Entscheidungsstichwort (Thema)

Berechnung des Konkursausfallgeldes. Provision. Annahmeverzug des Arbeitgebers. Verzinsung von Ansprüchen auf Konkursausfallgeld

 

Orientierungssatz

1. Bei der Berechnung des Konkursausfallgeldes sind auch Provisionsansprüche zu berücksichtigen, die - als echte Erfüllungsansprüche - aus dem Annahmeverzug des Arbeitgebers im maßgeblichen Konkursausfallgeld-Zeitraum entstanden sind.

2. Nicht nur die - primären - Provisionsansprüche, die in dem maßgeblichen Dreimonatszeitraum durch Eintritt des Erfolgs der Vermittlungstätigkeit "erarbeitet" worden sind, genießen den Schutz der Konkursausfallgeldversicherung. Geschützt sind auch diejenigen Provisionen, die ohne Annahmeverzug des Arbeitgebers erarbeitet worden wären.

3. Für deren Berechnung gilt das Lohnausfallprinzip, dh es sind die Provisionen zu ermitteln, die der Arbeitnehmer erzielt hätte, wenn er während des Verzugszeitraums weiterhin die geschuldeten Leistungen (Vertragsannahmen) erbracht hätte. Da es sich bei diesen - hypothetischen - Provisionen um schwankende Vergütung handelt, ist eine Schätzung erforderlich (vgl BAG 1976-08-19 3 AZR 173/75 = DB 1976, 2308).

 

Normenkette

AFG § 141b Abs 1 Fassung: 1974-12-21; AFG § 141b Abs 2 Fassung: 1979-07-23; BGB § 615; SGB 1 § 44 Fassung: 1975-12-11

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 04.02.1983; Aktenzeichen L 1 Ar 31/82)

SG Kiel (Entscheidung vom 22.02.1982; Aktenzeichen S 3 Ar 92/81)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Konkursausfallgeldes (Kaug) des Klägers hinsichtlich der Anteile seines Arbeitsentgelts, die auf entgangene Provisionen entfallen.

Der Kläger war Bezirks-Verkaufsleiter der Firma L Bau GmbH, L, über deren Vermögen am 1. November 1979 das Konkursverfahren eröffnet worden ist. Nach dem Arbeitsvertrag vom 10. Juni 1977 erhielt der Kläger für seine Tätigkeit monatlich mindestens 2.500 DM, die mit jeweils erbrachten Provisionen spätestens am 30. November eines jeden Jahres zu verrechnen waren. Mit Schreiben vom 27. September 1979 kündigte ihm die Arbeitgeberin das Beschäftigungsverhältnis zum 31. März 1980, weil der Geschäftsbetrieb wegen Zahlungsunfähigkeit eingestellt wurde.

In einem anschließend gegen den Konkursverwalter der Firma L Bau GmbH geführten Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Lübeck (2 Ca 2223/79) wurde dieser durch rechtskräftiges Teilurteil vom 6. Februar 1980 zur Arbeitsentgeltzahlung von 5.524 DM für den Monat Juli 1979 sowie 5.500 DM abzüglich Arbeitslosengeld (Alg) für den Monat November 1979 verurteilt. In den Entscheidungsgründen heißt es dazu, die letztgenannte Summe entspreche dem Provisionsbetrag über die 2.500 DM hinaus, den der Kläger ohne den Annahmeverzug seines Arbeitgebers verdient hätte.

In einem weiteren Arbeitsrechtsstreit des Klägers (2 Ca 1011/80) erkannte der Konkursverwalter durch gerichtlichen Vergleich vom 20. Juni 1980 an, dem Kläger für die Monate August, September und Oktober 1979 je 5.524 DM brutto abzüglich Kaug bzw Alg zu schulden, wandte aber Massearmut ein.

Nachdem der am 4. Oktober 1979 gestellte Kaug-Antrag des Klägers mit Bescheid vom 7. Februar 1980 und Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 1980 abgelehnt worden war, verpflichtete sich die Beklagte in dem vor dem Sozialgericht Kiel (SG) geführten Rechtsstreit (S 6 Ar 160/80) durch Vergleich, "... dem Kläger unter Zugrundelegung von mindestens 2.500 DM monatlich im Konkursausfallgeld-Zeitraum Konkursausfallgeld zu gewähren...".

Bei der Neuberechnung des Kaug im Bescheid vom 20. März 1981 legte sie einen nach der Verdienstbescheinigung bestehenden Anspruch auf ausgefallenes Netto-Arbeitsentgelt in Höhe von insgesamt 6.586,55 DM zugrunde. Auf den Widerspruch bewilligte sie dem Kläger Zinsen für die Zeit von August bis Dezember 1980; im übrigen wies sie den Widerspruch mit der Begründung zurück, der vollständige Antrag auf Kaug sei erst im Januar 1980 eingereicht worden, so daß die Verzinsung frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach der Antragstellung begonnen habe; das Kaug sei zutreffend festgestellt worden (Widerspruchsbescheid vom 24. Juli 1981).

Die hiergegen erhobene Klage, mit der der Kläger Kaug nach einem Bruttoarbeitsentgelt von 15.742,30 DM zuzüglich 4 vH Zinsen seit dem 1. August 1980 geltend gemacht hatte, hatte keinen Erfolg (Urteil des SG Kiel vom 22. Februar 1982). Auf die Berufung des Klägers wurde die Beklagte antragsgemäß verurteilt, ihm für die Zeit vom 1. August bis 31. Oktober 1979 Kaug nach einem monatlichen Brutto-Arbeitsentgelt von 5.524 DM zu zahlen, zuzüglich 4 % Zinsen seit dem 1. August 1980. Zur Begründung hat das Landessozialgericht (LSG) im Urteil vom 4. Februar 1983 im wesentlichen ausgeführt, dem Kläger stehe das aufgrund des Vergleichs vor dem SG zu Recht bewilligte Kaug über den mit den angefochtenen Bescheiden festgestellten Betrag hinaus nach einem monatlichen Brutto-Arbeitseinkommen von 5.524 DM zu, wie es im arbeitsgerichtlichen Vergleich vom 20. Juni 1980 für den hier maßgeblichen Kaug-Zeitraum vom Konkursverwalter zugestanden worden sei. Diesen Vergleich müsse die Beklagte gegen sich gelten lassen, wobei dahingestellt bleiben könne, ob sich dies bereits aus der Tatbestandswirkung des Vergleichs ergebe. Auch wenn die Bezugnahme des § 141b Abs 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) auf das Arbeitsrecht als Rechtsgrundverweisung angesehen werde, so daß die arbeitsrechtliche Vorfrage nach den Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis aufgrund einer erneuten Sachprüfung zu beantworten wäre, ergebe sich nichts anderes. Insbesondere fehle jeder Anhalt dafür, daß etwa eine überhöhte Vergleichssumme nur zum Schein oder in der Absicht vereinbart worden wäre, dadurch die Beklagte zu benachteiligen. Unerheblich bleibe, daß der arbeitsgerichtliche Vergleich keine Regelung über den Primäranspruch, sondern statt dessen über den Schadensersatzanspruch des Klägers aus dem Verzug des Arbeitgebers (Sekundäranspruch) enthalte. Da sich diese Schadensersatzforderung aus dem Arbeitsverhältnis herleite, werde sie von den "Bezügen aus dem Arbeitsverhältnis" iS von § 141b Abs 2 AFG iVm § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst a der Konkursordnung (KO) erfaßt. Dies stimme auch mit dem Zweck des Kaug überein, den Arbeitnehmer so zu stellen, als wenn der Arbeitgeber im Kaug-Zeitraum seine arbeitsrechtlichen Verpflichtungen noch voll erfüllt hätte. Der Zinsanspruch folge aus § 44 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB I). Daß dessen Voraussetzungen spätestens im Januar 1980 erfüllt gewesen seien, sei zwischen den Beteiligten mit Recht unstreitig. unstreitig.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 141b Abs 1 und 141d Abs 1 AFG. Das LSG habe nicht die im arbeitsgerichtlichen Vergleich vereinbarten Schadensersatzansprüche aus Verzug des Arbeitgebers bei der Berechnung des Kaug zugrundelegen dürfen. Denn in dem vor dem SG mit dem Kläger geschlossenen Vergleich sei - wie sich aus dem Vergleichsprotokoll ergebe - davon ausgegangen worden, daß das zu berücksichtigende Arbeitsentgelt von mindestens 2.500 DM sich durch entsprechende Provisionen erhöhen könne, wenn sich dies für den Zeitraum vom 1. August bis 31. Oktober 1979 bei der endgültigen Abklärung der Provisionsabrechnungen ergebe. Danach sei durch diesen Vergleich der Rechtsstreit bis auf die Berücksichtigung von Provisionsansprüchen beendet gewesen. Andere Ansprüche - zB auf Schadensersatz - hätten keinen Einfluß auf den Kaug-Anspruch haben sollen. Aber auch bei einer anderen Auslegung des sozialgerichtlichen Vergleichs könnten die Schadensersatzansprüche aus dem arbeitsgerichtlichen Vergleich den Kaug-Anspruch des Klägers nicht beeinflussen; denn entscheidend für die Erfüllung der Voraussetzungen des § 141b AFG seien die tatsächlichen Gegebenheiten, wie sich aus der Zielsetzung der Kaug-Regelung ergebe. Danach könnten bloße Schadensersatzansprüche, denen keine Arbeitsleistung gegenüberstehe, nicht durch Kaug gesichert werden. Innerhalb des Kaug-Zeitraums seien keine kaug-fähigen Provisionsansprüche mehr entstanden, weil der letzte - Provisionsansprüche auslösende - Vertragsabschluß mit dem Arbeitgeber unstreitig vor dem Kaug-Zeitraum erfolgt sei. Auf diesen Zeitpunkt des Entstehens des Provisionsanspruchs komme es aber nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) an. Falls die Ansprüche des Klägers aus Annahmeverzug des Arbeitgebers als kaug-fähig erachtet würden, müsse die Sache an das LSG zurückverwiesen werden, weil insoweit keine ausreichenden Tatsachenfeststellungen getroffen worden seien.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts vom 4. Februar 1983 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 22. Februar 1982 zurückzuweisen sowie zu entscheiden, daß außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, daß dem Kläger ein höheres Kaug zusteht. Bei dessen Berechnung ist über den mit den angefochtenen Bescheiden festgestellten Betrag hinaus ein monatliches Brutto-Arbeitsentgelt in der vom LSG zugestandenen Höhe von 5.524 DM zugrunde zu legen; denn dem Kläger haben für den hier maßgeblichen Kaug-Zeitraum vom 1. August bis 31. Oktober 1979 monatliche Provisionsansprüche in dieser Höhe gegen den Arbeitgeber/Gemeinschuldner zugestanden, die bei Konkurseröffnung am 1. November 1979 noch nicht erfüllt waren.

Dem steht der vor dem SG am 28. Oktober 1980 geschlossene Vergleich (S 6 Ar 160/80) nicht entgegen. In diesem hatte sich die Beklagte nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG verpflichtet, dem Kläger Kaug unter Zugrundelegung von "mindestens" 2.500 DM monatlich (Provisionsfixum) im Kaug-Zeitraum zu gewähren. Danach sollten, wovon die Beklagte selbst ausgeht, weitergehende Provisionsansprüche, soweit sie auf die Kaug-Zeit entfallen, bei der Neuberechnung des Kaug Berücksichtigung finden. In diesem Sinn hat auch das LSG den Vergleich ausgelegt. Ob der Senat hieran gebunden ist, kann offenbleiben, denn er würde den Vergleich in gleicher Weise wie das LSG auslegen. Hierbei kann dahinstehen, ob es dem Willen der vergleichschließenden Parteien entsprochen hat, andere als Provisionsansprüche - zB Schadensersatzansprüche - bei der Neuberechnung des Kaug auszuschließen, wie die Beklagte nunmehr einem richterlichen Hinweis im Vergleichsprotokoll vom 28. Oktober 1980 entnehmen zu können glaubt. Dies rechtfertigte jedenfalls nicht die Annahme, daß auch solche Provisionsansprüche hätten unberücksichtigt bleiben sollen, die - als echte Erfüllungsansprüche - aus dem Annahmeverzug des Arbeitgebers im maßgeblichen Kaug-Zeitraum entstanden sind. Da es hier nur um solche Ansprüche geht, konnten sie auch nach dem sozialgerichtlichen Vergleich bei der Neuberechnung des Kaug zugrunde gelegt werden.

Zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt, die unter den Voraussetzungen des § 141b Abs 1 AFG einen Anspruch auf Kaug auslösen, gehören alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, die unabhängig von der Zeit, für die sie geschuldet werden, Masseschulden nach § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst a KO sein können (§ 141b Abs 2 AFG in der seit 1. August 1979 geltenden Fassung durch das Fünfte Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes -5. AFG-ÄndG- vom 23. Juli 1979, BGBl I S 1189). § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst a KO erfaßt alle Ansprüche der Arbeitnehmer auf "Bezüge aus einem Arbeitsverhältnis" mit dem Gemeinschuldner. Dieser Begriff des Arbeitsentgelts, der durch die Anknüpfung in § 141b Abs 2 AFG auch für die Kaug-Versicherung maßgeblich ist, ist umfassend; er erfaßt alle Arten von Bezügen aus dem Arbeitsverhältnis, die als Gegenwert für geleistete Arbeit oder für das Zurverfügungstellen der Arbeitskraft angesehen werden können (BSG SozR 4100 § 141b Nr 5 S 15; Nr 10, S 35 mwN, Nr 14 S 60; Gagel, Kaug, zugleich 2. Lieferung zu Gagel/Jülicher, AFG, § 141b RdNr 10). Daß auch Provisionsansprüche unselbständiger Arbeitnehmer iS von § 84 Abs 2 des Handelsgesetzbuchs (HGB) zum kaug-fähigen Arbeitsentgelt gehören, hat der erkennende Senat bereits entschieden (vgl Urteil vom 24. März 1983 - 10 RAr 15/81 - zur Veröffentlichung bestimmt), und darauf hingewiesen, daß deren Besonderheit darin besteht, daß die vom Arbeitnehmer aufgrund der Provisionsabrede geschuldete Gegenleistung für die Provision regelmäßig erst in dem Zeitpunkt erfüllt ist (die Provision "erarbeitet" ist), in dem das vermittelte Geschäft vom Arbeitgeber abgeschlossen wird, "der Auftrag hereingebracht ist".

Dies bedeutet entgegen der Ansicht der Beklagten aber nicht, daß nur die - primären - Provisionsansprüche, die in dem maßgeblichen Dreimonatszeitraum durch Eintritt des Erfolgs der Vermittlungstätigkeit "erarbeitet worden sind, kaug-rechtlichen Schutz genießen. Geschützt sind vielmehr auch diejenigen Provisionen, die ohne Annahmeverzug des Arbeitgebers erarbeitet worden wären. Kommt der Arbeitgeber (Dienstberechtigte) mit der Annahme der Dienste in Verzug, etwa weil er die angebotene Vermittlungstätigkeit nicht mehr in Anspruch nimmt oder eine nach dem Dienstvertrag für die Entstehung des Provisionsanspruchs gebotene Mitwirkungshandlung unterläßt, kann der Arbeitnehmer (Dienstverpflichtete) die Weiterzahlung der vereinbarten Vergütung für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste verlangen, ohne daß er zur Nachleistung dieser Dienste verpflichtet ist (§§ 611, 615 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches -BGB-); er muß sich allerdings den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge Unterbleibens dieser Dienste erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterläßt (§ 615 Satz 2 BGB). § 615 Satz 1 BGB gewährt keinen eigenen Anspruch, sondern erhält den Vergütungsanspruch aus dem Dienst- bzw Arbeitsverhältnis aufrecht, den der Dienstverpflichtete gehabt hätte, wenn der Dienstberechtigte nicht in Annahmeverzug geraten wäre. Dieser Anspruch ist mithin echter Erfüllungsanspruch und nicht - wie die Beklagte meint - ein Schadensersatzanspruch (so BGH NJW 1967, 248 = LM Nr 2 zu § 615 BGB; BAG AP Nr 23 zu § 615 BGB; KR-Becker, § 11 KSchG Rz 29; Erman/Küchenhoff, Komm zum BGB, § 615 RdNr 1; Soergel/Wlotzke/Volze, Komm zum BGB, § 615 RdNr 1; Staudinger/Nipperdey/Mohnen, Komm zum BGB, § 615 RdNr 2; Schaub in Münchner Komm, § 615 RdNr 38). Er unterfällt damit dem allgemeinen Begriff der Arbeitsvergütung und genießt den Schutz der Konkursprivilegien der §§ 59, 61 KO. Das ist für das Konkursrecht unbestritten.

Auch aus dem Urteil des BAG vom 13. August 1980 (BAGE 34, 101 = NJW 1981, 885 = AP Nr 11 zu § 59 KO = DBlR BA Nr 2448a zu § 141b AFG) ergibt sich nichts anderes. Dort ist ausdrücklich ausgeführt, daß auch Schadensersatzansprüche aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis konkursrechtlich Lohnansprüchen gleichstehen, jedenfalls soweit sie die Funktion von Arbeitsentgelt haben. Das trifft erst recht für die auf Erfüllung gerichteten Ansprüche des § 615 Satz 1 BGB zu. Ob Schadensersatzansprüche aus § 628 Abs 2 BGB von § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst a KO - und damit von § 141b Abs 2 AFG - erfaßt werden, bedarf hier keiner Erörterung (vgl Urteil des Senats vom 29. Februar 1984 - 10 RAr 20/82 -). Denn diese Ansprüche entfallen - anders als die hier streitigen Ansprüche aus § 615 Satz 1 BGB - auf die Zeit nach beendetem Arbeitsverhältnis (vgl BAG, aaO).

Handelt es sich - wie im vorliegenden Fall - um Ansprüche für die Zeit vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses, die aus Annahmeverzug des Arbeitgebers erwachsen und daher nach Charakter und Funktion Arbeitsentgelt gleichstehen, werden sie von § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst a KO und damit auch von § 141b Abs 2 AFG erfaßt, und zwar unabhängig davon, ob ihnen eine faktische Arbeitsleistung gegenübersteht. Daß der Arbeitgeber des Klägers im vorliegenden Fall wegen Annahmeverzugs zur Provisionszahlung während des hier maßgeblichen Kaug-Zeitraums verpflichtet geblieben ist, hat das LSG ohne Rechtsfehler bejaht. Nach den unangegriffenen Tatsachenfeststellungen des LSG, wie sie sich insbesondere aus dem in Bezug genommenen Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 1980 ergeben, hat der Kläger, nachdem er einen vom Arbeitgeber angebotenen Änderungsvertrag zum 1. Juli 1979 abgelehnt hatte, danach "provisionsfähige Vertragsannahmen durch die eingetretene Leistungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht mehr erbracht". Daraus konnte das LSG entnehmen, daß wegen der Leistungsunfähigkeit des Arbeitgebers Vermittlungsbemühungen des Klägers nicht mehr zum Erfolg führen konnten bzw geführt haben. Die Ablehnung des angebotenen Änderungsvertrags steht dem Annahmeverzug des Arbeitgebers nicht entgegen. Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger die geschuldeten Leistungen nicht angeboten hätte, sind danach nicht ersichtlich. Das LSG ist auch zutreffend davon ausgegangen, daß bei einem abhängig beschäftigten Provisionsvertreter der bei Annahmeverzug fortzuzahlende Verdienst außer dem Provisionsfixum auch die darüber hinausgehenden Provisionen umfaßt (KR-Becker, § 11 KSchG RdNr 26). Für deren Berechnung gilt das Lohnausfallprinzip, dh es sind die Provisionen zu ermitteln, die der Arbeitnehmer erzielt hätte, wenn er während des Verzugszeitraums weiterhin die geschuldeten Leistungen (Vertragsannahmen) erbracht hätte. Da es sich bei diesen - hypothetischen - Provisionen um schwankende Vergütung handelt, ist eine Schätzung erforderlich (BAG DB 1976, 2308, BAG AP Nr 4 zu § 63 HGB; KR-Becker, § 11 KSchG RdNr 27).

Diese Schätzung hat das LSG selbst vorgenommen und sich hierbei auf das arbeitsgerichtliche Teilurteil vom 6. Februar 1980 gestützt. Danach ist dem für den Monat November 1979 zuerkannten Provisionsanspruch aus § 615 Satz 1 BGB der Durchschnitt der Provisionen zugrunde gelegt worden, die zuvor in den Monaten Januar bis Juni 1979 vom Kläger erzielt worden sind. Daraus hat das LSG zu Recht entnommen, daß entsprechende Provisionsansprüche auch für die vorhergehende Kaug-Zeit von August bis Oktober 1979 erzielt worden wären, wie sie auch vom Konkursverwalter durch gerichtlichen Vergleich vom 20. Juni 1980 zugestanden worden sind. Anhaltspunkte dafür, daß die Vergleichssumme überhöht ist, hat das LSG nicht festgestellt.

Da mithin das LSG die Richtigkeit der entsprechend dem arbeitsgerichtlichen Vergleich zugestandenen Provisionsansprüche des Klägers selbst nach Grund und Höhe überprüft hat, kann hier dahingestellt bleiben, ob es bei der Feststellung des geschuldeten Arbeitsentgelts iS von § 141b AFG an vorhandene arbeitsgerichtliche Titel - hier einen vollstreckbaren Prozeßvergleich - gebunden war oder ob es berechtigt oder sogar verpflichtet war, diesen Titel auf seine materielle Berechtigung zu überprüfen (vgl dazu Urteil des Senats vom 30. Juli 1981, SozR 4100 § 141b Nr 20 = DBlR BA Nr 2524a zu § 141b AFG; zur Problemlage s a Gagel, Kaug, § 141b AFG RdNr 17). Auch wenn eine Bindung verneint wird, erweisen sich die im arbeitsgerichtlichen Vergleich zugestandenen und vom LSG rechtsfehlerfrei geschätzten Provisionsansprüche als gerechtfertigt.

Im übrigen hat die Bundesanstalt für Arbeit (BA) weder die Voraussetzungen des Annahmeverzugs des Arbeitgebers bestritten noch Tatsachen vorgebracht, die gegen die Höhe der zugrunde gelegten Provisionsansprüche sprechen. Sie bestreitet vielmehr die Kaug-Fähigkeit derartiger Ansprüche ausschließlich mit der Begründung, daß die vom Kläger nicht "erarbeitet" worden seien. Ihre Ansicht, ein kaug-rechtlich relevantes Arbeitsentgelt sei nur solches, dem eine "erarbeitete" Leistung (Vertragsannahmen durch den Arbeitgeber) gegenüberstehe, geht fehl. Das ergibt sich nicht nur aus der Verweisung des § 141b Abs 2 AFG auf § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst a KO - wie bereits ausgeführt -, sondern auch aus Sinn und Zweck der Kaug-Versicherung. Schutzobjekt dieser Versicherung ist nicht die tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers, sondern sein Arbeitsentgelt, das er wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht oder nicht rechtzeitig erhält. Da das - ausgefallene - Arbeitsentgelt regelmäßig zur Sicherung des Unterhalts des Arbeitnehmers und seiner Familie dient, soll Kaug eine Ersatzleistung für die Zeit bieten, für die der Arbeitsentgeltanspruch zu erfüllen war. Daß die kaug-rechtlichen Sicherungen auf dem Gedanken beruhen, dem Arbeitnehmer, der regelmäßig ohne entsprechende Sicherheitsleistung seitens seines Arbeitgebers die Arbeit vorleisten muß (§ 614 BGB), wenigstens teilweise einen Lohnausgleich zu verschaffen, bedeutet nicht, daß Lohnzahlungsansprüche, denen keine faktische Arbeitsleistung gegenübersteht, grundsätzlich aus der Kaug-Versicherung ausgeschlossen wären. Dies hat das BSG für Urlaubsentgelt bereits ausdrücklich entschieden (BSG SozR 4100 § 141b Nr 2 = BSGE 43, 49; SozR 4100 § 141b Nr 14) und darauf hingewiesen, daß Kaug keine Entschädigung für die Zeit ist, für die der Arbeitnehmer ohne Gegenleistung gearbeitet hat, sondern für Zeiten zu zahlen ist, für die Arbeitslohn geschuldet wird. Dem widerspricht es auch nicht, daß der Gesetzgeber es dem Arbeitnehmer mit der Lohngarantie durch das Kaug auch erleichtern wollte, dem Arbeitgeber für eine gewisse Zeit die Treue zu halten. Auch der Arbeitnehmer, der seine Arbeitskraft weiterhin zur Verfügung stellt, ohne daß sie vom Arbeitgeber angenommen wird oder angenommen werden kann, hält seinem Arbeitgeber die Treue. Da er nicht von seinem Recht Gebrauch macht, das Arbeitsverhältnis fristlos zu kündigen, sondern vielmehr an dem Arbeitsverhältnis festhält, muß sein Lohnfortzahlungsanspruch in gleicher Weise Kaug-Schutz genießen, wie wenn er tatsächlich weitergearbeitet hätte. Auch dieser Arbeitnehmer soll in den Genuß der Ausgleichsleistung kommen, weil regelmäßig sein Unterhalt und der seiner Familie von dem (ausgefallenen) Arbeitsentgelt abhängt (vgl BSG SozR 4100 § 141b Nr 14).

Zutreffend hat das LSG auch angenommen, daß die hier streitigen Provisionsansprüche des Klägers "für die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses vor Konkurseröffnung" bestehen. Denn die aus Verzug des Arbeitgebers begründeten Ansprüche teilen die Zweckbestimmung der primären Vergütungsansprüche, an deren Stelle sie getreten sind, nämlich in jenem Zeitraum den Lebensunterhalt sicherzustellen (vgl BSG SozR 4100 § 141b Nr 2 und Nr 14). Etwas anderes ergibt sich - entgegen der Meinung der Beklagten - auch nicht aus dem Urteil des erkennenden Senats vom 24. März 1983 (aaO). Diese Entscheidung betrifft nur die Frage, welchen Zeiträumen - primäre - Provisionsansprüche als "erarbeitet" zuzuordnen sind bzw wann sie in kaug-rechtlichem Sinne "entstanden" sind. Demgegenüber betrifft der vorliegende Fall sekundäre Provisionsansprüche, die dem Zeitraum zuzuordnen sind, in dem sie als solche entstanden sind, dh in dem der Arbeitgeber mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug geraten ist.

Den für die Zeit ab 1. August 1980 geltend gemachten Zinsanspruch hat das LSG zu Recht aus § 44 SGB I für begründet erachtet. Danach sind Ansprüche auf Geldleistungen - frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrags - bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit 4 vH zu verzinsen. Die Verzinsung bezieht sich hier auf den Betrag des Kaug, der dem Kläger auf der Grundlage eines Bruttoarbeitsentgelts von insgesamt 16.572,-- DM (abzüglich Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen sowie von eventuellen Kaug-Vorschüssen und Alg) zu zahlen ist. Da der Kläger, der selbst keine Revision eingelegt hat, seinen Anspruch auf die Zeit ab 1. August 1980 beschränkt hat, bedarf es keiner Erörterung, ob ihm Zinsen für die davorliegende Zeit zustehen.

Nach allem war die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1659571

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