Leitsatz (amtlich)

1. Der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe ruht, solange Unterhaltsgeld gezahlt wird. Mit Beendigung der Zahlung lebt er wieder auf. Mit ihm wird die Meldepflicht aus § 132 Abs 1 S 1 AFG erneut wirksam.

2. In diesen Fällen steht das Aufsuchen des Arbeitsamtes aufgrund einer "Bitte oder Empfehlung" der Behörde unter Unfallversicherungsschutz.

 

Orientierungssatz

Mit dem Wiederaufleben des Arbeitslosenhilfe-Anspruchs wird die Meldepflicht aus § 132 Abs 1 S 1 AFG erneut wirksam. Die im Unterhaltsgeldbescheid ausgesprochene Bitte, nach dem Ende einer beruflichen Bildungsmaßnahme umgehend bei der Arbeitsvermittlung vorzusprechen, ist eine Aufforderung zur Meldung iS des § 132 AFG.

 

Normenkette

RVO § 539 Abs 1 Nr 4 Buchst a Fassung: 1963-04-30; AFG § 132 Abs 1 S 1 Fassung: 1969-06-25, § 44 Fassung: 1975-06-25, § 118 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1975-06-25, § 134 Abs 2 S 1 Fassung: 1974-12-21, § 139 Fassung: 1974-12-21; SGB 1 § 60 Fassung: 1975-12-11; AFG § 132 Abs 1 S 3

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 18.06.1980; Aktenzeichen L 2 Ua 2193/79)

SG Karlsruhe (Entscheidung vom 16.10.1979; Aktenzeichen S 15 U 2624/77)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin versichert war, als sie am 10. November 1976 auf dem Rückweg vom Arbeitsamt (ArbA) einen Verkehrsunfall erlitt.

Die Klägerin siedelte im Mai 1976 aus Polen in die Bundesrepublik Deutschland über und meldete sich arbeitslos. Wegen der ihrem Ehemann gewährten Arbeitslosenhilfe erhielt sie zunächst keine Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Nach mehrmaligen Vorsprachen beim ArbA bezog sie vom 9. August bis 9. November 1976 als Teilnehmerin eines Sprachkurses für Deutsch vom ArbA Unterhaltsgeld (§ 44 AFG). Außerdem wurde ihr als verfügbare Arbeitslose (§ 100 Abs 1 AFG) nachträglich für die Zeit vom 4. bis 7. August 1976, nachdem ihr Ehemann eine Arbeit aufgenommen und sie dies am 6. August 1976 gemeldet hatte, Arbeitslosenhilfe gezahlt. Mündlich wurde sie darauf hingewiesen, daß sie sich nach beendetem Sprachkurs arbeitslos melden könne und solle und erhielt - wie alle an Sprachkursen beteiligten Aussiedler - vor Lehrgangsende ein Merkblatt des Zentralamtes der Bundesanstalt, in dem gebeten wurde, nach Beendigung der Maßnahme die Teilnahmebescheinigung einzureichen und im Falle der Arbeitslosigkeit empfohlen wurde, zur Vermeidung von finanziellen Nachteilen umgehend bei der Arbeitsvermittlung vorzusprechen, um die notwendigen Antragsvordrucke entgegenzunehmen.

Am 10. November 1976 gegen Mittag sprach die Klägerin beim ArbA vor und teilte die Beendigung des Kurses mit. Außerdem wollte sie sich bei der Arbeitsvermittlung neu anmelden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Die Arbeitslosmeldung wurde entgegengenommen, die Klägerin aber aus zeitlichen Gründen für den nächsten Tag zu einem ausführlichen Beratungsgespräch bestellt. Auf dem Rückweg vom ArbA zu ihrer Wohnung erlitt die Klägerin einen Verkehrsunfall. Sie wurde erheblich verletzt, so daß sie mehrere Monate stationär behandelt werden mußte. Die Behinderung wurde durch das Versorgungsamt mit 60 vH bewertet.

Mit Bescheid vom 9. Januar 1978 lehnte es die Beklagte ab, einen Arbeitsunfall anzuerkennen, weil die Klägerin bei der Arbeitslosmeldung nicht versichert gewesen sei; sie sei weder einer Aufforderung gefolgt, noch habe sie einer Meldepflicht genügt.

Das Sozialgericht (SG) Karlsruhe hat die Beklagte zur Entschädigung des Arbeitsunfalls verurteilt (Urteil vom 16. Oktober 1979). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 18. Juni 1980).

Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 539 Abs 1 Nr 4 Reichsversicherungsordnung (RVO).

Sie beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und

die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Zurückweisung der Revision.

Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen.

Die Vorinstanzen haben im Ergebnis zutreffend angenommen, daß die Klägerin am Unfalltag auf dem Weg vom ArbA zu ihrer Wohnung unfallversichert war.

Nach § 539 Abs 1 Nr 4 RVO sind Personen, die nach dem AFG der Meldepflicht unterliegen, gegen Arbeitsunfälle versichert, wenn sie a) zur Erfüllung ihrer Meldepflicht die hierfür bestimmte Stelle aufsuchen oder b) auf Aufforderung einer Dienststelle der Bundesanstalt diese oder andere Stellen aufsuchen.

§ 105 AFG schreibt vor, daß sich der Arbeitslose persönlich beim zuständigen ArbA arbeitslos zu melden hat (vgl Schönefelder/Kranz/Wanka/Schneider, Stand 6. Oktober 1979, Anm 3 zu § 120). Die Voraussetzungen des Anspruches auf Arbeitslosenhilfe sind in § 134 AFG geregelt. Ihnen hat die Klägerin durch ihre Arbeitslosmeldung im Mai 1976 genügt, auch wenn ihr Anspruch nicht erfüllt werden konnte, so lange ihr Ehemann keine Arbeit aufgenommen hatte (§ 139 AFG). Auf ein Fortwirken des Anspruches ab erster Meldung kommt es hier aber nicht an, weil die Klägerin laufend weiter ihrer Meldepflicht genügt hat.

Der Meldepflicht nach § 132 Abs 1 Satz 1 AFG unterliegt der Arbeitslose während der Zeit, für die er Arbeitslosengeld beansprucht, wenn das ArbA ihn zur Meldung auffordert. Entsprechendes gilt nach § 134 Abs 2 Satz 1 AFG für den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe. Die Pflicht zur Meldung besteht für den Arbeitslosen grundsätzlich auch während einer Zeit, in der der Anspruch auf Arbeitslosengeld - Arbeitslosenhilfe - nach den §§ 116, 117, 118 Abs 1 Nr 2 oder § 119 AFG ruht (§ 132 Abs 1 Satz 4 AFG). § 118 Abs 1 Nr 1 AFG, der das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld während der Zeit regelt, für die dem Arbeitslosen ein Anspruch auf Unterhaltsgeld zuerkannt ist, ist in der Verweisung allerdings ebenso wie § 139 AFG nicht aufgeführt, so daß die Klägerin jedenfalls während des Ruhenszeitraumes nicht meldepflichtig war, auch wenn § 44 Abs 7 AFG auf die Vorschriften des Vierten Abschnittes über das Arbeitslosengeld und damit auf § 134 Abs 2 Satz 1 AFG verweist. Für den vorhergehenden Zeitraum dagegen war sie es nach § 132 Abs 1 iVm § 134 Abs 1 Nr 1 und § 105 AFG zumindest bei Arbeitsaufnahme durch ihren Ehemann.

Mit dem Wegfall des Ruhenstatbestandes, der von vornherein auf einen festbegrenzten Zeitraum festgelegt war, ist der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe wieder aufgelebt. Es bedarf also in diesen Fällen keines neuen Antrages nach § 151 AFG (BSGE 21, 286 = SozR Nr 1 zu § 77 AVAVG). Die Arbeitslosenhilfe gilt so lange als geltend gemacht, als Entgegenstehendes nicht bekundet wird. Der Anspruch aus § 139 AFG besteht dem Grunde nach fort, wenn die Arbeitslosenhilfe wegen Ruhens oder Versagens nicht gewährt wird (vgl Schönefelder/Kranz/Wanka/Schneider, aaO, Anm 2 zu § 120, Anm 4 zu § 139). Der so gehemmte Anspruch auf Arbeitslosenhilfe lebt danach ohne neuen Antrag rückwirkend wieder auf (vgl AFG Schönefelder/Kranz/Wanka/Schneider, aaO, § 100 Anm 11, § 118 Anm 18; Urteil vom 17. September 1964 - 7 RAr 24/63 = BSGE 21, 286 = SozR Nr 1 zu § 77 AVAVG). Dementsprechend wurde der Klägerin rückwirkend für die Zeit der Arbeitsaufnahme durch ihren Ehemann bis zur Anweisung des Unterhaltsgeldes zu Recht Arbeitslosenhilfe bewilligt. Die Begrenzung wurde nicht durch Entziehung verfügt. Auch wurde diese Anspruchsbewilligung nicht durch den Unterhaltsgeldbescheid als solche aufgehoben oder beseitigt, so daß die Arbeitslosenhilfe ohne erneuten Antrag weiterzuzahlen war, sobald die Ruhensvoraussetzungen weggefallen waren (vgl Hennig/Kühl/Heuer, AFG, Bd 1, § 118 Erläuterung 2; BSG Urteil vom 3. Juni 1975 - 7 RAr 10/73 - Sozialgerichtsbarkeit 1975, 450).

Daraus folgt, daß die Meldepflicht nicht erst durch Geltendmachung des Anspruches neu begründet wurde, sondern lediglich wieder auflebte. Diese Meldepflicht hat die Klägerin durch das Aufsuchen des ArbA zum Zwecke der Meldung der Kursbeendigung erfüllt. Sie war dazu nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG mündlich und schriftlich aufgefordert worden.

In der durch § 132 Abs 2 Satz 1 AFG ermächtigten Meldeanordnung vom 14. Dezember 1972 (ANBA 1973, 245) ist keine besondere Form der Aufforderung vorgeschrieben (§ 3), jedoch hat der Meldepflichtige in der Regel zur Meldung persönlich zu erscheinen (§ 4); dies hat zu der vom ArbA bestimmten Zeit zu geschehen (§ 5 Satz 1), hier also nach Kursbeendigung entsprechend der Belehrung im Unterhaltsgeldbescheid und der vor Kursende übersandten Empfehlung im Merkblatt des Zentralamtes der Bundesanstalt. Zwar sind die Aufforderungen jeweils mit einer Bitte oder Empfehlung umschrieben; sie halten sich aber im Rahmen der Befugnisse der Meldeanordnung (§ 2). Der Umstand, daß ihre Nichtbefolgung Rechtsnachteile nach sich ziehen kann (vgl § 120 AFG iVm §§ 60 ff SGB 1 - hierzu BSG Urteil vom 20. März 1980 - 7 RAr 21/79 - = SozR 4100 § 132 Nr 1 - im Anschluß an SozR 2200 § 1243 Nrn 2 und 3), früher eine Dreimonatsfrist (Sollvorschrift) für die Arbeitsberatung vorgesehen war und die Klägerin ausdrücklich gebeten wurde, am nächsten Tag (11. November 1976) nochmals zur notwendigen Beratung zu erscheinen, spricht aus der Gesamtsicht des Verfahrensablaufs uneingeschränkt dafür, daß das LSG zu Recht angenommen hat, die Klägerin habe das ArbA auf Aufforderung aufgesucht, um ihrer Meldepflicht zu genügen.

Ohne Bedeutung ist es, ob die Klägerin die Bescheinigung der Sprachenschule vom 9. November 1976 bereits am 10. November 1976 mit sich geführt hat und ob ein erneuter Antrag auf Arbeitslosenhilfe gegenüber der Änderungsmeldung im Vordergrund gestanden hat. Denn in jedem Falle ist die Klägerin aus § 60 SGB 1 einer Mitwirkungspflicht nachgekommen, die durch die Aufforderungen im Merkblatt noch verstärkt wurde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Breith. 1981, 856

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