Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 25.03.1981; Aktenzeichen L 3 U 68/80)

 

Tenor

Die Revision der beigeladenen Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung, gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland Pfalz vom 25. März 1981 wird zurückgewiesen.

Die Revisionsklägerin hat die Kosten der Klägerin auch im Revisionsverfahren zu erstatten.

Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin begehrt Hinterbliebenenversorgung nach ihrem am 26. März 1976 verstorbenen Ehemann A. St. (St.). Am 14. März 1976 befand sich St. auf einem Sportplatz. Er war dort in seiner Funktion als ehrenamtlicher Helfer des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) als Sanitäter eingesetzt. Gleichzeitig sollte er die Fußballmannschaft der Spielvereinigung K. (SpV K.), deren Mitglied er war, medizinisch betreuen. Bei seinem Versuch, in eine tätliche Auseinandersetzung von Zuschauern schlichtend einzugreifen, erlitt er eine schwere Schädelprellung, die zu seinem Tode führte.

Die für das DRK zuständige Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung hat den Vorgang an die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft abgegeben, da St. nicht im Rahmen des DRK-Sanitätsdienstes verletzt worden sei. Die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft hat die Hinterbliebenenversorgung abgelehnt (Bescheid vom 20. April 1979, Widerspruchsbescheid vom 20. September 1979). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin bat das Landessozialgericht (LSG) die beigeladene Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenrente zu gewähren. Es hat dazu ausgeführt: St. habe seine tödliche Verletzung in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner ehrenamtlichen Tätigkeit für das DRK erlitten. Aufgabe eines ehrenamtlichen Helfers könne es auch sein, eine drohende Gefahr abzuwenden. Diese sei bei tätlichen Auseinandersetzungen gegeben. Im übrigen sei St. nicht nur bei einer eventuellen Tätigkeit zur Hilfeleistung, sondern allgemein während der gesamten Dauer seines Einsatzes unfallrechtlich geschützt. Da keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, daß sich St. selbst in die Auseinandersetzung tätlich eingemischt habe, sei der Versicherungsschutz auch nicht aus dem Gesichtspunkt der selbstgeschaffenen Gefahr ausgeschlossen. Ebensowenig sei er bei einer seinem eigenen privaten Bereich zuzurechnenden Tätigkeit verunglückt.

Die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung hat die – vom LSG zugelassene – Revision eingelegt. Der Tod des Ehemannes der Klägerin sei nicht ursächlich auf einen nach § 539 Abs. 1 Nr. 8 der Reichsversicherungsordnung (RVO) versicherungsrechtlich geschützten Arbeitsunfall zurückzuführen. Für St. habe kein zwingender Grund bestanden, in die Auseinandersetzung einzugreifen. Dies sei vielmehr Sache der Platzordner gewesen. Da St. auch als Betreuer der Mannschaft der SpV K. eingesetzt gewesen sei, habe es im Interesse des „Mannschaftsbetreuers” gelegen, gemeinsam mit den Platzordnern die Gemüter zu beruhigen.

Die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung beantragt, das Urteil des LSG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beklagte stellt keinen Antrag. Da das LSG das klageabweisende Urteil des SG aufgehoben hat, regt die Beklagte an, den Tenor des Berufungsurteils insoweit klarzustellen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz –SGG–).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der beigeladenen Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung hat keinen Erfolg. Das LSG hat die Beigeladene zu Recht verurteilt, an die Klägerin Hinterbliebenenrente zu zahlen. Es ist auf der Grundlage der getroffenen Tatsachenfeststellungen ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, daß es sich bei dem Unfall des St. um einen von der Beigeladenen zu entschädigenden Arbeitsunfall handelt.

Nach § 548 Abs. 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Zutreffend hat das LSG entschieden, daß St. während seines Einsatzes als Sanitäter des DRK bei dem Fußballspiel eine gem § 539 Abs. 1 Nr. 8 RVO versicherte Tätigkeit ausgeübt hat. Das DRK ist ein typisches Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen im Sinne der genannten Vorschrift (BSGE 51, 176, 177 mwN = SozR 2200 § 653 Nr. 5). Es nimmt insbesondere auch Aufgaben der Gefahrenabwehr für den einzelnen oder die Allgemeinheit wahr (BSG SozR 2200 § 653 Nr. 4), die anderenfalls die Polizei bekämpfen müßte (Drews, Wacke, Vogel, Martens, Gefahrenabwehr, 1. Band, 8. Aufl 1975, S 23). Demgemäß gehörte es nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a der Satzung des für St. zuständigen DRK-Kreisverbands C. -Z. vom 25. März 1970 ua zu den Pflichten des Roten Kreuzes, bei öffentlichen Veranstaltungen Hilfe zu leisten. Die Versicherung umfaßt die gesamten im Dienste des DRK ausgeübten Verrichtungen (vgl. Amtliche Nachrichten für Reichsversicherung –AN– 1939, 419; Entscheidungen und Mitteilungen des Reichsversicherungsamts –EuM– Bd. 45, 22; Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl 1982, § 539 Anm. 49; Vollmar, ZfS 1978, 156), somit auch den vorsorglichen Einsatz bei einem Fußballspiel für den Fall einer möglicherweise notwendig werdenden Hilfeleistung.

Zum Zeitpunkt des Unfalles von St. bestand der Versicherungsschutz fort; er wurde nicht durch das schlichtende Eingreifen in die Auseinandersetzung unterbrochen. § 539 Abs. 1 Nr. 8 RVO schützt nicht nur die unmittelbare Hilfeleistung, sondern die Tätigkeit in einem Unternehmen, das seinerseits dem Zweck dient, Hilfe bei Unglücksfällen zu leisten. Das Handeln des Versicherten muß dieser unternehmerischen Zielsetzung entsprechen. Dies ist hier der Fall. Für den Begriff des Unglücksfalles ist nicht ausschlaggebend, welcher Schaden bereits eingetreten ist, sondern welcher Schaden noch droht (BSG Urteil vom 26. April 1973 – 2 RU 77/70 – in: FamRZ 1973, 630). Daß bei einer tätlichen Auseinandersetzung Beteiligte verletzt werden können, ist naheliegend. Wenn sich deshalb St. zum Ort des Geschehens begab, entsprach dies seiner Pflicht, als Sanitäter des DRK erste Hilfe zu leisten. Es konnte ihm auch nicht verwehrt sein, dabei zu versuchen, einen Hilfefall überhaupt abzuwenden. Dies steht im Einklang mit der Aufgabe des DRK, der Gefahrenabwehr zu dienen. Damit mag sich St. bewußt einer erhöhten Verletzungsgefahr ausgesetzt haben. In solchen Fällen der Gefahrenerhöhung ist wichtig, ob die Gefahr selbst geschaffen ist oder zur versicherten Tätigkeit gehört, also zu ihr in einem ursächlichen Zusammenhang im Sinne der Unfallversicherung steht (RVA AN 1914, 411, 415; BSGE 6, 164, 169; BSG SozR 2200 § 548 Nr. 26). Das ist hier der Fall. Denn nach § 539 Abs. 1 Nr. 8 RVO wird der Versicherungsschutz gerade deshalb gewährt, weil sich der Helfer zur wirksamen Hilfeleistung unter Umständen in eine gefährliche Lage begeben muß (BSG Urteil vom 26. April 1973 aaO). Der Verletzte hat sich damit nicht aus außergewöhnlicher Sorglosigkeit oder Wagemut (vgl. BSGE 6, 164, 169), also aus „betriebsfremden” Gründen, einer besonderen Gefahr ausgesetzt. Der Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 8 RVO umfaßt – wie ausgeführt – jede Tätigkeit, die im Rahmen eines Unternehmens zur Hilfe bei Unglücksfällen vorgenommen wird. Er ist selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn der Einsatz des St. zugleich den Interessen seines Fußballvereines gedient haben mag (vgl. dazu BSG SozR 2200 § 539 Nr. 34). Im übrigen hatte St. nach den Feststellungen des LSG, die von der Revision nicht angegriffen werden, nicht tätlich in die Auseinandersetzung eingegriffen, so daß auch insoweit eine selbstgeschaffene Gefahr ausgeschlossen ist.

Richtig ist, daß sich St. sowohl als Sanitäter des DRK als auch in seiner Eigenschaft als medizinischer Betreuer der Mannschaft des Fußballvereins K. auf dem Sportplatz befunden hatte. Das LSG hat zu dieser Doppelfunktion keine Feststellungen getroffen. Dies ist jedoch unschädlich. Entgegen der Ansicht der Revision ist die Hilfeleistung des St. bei dem Streit einiger Zuschauer nicht seiner Funktion als Betreuer der Mannschaft zuzurechnen. Als solcher hatte er die Fußballspieler im Bedarfsfall lediglich medizinisch zu versorgen. Infolgedessen kann dahinstehen, ob die Mannschaftsbetreuung überhaupt im Rahmen eines versicherungsrechtlich geschützten Arbeits- oder Dienstverhältnisses iS des § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO vorgenommen wurde.

Der Verletzte ist auch nicht wie ein nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO Versicherter für die SpV K. tätig geworden und hat daher nicht nach § 539 Abs. 2 RVO unter Versicherungsschutz gestanden. In Betracht käme hier nur eine Tätigkeit als Platzordner. Hierfür bieten die Feststellungen des LSG, an die das Revisionsgericht gebunden ist (§ 163 SGG), keine Anhaltspunkte. Im Gegenteil ist St. danach bei einem Einsatz für das DRK verletzt worden. Diese Feststellungen werden von der Revision nur insoweit angegriffen, als vorgebracht wird, das schlichtende Eingreifen in die Zuschauerauseinandersetzung sei dem Bereich der Betreuerfunktion des Verletzten zuzuordnen. Dies ist jedoch, wie bereits ausgeführt, nicht der Fall.

Zwar geschah der gesamte Einsatz des St. auf dem Fußballplatz in K. als ehrenamtlicher Helfer des DRK im Interesse des Fußballvereins als Platzherr. Dies ändert aber nichts an der Zuständigkeit der Revisionsklägerin, die für den Versicherungsschutz einzustehen hat. Nach § 653 Abs. 1 Nr. 4 RVO ist der Bund Träger der Versicherung für Versicherte in den Bereitschaften und verwandten Tätigkeitsbereichen des DRK. Selbst wenn der Verein sich des DRK-Kreisverbands C. – Z bedient hatte, um bei dem Fußballspiel einen Sanitäter zu stellen, bleibt der Bund der zuständige Unfallversicherungsträger. Bei einem Einsatz für das DRK soll dem einzelnen Mitglied bei einer Verletzung nicht zugemutet werden, zu erforschen, im welchem konkreten Interesse es tätig geworden ist. Vielmehr ist für jedwede dem DRK zurechenbare versicherte Tätigkeit der Bund der zuständige Versicherungsträger (BSGE 51, 176, 178 = SozR 2200 § 653 Nr. 5; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. – 9. Aufl, S 523).

Eine Änderung des Tenors des Berufungsurteils ist nicht erforderlich. Das LSG hat zwar das die Klage gegen die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft als Beklagte abweisende Urteil des SG Koblenz aufgehoben. Mit der gleichzeitigen Verurteilung der Beigeladenen steht aber fest, daß die Beklagte der Klägerin Hinterbliebenenrente nicht zu gewähren hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Breith. 1984, 290

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