Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufsunfähigkeit. Verweisungstätigkeit. Sachaufklärung

 

Leitsatz (amtlich)

Bejaht ein medizinischer Gutachter die Fähigkeit des Versicherten, eine bestimmte vom Arbeitsamt benannte Tätigkeit auszuüben, so kann dies der Entscheidung regelmäßig nicht zugrundegelegt werden, wenn weder auf medizinischer noch auf berufskundlicher Seite konkrete Angaben vorliegen, die eine nachvollziehbare Beurteilung der Eignung des Versicherten für die in Betracht gezogene Tätigkeit erlauben.

 

Normenkette

RVO § 1246 Abs. 2 S. 2; SGG §§ 106, 103

 

Verfahrensgang

SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 22.08.1988; Aktenzeichen S-16/J-4101/86)

Hessisches LSG (Entscheidung vom 24.11.1992; Aktenzeichen L-2/J-1329/88)

 

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung von Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU), hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit (BU).

Der 1950 in Polen geborene Kläger war dort bis 1976 in seinem erlernten Beruf als Elektrotechniker tätig. Seit September 1976 lebt er in der Bundesrepublik Deutschland. Hier war er von Januar 1978 bis November 1980 als Elektriker und von April bis September 1981 als Kundendiensttechniker beschäftigt. Seitdem ist er arbeitslos und arbeitsunfähig.

Den im Oktober 1985 gestellten Antrag des Klägers auf Gewährung von Versichertenrente lehnte die Beklagte nach medizinischer Sachaufklärung mit Bescheid vom 7. März 1986 ab. Widerspruch, Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 26. November 1986, Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Frankfurt am Main vom 22. August 1988, Urteil des Hessischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 24. November 1992). Das LSG hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:

Der Kläger sei noch in der Lage, vollschichtig leichte Arbeiten nicht auf Leitern und Gerüsten und an laufenden Maschinen, ohne Zwangshaltung, ohne Überkopf-, Hebe- oder Bücktätigkeiten, in geschlossenen, warmen Räumen auszuüben. Der Senat stütze seine Überzeugung zum Leistungsvermögen des Klägers auf das orthopädische Gutachten des Dr. A. vom 27. September 1989, das internistische Gutachten des Dr. S. vom 12. Juli 1990 sowie das nervenärztliche Gutachten des Prof. Dr. D. vom 25. Juli 1991 mit ergänzender Stellungnahme vom 20. Dezember 1991 und dessen weiteres Gutachten vom 28. September 1992. Einen erwerbsmindernden Dauereinfluß habe der Sachverständige Dr. A. den degenerativen Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule zuerkannt, die über das altersübliche Maß hinausgingen und eine Bewegungseinschränkung bedingten. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. komme den internistischen Leiden ein qualitativ erwerbsmindernder Dauereinfluß nicht zu. Schließlich bestehe beim Kläger von seiten des nervenärztlichen Fachgebiets eine psychische Anomalie in Form einer ängstlich hypochondrischen Persönlichkeitsstörung. Dadurch sei er nach der Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. D. jedoch nicht gehindert, noch ganztags zu arbeiten.

Der Senat habe keinen Anlaß, an der Richtigkeit der genannten Gutachten zu zweifeln. Die von Dr. S. und Prof. Dr. D. begründete vollschichtige Leistungsfähigkeit des Klägers werde insbesondere nicht widerlegt durch das Ergebnis der Begutachtung durch Dr. L. , der dem Kläger nur noch eine halbschichtige Einsatzfähigkeit im Erwerbsleben attestiere. Nach den Ausführungen des Dr. L. werde das Leistungsvermögen des Klägers hauptsächlich eingeschränkt durch den bestehenden Hypertonus. Diesen habe der Sachverständige Dr. S. jedoch durch geeignete medikamentöse und begleitende Maßnahmen als behandlungs- und besserungsfähig bezeichnet. Auch sei der Kläger nach der überzeugend dargelegten Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. D. trotz seines psychiatrischen Krankheitsbildes ausreichend in der Lage, durch Gewichtsreduktion und Befolgen eines medikamentösen Planes seinen Bluthochdruck zu behandeln. Unerheblich sei hier, daß sich der Sachverständige Prof. Dr. D. bei seiner Einschätzung, dem Kläger stünden noch ausreichende seelische Ressourcen zur Verfügung, insbesondere bei der Blutdruckbehandlung mitzuwirken, auch darauf gestützt habe, daß der Kläger zu einem vierwöchigen Urlaub in Polen gewesen sei. Denn selbst wenn es sich dabei um einen Besuch des kranken Schwiegervaters gehandelt habe, wie vom Kläger geltend gemacht, würde sich am Tatbestand einer unternommenen Reise nichts ändern, die der Sachverständige als gegen eine durch eine erhebliche psychosomatische Erkrankung eingeschränkte Lebensführung sprechend angesehen habe. Die Aussage des Sachverständigen Prof. Dr. D. werde letztlich dadurch bestätigt, daß auch nach der Einschätzung des Dr. L. das psychiatrische Krankheitsbild allein nur eine mäßige Leistungsminderung begründe. Der Senat halte den Gesundheitszustand und das Leistungsvermögen damit für geklärt. Eines weiteren Gutachtens, etwa auf psychosomatischem Fachgebiet, wie vom Kläger vorgeschlagen, habe es daher nicht bedurft. Ebensowenig sei eine weitere Stellungnahme des Sachverständigen Dr. L. oder die Einholung eines psychologischen Gutachtens erforderlich.

Mit dem festgestellten Leistungsvermögen sei der Kläger nicht berufsunfähig. Zwar könne er, wie das Landesarbeitsamt Hessen in der Auskunft vom 30. Oktober 1991 angegeben habe, als Kundendiensttechniker nicht mehr arbeiten; er könne aber noch eingesetzt werden als Prüfer von elektronischen Baugruppen sowie als Montierer in der Elektroindustrie. Hierbei handele es sich nach der Auskunft des Landesarbeitsamtes um qualifizierte Tätigkeiten für Facharbeiter der Elektrobranche, die der Kläger nach einer Einarbeitungs- bzw Einweisungszeit von maximal drei Monaten verrichten könne. Zweifel an der Fähigkeit des Klägers, sich an die Bedingungen der genannten Tätigkeiten anzupassen bzw sich entsprechend umzustellen, bestünden bei dem erst 42jährigen Kläger nicht. So habe der Sachverständige Prof. Dr. D. inhaltliche oder formale Denkstörungen bei dem Kläger nicht gefunden; auch habe sich keine Störung der Merkfähigkeit oder der Auffassungsgabe ergeben.

Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision macht der Kläger im wesentlichen geltend:

Das Urteil des LSG beruhe auf einer Verletzung der §§ 103, 106 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Er erlebe seine Behinderung als so gravierend, daß er deshalb nicht mehr in der Lage sei, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Mit dem Hinweis auf seine Polenreise habe das LSG seinen Beweisantrag, insbesondere ein psychosomatisches Gutachten einzuholen, nicht zurückweisen können. Denn das LSG habe dabei übersehen, daß ein solches psychosomatisches Gutachten - unabhängig von der Reisefähigkeit - sehr wohl in der Lage sei, weitergehend und wesentlich substantiierter zu klären, ob und inwieweit er noch in der Lage sei, einerseits seine neurotische Fehlhaltung - die ja bereits seit mehr als sechs Jahren existiere - aus eigener Kraft zu überwinden und andererseits sich auf eine andere neue Arbeitstätigkeit - nachdem er seit zwölf Jahren keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgegangen sei - umzugewöhnen. Prof. Dr. D. habe zu diesen Fragen lediglich eine "klinisch-neurologische Untersuchung", also eine mündlich erhobene Anamnese, durchgeführt. Was fehle, seien nachvollziehbare psychologische Testverfahren, mit deren Hilfe Art und Umfang der Depression, einer Neurose, ermittelt werden könne.

Gerügt werde ferner eine Verletzung der §§ 1246, 1247 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Das LSG habe sich nicht mit seinen Einwänden auseinandergesetzt, die darauf abzielten, daß ein Prüfer von elektronischen Baugruppen sowie Montierer in der Elektroindustrie zwar einerseits über gewisse berufliche Fertigkeiten verfügen müsse, andererseits - und darauf komme es entscheidend an - mit Konzentration und Streßtoleranz arbeiten müsse. Diese Voraussetzungen seien aber gerade bei einem Versicherten, der - wie Prof. Dr. D. ausführe - ängstlich hypochondrisch und leicht kränkbar sei, nicht gegeben. Es möge sein, daß diese Persönlichkeit seit dem 16. oder 17. Lebensjahr bestehe. Das ändere nichts daran, daß diese Persönlichkeitsstörung jenseits des 40. Lebensjahres nach einer mehr als zwölfjährigen Arbeitslosigkeit sich weit gravierender auswirke und den Versicherten bei der Erfüllung entsprechender arbeitsvertraglicher Pflichten bezüglich des Berufes als Prüfer oder Montierer in der Elektroindustrie weit stärker behindere, ja eine Eingliederung in solche Tätigkeiten unmöglich mache. Aus dem Gesagten folge, daß schon nach den vorliegenden Unterlagen bei ihm EU, jedenfalls aber BU vorliege, da er auf keinerlei ganztägige Tätigkeit mehr verwiesen werden könne. Es fehle an der Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 24. November 1992 sowie das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 22. August 1988 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 7. März 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 1986 zu verurteilen, ihm ab 1. November 1985 Versichertenrente wegen EU, hilfsweise BU, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Berufungsurteil für zutreffend und trägt ergänzend vor:

Angesichts der vorliegenden Gutachten habe das LSG davon ausgehen dürfen, daß das psychosomatisch-psychologische Beschwerdebild des Klägers geklärt sei, mit der Folge, daß es sich nicht habe gedrängt fühlen müssen, den Beweisanträgen des Klägers zu entsprechen. Bezüglich der medizinischen Feststellungen des Klägers zur Notwendigkeit einer psychosomatischen und psychologischen Begutachtung komme ihr ärztlicher Berater Dr. J. in der beigefügten Stellungnahme zu dem Ergebnis, daß Prof. Dr. D. als Internist, Psychiater und Psychotherapeut in der Lage sei, auf verschiedenen Ebenen psychosomatische Sachverhalte zu erkennen, zu beurteilen und zu begutachten. Es handele sich gewissermaßen um den Idealfall eines psychosomatischen Diagnostikers. Sofern der Kläger darauf hinweise, daß er nicht mehr über die erforderliche Konzentrationsfähigkeit und Streßtoleranz verfüge und daher auch nicht mehr die erforderliche Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit habe, rüge er im Kern wiederum die mangelnde Ermittlung auf dem psychosomatischen und psychologischen Gebiet.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG, weil die bisherigen berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen eine abschließende Entscheidung noch nicht zulassen. Insbesondere reichen sie nicht aus, um dem Kläger eine zumutbare Verweisungstätigkeit benennen zu können.

Der Anspruch des Klägers auf Versichertenrente wegen BU oder EU richtet sich noch nach §§ 1246, 1247 RVO, da der Rentenantrag bereits im Jahre 1985 - also bis zum 31. März 1992 - gestellt worden ist und er sich auch auf die Zeit vor dem 1. Januar 1992 bezieht (vgl § 300 Abs 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches ≪SGB VI≫; BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 29). Nach § 1246 Abs 2 RVO ist ein Versicherter berufsunfähig, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich oder geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. EU liegt hingegen vor, wenn der Versicherte aufgrund entsprechender gesundheitlicher Beeinträchtigungen auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben kann oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann (vgl § 1247 Abs 2 RVO). Da der Versicherungsfall der EU an strengere Voraussetzungen geknüpft ist als derjenige der BU, ist es nicht zu beanstanden, daß das LSG vorrangig geprüft hat, ob der Kläger berufsunfähig ist.

Ausgangspunkt für die Beurteilung der BU ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) der "bisherige Beruf", den der Versicherte ausgeübt hat (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 107, 169). In der Regel ist dies die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, von der auch bei nur kurzfristiger Ausübung auszugehen ist, wenn sie zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten gewesen ist (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 130, 164). Das LSG ist davon ausgegangen, daß bisheriger Beruf des Klägers derjenige eines Kundendiensttechnikers ist. Diese Beurteilung ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Denn das LSG hat dazu festgestellt, daß der Kläger zuletzt von April bis September 1981 als Kundendiensttechniker beschäftigt gewesen sei. An diese Feststellung ist der erkennende Senat gebunden, da hiergegen keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben worden sind (vgl § 163 SGG). Da der Kläger - wie das LSG ebenfalls unangegriffen festgestellt hat - als Kundendiensttechniker nicht mehr arbeiten kann, hängt sein Anspruch auf BU-Rente davon ab, ob ihm zumindest eine andere Tätigkeit benannt werden kann, die ihm sozial zumutbar ist und die er sowohl gesundheitlich als auch fachlich zu bewältigen vermag.

Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit beurteilt sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Zur Erleichterung dieser Prüfung hat die Rechtsprechung des BSG die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung gebildet worden, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufs haben. Dementsprechend werden die Gruppen durch den Leitberuf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nr 138, 140). Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt aber nicht ausschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend hierfür ist allein die Qualität der verrichteten Arbeit, dh der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO am Ende genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufs, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (vgl zB Senatsurteil vom 17. Juni 1993 - 13 RJ 33/92 -, Umdr S 5, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

Gemessen an diesen Kriterien ist die bisherige Tätigkeit des Klägers in Übereinstimmung mit dem LSG dem Leitberuf des Facharbeiters zuzuordnen. Sie wird von seiner qualifizierten Berufsausbildung als Techniker-Elektroniker erfaßt. Zwar hat er diese bereits in Polen abgeschlossen, er ist jedoch nach den Feststellungen des LSG aufgrund dessen durch den Hessischen Kultusminister einem staatlich geprüften Techniker, Fachrichtung Elektrotechnik, Schwerpunkt Elektrotechnik, gleichgestellt worden. Damit steht dem Kläger Berufsschutz als Facharbeiter zu. Mit diesem beruflichen Status sind ihm die vom LSG angeführten Tätigkeiten eines Prüfers von elektronischen Baugruppen sowie eines Montierers in der Elektroindustrie sozial zumutbar. Denn dabei handelt es sich nach den unangegriffenen und damit bindenden Feststellungen des LSG, die sich auf eine Auskunft des Landesarbeitsamtes stützen, um Facharbeitertätigkeiten der Elektrobranche. Soweit das LSG jedoch zu dem Ergebnis gelangt ist, daß der Kläger auch noch fähig sei, diese Tätigkeiten nach einer Einarbeitungszeit von maximal drei Monaten auszuüben, vermag der erkennende Senat diese Beurteilung seiner Entscheidung nicht zugrunde zu legen. Die betreffenden berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen sind nämlich in verfahrensfehlerhafter Weise zustandegekommen. Insofern greift die Verfahrensrüge des Klägers durch, das LSG habe die Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) verletzt, indem es trotz der ua auf Einholung von psychosomatischen und psychologischen Gutachten gerichteten Beweisanträge des Klägers keine Ermittlungen mehr durchgeführt hat.

Das LSG hat seine Beurteilung im wesentlichen auf die nervenärztlichen Gutachten und die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. D. gestützt. Dessen Äußerungen hat es entnommen, daß der Kläger vollschichtig nur noch leichte Arbeiten ausführen könne. Auch in Anbetracht der bei ihm vorliegenden psychischen Anomalie in Form einer ängstlich hypochondrischen Persönlichkeitsstörung sei der Kläger in der Lage, durch Gewichtsreduktion und Befolgen eines medikamentösen Planes seinen Bluthochdruck zu behandeln. Ebensowenig hat das LSG an der Fähigkeit des damals erst 42jährigen Klägers gezweifelt, sich an die Bedingungen der Tätigkeiten eines Prüfers von elektronischen Baugruppen und eines Montierers in der Elektroindustrie anzupassen oder sich entsprechend umzustellen.

Es kann hier offenbleiben, ob die Einwendungen des Klägers gegen die Gutachten und die Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. D. in vollem Umfang zutreffen. Insbesondere ist fraglich, ob die Äußerungen des Sachverständigen Prof. Dr. D. bereits deshalb zu Beweiszwecken unbrauchbar sind, weil er sich - soweit ersichtlich - keiner testpsychologischen Erhebungsmethoden bedient hat. Immerhin konnte der Sachverständige - wie die Beklagte nachvollziehbar dargetan hat - aufgrund seiner Fachgebietskombination (Psychiatrie, Neurologie, innere Medizin, Psychotherapie, Endokrinologie) dem LSG für die Beurteilung des Krankheitszustandes des Klägers als besonders geeignet erscheinen. Das LSG mußte sich jedoch deshalb zu weiterer Sachaufklärung gedrängt fühlen, weil der Sachverständige Prof. Dr. D. nicht näher auf das substantiierte Vorbringen des Klägers dazu eingegangen ist, daß ihm aufgrund seiner Leiden und der langen Arbeitslosigkeit Konzentrationsvermögen, Streßtoleranz sowie Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit für die Ausübung der ihm angesonnenen qualifizierten Verweisungstätigkeiten in erforderlichem Ausmaß fehlten. Der Sachverständige hat die Frage des LSG, ob der Kläger die vom Landesarbeitsamt angegebenen Verweisungstätigkeiten noch verrichten könne, lediglich ohne Begründung bejaht. Eine derart pauschale Beurteilung mag hingenommen werden können, wenn der Kläger seine gesundheitliche Tauglichkeit für eine bestimmte Verweisungstätigkeit einräumt. Im übrigen reicht sie regelmäßig nicht aus, insbesondere dann nicht, wenn der Kläger seine Tauglichkeit unter Beweisantrag bestreitet. Dies gilt namentlich dann, wenn - wie hier - weder auf der medizinischen noch auf der berufskundlichen Seite ausreichende Angaben vorliegen, die eine nachvollziehbare Beurteilung der Eignung des Versicherten zur Ausübung der in Betracht gezogenen Tätigkeiten erlauben. Grundsätzlich muß im einzelnen festgestellt werden, welche Anforderungen in gesundheitlicher und fachlicher Hinsicht die betreffenden Tätigkeiten stellen und ob der Kläger diesen Anforderungen nach seinem körperlichen, seelischen und geistigen Leistungsvermögen sowie seinem beruflichen Wissen und Können gewachsen ist (vgl Senatsurteil vom 25. August 1993 - 13 RJ 59/92 -, Umdr S 10 mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Es kann nicht unterstellt werden, daß der medizinische Sachverständige über das Berufsbild des Prüfers von elektronischen Baugruppen oder gar die vielfältigen Erscheinungsformen eines Montierers in der Elektroindustrie informiert ist. Ebensowenig ist erkennbar, daß das LSG insoweit über ausreichende Sachkunde verfügt und diese offenbart hat oder von welchem Berufsbild genau es dabei ausgegangen ist. Dementsprechend konnte hier auch nicht -wie es erforderlich gewesen wäre - das Restleistungsvermögen nachvollziehbar mit den Anforderungen einer konkreten Verweisungstätigkeit in Beziehung gesetzt werden.

Welcher Beweismittel sich das LSG im einzelnen bei den noch anzustellenden Ermittlungen bedient, steht allerdings in seinem pflichtgemäßen Ermessen (vgl BSGE 30, 197, 205). Dies gilt auch für die zusätzliche Einholung eines psychosomatischen oder psychologischen Gutachtens. Sie kann geboten sein, wenn die als Sachverständiger in Betracht gezogene Person zur Klärung der entscheidungserheblichen Tatsachen über deutlich bessere Erkenntnismöglichkeiten verfügt als die bisherigen Gutachter (vgl Meyer-Ladewig, SGG mit Erläuterungen, 5. Aufl 1993, § 103 Rdnr 11 mwN). Ob dies der Fall ist, wird das LSG nur mit Hilfe eines Sachverständigen beurteilen können.

Die nachzuholenden Feststellungen werden sich im übrigen gerade auch in diesem Punkt nicht allein auf die medizinische Seite beschränken dürfen. Vielmehr wird die Vorinstanz auch geeignete berufskundliche Ermittlungen anzustellen haben, um insbesondere zu klären, welche Anforderungen die möglichen Verweisungstätigkeiten an das Konzentrationsvermögen, die Streßtoleranz sowie die Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit des Klägers stellen. Es ist zu erwarten, daß sich ein ärztlicher Sachverständiger erst dann dazu äußern kann, ob der Kläger diesen Anforderungen unter Berücksichtigung einer Einarbeitungszeit von bis zu drei Monaten zu genügen vermag.

Schließlich nimmt der erkennende Senat die Zurückverweisung der Sache an das LSG zum Anlaß, darauf hinzuweisen, daß es zweifelhaft erscheinen könnte, ob der bisherige Beruf des Klägers tatsächlich der eines Kundendiensttechnikers ist. Nach der Auskunft seines letzten Arbeitgebers, der E. GmbH, vom 30. Januar 1987 ist der Kläger dort zwar als Kundendiensttechniker eingestellt worden, jedoch nicht mehr zum Einsatz gekommen, weil er sich beim Ausscheiden noch in der Schulungsphase befand. Da als bisheriger Beruf nur ein solcher angesehen werden kann, den der Versicherte richtig ausgeübt hat, dürfte das LSG dieser Frage weiter nachzugehen haben.

Das LSG wird auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1173184

Breith. 1995, 118

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