Beteiligte

Kläger und Revisionsbeklagter

Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob die Beklagte mit einer Ersatzforderung gegen die Erwerbsunfähigkeitsrente des Klägers aufrechnen darf.

Der Kläger hatte am 25. Oktober 1971 in Deutschland einen Verkehrsunfall erlitten. Aufgrund der dadurch eingetretenen Erwerbsminderung gewährte ihm die Beklagte zunächst vom 1. Mai 1973 bis zum 31. Dezember 1973 eine Zeitrente und schließlich mit Bescheid vom 24. Februar 1976 über den 31. Dezember 1973 hinaus eine Dauerrente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Die Beklagte hatte ihre nach § 1542 Reichsversicherungsordnung (RVO) bestehenden Ersatzansprüche nach Eingang des Rentenantrages dem Haftpflichtversicherer des Schädigers, der M…Versicherungsgesellschaft, mit Schreiben vom 18. März 1974 gemeldet. Der für die Zeit vom 1. Mai 1971 bis zum 31. Dezember 1973 von der Beklagten geltend gemachte Betrag wurde von der M…Versicherungsgesellschaft beglichen. Einen weiteren von der Beklagten mit Schreiben vom 30. September 1976 geltend gemachten Ersatzanspruch wegen der Gewährung von Dauerrente lehnte die M…Versicherungsgesellschaft ab unter Hinweis darauf, daß sie mit dem Kläger am 2. April 1976 einen außergerichtlichen Abfindungsvergleich geschlossen und dieser gegen Zahlung von insgesamt 141.000,-- DM auf alle weiteren Ersatzansprüche verzichtet habe.

Die Beklagte teilte dem Kläger nunmehr schriftlich mit, daß sie gegen ihn wegen zu Unrecht bezogener Entschädigungen einen Bereicherungsanspruch nach §§ 812, 816 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geltend mache. Mit diesem rechnete sie durch Bescheid vom 28. Juni 1978 für die Zeit ab 1. Mai 1977 gegen die Rente auf, und zwar in Höhe von monatlich 435,-- DM. Bei der Ermittlung dieses Betrages hatte sie unter Berücksichtigung der Angaben der M…Versicherungsgesellschaft eine Entschädigungszahlung von 80.000,-- DM an den Kläger wegen der Beeinträchtigung seiner Erwerbsfähigkeit bis zum vollendeten 65. Lebensjahr zugrunde gelegt.

Im Termin vor dem Sozialgericht (SG) hat die Beklagte erklärt, die Landesversicherungsanstalt (LVA) beabsichtige nicht, zunächst eine zivilrechtliche Entscheidung, sei es gegenüber dem Kläger, sei es gegenüber der M…Versicherung herbeizuführen. Bei einer Aussetzung zur Klärung dieser bürgerlich-rechtlichen Streitfrage würde keine zivilrechtliche Klage erhoben werden. Das SG hat mit Urteil vom 29. November 1978 den Bescheid der Beklagten vom 28. Juni 1978 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an den Kläger über den 1. Mai 1977 hinaus die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ungekürzt zu zahlen. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die von der Beklagten eingelegte Berufung mit Urteil vom 4. Dezember 1979 zurückgewiesen. Es hat unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26. Juni 1963 - 1 RA 21/60 - (BSGE 19, 207 ff.) ausgeführt: Die von der Beklagten zur Aufrechnung gestellte, vom Kläger bestrittene Forderung der Beklagten könne klageweise nur vor den Zivilgerichten geltend gemacht werden. Wegen der in § 141 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) getroffenen Regelung sei den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit die Befugnis, über das Bestehen oder Nichtbestehen der Gegenforderung als Vorfrage selbständig zu entscheiden, abgeschnitten. Der in BSGE 19, 207 aufgezeigte Weg der Aussetzung des Rechtsstreits und Fristsetzung für die Erhebung der Klage vor dem zuständigen Gericht sei im Hinblick auf die ausdrückliche Erklärung der Beklagten vor dem SG nicht gangbar. Die Auffassung der Beklagten, die Forderung deshalb als unstreitig anzusehen, weil sie nicht qualifiziert bestritten werde, biete keinen Lösungsweg. Eine Bewertung von Einreden und Einwendungen in qualifiziertes und unqualifiziertes Bestreiten setze bereits der Zivilgerichtsbarkeit vorbehaltene Ermittlungen und Bewertungen voraus. Zwar sei das Vorbringen des Klägers, die Entschädigungssumme von 141.000,-- DM enthalte keine Beträge für seine Minderung der Erwerbsfähigkeit, sicher abwegig; da die Forderung der Beklagten aber weder vom Schuldner anerkannt noch rechtskräftig festgestellt sei, müsse sie im Hinblick auf die Weigerung der Beklagten, den vorgeschlagenen Weg zu gehen, nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast als nicht erwiesen behandelt werden. Deshalb könne ungeprüft bleiben, ob der Aufrechnungsbetrag von monatlich 435,-- DM der Höhe nach berechtigt sei. Der vom BSG vorgeschlagene Lösungsweg dürfte auch nicht deshalb abgelehnt werden, weil wegen des in Italien gelegenen Wohnsitzes des Klägers eine erhebliche Erschwernis in der Rechtsverfolgung bestehe.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 1299 RVO a.F., 51 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I), der Amtsermittlungspflicht des § 103 SGG sowie der Regeln über die objektive Beweislast. Unqualifiziertes Bestreiten der zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung dürfe nicht dieselben Wirkungen haben wie qualifiziertes Bestreiten. Ohne Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz hätten es die Tatsachengerichte nicht ablehnen dürfen zu klären, welchen Verdienstausfallschaden der Kläger gegenüber der M… Versicherungsgesellschaft geltend gemacht habe. Prozessual biete sich im übrigen auch noch die Möglichkeit, dem Beteiligten, der seine zivilrechtliche Position nicht schlüssig vertrete, nach Aussetzung eine Frist zur Erhebung der negativen Feststellungsklage zusetzen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 4. Dezember 1979 sowie das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 29. November 1978 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid der Landesversicherungsanstalt Schwaben vom 28. Juni 1978 abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Die auch noch in der Revisionsinstanz von Amts wegen anzustellende Prüfung der Zulässigkeit des Rechtsweges als Sachurteilsvoraussetzung ergibt, daß das LSG zutreffend den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit (§ 51 SGG) als gegeben angesehen hat. Unabhängig davon, ob über die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung in einem anderen Rechtsweg zu entscheiden wäre, bestimmt sich die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts allein nach der Rechtsnatur des Klageanspruchs. Der in diesem Verfahren erhobene Klageanspruch betrifft eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialversicherung. Denn der Kläger begehrt die Aufhebung des ihn belastenden Aufrechnungsbescheides der Beklagten und deren Verurteilung zur Zahlung der "ungekürzten" Rente.

Die Vorinstanzen haben auch - im Ergebnis zu Recht - dem Klagebegehren entsprochen, ohne über die von der Beklagten erklärte Aufrechnung sachlich zu entscheiden.

Nach Art. 1 § 51 Abs. 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf Geldleistungen mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit Pfändbarkeit nach § 54 Abs. 2 und 3 SGB I besteht. Die Voraussetzungen für die Aufrechnung bestimmen sich nach den allgemeinen Regeln der §§ 387 ff. BGB .

Mit Recht haben die Beklagte und die Vorinstanzen die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung als privatrechtliche (bereicherungsrechtliche) Forderung angesehen. Die Beklagte hat in dem hier streitigen Aufrechnungsbescheid vom 28. Juni 1978 ihre Forderung ausdrücklich als eine solche qualifiziert und dazu auf die §§ 812 und 816 Abs. 2 BGB hingewiesen. Sie folgt aus den nach § 1542 RVO kraft Gesetzes auf den Sozialversicherungsträger übergegangenen Schadensersatzansprüchen des Geschädigten gegen den Schädiger. Da bei einer cessio legis die Rechtsnatur des übergegangenen Anspruchs unverändert bleibt, sind die Ansprüche des Sozialversicherungsträgers gegen den Schädiger ebenfalls zivilrechtliche, vor den ordentlichen Gerichten zu verfolgende Ansprüche (§ 13 Gerichtsverfassungsgesetz). Etwaige aus dem Verlust dieser Ansprüche sich ergebende Ersatzansprüche sind deshalb ebenfalls zivilrechtlicher Natur (vgl. BSGE 19, 207, 209). Demgemäß hat die Beklagte ihre Forderung auf §§ 812, 816 Abs. 2 BGB gestützt und von einer zivilrechtlichen Forderung gesprochen. Eine andere Anspruchsgrundlage ist nicht ersichtlich. Aber selbst wenn man annähme, die geltend gemachte Aufrechnungsforderung sei auch als Anspruch auf Ersatz des Schadens zu verstehen, der der Beklagten durch Vereitelung ihrer Rückgriffsrechte erwachsen sein könnte, wäre das ein zivilrechtlicher Anspruch (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 29. August 1968 - 12 RJ 518/66 -, S. 8 - 12, in SozR Nr. 11 zu § 1299 RVO nur zum Teil abgedruckt).

Die Gleichartigkeit zweier Forderungen scheitert allerdings nicht daran, daß für die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung ein anderer Rechtsweg eröffnet ist (herrschende Meinung, vgl. z.B. BSGE a.a.O.; Bd., 29, 44, 46; BGHZ 16, 124, 127), denn die prozessuale Rechtsweggliederung soll nicht zu einem materiell-rechtlichen Aufrechnungsverbot führen (Stein/Jonas, Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., § 145 Anm. VI 2a L).

Damit erstreckt sich die Sachentscheidungskompetenz der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit grundsätzlich auch auf die - materiell-rechtliche - Wirksamkeit der von der Beklagten erklärten Aufrechnung. Hätte der Kläger diese Forderung anerkannt oder wäre sie bereits rechtskräftig festgestellt worden, dann hätte die Aufrechnungsbefugnis der Beklagten in Anwendung des § 51 Abs. 1 SGB 1 geprüft werden müssen. Zu Recht haben die Tatsachengerichte jedoch von einer derartigen Sachprüfung abgesehen. Denn die Entscheidung über die Aufrechnungsbefugnis der Beklagten setzt eine Entscheidung über das Bestehen der zur Aufrechnung gestellten privatrechtlichen Gegenforderung voraus. Daran sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit aber wegen der in § 141 Abs. 2 SGG normierten Rechtskrafterstreckung gehindert. Eine der Rechtskraft fähige selbständige Entscheidung über das Bestehen einer privatrechtlichen Gegenforderung steht ihnen nämlich nicht zu (vgl. BSG, Urteil vom 26. Juni 1963 - 1 RA 21/60 = BSGE 19, 207 im Anschluß an BGHZ 16, 124, 134 für die Gerichte der Zivilgerichtsbarkeit bei einer Aufrechnung mit einer öffentlich-rechtlichen Gegenforderung; BSG, Urteil vom 29. August 1968 - 12 RJ 518/66 -).

Die Entscheidung des BSG vom 11. Dezember 1968 - 10 RV 606/65 - (= BSGE 29, 44) gibt keine Veranlassung, von dieser auf die Verschiedenartigkeit der Rechtsgebiete und Gerichtsbarkeiten abstellenden Auffassung abzuweichen, denn sie erklärt selbst, daß sie von der Entscheidung in BSGE 19, 207 nicht abweiche (vgl. Leitsatz). Zudem betrifft sie einen anderen Sachverhalt.

Der Auffassung der Beklagten, die dargestellte Rechtslage könne nur dann gelten, wenn die Gegenforderung "qualifiziert" bestritten werde, ist nicht zu folgen. Sie würde voraussetzen, den Vortrag der Parteien bereits dahingehend zu bewerten, ob es sich um ein "qualifiziertes" oder ein "einfaches" Bestreiten handele. Schon damit nähme aber das SG eine für das zivilgerichtliche Verfahren typische Bewertung des Prozeßstoffes vor. Soweit die Beklagte eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes rügt, übersieht sie, daß den Vorinstanzen wegen der in § 141 Abs. 2 SGG getroffenen Regelung eine Sachentscheidung über das Bestehen der Gegenforderung verwehrt war und deshalb die Tatsachenermittlung entfiel.

Auf den in BSGE 19, 107 und BGHZ 16, 124 vorgezeichneten Weg, nämlich die streitige Gegenforderung nach einer Aussetzung dieses Verfahrens im Zivilrechtsweg klären zu lassen, hat die Beklagte durch Prozeßerklärung gegenüber dem SG verzichtet. Die Aussetzung des Verfahrens und das Setzen einer Ausschlußfrist kommen dann nicht mehr in Betracht, wenn - wie hier - die Beklagte in Kenntnis der Rechtslage erklärt, sie werde bei einer Aussetzung des Verfahrens keine zivilrechtliche Klage erheben; dieser Sachverhalt ist nicht anders zu behandeln, als wenn die gesetzte Frist ungenützt verstreicht.

Der Bundesgerichtshof hat als Folge des ungenützten Verstreichenlassens der Ausschlußfrist darauf erkannt, die aufrechnende Partei sei in Anwendung des § 279 Zivilprozeßordnung (ZPO) a.F. mit dem "Verteidigungsmittel" der Aufrechnung zurückzuweisen (BGHZ 16, 124, 140). Somit im Rahmen des § 141 Abs. 2 SGG die Aufrechnung mit einer privatrechtlichen Gegenforderung in Frage steht, bietet sich in Anwendung dieses Rechtsgedankens (vgl. jetzt § 296 ZPO) an, den Aufrechnungsbescheid aufzuheben. Dementsprechend sind auch die Vorinstanzen verfahren.

Der Einwand der Beklagten, dem Kläger hätte die Erhebung der negativen Feststellungsklage aufgegeben und ihm dazu eine Frist gesetzt werden müssen, läuft darauf hinaus, im Wege der "Beweislastumkehr" mit der Aufrechnung durchzudringen. Auch insoweit verkennt die Beklagte, daß wegen der fehlenden Sachentscheidungskompetenz der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit Fragen der Beweislast keine Rolle spielen können. Nicht erkennbar ist zudem, worin das für die Zulässigkeit dieser Klage erforderliche Feststellungsinteresse des durch die Anfechtung des Aufrechnungsbescheides ausreichend geschützten Klägers liegen sollte. Schließlich ließe sich eine "Beweislastumkehr" auf diesem verfahrensmäßigen Weg ohnehin nicht erreichen, die Beweislast bestimmt sich allein nach materiellem Recht.

Da somit das Vorbringen der Beklagten unbegründet ist, war ihre Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Breith. 1982, 628

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