Beteiligte

Kläger und Revisionsbeklagter

Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I.

Die Beklagte will mit einer Ersatzforderung gegen die Berufsunfähigkeitsrente des Klägers teilweise aufrechnen.

Der Kläger erlitt im Februar 1972 einen Verkehrsunfall. Aufgrund der hieraus resultierenden Erwerbsminderung gewährte ihm die Beklagte seit Oktober 1972 Rente wegen Berufsunfähigkeit. Im Rahmen der Rentenantragstel-lung hatte der Kläger erklärt, die Invalidität sei vermutlich nicht durch einen Dritten verursacht worden. Die Beklagte fand später heraus, daß der Kläger zur Abgeltung seiner zivilrechtlichen Ersatzansprüche aus dem Unfallereignis von der Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers ca. 45.980,-- DM erhalten hatte. Die Beklagte stellte daraufhin im Oktober 1977 die Rentenzahlung zunächst vollständig ein und nahm durch Bescheid vom 16. März 1979 eine Neufeststellung der Rente seit Eintritt des Versicherungsfalls vor. Sie ging dabei davon aus, daß ein Teil der Entschädigungssumme auf den Ersatz für entgangenes Erwerbseinkommen entfalle. Sie machte in dieser Höhe einen Bereicherungsanspruch geltend, da der Kläger durch die Entgegennahme des gesamten Entschädigungsbetrages wirksam über den auf sie gemäß § 1542 der Reichsversicherungsordnung (RVO) übergegangenen Teil des Ersatzanspruchs verfügt habe. Aufgrund des Abfindungszeitraums (Februar 1972 bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres im März 1998) und unter Berücksichtigung eines Kapitalisierungs-faktors von 13,75 sowie einer Abzinsung von § 96 errechnete die Beklagte aus dem von ihr geltend gemachten Bereicherungsanspruch einen monatlichen Betrag von 155,-- DM, den sie von der ab 1. Mai 1979 wieder ausgezahlten Rente einbehielt. Durch weiteren Bescheid vom 20. August 1979 verrechnete die Beklagte die in der Zeit von Oktober 1977 bis April 1979 einbehaltenen Rentenbeträge mit dem auf die Zeit von Oktober 1972 (Rentenbeginn) bis April 1979 entfallenden Bereicherungsanspruch. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 3. April 1980).

Im Termin vor dem Sozialgericht (SG) hat die Beklagte erklärt, sie beabsichtige - auch bei einer Aussetzung des Verfahrens - nicht, zunächst eine zivilgerichtliche Entscheidung über den geltend gemachten Bereicherungsan-spruch herbeizuführen. Das SG hat daraufhin mit Urteil vom 13. Februar 1981 die Bescheide der Beklagten vom 16. März und 20. August 1979 sowie den Widerspruchsbescheid vom 3. April 1980 aufgehoben und die Beklagte zur ungekürzten Auszahlung der Rente ab 1. Oktober 1972 verpflichtet. Zur Begründung hat es ausgeführt, die von der Beklagten zur Aufrechnung gestellte, vom Kläger bestrittene Forderung der Beklagten könne klageweise nur vor den Zivilgerichten geltend gemacht werden. § 141 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verwehre es den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, über das Bestehen oder Nichtbestehen privatrechtlicher Gegenforderungen als Vorfrage selbständig zu entscheiden. Zwar liege die Vermutung nahe, daß in der an den Kläger gezahlten Abfindungssumme von ca. 45.980,-- DM auch Beträge für die Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit des Klägers enthalten seien, doch sei die Klärung dieser Frage gemäß § 13 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) den Zivilge-richten vorbehalten. Da die Beklagte es ausdrücklich abgelehnt habe, eine zivilgerichtliche Entscheidung herbeizuführen, müsse ihm Gegenforderung nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast als nicht erwiesen behandelt werden. Danach könne ungeprüft bleiben, ob die von der Beklagten festgesetzten Aufrechnungsbeträge den Pfändungsschutz des Klägers verletzten.

Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 1299 RVO a.F., 51 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB 1), der Amtsermittlungspflicht des § 103 SGG sowie der Regeln über die objektive Beweislast.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Augsburg vom 13. Februar 1981 aufzuheben und die Klage gegen die Bescheide der LVA Schwaben vom 16. März und 20. August 1979 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 3. April 1980 abzuweisen; hilfsweise beantragt sie, die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das SG Augsburg bzw. - nach dem Ermessen des Bundessozialgerichts (BSG) - an das Bayerische Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Das SG ist zutreffend davon ausgegangen, daß für den Rechtsstreit der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben ist. Nach § 51 SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten u.a. in Angelegenheiten der Sozialversicherung. Hierzu gehört der in diesem Rechtsstreit erhobene Klageanspruch; denn der Kläger begehrt die Aufhebung der ihn belastenden Bescheide der Beklagten, mit denen diese die Aufrechnung mit einem ihr vermeintlich zustehenden Bereicherungsanspruch gegen die unstreitigen Rentenansprüche des Klägers vorgenommen hat. Ob über den zur Aufrechnung gestellten Gegenanspruch der Beklagten in einem anderen Rechtsweg zu entscheiden wäre, ist dagegen im Hinblick auf die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht von Bedeutung, da sich diese allein nach der Rechtsnatur des Klageanspruchs richtet.

Da der der Klage zugrunde liegende Anspruch des Klägers auf Berufsunfähigkeitsrente unstreitig ist, ist allein über die Wirksamkeit der von der Beklagten erklärten Aufrechnung zu befinden. Das SG hat eine sachliche Entscheidung hierüber zu Recht abgelehnt, da sie die Kompetenz der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit überschreiten würde.

Zwar billigt Art. 1 § 51 Abs. 1 SGB 1 auch dem zuständigen Sozialversicherungsträger das Recht zu, gegen Ansprüche auf Geldleistungen mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufzurechnen, soweit Pfändbarkeit nach § 54 Abs. 2 und 3 SGB 1 besteht; doch handelt es sich bei der von der Beklagten zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung um eine solche privatrechtlicher Natur, deren - vom Kläger bestrittene - Existenz nur im Verfahren vor den Zivilgerichten überprüft werden kann.

Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit können eine Entscheidung über die Zulässigkeit und die rechtlichen Wirkungen einer Aufrechnung des Versicherungsträgers gegen die mit der Klage geltend gemachten Renten-ansprüche nur dann treffen, wenn der tatsächliche Bestand der - weder anerkannten noch rechtskräftig festgestellten - Gegenforderung nicht in Frage steht (so bereits: BSG Urteil vom 29. August 1968 - 12 RJ 518/66 -, insoweit in SozR Nr. 11 zu § 1299 RVO nicht abgedruckt).

Der privatrechtliche Charakter der Gegenforderung der Beklagten ergibt sich aus deren Herkunft. Die Beklagte leitet aus dem Unfallereignis, das zur Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit des Klägers führte, einen nach § 1542 RVO auf sie übergegangenen Schadensersatzanspruch gegen den Unfallverursacher bzw. dessen Haft-pflichtversicherung ab. Da bei einer cessio legis die Rechtsnatur des übergegangenen Anspruchs unverändert bleibt, handelte es sich auch bei dem etwaigen Anspruch der Beklagten gegen den Unfallverursacher um eine zivilrechtliche Forderung, die grundsätzlich gemäß § 13 GVG vor den Zivilgerichten zu verfolgen ist. Soweit aus dem vom Kläger vorgenommenen Einzug dieser Forderung Ersatzansprüche der Beklagten erwachsen sind, sind auch diese - als Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäß §§ 812, 816 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) - zivilrechtlicher Natur (vgl. BSGE 19, 207, 209 im Anschluß an BGHZ 16, 124, 134). Auch etwaige Ansprüche der Beklagten gegen den Kläger auf Ersatz des Schadens, der der Beklagten durch die Vereitelung ihrer Rückgriffsrechte gegen den Schädiger erwachsen sein kann, gehören dem Privatrecht an (vgl. BSG, Urteil vom 29. August 1968 aaO).

Der 4. Senat des BSG hat in seiner Entscheidung vom 17. September 1981 - 4 RJ 13/80 - diese höchstrich-terliche Rechtsprechung zur Prüfkompetenz der Sozialgerichte gegenüber bestrittenen zivilrechtlichen Forderungen, die ein Sozialversicherungsträger zur Aufrechnung stellt, erneut bestätigt. Der erkennende Senat stimmt der Entscheidung des 4. Senats auch unter Berücksichtigung der Ausführungen der Beklagten, die im übrigen - wie sich aus der vorliegenden Revisionsbegründung ergibt - von der Beklagten bereits in jenem Verfahren vorgetragen worden waren, vollinhaltlich zu.

Danach scheitert die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Aufrechnung zwar nicht schon von vornherein an der fehlenden Gleichartigkeit der Forderungen wegen der unterschiedlichen Rechtswegzuständigkeit. Eine Sachentscheidungskompetenz der Sozialgerichtsbarkeit wird vielmehr bei einer anerkannten oder bereits rechtskräftig festgestellten Gegenforderung auch dann bejaht, wenn diese zivilrechtlicher Natur ist. Bei einer bestrittenen Gegenforderung werden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit jedoch durch die in § 141 Abs. 2 SGG normierte Rechtskrafterstreckung an einer eigenständigen Sachentscheidung gehindert, weil andernfalls das aus § 13 GVG ableitbare Recht des Anspruchsgegners (hier des Klägers) vereitelt würde, eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit vor den ordentlichen Gerichten austragen zu können. Von daher steht den Gerichten der Sozialge-richtsbarkeit eine der Rechtskraft fähige selbständige Entscheidung über das Bestehen einer privatrechtlichen Gegenforderung nicht zu. Dieser auch vom erkennenden Senat vertretenen Auffassung steht die Entscheidung des 10. Senats des BSG vom 11. Dezember 1968 - 10 RV 606/65 - (= BSGE 29, 44) nicht entgegen, weil sich diese mit der Frage der Überprüfbarkeit einer öffentlich-rechtlichen Gegenforderung, für die an sich der Rechts-weg zu den allgemeinen Verwaltungsgerichten gegeben war, beschäftigt und von daher die grundsätzliche Verschiedenartigkeit der Rechtsgebiete und Gerichtsbarkeiten keine Rolle spielte.

Der Auffassung der Beklagten, von einer fehlenden Prüfkompetenz der Sozialgerichte könne allenfalls dann ausgegangen werden, wenn die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung "qualifiziert" bestritten werde, kann nicht gefolgt werden. Der 4. Senat des BSG hat in seiner Entscheidung vom 17. September 1981 aaO zutreffend darauf hingewiesen, daß die Sozialgerichte nicht zwischen "qualifiziertem" und "unqualifiziertem" Bestreiten unterscheiden können, weil dies bereits eine dem zivilgerichtlichen Verfahren vorbehaltene Bewertung des Prozeßstoffes voraussetzen würde. Dem SG kann von daher auch keine Verletzung des Amtsermittlungsgrund-satzes (§ 103 SGG) vorgeworfen werden; ihm war wegen der in § 141 Abs. 2 SGG getroffenen Regelung eine Sachentscheidung über das Bestehen der Gegenforderung verwehrt, so daß eine Tatsachenermittlung erst gar nicht in Betracht kam.

Das SG hat des weiteren auch die Regeln über die objektive Beweislast nicht verletzt, da es selbst an einer Beweiserhebung gehindert war, lag es an der Beklagten, die streitige Gegenforderung nach einer Aussetzung des Verfahrens vor dem zuständigen Zivilgericht klären zu lassen. Diesen Weg hat die Beklagte jedoch in der mündlichen Verhandlung vor dem SG ausdrücklich abgelehnt. Sie muß sich somit so behandeln lassen, als hätte sie eine zur Aufnahme des zivilgerichtlichen Verfahrens gesetzte Frist ungenützt verstreichen lassen. Das SG hat von daher die Gegenforderung der Beklagten im Einklang mit der genannten Rechtsprechung des BSG als nicht bewiesen angesehen und die hierauf beruhenden "Aufrechnungsbescheid" aufgehoben.

Die Beklagte kam ferner auch nicht mit dem Einwand durchdringen, dem Kläger habe wegen der Verletzung von Mitwirkungspflichten seinerseits die Erhebung einer negativen Feststellungsklage aufgegeben werden müssen. Zum einen kam die Verletzung einer Nebenpflicht aus dem öffentlich-rechtlichen Sozialversicherungsverhältnis nicht zu einer Umkehr der Beweislast im sozialgerichtlichen Verfahren führen. Zum anderen fehlt es beim Kläger an dem für die Zulässigkeit einer Feststellungsklage erforderlichen Feststellungsinteresse, weil dieser durch die erhobene Anfechtungsklage bereits hinreichend geschützt wird.

Der Beklagten steht schließlich auch kein eigenständiger öffentlich-rechtlicher Ersatzanspruch wegen der Verletzung von Nebenpflichten aus dem Sozialversicherungsverhältnis - etwa als Parallele zum zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch wegen positiver Forderungsverletzung - durch den Kläger zu. Zum einen ist ein derartiger Anspruch gesetzlich nicht vorgesehen; zum anderen sieht das Gesetz in § 66 SGB 1 die Versagung oder Entziehung einer Leistung als schwerwiegendste Sanktionen bei fehlender Mitwirkung des Versicherten unter bestimmten Voraussetzungen vor. Ein auf diese Vorschrift gestützter Bescheid ist indes nicht Gegenstand des Rechtsstreits.

Nach alledem mußte die Revision der Beklagten zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Breith. 1983, 276

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