Leitsatz (redaktionell)

Sämtliche Ansprüche eines Versicherten aus dem Versicherungsfall Krankheit setzen sowohl hinsichtlich ihrer Entstehung als auch ihres Fortbestandes allein voraus, daß die Krankheit während eines Versicherungsverhältnisses mit entsprechender Anspruchsberechtigung eingetreten ist; sofern diese Grundvoraussetzung vorliegt, ist es für die weitere Abwicklung des Versicherungsfalles ohne Bedeutung, wenn die Mitgliedschaft des Versicherten bei der KK erlischt oder sich in eine Mitgliedschaft wandelt, die einen Anspruch dieses Inhalts nicht mehr umfaßt (Grundsatz der Einheit des Versicherungsfalles).

Ein aus dem früheren Versicherungsverhältnis "nachgehender" Anspruch auf Krankengeld besteht auch dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit erst während einer Mitgliedschaft ohne Krankengeldberechtigung (zB Rentnerkrankenversicherung) eingetreten ist. Ein nach RVO § 183 Abs 2 erschöpfter Krankengeldanspruch lebt nach Ablauf der 3-Jahres- Frist auch dann wieder auf, wenn der Versicherte nicht ununterbrochen arbeitsunfähig war, sondern die Zeit der Arbeitsunfähigkeit durch eine Zeit der Arbeitsfähigkeit unterbrochen worden ist.

Bei einem Wiederaufleben des Krankengeldanspruchs ist eine - an sich erforderliche - erneute Meldung der Arbeitsunfähigkeit durch den Versicherten nicht notwendig, wenn die Arbeitsunfähigkeit der KK bekannt ist.

 

Normenkette

RVO § 183 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1961-07-12

 

Tenor

Die Revision der beigeladenen Allgemeinen Ortskrankenkasse gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 9. Oktober 1969 wird zurückgewiesen.

Die Beigeladene hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Der seit dem 16. September 1964 wegen aktiver Tuberkulose arbeitsunfähige Kläger bezog von der beigeladenen Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Krankengeld vom 17. September bis 2. November 1964 und vom 26. August 1965 bis 5. Januar 1967. Zwischenzeitlich - vom 3. November 1964 bis 25. August 1965 - und erneut vom 6. Januar bis 15. September 1967 gewährte ihm die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG), die mit der Revision nicht angegriffen worden sind, stationäre Heilbehandlung sowie Übergangsgeld.

Unter dem 11. September 1967 beantragte der Kläger die Weitergewährung des Übergangsgeldes. Die LVA lehnte dies mit der Begründung ab, der Kläger habe vom 16. September 1967 an erneut Anspruch auf Krankengeld. Seit dem 5. Dezember 1967 bezieht der Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit.

Das Sozialgericht (SG) hat die beigeladene AOK verurteilt, dem Kläger ab 16. September 1967 Krankengeld auf die Dauer von höchstens 78 Wochen zu gewähren, solange Arbeitsunfähigkeit wegen Tuberkulose bestehe. Es hat die Berufung zugelassen.

Diese hat das LSG mit der - vom Kläger beantragten - Maßgabe zurückgewiesen, dem Kläger Krankengeld vom 16. September bis 4. Dezember 1967 zu gewähren: Der im Berufungsverfahren noch geltend gemachte Anspruch auf Krankengeld für die Zeit vom 16. September bis 4. Dezember 1967 sei nach § 183 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) begründet. Es komme nicht - wie die AOK meine - darauf an, ob der Kläger mit dem Wegfall des Krankengeldes am 5. Januar 1967 aus der Kassenmitgliedschaft ausgeschieden sei. Nach dem Grundsatz der Einheit des Versicherungsfalls, den das Bundessozialgericht (BSG) entwickelt habe, genüge es, daß eine Krankheit noch vor dem Ausscheiden aus der Mitgliedschaft entweder Behandlungsbedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit verursacht habe.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision trägt die beigeladene AOK vor: Zu einem Versicherungsfall i.S. der gesetzlichen Krankenversicherung werde eine Krankheit erst dann, wenn eine Versicherung bestehe, aus der Ansprüche hergeleitet werden könnten. Dies bedeute umgekehrt, daß der Versicherungsfall "Krankheit" dann als abgeschlossen angesehen werden müsse, wenn ein Leistungsanspruch nicht mehr gegeben sei. Sei der Anspruch auf Krankengeld erschöpft, so ende die nach § 311 RVO aufrechterhalten gebliebene Mitgliedschaft, sofern sich nicht ein anderes Versicherungsverhältnis anschließe. Nach Ablauf von drei Jahren, gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an, könne der Krankengeldanspruch nur dann wiederaufleben, wenn zu diesem Zeitpunkt ein Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeld bestehe. Der Kläger sei jedoch seit dem 6. Januar 1967 nur noch als Rentenantragsteller ohne Krankengeldberechtigung versichert gewesen.

Die Beigeladene hat beantragt,

die Urteile des Bayerischen LSG vom 9. Oktober 1969 und des SG Regensburg vom 24. Februar 1969 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

II

Die Revision ist nicht begründet.

Nach § 183 Abs. 2 Satz 1 RVO wird Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung gewährt, für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit jedoch für höchstens 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren, gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an. Wie der Senat in seinem Urteil vom 28. April 1967 (BSG 26, 243) entschieden hat, kann eine Krankenkasse, die innerhalb von drei Jahren bis 78 Wochen Krankenhauspflege wegen derselben Krankheit gewährt hat, die weitere Gewährung von Krankengeld oder Krankenhauspflege nach Ablauf von drei Jahren nicht deswegen verweigern, weil die Arbeitsunfähigkeit oder Krankenhauspflegebedürftigkeit ununterbrochen fortbestanden hat. Ein nach § 183 Abs. 2 RVO erschöpfter Krankengeldanspruch lebt nach Ablauf der Dreijahresfrist aber auch dann wieder auf, wenn keine dauernde Arbeitsunfähigkeit des Versicherten vorgelegen hat, sondern die Zeit der Arbeitsunfähigkeit durch eine Zeit der Arbeitsfähigkeit unterbrochen worden ist (Urteil des Senats vom 20. März 1969 - 3 RK 34/67 - WzS 1969, 241). Der Kläger ist am 16. September 1964 arbeitsunfähig geworden. Der innerhalb des ersten Dreijahreszeitraums erschöpfte Krankengeldanspruch lebte also am 16. September 1967 wieder auf.

Wie das LSG zutreffend angenommen hat, ist das Wiederaufleben des Krankengeldanspruchs nicht davon abhängig, ob der Kläger mit dem Wegfall des Krankengeldes am 5. Januar 1967 aus der Mitgliedschaft der Krankenversicherung ausgeschieden ist. Nach der feststehenden Rechtsprechung des Senats sind alle Ansprüche des Versicherten, die aus dem Versicherungsfall - der Krankheit - entstehen können, ihrem Rechtsgrund nach auf den Eintritt des Versicherungsfalles - die Erkrankung - zurückbezogen (Grundsatz der Einheit des Versicherungsfalles, vgl. zuletzt Urteil des Senats vom 18. November 1969, SozR Nr. 43 zu § 183 RVO). Die Entstehung und der Fortbestand aller dieser Ansprüche setzen allein voraus, daß der Versicherungsfall während eines Versicherungsverhältnisses mit entsprechender Anspruchsberechtigung eingetreten ist. Liegt diese "Grundvoraussetzung" (RVA in GE Nr. 5545 AN 1944, 38, 39) einmal vor, so hat es für die weitere Abwicklung des Versicherungsfalles keine Bedeutung, wenn die Mitgliedschaft des Versicherten bei der Krankenkasse erlischt (vgl. Urteil des Senats vom 18. November 1969 aaO) oder sich in eine Mitgliedschaft wandelt, die einen Anspruch dieses Inhalts nicht mehr umfaßt (BSG 25, 37, 39; SozR Nr. 10 zu § 183 RVO). Wie der Senat in BSG 25 aaO dargelegt hat, bleibt insbesondere ein aus dem früheren Versicherungsverhältnis "nachgehender" Anspruch auf Krankengeld auch dann bestehen, wenn die Arbeitsunfähigkeit erst während einer Mitgliedschaft ohne Krankengeldberechtigung eingetreten ist. Das muß um so mehr gelten, wenn die Arbeitsunfähigkeit noch während einer krankengeldberechtigten Mitgliedschaft eingesetzt und über die Umgestaltung des Versicherungsverhältnisses hinaus fortbestanden hat.

Allerdings betreffen die zuletzt genannten Entscheidungen des Senats nur Fälle aus der Übergangszeit nach Inkrafttreten des Leistungsverbesserungsgesetzes vom 12. Juli 1961 (BGBl I 913). Wie der Senat in seinem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil - 3 RK 41/69 - vom gleichen Tage näher dargelegt hat, kann es indessen keinen Unterschied machen, aus welchem Grunde ein (vorläufig) erschöpfter Anspruch auf Krankengeld wieder auflebt, und es widerspräche auch dem Willen des Gesetzgebers, die sich aus der Einheit des Versicherungsfalles ergebenden Konsequenzen auf den ersten Dreijahreszeitraum zu beschränken.

Zwar hat der Kläger - was an sich erforderlich wäre, wie der Senat in seinem Urteil 3 RK 41/69 ausgeführt hat - seine Arbeitsunfähigkeit nicht formell erneut gemeldet, aber der AOK war die Arbeitsunfähigkeit des Klägers bekannt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1670302

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