539 Abs 1 Nr 10 RVO nicht in Frage stellen kann. Darin dokumentiert sich das besondere öffentliche Interesse an Blutspenden (vgl BT-Drucks IV/120 S 51; Linthe BG 1963 Sonderheft "Das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30. April 1963"; Linthe BABl 1963, 343, 344; für die Gewebespender Ecker SGb 1972, 81, 82), so daß auch Sinn und Zweck des § 539 Abs 1 Nr 10 RVO gegen die Ansicht der Revision sprechen. Unabhängig davon, ob ein gewerbliches oder ein nicht gewerbliches Unternehmen gespendetes Blut entgegennimmt, um daraus nach Aufbereitung oder nur aus Teilen des Blutes Heilmittel für andere Menschen herzustellen, verdient der Blutspender gleichermaßen, im Falle eines damit zusammenhängenden Unfalls geschützt zu werden.

Ob der Versicherungsschutz für Blutspender außer gemäß § 539 Abs 1 Nr 10 RVO auch oder gar vorrangig aufgrund anderer Vorschriften in Betracht kommen kann (vgl Vollmar SozVers 1961, 20), bedarf nach Lage des Falles keiner abschließenden Entscheidung. Zwar kann ein Hilfeleistender iS des § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst c RVO zugleich wie ein in einem Beschäftigungsverhältnis stehender Versicherter iS des § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO tätig sein (BSG SozR Nr 4 zu § 1739 RVO). Es ist aber kaum denkbar, daß ein Blutspender iS des § 539 Abs 1 Nr 10 RVO zugleich als Beschäftigter oder wie ein Beschäftigter tätig ist. Denkbar wäre allenfalls, daß ein Beschäftigter bei einem Unglücksfall im Beschäftigungsunternehmen durch direkte Blutübertragung auf einen verunglückten anderen Beschäftigten des Unternehmens Hilfe leistet. Aber auch in diesem Fall bedürfte es noch einer weitergehenden Prüfung, ob rechtlich diese Hilfe im inneren Zusammenhang mit der Beschäftigung oder nur gelegentlich der Beschäftigung als Blutspender iS des § 539 Abs 1 Nr 10 RVO geleistet wird. Ebenso ist trotz der durch die Entstehung des Versicherungsschutzes für Blutspender bestehenden Verbindung mit dem Versicherungsschutz für Lebensretter und sonstige Hilfeleistende bei Blutspendungen die Tätigkeit des Blutspenders in der Regel nicht auf die Unterstützung des die Spende entgegennehmenden Unternehmens gerichtet, sondern Ausdruck der Opferbereitschaft für die Allgemeinheit. Dabei verkennt der Senat nicht, daß wegen der Möglichkeit, bei der Blutspende für das Plasmapherese-Verfahren jede Woche Blut zu spenden, auch das dafür gewährte Honorar - hier 35,00 DM je Spende - einen Anreiz für den Spender darstellen kann. Was die Beklagte zur Höhe des Honorars im Revisionsverfahren vorgetragen hat, kann als neues tatsächliches Vorbringen nicht berücksichtigt werden. Mit dem Vorbringen wird auch kein Restitutionsgrund iS des § 179 Abs 1 SGG iVm § 580 Nr 7 Buchst b Zivilprozeßordnung (ZPO) geltend gemacht, der ausnahmsweise die Berücksichtigung neuen tatsächlichen Vorbringens zulässig machen würde. Die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 20. Dezember 1983 vorgelegten Urkunden betreffen nicht den Beigeladenen, sondern einen anderen Blutspender für das Plasmapherese-Verfahren, der gleichfalls im Herbst 1977 an Hepatitis erkrankt ist.

Ob ein Versicherungsschutz des Beigeladenen nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO - auch iVm § 539 Abs 2 RVO - außerdem deshalb ausgeschlossen ist, weil die Verpflichtung zur Blutspende im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses sittenwidrig nach § 138 BGB sein würde, wie das LSG angenommen hat, braucht nicht weiter erörtert zu werden.

Da der Beigeladene die Hepatitis-Infektion - was nicht zweifelhaft ist - sich innerhalb einer "Arbeitsschicht" zugezogen hat, ist die Infektion als Unfall und da sie im ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit als Blutspender iS des § 539 Abs 1 Nr 10 RVO steht, als Arbeitsunfall anzusehen.

Für die Entschädigung der daraus erwachsenen Folgen ist die Beklagte der zuständige Träger der Unfallversicherung (§ 655 Abs 2 Nr 3 RVO iVm § 656 RVO sowie § 1 Nr 3 und § 2 der Hessischen Verordnung über die Bestimmung des Hessischen Gemeinde-Unfallversicherungsverbandes und der Stadt F. zu Trägern der Unfallversicherung für nach § 539 Abs 1 Nrn 8 bis 10 der RVO versicherten Personen vom 25. Mai 1966 - GVBl I, 133). Zwar gilt § 655 Abs 2 Nr 3 RVO nur subsidiär für den Fall, daß das Unternehmen, in dem sich der Unfall ereignet hat, nicht Bestandteil eines anderen der Unfallversicherung unterliegenden Unternehmens ist (§ 655 Abs 3 RVO). Da der Beigeladene als Blutspender nicht Beschäftigter irgendeines Unternehmens gewesen ist und auch nicht wie ein solcher Beschäftigter für ein Unternehmen tätig war - die Versicherung als Blutspender nach § 539 Abs 1 Nr 10 RVO setzt weder eine Beschäftigung noch eine selbständige Tätigkeit voraus (Lauterbach, Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl § 539 Anm 108 Buchst c) -, ist die Beklagte der endgültig verpflichtete Träger der Unfallversicherung.

Die Revision der Beklagten mußte daher zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 4 SGG. Eine Kostenerstattung an den Beigeladenen kommt nicht in Betracht, da er im Revisionsverfahren nicht vertreten ist.

 

Fundstellen

BSGE, 231

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