Leitsatz (amtlich)

Nach der Einführung der Lohnfortzahlung für Arbeiter im Krankheitsfall richtet sich der für die Bemessung des Krankengeldes maßgebende "Grundlohn" (RVO § 182 Abs 6 S 1 iVm § 180) nach dem vor Eintritt der - letzten - Arbeitsunfähigkeit erzielten Entgelt.

Lohnveränderungen nach diesem Zeitpunkt bleiben für das Krankengeld unberücksichtigt.

 

Normenkette

RVO § 180 Fassung: 1927-07-15, § 182 Abs. 6 S. 1 Fassung: 1967-12-21

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 4. November 1971 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger - Behördenangestellter - wurde am 21. Oktober 1969 arbeitsunfähig krank. Sein Gehalt wurde ihm bis zum 20. April 1970 weitergezahlt. Anschließend wurde ihm von der beklagten Krankenkasse Krankengeld unter Zugrundelegung des September-Gehalts gezahlt.

Der Kläger ist der Auffassung, bei der Berechnung des Krankengeldes müsse die Gehaltserhöhung von 100 DM berücksichtigt werden, die vom 1. Januar 1970 an auch für ihn wirksam geworden war. Das Sozialgericht (SG) hat die Krankengeldberechnung in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Juni 1970 aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung des Krankengeldes auf der Grundlage des Gehalts für März 1970 verurteilt. Die für Monatslohnempfänger geltende Vorschrift des § 182 Abs. 6 der Reichsversicherungsordnung (RVO) i. V. m. § 180 RVO zwinge im Hinblick auf das Lohnausfallprinzip zur Berücksichtigung der Gehaltserhöhung. Ob die sich aus dem Wortlaut des § 182 Abs. 5 RVO ergebende Sonderstellung der Arbeiter, die nicht monatlich entlohnt werden, mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar sei - was fraglich sei -, könne dahinstehen (Urteil vom 15. September 1970).

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Klage abgewiesen. Es hat im wesentlichen ausgeführt: Die Berechnung des Krankengeldes beruhe auf dem sogenannten Referenzperiodenprinzip, wonach der vor der Arbeitsunfähigkeit bestehende Lohnanspruch als fortbestehend fingiert werde. Lohnschwankungen in der Zeit der Arbeitsunfähigkeit, die nach dem Lohnausfallprinzip zu berücksichtigen wären, seien unbeachtlich, was sich nicht nur aus dem nicht unmittelbar anzuwendenden § 182 Abs. 5 RVO ergebe, sondern schon an dem Wort "regelmäßig" in Absatz 4 zu erkennen sei. Im übrigen müsse das Referenzperiodenprinzip des § 182 Abs. 5 RVO auch aus Gründen der Gleichbehandlung für Angestellte gelten. Wenn der Gesetzgeber das Lohnausfallprinzip hätte übernehmen wollen, so hätte er dies - wie in anderen Vorschriften, zB in § 11 Abs. 2 Satz 1 des Mutterschutzgesetzes - deutlich machen müssen (Urteil vom 4. November 1971).

Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt die Verletzung der §§ 182 Abs. 4 bis 6 und 183 Abs. 2 RVO. Das Krankengeld habe, was auch in der Rechtsprechung anerkannt sei, eindeutig Lohnersatzfunktion. Danach solle der Versicherte durch den Bezug des Krankengeldes nicht besser, aber auch nicht schlechter gestellt werden, als er stehen würde, wenn er gearbeitet hätte. Dieser Funktion würde es widersprechen, wenn das Krankengeld trotz vorausgegangener höherer Entlohnung nur nach dem Gehalt berechnet würde, das im Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit bezogen würde. Für die Berücksichtigung der höheren Entlohnung spreche auch, daß die Beiträge zur Krankenversicherung nach dem erhöhten Gehalt berechnet und abgeführt worden seien. Er beantragt,

das Urteil des Hessischen LSG vom 4. November 1971 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 15. September 1970 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

II

Die Revision ist nicht begründet.

Das LSG hat zutreffend ausgeführt, daß der erkennbare Sinn der die Berechnung des Krankengeldes betreffenden Vorschriften (§ 182 Abs. 5 und 6 RVO) auf eine Lohnperiode als Berechnungsgrundlage hinweist, die vor dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit liegt. Die Tatsache, daß dies in dem hier einschlägigen § 182 Abs. 6 RVO - im Gegensatz zu § 182 Abs. 5 RVO - nicht wörtlich zum Ausdruck gebracht wurde, ändert daran nichts, wie sich aus der Verweisung auf den "Grundlohn" (§ 180 RVO) ergibt. Der Grundlohn als Maßstab für die baren Leistungen der Krankenkasse hat, was das Krankengeld betrifft, eine unterschiedliche Deutung erfahren. Das Reichsversicherungsamt (RVA) war ursprünglich (vgl. Grunds. Entsch. Nr. 2342; AN 1917, 462) unter Berufung auf den Grundsatz der Einheit des Versicherungsfalls davon ausgegangen, daß das Krankengeld nach dem vor Eintritt des Versicherungsfalls - der behandlungsbedürftigen Krankheit - bezogenen Arbeitsentgelt zu bemessen sei, auch wenn der Versicherte erst später arbeitsunfähig werde und den Anspruch auf Krankengeld erwerbe. Im Hinblick auf die Änderung der Rechtslage durch den Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 20. Mai 1941 zu § 183 Abs. 1 RVO, wonach die Krankenpflege - wie auch nach geltendem Recht - ohne zeitliche Begrenzung zu gewähren ist und der Anspruch auf Krankengeld daher noch unbeschränkt lange nach dem Beginn der Behandlungsbedürftigkeit entstehen kann, ist das RVA später (Grunds. Entsch. Nr. 5517; AN 1943, 145) von der strikten Anwendung des Grundsatzes der Einheit des Versicherungsfalls abgewichen und hat für die Bemessung des Krankengelds den Grundlohn nach den Verhältnissen zur Zeit des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit für maßgeblich erachtet. Dieser Auffassung ist auch der erkennende Senat im Grundsatz gefolgt. Er hat lediglich - unter noch stärkerer Betonung des Zwecks des Krankengeldes, anstelle des Lohnes den Unterhalt des erkrankten Versicherten zu sichern - für den Fall, daß der Krankengeldbezug bei Fortdauer des behandlungsbedürftigen Leidens durch eine Zwischenbeschäftigung unterbrochen ist, festgestellt, daß sich das Krankengeld nach dem Grundlohn vor der letzten Arbeitsunfähigkeit richtet (BSG 5, 283, 287).

Die dargelegte Auffassung über die maßgeblichen Lohnverhältnisse für die Bemessung des Krankengelds - Eintritt der letzten Arbeitsunfähigkeit als Endpunkt der zu berücksichtigenden Lohnsituation - ist im Kern bis heute gültig geblieben. Daß sie einheitlich für sämtliche Krankengeldbezieher - trotz unterschiedlicher arbeitsrechtlicher Lage für Angestellte und Arbeiter - galt, folgte für die Zeit vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfall (LeistungsverbesserungsG) vom 12. Juli 1961 (BGBl I 913) bereits daraus, daß dieser Personenkreis versicherungsrechtlich nach denselben Vorschriften behandelt wurde (§ 182 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 180 Abs. 1 Satz 1 RVO aF). Sie hatte zur Folge, daß eine Lohnerhöhung, die sich nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit infolge Lohnfortzahlung bei Angestellten auswirken konnte, bei der Berechnung des anschließend zu zahlenden Krankengeldes unberücksichtigt bleiben mußte, so daß die arbeitsrechtliche Bevorzugung der Angestellten insoweit versicherungsrechtlich nicht durchschlug. Die Maßgeblichkeit des Grundlohns führte allerdings dazu, daß wegen der erheblichen Lohnschwankungen das Krankengeld bei Arbeitern vielfach von Zufälligkeiten abhängig war.

Daher führte das LeistungsverbesserungsG zum Zwecke der Beseitigung dieser Nachteile eine unterschiedliche Berechnung des Krankengeldes ein, indem die Berechnung für Nichtmonatslohnempfänger - im wesentlichen Arbeiter - von dem Grundlohn getrennt und auf den neuen Begriff des "Regellohns" gestützt wurde (§ 182 Abs. 5 RVO). Diese Trennung von dem traditionellen Begriff des Grundlohns, der nach wie vor für Monatslohnempfänger - im wesentlichen Angestellte - gilt (§§ 182 Abs. 6, 180 RVO), brachte indessen keine Änderung des Grundsatzes, daß Lohnerhöhungen nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nicht zu berücksichtigen sind. In der Definition des Regellohnes, die in Anlehnung an den Begriff des Nettolohns in § 2 Abs. 2 des Arbeiterkrankheitsgesetzes idF des LeistungsverbesserungsG geschaffen wurde, wird für den maßgeblichen Lohnabrechnungszeitraum auf die Zeit "vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit" abgestellt. Diese Regelung war für die versicherten Arbeiter, soweit es sich um die Berücksichtigung von Lohnerhöhungen nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit handelte, ursprünglich in der Regel nicht weiter belastend, weil für sie noch keine Lohnfortzahlung eingeführt war und als aktuellster Lohn ohnehin nur der vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit in Betracht kam. Insofern erlangte die Zeitbestimmung Bedeutung erst nach Inkrafttreten des Lohnfortzahlungsgesetzes (LFZG) am 1. Januar 1970, mit dem jedoch keine Änderung der Krankengeldberechnungsvorschriften in der hier interessierenden Hinsicht verbunden war. Die allgemeine Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle kann nun auch bei Arbeitern dazu führen, daß Lohnveränderungen nach Eintritt der letzten Arbeitsunfähigkeit für das Krankengeld nicht zu berücksichtigen sind. Damit aber ist nur die bisher mehr formale versicherungsrechtliche Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten inhaltlich in dem Sinne verstärkt worden, daß eine bisher nur die Angestellten treffende Rechtsfolge - Nichtberücksichtigung von Lohnveränderungen nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit beim Krankengeld - nunmehr auch die versicherten Arbeiter erfaßt. Die hiermit erreichte völlige Gleichstellung der versicherten Arbeitnehmer im Krankheitsfall entspricht dem Zweck des LFZG; eine unterschiedliche Bemessung des Krankengeldes je nachdem, ob es sich nach dem Regellohn (§ 182 Abs. 5 RVO) oder dem Grundlohn (§ 182 Abs. 6 RVO) richtet, würde den Sinn der gesetzlichen Regelung ins Gegenteil verkehren.

Ist somit für das geltende Recht davon auszugehen, daß nach wie vor Lohnveränderungen nach Eintritt der letzten Arbeitsunfähigkeit für die Bemessung des Krankengeldes außer Ansatz bleiben, so ist jedoch nicht zu übersehen, daß dieser alte Rechtsgedanke in zunehmendem Maße in Widerspruch zu dem Lohnersatzprinzip gerät, wenn dieses dahin verstanden wird, daß das Krankengeld den jeweils aktuellsten Lohn widerspiegeln soll. Auch spricht für eine stärkere Heranführung des Krankengelds an den jeweils zuletzt erzielten Lohn, daß dieser Lohn - als "Grundlohn" - die Bemessungsgrundlage für den Beitrag zur Krankenversicherung bildet. Damit sind Fragen an die Gesetzgebung aufgeworfen, die wohl nicht nur punktuell (§ 182 Abs. 5 und 6 RVO), sondern im Rahmen des Gesamtkomplexes der Barleistungen beantwortet werden müßten und jedenfalls nicht von der Rechtsprechung isoliert aufgegriffen werden können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

BSGE, 59

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