Entscheidungsstichwort (Thema)

Zustimmung des Gesellenausschusses

 

Leitsatz (amtlich)

Erweitert eine Trägerinnung ihren Zuständigkeitsbereich örtlich oder sachlich auf den Zuständigkeitsbereich einer inzwischen aufgelösten Innung, so hängt die entsprechende Zuständigkeitserweiterung der Innungskrankenkasse von der Zustimmung des nach der Innungserweiterung gebildeten Gesellenausschusses ab.

 

Orientierungssatz

Die Zustimmung des Gesellenausschusses zur Erweiterung einer Trägerinnung kann nicht durch eine Entscheidung der Handwerkskammer oder durch eine Urabstimmung ersetzt werden. Die im Handwerksrecht (§ 68 Abs 4 S 2 HwO) vorgesehene Entscheidung der Handwerkskammer anstelle der Zustimmung des Gesellenausschusses betrifft nur die in § 68 Abs 2 HwO genannten Angelegenheiten. Dazu gehören weder die Errichtung von Innungskrankenkassen noch errichtungsähnliche Angelegenheiten.

 

Normenkette

RVO § 225a Fassung: 1930-07-26, § 250 Abs 1a Fassung: 1976-12-28; HwO § 68 Abs 4 S 2; HwO § 68 Abs 2

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 27.11.1981; Aktenzeichen L 4 Kr 1910/80)

SG Reutlingen (Entscheidung vom 24.07.1980; Aktenzeichen S 10 Kr 20/79)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob die dafür zuständigen Gesellenausschüsse der Erweiterung des Kassenbezirks der beigeladenen Innungskrankenkasse (IKK) wirksam zugestimmt haben.

Die beigeladenen fünf Innungen, die ihren Sitz in S bei H hatten, sind Trägerinnungen der beigeladenen IKK (Beigeladene zu 2) bis 6). Im Zusammenhang mit der Kreisreform wurden sowohl der Zuständigkeitsbereich der Innungen als auch der Kassenbezirk der zuständigen IKK, die ihren Sitz in H hatte, dem Landkreis R zugeschlagen. Für die früher in R - vorhandenen fachlich entsprechenden Innungen bestand keine IKK.

Um den Kassenbezirk der beigeladenen IKK auf den bisherigen Landkreis R ausdehnen zu können, sind die Beteiligten folgendermaßen vorgegangen: Sie veranlaßten, daß sich die im bisherigen Landkreis R bestehenden Innungen selbst auflösten. Die S Innungen dehnten ihren Zuständigkeitsbereich auf den bisherigen Kreis R aus. Zugleich änderten sie ihre Namen und verlegten ihren Sitz nach R, wobei auch geringfügige fachliche Änderungen vorgenommen wurden. Danach beantragte die IKK die Angleichung ihres Kassenbezirks an den erweiterten Zuständigkeitsbereich der "neuen" Innungen. Der Erweiterung des Kassenbezirks stimmten für die unter 2) bis 5) beigeladenen Innungen die Mitglieder der Gesellenausschüsse der S Innungen zu, die vor der Zuständigkeitsänderung gewählt worden waren. Nur die unter Nr 6) beigeladene Innung erwirkte nachträglich die Zustimmung eines neu gewählten Gesellenausschusses.

Nach Anhörung der in § 251 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) genannten Behörden und der klagenden Allgemeinen Ortskrankenkasse -AOK- (vgl § 252 Abs 2 RVO) entschied das Landesaufsichtsamt am 14. Dezember 1977, den Kassenbezirk der IKK H, der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 1), mit Wirkung vom 1. Januar 1978 an die örtlich bzw fachlich erweiterten Bezirke der Beigeladenen zu 2) bis 4) anzugleichen. Am 14. Dezember 1978 entschied es mit Wirkung vom 1. Januar 1979, den Kassenbezirk der IKK R - Namens- und Ortswechsel hatten schon stattgefunden - an die örtlich erweiterten Bezirke der Beigeladenen zu 5) und 6) anzugleichen.

Das Sozialgericht (SG) Reutlingen hat die Klage gegen beide Bescheide abgewiesen (Urteil vom 24. Juli 1980). Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat auf die Berufung der Klägerin der Klage gegen den Bescheid vom 14. Dezember 1977 voll und der gegen den Bescheid vom 14. Dezember 1978 in bezug auf die Beigeladene zu 5) stattgegeben. Im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. § 250 Abs 1a RVO verlange die Zustimmung des Gesellenausschusses der neu gebildeten Innung (Urteil vom 27. November 1981).

Mit ihren vom LSG zugelassenen Revisionen rügen der Beklagte und die beigeladene IKK eine Verletzung des § 250 Abs 1a RVO. Im Revisionsverfahren haben die Gesellenausschüsse der Beigeladenen zu 2) bis 5) zugestimmt, daß die in Betrieben der erweiterten Innung versicherungspflichtig Beschäftigten Mitglieder der Beigeladenen zu 1) geworden sind.

Die Revisionskläger beantragen übereinstimmend sinngemäß,

das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 27. November 1981

abzuändern und die Berufung gegen das Urteil des SG Reutlingen vom

24. Juli 1980 in vollem Umfang zurückzuweisen.

Die Beigeladenen zu 2) bis 6) schließen sich den Anträgen der

Revisionskläger an.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen sind nicht begründet. Sie sind zurückzuweisen.

Das LSG hat zutreffend entschieden, daß die Zustimmung der vor der Innungserweiterung gewählten Mitglieder der Gesellenausschüsse der unter 2) - 5) beigeladenen Innungen nicht § 250 Abs 1a RVO entspricht, so daß die angefochtenen Bescheide insoweit rechtswidrig sind, als sie die Ausweitung des Kassenbezirks der beigeladenen IKK auf die erweiterten Zuständigkeitsbereiche dieser Innungen genehmigen.

§ 250 Abs 1a Satz 1 Halbs 1 RVO regelt den Fall, in dem eine Innung, für die eine IKK errichtet ist (Trägerinnung) mit einer anderen Innung vereinigt wird, für die keine IKK errichtet ist. Halbs 2 dieser Vorschrift bestimmt, unter welchen Voraussetzungen die Beschäftigten in den Betrieben der "anderen" Innung nunmehr Mitglieder der IKK werden. Satz 3 dieser Vorschrift lege den Verfahrensgang für diese Rechtsfolge fest. Zu den in Satz 1 genannten Voraussetzungen gehört, daß der Gesellenausschuß der vereinigten Innung zustimmt.

Hier haben sich keine Innungen vereinigt. Die "anderen" Innungen, die früheren R Innungen, haben sich vielmehr aufgelöst und dadurch den Trägerinnungen den Weg dazu freigegeben, ihren und den Kassenbezirk zu erweitern. Für eine solche Zuständigkeitserweiterung sagt aber Satz 2, daß Satz 1 entsprechend anwendbar ist. Entsprechend anwenden heißt, Satz 2 so anwenden, daß der Zweck des Satzes 1 erreicht wird. Der Zweck dieser Vorschrift ist es zu gewährleisten, daß die Interessen der bei den Mitgliedern der anderen Innung Beschäftigten zur Geltung gebracht werden. Denn sie sind die Hauptbeteiligten der Kassenerweiterung. Ihr Versicherungsverhältnis wird unmittelbar berührt (§ 250 Abs 2 Satz 1 RVO - versicherungspflichtige Beschäftigte) oder kann berührt werden (§ 250 Abs 2 Satz 2 RVO - beitrittsberechtigte Beschäftigte).

Das Interesse dieser Beschäftigten kann darin bestehen, ihr bisheriges Versicherungsverhältnis - regelmäßig zur AOK - fortzusetzen odr zur IKK der Innung zu wechseln, mit der sich ihre Innung vereinigt hat. Da die "andere" Innung so groß sein kann, daß sie selbst nach § 250 Abs 1 RVO eine IKK errichten könnte, kann die Vereinigung mit einer Trägerinnung nicht automatisch die Beteiligung auch an der IKK zur Folge haben. Diese Folge kann nur eintreten, wenn die wesentlichen Errichtungsvorschriften eingehalten werden. Die wesentlichen Errichtungsvorschriften sind allerdings nicht nur anzuwenden, wenn festgestellt werden kann, daß die "andere" Innung allein eine IKK errichten könnte, sondern auch dann, wenn eine Trägerinnung den Zuständigkeitsbereich einer früheren Innung übernimmt.

Zur Errichtung gehört vor allem die Mitwirkung der Betroffenen. Da die Arbeitgeber durch ihre Abstimmung bei der Vereinigung der Innungen bereits mitgewirkt haben, müssen noch diejenigen mitwirken, deren Versicherungsverhältnis durch die Beteiligung der "anderen" Innung an der IKK betroffen wird: die Beschäftigten. Die Mitwirkung der Beschäftigten ist allerdings schon bei der Errichtung von IKKen auf den Gesellenausschuß beschränkt. Die Grundregel des § 225a RVO, wonach Krankenkassen nur errichtet werden dürfen, wenn die Mehrheit der abstimmenden beteiligten Arbeitgeber und die Mehrheit der abstimmenden beteiligten Arbeitnehmer zustimmen, ist bei IKKen ausgeschlossen (vgl § 33 Selbstverwaltungsgesetz, der durch das Sozialgesetzbuch nicht ersetzt worden ist - vgl Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand: September 1981, § 225a Anm 1). Bei der Errichtung von IKKen genügt die Zustimmung des Gesellenausschusses (§ 250 Abs 1 RVO). Der Gesellenausschuß der "anderen" Innung hat auch dann zuzustimmen, wenn sich eine Innung einer IKK anschließt (so schon BSGE 7, 169). Schließt sich eine Innung nicht der IKK, sondern einer Trägerinnung an und führt so eine Vereinigung herbei, genügt sogar die Zustimmung des Gesellenausschusses der vereinigten Innung (§ 250 Abs 1a Satz 1). Die von der "anderen" Innung herkommenden Gesellen können von den Gesellen überstimmt werden, die von der Trägerinnung herkommen und deren Versicherungsverhältnis nicht betroffen wird. Immerhin sind die von der "anderen" Innung herkommenden Gesellen, deren Versicherungsverhältnis betroffen wird, bei der Willensbildung beteiligt, wenn auch möglicherweise nur bei der Wahl des Gesellenausschusses der vereinigten Innung.

Die entsprechende Anwendung der für die Vereinigung geltenden Beteiligungsvorschrift auf die Zuständigkeitserweiterung kann nicht dazu führen, daß auf die ohnehin schon beschränkte Beteiligung der Beschäftigten ganz verzichtet wird, deren Versicherungsverhältnis in Frage steht. Davon ist der Senat schon in seinem Urteil vom 19. Dezember 1979 (BSGE 49, 232) ausgegangen. Unter den damaligen Prozeßbeteiligten war es allerdings nicht streitig, daß die Gesellen der "anderen" Innung auch dann nicht ausgeschlossen werden dürfen, sich diese Innung zugunsten der Trägerinnung zunächst aufgelöst hat.

Wenn anders als hier nicht von vornherein geplant ist, daß die Mitglieder der aufgelösten Innung der erweiterten Innung im Zusammenhang mit der Erweiterung beitreten, mag die hier gefundene Lösung nicht weiterhelfen. Wie in einem solchen Fall zu entscheiden wäre, muß hier aber offen bleiben.

Diese Schwierigkeiten können auch nicht dazu führen, was der Beklagte meint, daß die Zustimmung des Gesellenausschusses durch eine Entscheidung der Handwerkskammer oder durch eine Urabstimmung ersetzt wird.

Die im Handwerksrecht (§ 68 Abs 4 Satz 2 Handwerksordnung -HwO-) vorgesehene Entscheidung der Handwerkskammer anstelle der Zustimmung des Gesellenausschusses betrifft nur die in § 68 Abs 2 HwO genannten Angelegenheiten. Dazu gehören weder die Errichtung von IKKen noch errichtungsähnliche Angelegenheiten. Das folgt aus § 54 Abs 2 HwO, wonach sich die Errichtung und die Rechtsverhältnisse der IKKen nach den hierfür geltenden bundesrechtlichen Bestimmungen richten. Da diese Bestimmungen - hier § 250 Abs 1a RVO - nicht vorsehen, daß die Zustimmung des Gesellenausschusses durch eine Entscheidung der Handwerkskammer ersetzbar ist, kann auf die Zustimmung nicht verzichtet werden.

Es ist auch nicht möglich, auf die Zustimmung der Beschäftigten nach § 225a RVO auszuweichen. IKKen können nur nach § 250 Abs 1 RVO errichtet oder nach § 250 Abs 1a RVO erweitert werden, wenn die hier vorgeschriebenen handwerksrechtlichen Besonderheiten erfüllt sind. Nur diese Besonderheiten rechtfertigen die versicherungsrechtliche Sonderbehandlung. Auf diesen Voraussetzungen ist nicht nur zu bestehen, wenn sie ohne Schwierigkeiten erfüllt werden können, sondern auch dann, wenn zweifelhaft ist, ob und wie sie erfüllt werden können. Wenn etwa infolge der Umstrukturierung eines bestimmten Handwerkszweigs überhaupt nicht genügend Gesellen vorhanden sind, um einen Gesellenausschuß zu bilden, kann dies ein Hinweis darauf sein, daß die versicherungsrechtliche Sonderbehandlung der im Handwerk Beschäftigten nicht mehr gerechtfertigt ist.

Im vorliegenden Fall bestanden indessen keine rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten, den Gesellenausschuß der erweiterten Innung zu bilden und seine Zustimmung zur Erweiterung des Kassenbezirks einzuholen. Denn es gehörte zum Gesamtplan, daß die "Vereinigung" mit der Trägerinnung dadurch ersetzt wurde, daß sich die "anderen" Innungen auflösten, damit die Innungsmitglieder der Trägerinnung beitreten konnten.

Die hier festgestellte Verletzung des § 250 Abs 1a Satz 1 RVO macht die angefochtenen Bescheide zwar nicht nichtig, aber fehlerhaft (vgl BSGE 31, 283, 284 f und nunmehr § 40 Abs 3 Nr 3 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren -SGB 10-). Die Möglichkeit, die Zustimmung eines neu gewählten Gesellenausschusses nachzuholen und den Fehler der angefochtenen Verwaltungsakte zu heilen (BSGE 49, 232, 233 und nunmehr § 41 Abs 1 Nr 4 SGB 10) hat der Beklagte nicht genutzt. Hierbei braucht nicht geklärt zu werden, ob dies nur bis zur Klageerhebung (BSGE 7, 129, 133 ff und nunmehr § 41 Abs 2 SGB 10) oder aus übergangsrechtlichen Gründen noch später (BSGE 49, 232, 235) möglich gewesen wäre. Denn die erst im Revisionsverfahren eingeholte Zustimmung der Gesellenausschüsse der Beigeladenen zu 2) bis 5) ist gerade nicht zur Erweiterung des IKK-Bezirks abgegeben worden, sondern nur dazu, "daß die versicherungspflichtig Beschäftigten in den Betrieben der zum 1. Juli 1971 erweiterten Metallinnung R in die Innungskrankenkasse R als Mitglieder aufgenommen worden sind". Damit ist nur einem Teil der Rechtsfolgen nach § 250 Abs 2 RVO, nicht aber den Voraussetzungen für diese Rechtsfolgen (§ 250 Abs 1a RVO) zugestimmt worden. Da in den Erklärungen somit deutlich zum Ausdruck kommt, daß sie nicht für die Zuständigkeitsänderung der IKK, sondern nur für bereits geschehene Mitgliedschaftsänderungen der Beschäftigten gelten sollen, ist eine Auslegung dahin ausgeschlossen, daß sie auch die Zuständigkeitsänderung umfassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

BSGE, 1

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