Beteiligte

1. … 2. … Kläger und Revisionskläger

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I

Umstritten ist die Genehmigung zur Abhaltung von Sprechstunden in einer Zweigpraxis.

Die Kläger sind in O. als Allgemeinärzte in Gemeinschaftspraxis niedergelassen und halten im Ortsteil W. der gleichnamigen Gemeinde zusätzlich Sprechstunden ab, wie dies nach ihren Angaben ihr Vater und Praxisvorgänger bereits seit dem Beginn der 50er Jahre getan hat. In der Gemeinde W. ist Dr. F. als praktischer Arzt zugelassen, der seine Praxis im Ortsteil W. betreibt und dem die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) 1990 die Genehmigung erteilt hat, auch im Ortsteil W. Sprechstunden anzubieten. Die Entfernung zwischen den Ortsteilen W. und W. ist etwa genauso groß wie zwischen dem Praxissitz der Kläger in O. und dem Ortsteil W. .

Mit Bescheid vom 17. Januar 1990 lehnte die Beklagte den Antrag der Kläger ab, ihnen die Fortführung der Zweigpraxis in W. zu genehmigen, weil die Versorgung der gesamten Gemeinde W. durch den dort niedergelassenen Arzt Dr. F. gewährleistet sei. Die Kläger machten mit ihrem Widerspruch geltend, die Patienten im Ortsteil W. hätten ein berechtigtes Interesse an der Fortführung der nun schon seit Jahrzehnten bestehenden Versorgungsmöglichkeit durch ihre Praxis, blieben aber erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 4. Februar 1991).

Sozialgericht (SG) und Landessozialgericht (LSG) haben den Standpunkt der Beklagten gebilligt. Das LSG hat seine Entscheidung damit begründet, die Abhaltung von Sprechstunden außerhalb des Praxisstandortes könne nur genehmigt werden, wenn die ärztliche Versorgung der Versicherten in einem bestimmten örtlichen Bereich anders nicht sichergestellt sei. Da wegen der Tätigkeit von Dr. F. eine Versorgungslücke in der Gemeinde W. nicht bestehe, habe die Beklagte die Genehmigung zu Recht versagt, ohne daß es darauf ankomme, daß zahlreiche Einwohner und auch der Bürgermeister von W. ihren Wunsch nach Fortführung der Tätigkeit der Kläger in diesem Ortsteil geäußert hätten.

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Die Beklagte habe ihre Entscheidung einseitig an den Interessen des in der Gemeinde W. niedergelassenen Dr. F. ausgerichtet und die Belange der Patienten im betroffenen Ortsteil dieser Gemeinde nicht hinreichend gewürdigt. In den Jahren der Tätigkeit ihres Vaters und auch ihrer eigenen Tätigkeit in W. seien enge Arzt-Patienten-Bindungen entstanden, die ebenso schutzwürdig seien wie die Interessen der Einwohner dort an einer Wahlmöglichkeit zumindest zwischen zwei Ärzten. In Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung des Hessischen LSG dürfe der statistisch ermittelte Versorgungsgrad in einer Region nicht das maßgebliche Kriterium bei der Genehmigung von Zweigpraxen sein, weil dieser allein durch die Zahl der niedergelassenen Ärzte bestimmt werde, die sich durch die Genehmigung zur Abhaltung von Sprechstunden außerhalb der Praxis nicht verändere. Maßgeblich sei allein, ob das Ziel einer "humanen Krankenbehandlung" (§ 70 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB V]) durch das zusätzliche Angebot von Sprechstunden in kleineren Orten oder Ortsteilen ländlicher Gemeinden erreicht werde, und von dieser Zielvorgabe habe die Beklagte sich nicht hinreichend leiten lassen.

Die Kläger beantragen,

die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. Juni 1994 und des Sozialgerichts München vom 1. April 1993 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 1991 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts die Anträge auf Weitergenehmigung zur Abhaltung von Zweigsprechstunden im Ortsteil W. erneut zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die Abhaltung von Zweigsprechstunden bedürfe nach ärztlichem Berufsrecht wie nach vertragsärztlichen Grundsätzen einer Genehmigung, und eine solche sei den Klägern weder mündlich noch schriftlich erteilt worden. Sie selbst habe zu keinem Zeitpunkt davon Kenntnis gehabt, daß seitens des Vaters der Kläger in W. Sprechstunden abgehalten wurden. Der Landesausschuß der Ärzte und Krankenkassen habe für den hier betroffenen Planungsbereich des Landkreises Schweinfurt zum Stand vom 18. Oktober 1994 einen Versorgungsgrad von 110, 5% festgestellt, was zeige, daß die Region nach den Kriterien der Bedarfsplanung "überversorgt" sei. Eine Versorgungslücke, die durch eine Zweigpraxis der Kläger geschlossen werden könnte, bestehe nicht. Den lokalen Versorgungsnotwendigkeiten innerhalb der Gemeinde W. sei durch die Dr. F. erteilte Genehmigung zur Abhaltung von Sprechstunden auch im Ortsteil W. Rechnung getragen worden.

II

Die Revision ist nicht begründet. Rechtsfehlerfrei hat es die beklagte KÄV abgelehnt, den Klägern die Genehmigung für eine Zweigpraxis im Ortsteil W. zu erteilen.

Der Senat läßt offen, ob den Klägern die Genehmigung schon deshalb zu versagen ist, weil ihnen berufsrechtlich die Führung einer Zweigpraxis (noch) nicht gestattet ist (vgl. Hencke in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 95 RdNr 12; SG Hannover, Breithaupt 1975 S. 469). Nach § 13 der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns bedarf die Führung einer Zweigpraxis der Genehmigung, die der zuständige ärztliche Bezirksverband (der Ärztekammer) erteilen kann, soweit es die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung der Bevölkerung erfordert. Der zuständige Bezirksverband Unterfranken der Bayerischen Ärztekammer hat den Klägern eine solche Genehmigung nicht erteilt und auch nicht erteilen können, weil die Kläger keinen darauf gerichteten Antrag gestellt haben. Das beruht darauf, daß nach der Verwaltungspraxis der Beklagten diese allein über die Anträge ihrer Mitglieder auf Genehmigung von Zweigpraxen entscheidet und lediglich im Vorfeld der Entscheidung die Stellungnahme des ärztlichen Bezirksverbandes einholt, der seinerseits keine Entscheidung mit Außenwirkung gegenüber zugelassenen Ärzten trifft, wie der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung erläutert hat. Ob die Beklagte im Hinblick auf ihre Verwaltungspraxis gehindert wäre, sich nunmehr darauf zu berufen, die Kläger verfügten nicht über die erforderliche berufsrechtliche Genehmigung, und ob eine solche Genehmigung rechtliche Voraussetzung für die Genehmigung einer Zweigpraxis durch die KÄV ist, bedarf hier keiner Klärung, weil die Entscheidung der Beklagten schon aus anderen Gründen rechtmäßig ist.

Der Vertragsarzt bedarf für das Abhalten von Zweigsprechstunden bzw. - was rechtlich keinen Unterschied ausmacht - für das Führen einer Zweigpraxis einer Genehmigung. Das ist nur für die vertragszahnärztliche Tätigkeit in § 6 Abs. 6 Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) ausdrücklich geregelt (vgl. Senatsurteil vom 7. Oktober 1976, SozR 5545 § 6 Nr. 1), gilt aber für die vertragsärztliche Tätigkeit in gleicher Weise (Heinemann/Liebold, Kassenarztrecht, RdNr C 75-11, RdNr E 140; Hencke, a.a.O.; Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, Stand 1987, § 368c Anm. 4; Schneider, Handbuch des Kassenarztrechts, 1994, RdNr 851; Wiegand, Kassenarztrecht, 3. Aufl., 1995, § 95 RdNr 19). Die vertragsärztliche Tätigkeit ist grundsätzlich an den Vertragsarztsitz bzw. den Ort der Niederlassung gebunden, wie sich aus § 95 Abs. 1 Satz 2 SGB V sowie aus § 18 und § 24 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) ergibt. Nach § 95 Abs. 1 Satz 2 SGB V erfolgt die Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit für den Ort der Niederlassung als Arzt (Kassenarztsitz), womit der Sitz der Praxis in einer politischen Gemeinde beschrieben ist (Kasseler Komm-Hess, § 95 SGB V RdNr 53). Der Arzt muß die Zulassung für einen bestimmten Vertragsarztsitz (Praxisanschrift) beantragen (§ 18 Abs. 1 Satz 2 Ärzte-ZV), und für diesen Vertragsarztsitz erfolgt die Zulassung (§ 24 Abs. 1 Ärzte-ZV). Wenn ein Vertragsarzt von dieser Bindung der Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit an den Kassenarztsitz freigestellt werden will, bedarf er einer Genehmigung, in der der Ort und der Umfang der außerhalb des Praxissitzes auszuübenden vertragsärztlichen Tätigkeit zu regeln sind.

Zuständig für die Erteilung dieser Genehmigung ist die KÄV. Auch dies ist für die vertragsärztliche Tätigkeit im Unterschied zur vertragszahnärztlichen Tätigkeit (vgl. Senatsurteil vom 7. Oktober 1976, SozR 5545 § 6 Nr. 1) nicht ausdrücklich geregelt, entspricht aber der einhelligen Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum (SG Hannover, Breithaupt 1975 S. 469; Heinemann/Liebold, a.a.O.; Hencke, a.a.O.; Schneider, a.a.O.; Wiegand, a.a.O.), der sich der Senat anschließt. Die Erlaubnis zur Führung einer Zweigpraxis ist ein Mittel der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung, die nach § 75 Abs. 1 Satz 2 SGB V den KÄVen übertragen ist. Eine Kompetenz der Zulassungsgremien zur Genehmigung von Zweigpraxen ist nicht begründet, weil die Befugnisse dieser Gremien im SGB V und in der Ärzte-ZV abschließend geregelt sind und die Durchführung von Zweigsprechstunden in den einschlägigen Vorschriften nicht angesprochen wird. Den Entscheidungen, die in die Kompetenz der Zulassungsausschüsse fallen, ist gemeinsam, daß sie statusbegründenden bzw. statusbeendenden Charakter haben und daß durch sie der Kreis der an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligten Personen und Institutionen sowie die Ausübungsformen der vertragsärztlichen Tätigkeit (vgl. z.B. § 33 Abs. 2 Ärzte-ZV hinsichtlich der Genehmigung einer Gemeinschaftspraxis) festgelegt werden. Diese Gesichtspunkte treffen für die Genehmigung zur Abhaltung von Zweigsprechstunden nicht zu, weil dadurch der Kreis der Vertragsärzte nicht erweitert und der Status des Vertragsarztes nicht berührt wird. Die Vorschrift des § 24 Abs. 4 Ärzte-ZV, wonach der Zulassungsausschuß über den Antrag auf Verlegung des Vertragsarztsitzes (innerhalb desselben Zulassungsbezirks: vgl. Kasseler Komm-Hess, § 95 SGB V RdNr 56) zu entscheiden hat, kann nicht erweiternd auf den Sachverhalt angewandt werden, daß ein Vertragsarzt außerhalb seiner Praxis Sprechstunden abhalten will.

Die zuständige KÄV darf die Genehmigung nur erteilen, wenn die Zweigpraxis zur Sicherung einer ausreichenden vertragsärztlichen Versorgung notwendig ist. Das hat der Senat für den vertragszahnärztlichen Bereich entschieden (SozR 5545 § 6 Nr. 1) und gilt auch für den vertragsärztlichen Bereich. Der Rechtsauffassung des Hessischen LSG in dem unveröffentlichten Urteil vom 29. April 1992 - L 7 Ka 987/90 -, derzufolge der KÄV ein weites Ermessen dahingehend eingeräumt sei, durch die Gestattung von Zweigpraxen den Zugang der Versicherten zu einer Kassenpraxis zu erleichtern und ihnen die Auswahl unter mehreren zugelassenen Ärzten zu ermöglichen, folgt der Senat nicht. Diese Ansicht hätte zur Konsequenz, die Bindung der vertragsärztlichen Tätigkeit an einen bestimmten Praxissitz, wie sie in § 24 Abs. 1 Ärzte-ZV formuliert und in Abs. 2 durch das Gebot, am Vertragsarztsitz Sprechstunden abzuhalten, präzisiert wird, aufzulösen bzw. vollständig zur Disposition der KÄV zu stellen. Die großzügige Genehmigung von Zweigpraxen nach nicht näher eingrenzbarem Ermessen der KÄV könnte zu Verwerfungen bei der Bedarfsplanung und der Feststellung von Überversorgung (§§ 101, 103 SGB V) zumindest dann beitragen, wenn Genehmigungen über Planungsbereichsgrenzen hinaus erteilt werden. Der Vergleich der Ist-Zahl der zugelassenen Ärzte mit der nach § 101 Satz 2 SGB V als bedarfsgerecht zu ermittelnden Soll-Zahl gibt nur dann ein annähernd realistisches Bild der Versorgungssituation, wenn die zugelassenen Vertragsärzte ihre Tätigkeit grundsätzlich auf den Vertragsarztsitz im jeweiligen Planungsbereich beschränken. Andernfalls können Planungsbereiche, die statistisch ausreichend oder übermäßig versorgt sind, faktisch erhebliche Versorgungsdefizite aufweisen, weil zahlreiche Ärzte mit Hilfe von Zweigpraxen andere Planungsbereiche versorgen, während umgekehrt statistisch schlecht versorgte Planungsbereiche faktisch überversorgt sein könnten, weil in ihnen zahlreiche Zweigpraxen betrieben werden. Das kann zu Unzuträglichkeiten bei der Anordnung von Zulassungsbeschränkungen wegen Überversorgung (§ 103 Abs. 2 Satz 1 SGB V) wie auch bei der beabsichtigten Niederlassung von Ärzten in (statistisch) nicht überversorgten Planungsbereichen führen. Seit nicht mehr die einzelne Gemeinde, sondern die Stadt- und Landkreise die regionalen Planungsbereiche bilden (§ 101 Satz 6 SGB V in der ab 1. Januar 1993 geltenden Fassung), hat dieses Problem an Schärfe verloren, ist aber nicht obsolet geworden. Bei der Genehmigung von Zweigpraxen nach freiem Ermessen der KÄV kann schwerlich danach differenziert werden, ob eine solche innerhalb oder außerhalb des Planungsbereiches betrieben werden soll, in dem der jeweilige Vertragsarzt seinen Sitz hat.

Die Bindung der Genehmigung einer Zweigpraxis an ein bestehendes Versorgungsdefizit ist geeignet, gerade im ländlichen Raum die Existenz von kleineren Praxen zu sichern. Dürfte die KÄV unabhängig von lokalen Versorgungslücken Zweigsprechstunden gestatten, bestünde die Gefahr, daß von Mittel- und Oberzentren aus eventuell kostengünstiger arbeitende Gemeinschaftspraxen über Zweigsprechstunden den ländlichen Raum versorgen und damit der wohnortnahen (kleineren) Praxis die Existenzgrundlage entziehen könnten, was möglicherweise zu erheblichen Nachteilen etwa bei der Notfallbehandlung und bei Hausbesuchen führt. Ebensowenig wie bei der vertragszahnärztlichen Versorgung ist es auch bei der vertragsärztlichen Versorgung Aufgabe der KÄV, mit Hilfe der Genehmigung von Zweigpraxen die Versorgung der Patienten in der Weise zu optimieren, daß in jeder kleinen Gemeinde oder in jedem Ortsteil einer Gemeinde die Versicherten die Auswahl zwischen zumindest zwei am Ort praktizierenden Vertragsärzten haben (vgl. BSG SozR 5545 § 6 Nr. 1 S. 2). Unabhängig davon bleibt den Versicherten das Recht, auch andere als in ihrer Wohnortgemeinde zugelassene Vertragsärzte in Anspruch zu nehmen (§ 76 Abs. 1 Satz 1 SGB V), wie auch der einzelne Vertragsarzt berechtigt ist, Patienten zu behandeln, die nicht in der politischen Gemeinde seines Kassenarztsitzes wohnen.

Bei der Beantwortung der Frage, ob der Betrieb einer Zweigpraxis zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung in einer Gemeinde oder einem Ortsteil notwendig ist, steht der KÄV ein gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Einen solchen billigt der Senat den Zulassungsgremien bei der Entscheidung über die Ermächtigung von weitergebildeten Krankenhausärzten zur Teilnahme an der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung (§ 116 SGB V) zu. Er erstreckt sich darauf, ob im ambulanten Bereich eine Versorgungslücke existiert und wie lange zu deren Schließung die Ermächtigung eines Krankenhausarztes geboten ist (SozR 3-2500 § 116 Nr. 1 S. 4; BSGE 70, 167, 175 = SozR 3-2500 § 116 Nr. 2 S. 17; BSGE 73, 25, 29 = SozR 3-2500 § 116 Nr. 4 S. 29). Ob im ambulanten Bereich ein Versorgungsdefizit besteht, hängt von verschiedenen Faktoren ab (zB der Anzahl der Ärzte, dem Stand der Krankenhausversorgung, der Bevölkerungsdichte, von Art und Umfang der Nachfrage und von der räumlichen Zuordnung aufgrund der vorhandenen Verkehrsverbindungen), die für sich und in ihrer Abhängigkeit untereinander weitgehend unbestimmt sind (vgl. BSG SozR 5520 § 29 Nr. 5 S. 20). Auch die ortsnahen fachkundigen Zulassungsinstanzen können deshalb nur ungefähr entscheiden, ob und inwieweit die niedergelassenen Ärzte eine ausreichende Versorgung gewährleisten, was es rechtfertigt, diesen Gremien insoweit einen Beurteilungsspielraum zuzugestehen und eine Entscheidung, die sich im Rahmen der Beurteilungsermächtigung hält, hinzunehmen. Diese Erwägungen gelten in gleicher Weise für die Beantwortung der Frage, ob zur Gewährleistung einer ausreichenden Versorgung durch einen zugelassenen Vertragsarzt diesem zu gestatten ist, außerhalb seiner Praxis Sprechstunden abzuhalten. Auch diese Entscheidung erfordert eine Beurteilung der regionalen bzw. örtlichen Versorgungslage und wird von zahlreichen Umständen beeinflußt, die nicht exakt ermittelt, sondern nur - jeder für sich und im Zusammenhang - wertend gewürdigt werden können, etwa die Bevölkerungsstruktur, die Ausrichtung eines Ortsteils und seiner Bewohner auf einen näher gelegenen größeren Ort und die Verkehrsverhältnisse. Hierüber zu entscheiden, ist in erster Linie Sache derer, die es angeht, hier also der KÄV, der gesetzlich die Verantwortung für die Sicherstellung einer ausreichenden ambulanten Versorgung der Versicherten übertragen ist (§ 75 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Damit ist keine unzumutbare Beeinträchtigung der Belange der Versicherten verbunden, denn die Krankenkassen, die nach § 72 Abs. 1 SGB V bei der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung mitwirken, können im Interesse ihrer Versicherten bei der KÄV auf die Erteilung einer Genehmigung zur Abhaltung von Zweigsprechstunden hinwirken. In § 6 Abs. 6 Satz 3 BMV-Z ist ausdrücklich bestimmt, daß die Krankenkassen die Errichtung von Zweigpraxen beantragen können. Dieses Recht steht ihnen auch im vertragsärztlichen Bereich zu.

Verfügt die KÄV bei der Entscheidung über die Notwendigkeit des Betriebs einer Zweigpraxis über einen Beurteilungsspielraum, beschränkt sich die gerichtliche Kontrolle darauf, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtig und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt, ob die KÄV die durch Auslegung des Begriffs der Erforderlichkeit ermittelten Grenzen eingehalten hat und ob sie ihre Subsumtionserwägungen so verdeutlicht und begründet hat, daß im Rahmen des Möglichen die zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist (vgl. SozR 5520 § 29 Nr. 5 S. 20; SozR 5520 § 29 Nr. 7 S. 28f.). Diesen Anforderungen werden die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten gerecht. Diese hat hinreichend beachtet, daß Zweigsprechstunden nur genehmigt werden dürfen, wenn die Versorgung der Versicherten in den Praxen zugelassener Ärzte nicht hinreichend gewährleistet ist. Dabei hat sie durchaus anerkannt, daß wegen der großen flächenmäßigen Ausdehnung der Gemeinde W. das Angebot von Sprechstunden nur im Ortsteil W. , der 8 km vom Ortsteil W. entfernt ist, möglicherweise für die Versorgung von älteren und multimorbiden Patienten aus diesem Ortsteil nicht ausreichend ist. Deren Belangen hat sie durch die Genehmigung einer Zweigpraxis im Ortsteil W. für den in dieser Gemeinde niedergelassenen Arzt Dr. F. Rechnung getragen. Es ist nicht zu beanstanden, daß die Beklagte dem in der Gemeinde W. niedergelassenen Arzt Dr. F. und nicht den in einer anderen politischen Gemeinde niedergelassenen Klägern die Abhaltung von Zweigsprechstunden im Ortsteil W. ermöglicht. Die Gemeinde W. mit allen Ortsteilen hat ca 1.600 Einwohner, die grundsätzlich durch einen Arzt für Allgemeinmedizin ausreichend versorgt werden können. Nach den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Bedarfsplanung sowie die Maßstäbe zur Feststellung von Überversorgung und Unterversorgung in der vertragsärztlichen Versorgung vom 9. März 1993 (Bedarfsplanungs-Richtlinien-Ärzte, BAnzNr 110a vom 18. Juni 1993, S. 5564) entspricht in einem ländlichen Kreis in einer ländlichen Region eine Verhältniszahl von einem Allgemeinarzt auf 1.753 Einwohner dem allgemeinen bedarfsgerechten Versorgungsgrad i.S. von § 101 Satz 3 SGB V. Wenn die gesamte Gemeinde W. durch den dort zugelassenen Allgemeinarzt Dr. F. bei statistischer Betrachtung schon (geringfügig) überversorgt ist, ist es sachgerecht, die Optimierung der vertragsärztlichen Versorgung in den einzelnen Ortsteilen dieser Gemeinde zunächst dadurch zu realisieren, daß dem niedergelassenen Arzt gestattet wird, in einzelnen Ortsteilen Zweigsprechstunden abzuhalten. Die Erteilung einer entsprechenden Genehmigung an Ärzte, die in einer anderen politischen Gemeinde ihren Praxissitz haben, hat die Beklagte demgegenüber zu Recht als nachrangig angesehen. Dabei hat sie die Interessen der Versicherten an einer "humanen Krankenbehandlung" (§ 70 Abs. 2 SGB V) ausreichend beachtet. Aus diesem Gebot läßt sich ebensowenig wie aus dem Recht der Versicherten auf freie Wahl unter den zugelassenen Vertragsärzten (§ 76 Abs. 1 Satz 1 SGB V) ein Anspruch der Versicherten ableiten, in jedem Ort oder in jedem Ortsteil die Auswahl zwischen zumindest zwei Ärzten jeder Fachrichtung zu haben.

Nicht zu beanstanden ist schließlich, daß die Beklagte dem Umstand, daß die Kläger und ihr verstorbener Vater seit langem im Ortsteil W. ärztlich tätig sind, keine ausschlaggebende Bedeutung zugemessen hat. Weder den Klägern noch ihrem Vater ist eine Genehmigung zum Betrieb einer Zweigpraxis in einem Privathaus im Ortsteil W. erteilt worden. Aus ihrer ungenehmigten Tätigkeit dort können die Kläger nicht herleiten, daß ihnen nunmehr eine entsprechende Genehmigung zu erteilen ist. Das gilt auch für den Umstand, daß es im Laufe dieses Verfahrens zwischen den Klägern und Dr. F. zu Spannungen gekommen sein soll, in die auch Patienten einbezogen waren. Wäre die Beklagte gehalten, dem bei ihrer Entscheidung zugunsten der Kläger Rechnung zu tragen, hätten es einzelne Ärzte in der Hand, durch das Schüren von Konflikten mit ihren am Ort niedergelassenen Kollegen rechtliche Vorteile in Gestalt einer Genehmigung für den Betrieb einer Zweigpraxis zu erreichen, auf die sie keinen Anspruch haben. Das widerspräche rechtsstaatlichen Grundsätzen, denn der Verstoß eines Arztes gegen die in den Berufungsordnungen der einzelnen Ärztekammern normierte Verpflichtung der Ärzte untereinander zu kollegialem und rücksichtsvollem Verhalten darf für den Betroffenen nicht mit positiven Konsequenzen verbunden sein.

Da sich die Entscheidung der Beklagten in den Grenzen des ihr zukommenden Beurteilungsspielraums hält, bedarf keiner Entscheidung, ob der KÄV auch dann, wenn sie die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten in einer Gemeinde oder einem Ortsteil nicht als gewährleistet ansieht, ein Ermessen bei der Entscheidung zukommt, eine Zweigpraxis zu genehmigen oder nicht. Hinsichtlich der strukturell vergleichbaren Entscheidung über die Ermächtigung eines weitergebildeten Krankenhausarztes steht die Rechtsprechung des Senats seit jeher auf dem Standpunkt, daß es sich um eine gebundene Entscheidung in dem Sinne handelt,

daß der Krankenhausarzt einen Anspruch auf Ermächtigung hat, soweit die Zulassungsinstanzen beurteilungsfehlerfrei eine Versorgungslücke festgestellt haben (vgl. SozR 3-2500 § 116 Nr. 1 S. 3). Daß dies hinsichtlich der Genehmigung einer Zweigpraxis anders sein könnte, liegt zumindest nicht nahe. Vieles spricht daher dafür, daß der KÄV ein Ermessen lediglich in der Weise zusteht, daß sie gegebenenfalls zwischen mehreren an der Durchführung von Zweigsprechstunden interessierten Ärzten sachgerecht auswählen kann, daß sie aber nicht berechtigt ist, bei Feststellung einer Versorgungslücke und vorhandener Bereitschaft eines Arztes, Zweigsprechstunden abzuhalten, die Genehmigung mit der Erwägung zu versagen, sie ziehe die Niederlassung eines Arztes im betroffenen Ortsteil vor, zumindest solange eine solche Niederlassung nicht konkret realisiert wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.6 RKa 55/94

BUNDESSOZIALGERICHT

 

Fundstellen

BSGE, 188

Breith. 1996, 627

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