Verfahrensgang

LSG für das Saarland (Urteil vom 08.10.1992)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 8. Oktober 1992 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob der Kläger einen Anspruch auf die Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit (BU) hat.

Der 1950 geborene Kläger war von 1965 bis 1991 bei demselben Unternehmen beschäftigt. Nach Abschluß einer Lehre als Gas- und Wasserinstallateur im Jahre 1969 arbeitete er zunächst im erlernten Beruf. 1972 wurde er innerbetrieblich zum Schweißer umgeschult. Bis zu seinem Ausscheiden aus dem Betrieb im Februar 1991 arbeitete er dann als Schweißer. In den Jahren 1979, 1985, 1987 und 1988 legte er die Schweißerprüfung DIN 8560 MAG-B I g-Schutzgas-MAG ab. Er wurde durchgehend nach der Lohngruppe 6 des Lohnrahmentarifvertrages für Arbeiter der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Saarlandes entlohnt. Unter diese Lohngruppe 6 fallen: „Qualifizierte Facharbeiten, die besondere Fertigkeiten und langjährige Berufserfahrung voraussetzen.”

Den Antrag des Klägers auf Gewährung von Versichertenrente vom 15. Januar 1990 lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 26. März 1990). Den Widerspruch wies sie zurück (Widerspruchsbescheid vom 5. September 1990). Die Beklagte ging davon aus, daß bisheriger Beruf des Klägers derjenige eines Schweißers sei, es sich dabei um eine Anlerntätigkeit handele und der Kläger deshalb auch auf ungelernte Tätigkeiten, wie zB die eines Büroboten, Pförtners oder Telefonisten verwiesen werden könne. Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 26. März 1990 idF des Widerspruchsbescheides vom 5. September 1990 verurteilt, bei dem Kläger BU ab Antragstellung (15. Januar 1990) anzuerkennen und BU-Rente entsprechend den gesetzlichen Vorschriften zu gewähren (Urteil vom 18. September 1991).

Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 8. Oktober 1992). In den Entscheidungsgründen hat es im wesentlichen ausgeführt, daß der Kläger mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen noch in der Lage sei, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte bis unter halbschichtig auch mittelschwere Tätigkeiten zu verrichten. Der Kläger könne weder als Schweißer noch als Gas- und Wasserinstallateur tätig sein. Er habe bis zur Umstrukturierung der S. … GmbH nach bestandener Gesellenprüfung dort als Gas- und Wasserinstallateur und somit als Facharbeiter gearbeitet. Seine spätere langjährige Tätigkeit als Schweißer sei demgegenüber nicht als Facharbeitertätigkeit anzusehen sondern lediglich als gehobene Anlerntätigkeit. Der Kläger habe sich aber von dem zuvor ausgeübten Facharbeiterberuf nicht freiwillig gelöst. Zumutbare Verweisungstätigkeiten für den Kläger seien nicht ersichtlich. Die von der Beklagten benannte Verweisungstätigkeit als Hausmeister komme nicht in Betracht, denn dabei handele es sich nach Auskunft des Landesarbeitsamtes Rheinland-Pfalz-Saarland um eine mittelschwere Arbeit, die auch mit Heben und Tragen schwerer Lasten verbunden sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom LSG zugelassene Revision der Beklagten. Die Beklagte rügt die Verletzung des § 1246 Reichsversicherungsordnung (RVO). Sie ist der Auffassung, daß der Kläger sich von seinem Facharbeiterberuf gelöst habe und als angelernter Arbeiter auf die Tätigkeiten eines Boten, Pförtners oder Telefonisten sozial zumutbar verwiesen werden könne. Auch ein unfreiwilliger Berufswechsel könne zur Lösung vom bisherigen Beruf führen. Eine Lösung vom Beruf sei in der Regel zu bejahen, wenn der Versicherte die neue Tätigkeit längere Zeit ausgeübt habe, ohne versucht zu haben, zur früheren Arbeit zurückzukehren, obwohl ein solcher Versuch nicht als von vornherein erfolglos hätte angesehen werden müssen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 8. Oktober 1992 und das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 18. September 1991 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 8. Oktober 1992 zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung des Rechtsstreits begründet. Die Feststellungen des LSG reichen für eine abschließende Entscheidung nicht aus.

Für die Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch sind noch die Vorschriften der RVO maßgebend (§ 300 Abs 2 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch -≪SGB VI≫).

Nach § 1246 Abs 2 RVO ist für die Beurteilung der Frage, ob BU besteht, der bisherige Beruf des Versicherten maßgebend. Bisheriger Beruf in diesem Sinne ist in der Regel die letzte, nicht vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 53 und 66). Insbesondere beim Wechsel von einem im Sinne des von der Rechtsprechung zu § 1246 RVO entwickelten Berufsgruppenschemas höherqualifizierten zu einem minderqualifizierten Beruf ist aber der früher ausgeübte Beruf weiterhin bisheriger Beruf, wenn der Versicherte sich von diesem Beruf nicht gelöst hat. Sind betriebsbedingte Gründe, wie etwa ein Wegfall des bisherigen Arbeitsplatzes für den Berufswechsel maßgebend gewesen, so hat der Versicherte sich erst von seinem früheren Beruf gelöst, wenn er sich mit dem Berufswechsel abgefunden hat (vgl BSG SozR 2600 § 45 Nr 22).

Der Kläger hat nach den Feststellungen des LSG seinen früheren Beruf als Gas-und Wasserinstallateur, bei dem es sich um eine Facharbeitertätigkeit handelte, aus betriebsbedingten Gründen aufgegeben, denn dieser Arbeitsplatz fiel im Betrieb weg. Gegen die Annahme des LSG, dieser Beruf sei dennoch weiterhin der bisherige Beruf des Klägers iS von § 1246 Abs 2 RVO, wendet sich die Revision mit Erfolg. Nach der oa Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kann auch ein betrieblich bedingter und damit unfreiwilliger Arbeitsplatzwechsel grundsätzlich zur Lösung vom bisherigen Beruf führen. Um dies zu vermeiden, ist in der Rechtsprechung auch des erkennenden Senats bisher stets gefordert worden, daß ein Versicherter sich zumindest um die Rückkehr in seinen früheren Beruf, auch bei einem anderen als seinen bisherigen Arbeitgeber, bemüht haben muß (vgl zB SozR 2600 § 45 Nr 22, SozR 2200 § 1246 Nr 158 und Urteil vom 4. August 1981 – 5a/5 RKn 10/79 –). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Das LSG geht selbst davon aus, daß der Kläger unter Beachtung dieser Rechtsprechung sich von seinem bisherigen Beruf gelöst hat. Es führt aus, daß ein Regelfall, dh ein Fall, bei dem der Versicherte sich um die Rückkehr in den früheren Beruf bemühen müsse, hier nicht gegeben sei. Dem Kläger sei es nicht zuzumuten gewesen, sich um eine Beschäftigung in seinem Hauptberuf zu bemühen. Damit ist hinreichend deutlich festgestellt, daß der Kläger sich tatsächlich nicht um eine Rückkehr in den Beruf des Gas- und Wasserinstallateurs bemüht hat. Soweit das LSG gleichwohl annimmt, daß der Kläger sich nicht von diesem Beruf gelöst hat, sind die dafür genannten Gründe nicht durchgreifend. Das LSG begründet dies damit, daß der Kläger vor und nach dem Berufswechsel nach Lohngruppe 6 des Lohnrahmentarifvertrages entlohnt worden ist, einer Lohngruppe für qualifizierte Facharbeiten, die besondere Fertigkeiten und langjährige Berufserfahrungen voraussetzen. Bei dieser Sachlage sei es dem Kläger nicht zuzumuten gewesen, sich mit dem ausschließlichen Ziel der Erhaltung des Facharbeiterschutzes – gegebenenfalls sogar unter Inkaufnahme von Einkommenseinbußen – in anderen Betrieben um eine Beschäftigung in seinem Hauptberuf zu bemühen. Diese Auffassung widerspricht der Rechtsprechung des BSG. Die Höhe des im neuen Beruf erzielten Lohnes ist für die Frage, ob der Versicherte sich von seinem bisherigen Beruf löst, nicht erheblich. Auch dann, wenn der bisherige Arbeitgeber für eine neue, minderqualifizierte Tätigkeit denselben Lohn zahlt wie bisher, löst sich der Versicherte von seinem bisherigen Beruf, wenn er sich nicht bemüht – gegebenenfalls auch durch einen Wechsel zu einem neuen Arbeitgeber –, diesen wieder auszuüben (vgl BSGE 15, 212, 215; Urteil des 13. Senats vom 8. Oktober 1992 – 13 RJ 41/91 –).

Der Senat kann nicht aus anderen Gründen in der Sache entscheiden. Das LSG hat einerseits, von der Beklagten unangegriffen und damit für den Senat bindend, festgestellt, daß der Kläger ausgehend von einem bisherigen Beruf als Facharbeiter keine ihm zumutbaren Verweisungstätigkeiten verrichten kann. Insbesondere die Tätigkeit eines Hausmeisters kann er nach diesen Feststellungen nicht verrichten. Andererseits hat das LSG ausgeführt, daß die zuletzt vom Kläger verrichtete Tätigkeit eines Schweißers keine Facharbeitertätigkeit gewesen sei. Es hat dazu, insoweit vom Kläger unangegriffen, festgestellt, daß die vom Kläger verrichteten Schweißertätigkeiten aufgrund der abgelegten Prüfungen nur als Anlerntätigkeiten zu beurteilen seien. Ob der Kläger mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen noch konkret zu benennende Tätigkeiten verrichten kann, die einem angelernten Arbeiter zumutbar sind, hat das LSG nicht festgestellt. Diese Feststellungen kann der Senat nicht selbst treffen.

Das LSG hat in seine Erwägungen zur Qualität der Tätigkeit als Schweißer nicht einbezogen, daß der Kläger nach der Lohngruppe 6 des für ihn maßgebenden Lohnrahmentarifvertrages und damit einer Lohngruppe, die für qualifizierte Facharbeiten gilt, entlohnt worden ist. Darauf hat der Kläger im Revisionsverfahren ausdrücklich hingewiesen. Diese hohe Entlohnung könnte ein Indiz dafür sein, daß die tatsächlich verrichtete Tätigkeit vom Kläger einer Facharbeitertätigkeit gleichzustellen ist. Soweit das LSG dazu Ermittlungen angestellt hat, hat es diese in seinem Urteil nicht berücksichtigt. Vorsorglich wird insoweit aber darauf hingewiesen, daß hier keine für die Qualität der Tätigkeit in der Regel maßgebliche tarifvertragliche Einstufung der Schweißertätigkeit vorliegt. Diese ist nur dann gegeben, wenn die ausgeübte Tätigkeit im Tarifvertrag – und damit einvernehmlich zwischen den Tarifvertragsparteien – benannt und einer Lohngruppe, die für Facharbeiter gilt, zugeordnet ist. Davon ist das LSG offensichtlich auch ausgegangen. Die hohe tarifliche Einstufung und Entlohnung der Tätigkeit des Klägers durch den Arbeitgeber allein ist hier nur ein Indiz für die Qualität der geleisteten Arbeit. Die Höhe des Lohnes als Indiz hat jedoch dann keine Bedeutung mehr, wenn allein der Arbeitgeber in seinem Unternehmen alle Arbeitnehmer in eine Facharbeiterlohngruppe einstuft, die eine Tätigkeit ausüben, die nach der Dauer der Ausbildung als Anlerntätigkeit zu bewerten ist.

Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174175

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