Leitsatz (amtlich)

Die ausschließlich mit der Betreuung von Urlaubern am - ausländischen - Reise-Zielort beauftragten Reiseleiter stehen während ihrer Tätigkeit nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zum Reiseveranstalter.

 

Normenkette

RVO § 165 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1957-07-27; AVG § 2 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; AVAVG § 56 Nr. 2

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. Juni 1972 dahin geändert, daß das Urteil des Sozialgerichts München vom 7. April 1970 und die Bescheide der Beklagten vom 3. August 1964 und 1. März 1965 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juli 1965 in vollem Umfang aufgehoben werden.

Die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen zu 24) werden zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung des Landessozialgerichts wird aufgehoben.

Die Beklagte, die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und die beigeladene Bundesanstalt für Arbeit haben der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits als Gesamtschuldner zu erstatten.

Im übrigen sind keine Kosten des Verfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Umstritten ist, ob die Klägerin für die beigeladenen Auslands-Zielortreiseleiter Versicherungsbeiträge zu leisten hat.

In den Jahren 1959 bis 1963 waren die damals im Bundesgebiet wohnenden Beigeladenen zu 1) bis 25) bzw. deren Rechtsvorgänger während der Sommermonate in Italien, Österreich und der Schweiz an Orten tätig, zu denen die Klägerin Gesellschaftsreisen, sogen. Zielortreisen, veranstaltete. Sie hatten mit der Klägerin Verträge über die Ausübung einer Reiseleitung für jede Saison abgeschlossen. Darin hieß es u. a., daß sie die Reiseleitung "selbständig (freiberuflich)" ausüben und zur Klägerin weder in ein arbeitsrechtliches noch in ein sozialversicherungsrechtliches Verhältnis traten. Als Vergütung war eine "Tagespauschale" vereinbart. In "Vertraulichen Richtlinien" vom 2. Januar 1957 waren Einzelheiten über "die betriebliche Stellung und die Tätigkeit eines Reiseleiters für Auslandsreisen bei der T M" in 60 Punkten geregelt; damit sollte "dem Reiseleiter sowohl die notwendige Abgrenzung seiner Rechte und Pflichten dargelegt, wie ein praktischer Fingerzeig gegeben werden".

In einem früheren Rechtsstreit wegen der Beitragspflicht für eine Zielortreiseleiterin hatte die Klägerin im Mai 1961 für den Fall des Obsiegens der beklagten Krankenkasse für alle Forderungen der Beklagten auf Sozialversicherungsbeiträge ab 1. Januar 1959 auf die Einrede der Verjährung verzichtet.

Die Beklagte sah die Beigeladenen als abhängig Beschäftigte der Klägerin an. Sie forderte von der Klägerin für die Jahre 1959 bis 1963 mit Bescheid vom 3. August 1964, geändert mit Bescheid vom 1. März 1965, Beiträge zur Angestelltenversicherung (AnV) und Arbeitslosenversicherung (AlV) für die Beigeladenen zu 1) bis 25) bzw. deren Rechtsvorgänger und Beiträge zur Krankenversicherung (KrV) für die Beigeladenen zu 10) und zu 25).

Der Widerspruch der Klägerin wurde zurückgewiesen (Bescheid vom 26.7.1965).

Das Sozialgericht (SG) München hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 7.4.1970).

Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die Bescheide insoweit aufgehoben, als für den Beigeladenen zu 4) Beiträge zur AnV und für die Beigeladenen zu 1) bis 25) Beiträge zur AnV für die Zeit vor dem 1. Januar 1962 gefordert wurden; im übrigen hat es die Berufung der Klägerin zurückgewiesen; die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 15.6.1972). Das LSG hat Beschäftigungsverhältnisse zwischen der Klägerin und den beigeladenen Zielortreiseleitern angenommen und, soweit die sonstigen Voraussetzungen vorgelegen haben, Versicherungspflicht in der KrV, AnV und AlV bejaht (§ 165 der Reichsversicherungsordnung - RVO -, § 2 Nr. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -, § 56 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung - AVAVG -). Es hat sinngemäß ausgeführt, die Zielortreiseleiter seien in den Betrieb der Klägerin eingegliedert gewesen. Ihr Einsatz habe einen wesentlichen Bestandteil der von der Klägerin als Reiseunternehmen zu erbringenden Leistung gebildet, den sie ihren Kunden ausdrücklich zugesichert habe. Die Zielortreiseleiter seien für die technische Abwicklung der Reisen im Rahmen der Organisation der Klägerin unentbehrlich gewesen. Die Zielortreiseleiter hätten der Weisungsbefugnis der Klägerin unterstanden. Daß die Reiseleiter gemäß den "Vertraulichen Richtlinien" keine eigentliche Dienstzeit hatten, besage nicht, daß sie hinsichtlich ihrer Arbeitszeit von der Klägerin unabhängig gewesen wären; denn die Arbeitszeit habe sich nach den Erfordernissen der betreuten Reisen gerichtet. Diese Erfordernisse seien vom Unternehmen der Klägerin her bestimmt gewesen. Die Reiseleiter hätten insoweit keinen Einfluß auf die Arbeitsbelastung und Arbeitszeit nehmen können. Auch in der Ausführung der Arbeit hätte die Klägerin die Zielortreiseleiter in allen wesentlichen Einzelheiten an ihre Anweisungen gebunden, insbesondere über persönliches Verhalten und Auftreten, die Art der Abwicklung der Geschäfte am Zielort und die Abrechnung. Die Klägerin habe ihnen nicht gestattet, in freier Entscheidung von den Reiseprospekten abweichende Vereinbarungen zu treffen oder Aufenthalte zu verlängern. Das wesentliche Merkmal des Unternehmers - die eigenwirtschaftliche Tätigkeit - habe den Reiseleitern gefehlt. Sie hätten keine Veranstaltungen auf eigene Rechnung arrangieren dürfen. Die Klägerin habe ihnen ausdrücklich verboten, persönlichen Nutzen aus solchen Veranstaltungen zu ziehen. Die Dienstleistung der Reiseleiter sei deshalb fremdbestimmt gewesen.

Die Beschäftigung im Ausland werde von den im Bundesgebiet geltenden Vorschriften erfaßt (Art. 13 Abs. 1 Buchst. a der EWG-VO Nr. 3; Art. 3 des Abkommens mit der Schweiz über Sozialversicherung vom 24.10.1950 - BGBl II 1951, 145; Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 des Abkommens mit Österreich über Sozialversicherung vom 21.4.1951 - BGBl II 1952, 317; Beschluß Nr. 12 der Verwaltungskommission der EWG für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer vom 18.9.1959 -- Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1959, 1245).

Der Anspruch auf rückständige Beiträge zur KrV und AlV für die Zeit vor dem 1. Januar 1962 sei nicht verjährt (§ 29 Abs. 1 RVO, § 160 Abs. 2 AVAVG aF). Jedoch wirke die Hemmung der Verjährung (§ 202 Abs. 1 BGB) auf Grund der Vereinbarung aus dem Jahre 1961 nicht für die Beiträge zur AnV. Diese Beiträge könnten nur soweit nachgefordert werden, als sie noch wirksam nachentrichtet werden könnten (§ 140 Abs. 1 AVG). Die Voraussetzungen dafür nach § 142 Abs. 1 und 2 AVG seien hier nicht erfüllt.

Die Klägerin, die Beklagte und die Beigeladene zu 24) haben Revision eingelegt.

Die Klägerin beanstandet, daß das LSG die beigeladenen Zielortreiseleiter als Beschäftigte beurteilt hat. Sie beantragt (sinngemäß),

1)

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. Juni 1972 aufzuheben, soweit es die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und ihr Kosten auferlegt hat,

2)

das Urteil des Sozialgerichts München vom 7. April 1970 und die Bescheide der Beklagten vom 3. August 1964 und 1. März 1965 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Juli 1965 in vollem Umfang aufzuheben,

3)

die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen zu 24) zurückzuweisen,

4)

der Beklagten die Erstattung der klägerischen Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

Die Beklagte wendet sich dagegen, daß das LSG die Nachforderung von Beiträgen zur AnV für die Zeit bis 1. Januar 1962 abgelehnt hat. Sie beantragt (sinngemäß),

1)

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts insoweit aufzuheben, als dieses die Bescheide der Beklagten vom 3. August 1964 und 1. März 1965 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Juli 1965 bezüglich der Nachforderung der Beiträge zur Angestelltenversicherung für die beigeladenen Zielortreiseleiter für die Zeit vor dem 1. Januar 1962 aufgehoben hat,

2)

die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Die Beigeladene zu 24) beanstandet ebenfalls, daß das LSG die Nachforderung von Beiträgen zur AnV für die Zeit vor dem 1. Januar 1962 nicht zugelassen hat. Sie beantragt (sinngemäß), das Urteil des LSG dahin abzuändern, daß die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG, soweit die Beigeladene zu 24) in Betracht kommt, in vollem Umfang zurückgewiesen wird, und die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Die Klägerin rügt eine Verletzung des § 165 RVO, des § 2 Nr. 1 AVG und des § 56 AVAVG:

Das LSG hätte bei seiner Auffassung, daß nicht die von den Beteiligten gewählten zivilrechtlichen Bezeichnungen, sondern die tatsächliche Gestaltung der Verhältnisse und die Art der Tätigkeit entscheidend seien, den Wortlaut der "Vertraulichen Richtlinien" zur Begründung der Versicherungspflicht nicht heranziehen dürfen. Die Zielortreiseleiter seien nie in ihrem Betrieb tätig gewesen. Sie - die Klägerin - sei ein Reiseveranstalter. Zu dessen Tätigkeit gehöre laut Urteil des Kammergerichts vom 20. Juni 1968 - S U 785/67 - S. 13, 14:

"Durch Abschluß von Verträgen mit den Leistungsträgern (den Verkehrsunternehmen, den Vermietern usw.) die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für die Zurverfügungstellung der Leistungen zu schaffen, deren Gesamtheit den Inhalt der gebuchten Reise ausmachen."

Die in ihrem Betrieb bearbeitete Reiseveranstaltung habe den Abschluß von Verträgen mit Leistungsträgern und die Zusammenstellung der einzelnen Reiseleistungen zur Gesamtheit der gebuchten Reise zum Gegenstand. An dieser Tätigkeit hätten die Zielortreiseleiter nie teilgenommen. Sie gehörten vielmehr zu den Leistungsträgern, wie z. B. ein Hotel, ein Reisebüro am Zielort, die von ihr in Anspruch genommene Firma D in R und N, die Firma U in B. Nur wenn an einem ausländischen Zielort geeignete Unternehmen nicht zur Verfügung ständen, seien Einzelpersonen mit den Aufgaben der Reiseleitung am Zielort beauftragt.

Die Tätigkeit der Reiseleitung am Zielort könne in ihrem Betrieb selbst nicht ausgeübt werden. Die spätere gelegentliche Aushilfstätigkeit der Beigeladenen zu 24) während der Wintermonate in ihrem Betrieb als Stenotypistin sei von der einer Auslandsreiseleiterin völlig verschieden.

In Österreich sei gesetzlich geregelt, daß die Tätigkeit eines Zielortreiseleiters einen genehmigungspflichtigen Gewerbebetrieb darstelle; ein Zielortreiseleiter mit der erforderlichen Konzession sei selbständiger Gewerbetreibender.

Selbstverständlich müßten die Reiseleiter am Zielort eng mit ihr zusammenarbeiten; deren Arbeit richte sich vor allem nach den Reiseterminen. Eine eigentliche Arbeitszeit könne sie für die Zielortreiseleiter nicht festlegen. Die Ausgestaltung der Betreuung am Zielort sei völlig der eigenen Initiative der Reiseleiter überlassen. Sie stelle diesen nicht einmal einen Arbeitsraum zur Verfügung. Sie erhielten ihn vielmehr von der örtlichen Fremdenorganisation oder einem Hotel. Sie erhielten auch in den meisten Fällen von den Hotels freie Unterkunft und Verpflegung, also Sachbezüge von anderen Stellen. Sie, die Klägerin, habe an die Zielortreiseleiter pauschaliert die Vergütung für die Betreuungstätigkeit weitergegeben, die die einzelnen Reisenden im Rahmen des Gesamtpreises an sie - die Klägerin - abgeführt hätten.

Eine Einzelperson, die die Betreuungstätigkeit der Reisenden am Zielort ausübe, sei nicht anders zu behandeln, als eine damit betraute Einrichtung des Fremdenverkehrs oder ein Reisebüro.

Die Klägerin rügt ferner eine Verletzung des Art. 13 der EWG-VO Nr. 3 und des Beschlusses Nr. 12 der Verwaltungskommission vom 18. September 1959 sowie des deutschschweizerischen und des deutsch-österreichischen Sozialversicherungsabkommens.

Die Beklagte rügt eine Verletzung des § 29 Abs. 1 RVO und der §§ 140, 142, 205 AVG sowie des § 77 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -: Die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) habe im Berufungsverfahren die Bescheide hinsichtlich der Beiträge zur AnV für die Zeit vor dem 1. Januar 1962 nicht mehr anfechten können, weil die Bescheide gegenüber der BfA bereits bindend gewesen seien. Die BfA könne zwar als notwendig Beigeladene nach § 77 Abs. 4 des SGG selbständig Angriffsmittel geltend machen und abweichende Sachanträge stellen. Die BfA hätte jedoch den auch ihr zugestellten Widerspruchsbescheid durch Klage anfechten können; da sie dies unterlassen habe, sei der Bescheid der BfA gegenüber bindend geworden.

Die Beklagte greift ferner die Auffassung des LSG an, eine Nachforderung von Beiträgen zur AnV sei im Hinblick auf § 140 Abs. 1 AVG nur soweit zulässig, als die Beiträge noch wirksam entrichtet werden könnten. Nicht verjährte Pflichtbeiträge zur AnV, die von einer Krankenkasse als Einzugsstelle eingezogen werden, würden stets wirksam entrichtet. Auch für die Beiträge zur AnV sei der Ablauf der Verjährung bis zum Erlaß des Bescheides vom 3. August 1964 gehemmt gewesen.

Die Beigeladene zu 24) verweist in der Begründung ihrer Revision auf BSG 20, 6; 22, 157, 173; 31, 119. Sie sei nicht schuld an der nicht rechtzeitigen Entrichtung der Beiträge zur AnV.

Die beigeladene BfA beantragt, die Revisionen der Klägerin, der Beklagten und der Beigeladenen zu 24) zurückzuweisen.

Die beigeladene Bundesanstalt für Arbeit beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen der Klägerin, der Beklagten und der Beigeladenen zu 24) sind statthaft. Begründet ist nur die Revision der Klägerin. Die übrigen Revisionen sind unbegründet und zurückzuweisen.

Die Klägerin ist nicht verpflichtet, für die Zielortreiseleiter Beiträge zur KrV, AnV und AlV für die Jahre 1959 bis 1963 zu leisten. Voraussetzung der Versicherungspflicht in diesen Versicherungen ist u. a., daß sie bei der Klägerin in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden haben (§ 165 Abs. 1 Nr. 2 RVO, § 2 AVG, § 56 AVAVG). Dies trifft hier nicht zu.

Zu Recht hat das LSG dargelegt, daß für die Beurteilung des Rechtsverhältnisses zwischen den Zielortreiseleitern und der Klägerin im Sinne der Sozialversicherung nicht die Bezeichnungen in Verträgen maßgebend sind, sondern die tatsächliche Gestaltung der Verhältnisse und die Art der Tätigkeit. Zu Recht hat es auch ausgeführt, daß wesentliches Merkmal eines Beschäftigungsverhältnisses die persönliche Abhängigkeit ist, die sich in der Eingliederung des Arbeitenden in den Betrieb des Arbeitgebers, verbunden mit dessen Weisungsrecht, äußert (vgl. Urteile des Senats vom 1.3.1972 - 12/3 RK 43/69 - mit weiteren Hinweisen und vom 31.1.1973 - 12/3 RK 16/70; ferner SozR Nr. 71 zu § 165 RVO und Nr. 7 zu § 2 AVG). Es ist nicht zu beanstanden, daß das LSG bei der Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse die Vertraulichen Richtlinien der Klägerin vom 2.1.1957 mitberücksichtigt hat, soweit nach seinen Feststellungen die Reiseleiter und die Klägerin sich tatsächlich entsprechend diesen Richtlinien verhalten haben. Daß letzteres der Fall war, ist von keiner Seite bestritten worden.

Für die Frage, ob die Reiseleiter in den Betrieb der Klägerin eingegliedert waren, ist von wesentlicher Bedeutung, welche Tätigkeiten der Betrieb der Klägerin überhaupt umfaßt. Dies war hier besonders hervorzuheben; denn - räumlich gesehen - konnten sie ihr Aufgabengebiet "Betreuung der Reisenden am Zielort im Ausland" nicht innerhalb des Betriebes der Klägerin erfüllen. Im angefochtenen Urteil ist dieser Gesichtspunkt bei der Prüfung, ob sie Beschäftigte der Klägerin waren, nicht genügend beachtet.

Die Frage, welche Tätigkeiten der Betrieb der Klägerin umfaßt, ist nach ihrem Aufgabenkreis zu beantworten. Die Klägerin ist "Reiseveranstalter" (vgl. zu folgendem Rebmann, International einheitliche Regelung des Rechtes des Reisevertrages, in Der Betrieb 1971, 1949; Bartl, Die Urlaubsreise und ihre Beeinträchtigung, in NJW 1972, 505; zuletzt OLG Köln vom 4.7.1972 in NJW 1972, 1815). Der Reiseveranstalter vergibt Pauschalreisen. Diese setzen sich aus Leistungen verschiedener Unternehmen zusammen, wie Beförderungsunternehmen, Beherbergungsbetriebe, örtliche Reiseleitungen usw.. Die Tätigkeit des Reiseveranstalters besteht darin, die einzelnen Reisedienstleistungen auszuwählen, sie aufeinander abzustimmen und sie zu einer Leistungseinheit zusammenzufügen. Diese Gesamtheit wird dann den an einer Reise Interessierten als Pauschalreise angeboten. Das Rechtsverhältnis zwischen dem Reiseveranstalter und dem Reisenden wird in der Regel als ein Werkvertrag (§ 631 BGB) angesehen: Der Reiseveranstalter schuldet die erfolgreiche Durchführung der Reise und damit die tatsächliche Verschaffung der einzelnen Reisedienstleistungen. Er hat die einzelnen Reisedienstleistungen also nicht selbst zu erbringen, sondern nur zu verschaffen. Er bedient sich dazu der einzelnen Leistungsträger, wie Transportunternehmen, Hotels, örtliche Reiseleitungen u. ä.. Die somit dem Reiseveranstalter obliegenden Tätigkeiten der Auswahl und Zusammenfügung der einzelnen Reisedienstleistungen und ihres Angebotes als Pauschalreise sowie der Bestimmung der einzelnen Leistungsträger werden in seinem Betrieb erledigt. Durchgeführt werden die einzelnen Reisedienstleistungen dann außerhalb des Betriebes des Reiseveranstalters durch die jeweiligen selbständigen Leistungsträger, die der Reiseveranstalter dazu ausgewählt hat.

Zur Durchführung der in den Pauschalreisen enthaltenen Betreuung der Reisenden hatte die Klägerin hier die Beigeladenen bzw. ihre Rechtsvorgänger ausgewählt und sie mit der Reiseleitung am Zielort im Ausland beauftragt. Für die Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Verhältnisses dieser Personen zur Klägerin ist entscheidend, daß die geschilderten Reiseveranstalteraufgaben die Tätigkeiten sind, die im Betrieb der Klägerin verrichtet werden. Die Betreuung der Reisenden am Zielort im Ausland gehörte demnach nicht zum Betrieb der Klägerin als Reiseveranstalter und die Reiseleiter waren bei der Betreuung der Reisenden am Zielort nicht mit den einem Reiseveranstalter obliegenden Tätigkeiten befaßt.

Zwar hatte die Klägerin für ein Teilgebiet der Pauschalreisen, das außerhalb ihres Betriebs durchzuführen war und zu dessen Erbringung sie als Reiseveranstalter grundsätzlich nicht verpflichtet war - die Betreuung der Reisenden am Zielort -, Besonderheiten vorgesehen, wie aus Ziffer 1) ihrer Vertraulichen Richtlinien hervorgeht. Danach kannte sie für ihre Auslandsreisen folgende Kategorien von Reiseleitern:

"a)

eigene Angestellte, die vorwiegend oder gelegentlich als Reiseleiter tätig sind,

b)

Angestellte der Stammunternehmen (D, H-Rsb., ABR, Reisebüro Dr. D),

c)

freiberufliche - selbständige - Reiseleiter (und ihnen betrieblich gleichgestellt: mit der Reiseleitung beauftragte ausländische Reisebüros etc.)"

Unzweifelhaft waren die Beigeladenen bzw. die Rechtsvorgänger nicht "Angestellte der Stammunternehmen" im Sinn von Buchst. b). Sie fallen auch nicht unter Buchst. a).

Wenn die Klägerin "eigene Angestellte" mit einer Reiseleitung betraute, übernahm sie insoweit nichttypische Tätigkeiten eines Reiseveranstalters als eigene Aufgabe. Dies war eine Ausnahme gegenüber den typischen Reiseveranstaltertätigkeiten. Die Klägerin hatte die Ausnahme auf "eigene Angestellte", die "vorwiegend" oder "gelegentlich" als Reiseleiter tätig sind, beschränkt. Bei diesen Personen handelt es sich, wie Buchst. a) besagt, um Personen, die schon als Angestellte in den Betrieb der Klägerin aufgenommen waren und dann im Rahmen des Weisungsrechts der Klägerin, soweit dies arbeitsvertraglich an sich zulässig war, gelegentlich oder vorwiegend als Reiseleiter eingesetzt wurden. Diese Voraussetzungen sind bei den Beigeladenen zu 1) bis 25 bzw. ihren Rechtsvorgängern nicht gegeben. Sie waren nur für einen bestimmten Ort im Ausland und für eine bestimmte Zeitdauer - eine Saison - mit der Betreuung der Reisenden betraut worden und hatten dort für die Klägerin gearbeitet. Sie waren nicht schon in den Betrieb der Klägerin, in dem die Tätigkeiten eines Reiseveranstalters erledigt werden, ohne Beschränkung auf ein besonderes Arbeitsgebiet aufgenommen worden. Sie waren, bevor sie ihre Tätigkeit als Zielortreiseleiter an den in ihren Verträgen genannten ausländischen Zielorten jeweils begannen, nicht Angestellte der Klägerin. Sie waren daher auch nicht in Ausübung einer auf Grund eines Angestelltenverhältnisses schon bestehenden Weisungsbefugnis der Klägerin zur Reiseleitung eingesetzt worden.

Neben dem grundlegenden Umstand, daß die Zielortreiseleiter nach der Art ihrer Tätigkeit nicht im Betrieb der Klägerin als Reiseveranstalter tätig wurden, zeigen auch die Einzelheiten, daß sie nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zur Klägerin standen. Bei der Beurteilung der Einzelheiten darf der entscheidende Ausgangspunkt - das Aufgabengebiet der Klägerin als Reiseveranstalter - nicht außer Acht gelassen werden.

Im angefochtenen Urteil wird gesagt, der Einsatz der Reiseleiter habe einen wesentlichen Bestandteil der von der Klägerin den Reisenden zu erbringenden Leistung gebildet. Dies trifft bei dem Aufgabengebiet der Klägerin als Reiseveranstalter nicht zu; denn wenn auch die von ihr angebotenen Pauschalreisen die Betreuung der Reisenden am Zielort umfaßten, mußte doch die Klägerin als Reiseveranstalter diese Leistungen nicht selbst "erbringen", sondern nur "verschaffen". Wie ausgeführt, hat sie im vorliegenden Fall diese Reisedienstleistung nicht selbst erbracht, weil die Reiseleiter nicht "eigene Angestellte" der Klägerin im Sinn der Ziffer 1 Buchst. a) der Vertraulichen Richtlinien waren, die "vorwiegend oder gelegentlich als Reiseleiter" tätig wurden. Allerdings war die Zielortreiseleitung, wenn sie in den Pauschalreisen mit angeboten war, im Rahmen der Reiseveranstaltung "unentbehrlich", wie das angefochtene Urteil sagt. Doch bedeutet dies aus den gleichen Gründen - nur tatsächliche Verschaffung, nicht Erbringung der Reisedienstleistungen - nicht, daß die Betreuung ein Teil des Betriebs der Klägerin darstellte.

Die im Urteil angeführte Ziffer 58 der "Vertraulichen Richtlinien" spricht nicht für eine Beschäftigteneigenschaft der Reiseleiter. Da die Klägerin den Reisenden die Betreuung am Zielort zu "verschaffen" hatte, mußte sie den dafür Beauftragten Hinweise und Anhaltspunkte geben, damit die Betreuung den in den Pauschalreisen angebotenen Leistungen entsprach. Daß dazu die Richtlinien zum Teil recht eingehend waren, ist verständlich, weil sich auch Personen als Zielortreiseleiter verpflichtet hatten, die keine planmäßig ausgebildeten Fachkräfte des Reisegewerbes waren.

Die "Vertraulichen Richtlinien" stellen sich in ihrer Gesamtheit nicht als Weisungen eines Arbeitgebers dar, durch die er während eines Beschäftigungsverhältnisses einzelne Arbeitsbedingungen mit mehr oder weniger häufigen Änderungen für die Beschäftigten bestimmt. Sie erläutern vielmehr die Aufgabe als solche, zu der die Zielortreiseleiter sich gegenüber der Klägerin verpflichtet hatten, d. h. sie beschreiben Ziel, Zweck und Ergebnis der Tätigkeit, auf die die Zielortreiseleiter ihre einzelnen Handlungen auszurichten hatten. Welche Maßnahmen im einzelnen Fall zur Betreuung der Reisenden nach deren vielfältigen, im voraus nicht absehbaren Wünschen und Fragen jeweils am zweckmäßigsten waren, hatten die Reiseleiter in diesem Rahmen selbständig zu bestimmen. Diese Freiheiten hatten sie nicht etwa deshalb, weil wegen besonderer Fachkenntnisse keine weitergehenden Weisungen erteilt werden könnten (vgl. z. B. hinsichtlich medizinischer Maßnahmen bei einem angestellten Chefarzt, beim angestellten Prediger usw.) - die Reiseleiter waren keine Fachkräfte in diesem Sinne -, sondern weil sie selbständig tätig waren.

Auch soweit die "Vertraulichen Richtlinien" ins einzelne gehen, wie ua die Hinweise über die Erstellung der Abrechnungen, entspringen sie nicht dem Weisungsrecht eines Arbeitgebers, sondern beschreiben, wie das Ergebnis der Tätigkeit der Reiseleiter auszusehen hatte, damit es der von der Klägerin den Reisenden zu verschaffenden Zielortbetreuung entsprach und damit die Abrechnungen im Betrieb der Klägerin verwendet werden konnten. Damit ist etwa zu vergleichen, wenn der Besteller eines Werks dem Hersteller genau aufgibt, wie das gewünschte Werk aussehen muß, ihm aber die Arbeiten zur Herstellung des Werks frei überläßt.

Dieser Selbständigkeit entsprach, daß die Zielortreiseleiter ihre Arbeitszeit und ihre Arbeitsstätte selbst bestimmten. Wenn ihnen dafür Räumlichkeiten in örtlichen Reisebüros zur Verfügung gestellt wurden, so diente dies nur der Erleichterung ihrer Arbeit, war aber nicht die Zuweisung eines bestimmten Arbeitsplatzes innerhalb der Organisation eines Betriebes.

Daß die Zielortreiseleiter grundsätzlich keine von den Prospekten der Klägerin abweichenden Vereinbarungen treffen und Aufenthalte nicht verlängern durften, ist verständlich; denn dadurch wäre der Reisevertrag zwischen der Klägerin und den Reisenden sowie ggf. der Vertrag zwischen der Klägerin und anderen Leistungsträgern geändert worden. Dies wäre über die Betreuung der Reisenden im Rahmen der Pauschalreise, zu der die Reiseleiter sich verpflichtet hatten, hinausgegangen.

Im angefochtenen Urteil wird für eine Beschäftigteneigenschaft noch hervorgehoben, daß die Reiseleiter keine Veranstaltungen auf eigene Rechnung arrangieren oder persönlichen Nutzen aus solchen Veranstaltungen ziehen durften. Mit diesem Verbot sind wieder die Grenzen der Betreuungstätigkeit - Durchführung des Reiseprogramms - aufgezeigt. Auch lag es im Interesse der Klägerin als Veranstalter von Pauschalreisen, daß die Reisenden durch Veranstaltungen der Reiseleiter nicht zu zusätzlichen Kosten gedrängt wurden. Schließlich war es nicht ausgeschlossen, daß Zielortreiseleiter, wenn ihnen eigene Veranstaltungen mit eigenem finanziellen Nutzen gestattet gewesen wären, darüber die Betreuungstätigkeit, die ihnen keinen weiteren finanziellen Nutzen einbrachte, vernachlässigt hätten. Im übrigen entsprechen derartige Verbote vertraglichen Wettbewerbsverboten und auch der Treuepflicht des vertraglich zu Diensten verpflichteten Selbständigen.

Im angefochtenen Urteil wird noch darauf hingewiesen, daß die Reiseleiter kein eigenes wirtschaftliches Risiko zu tragen hatten. Dies tritt gegenüber den Umständen, die für eine selbständige Tätigkeit sprechen, zurück; denn die Betreuung der Reisenden verlangte nach der Art dieser Tätigkeit nicht den Einsatz eigenen Kapitals der Reiseleiter. Für eine selbständige Tätigkeit der Reiseleiter im Sinne einer freien Mitarbeit spricht schließlich auch die Vergütung in Form einer Tagespauschale und deren reiseweise Abrechnung zwischen der Klägerin und den Reiseleitern. Bei Angestellten ist eine solche Art der Gewährung des Arbeitsentgelts nicht üblich.

Somit standen die Beigeladenen zu 1) bis 25) bzw. deren Rechtsvorgänger nach dem Gesamtbild ihrer Tätigkeit unter besonderer Berücksichtigung der Unterscheidung zwischen dem Betrieb der Klägerin als Reiseveranstalter und dem Programm ihrer Pauschalreisen nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zur Klägerin.

Bei dieser Rechtslage war auf die weiteren Fragen, wie Versicherungspflicht bei Auslandsbeschäftigung, EWG-Recht, Verjährung und nachträglicher Beitragseinzug, nicht einzugehen.

Die Kostenentscheidung entspricht unter Berücksichtigung der gestellten Anträge § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE 36, 7-12 (LT1)

BSGE, 7

RegNr, 4676

DOK 1973, 463-464 (LT1)

USK, 7378 (LT1)

Die Beiträge 1973, 250-255 (LT1)

EzS, 130/105

SozR § 165 RVO (LT1), Nr 72

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt SGB Office Professional . Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge