Leitsatz (amtlich)

1. Betrifft die Berufung die Rechtmäßigkeit eines Sperrzeitbescheides gemäß AFG § 119 Abs 1 und eines darauf folgenden Erlöschensbescheides gemäß AFG § 119 Abs 3, so ist für die Frage, ob das Rechtsmittel hinsichtlich des Sperrzeitbescheides gemäß SGG § 144 Abs 1 Nr 2 zulässig ist, die Bezugsdauer der einzelnen prozessualen Ansprüche zusammenzuzählen (Anschluß an BSG 1974-01-24 6 RKa 2/73 = SozR 1500 § 144 Nr 1 = Breith 1974, 909).

2. Zur Frage, ob und in welchem Umfang ein Erlöschensbescheid gemäß AFG § 119 Abs 3, mit dem auch der Bewilligungsbescheid aufgehoben wird, nachträglich mit dem Fehlen der Verfügbarkeit iS des AFG § 103 begründet werden kann.

 

Normenkette

SGG § 144 Abs 1 Nr 2 Fassung: 1953-09-03; AFG § 103 Abs 1 S 1 Nr 1 Fassung: 1969-06-25, § 119 Abs 1 S 1 Nr 2 Fassung: 1969-06-25, § 151 Abs 1 Fassung: 1969-06-25, § 119 Abs 3 Fassung: 1969-06-25

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Entscheidung vom 14.09.1978; Aktenzeichen V ARBf 40/77)

SG Hamburg (Entscheidung vom 20.06.1977; Aktenzeichen 4 AR 809/76)

 

Tatbestand

I

Der Kläger verlangt die Weiterzahlung von Arbeitslosenhilfe (Alhi).

Er ist Ingenieur des Bauwesens und hat als Statiker gearbeitet. Vom 1. Januar 1974 an war er mit kurzen Unterbrechungen bis zum 3. August 1977 arbeitslos. Von da ab hat er für ein Jahr als technischer Angestellter in einem Ministerium in S im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) gearbeitet und ein Gehalt von monatlich etwa 3.000,-- DM bezogen. Zuvor bezog er zunächst Arbeitslosengeld (Alg) und ab 11. Februar 1975 Alhi. Vom 20. Oktober bis 5. Dezember 1975 nahm er auf Kosten der Beklagten an einem Fortbildungslehrgang für arbeitslose Ingenieure (Refa-Grundlehrgang Bau) teil. Im Laufe des darauffolgenden halben Jahres scheiterten mehrere Vermittlungsversuche im angestammten Beruf des Klägers. Am 7. Juli und 3. August 1976 lehnte er zwei Arbeitsangebote im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (Tätigkeiten mit einfachsten Büroarbeiten) ab. Die Beklagte stellte daraufhin mit Bescheid vom 14. Juli 1976 idF des Widerspruchsbescheides vom 27. August 1976 den Eintritt einer Sperrzeit vom 8. Juli bis 4. August 1976 fest und hob mit Bescheid vom 11. August 1976 idF des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 1976 die Entscheidung über die Bewilligung von Alhi mit Wirkung ab 5. August 1976 ganz auf, da der Kläger erneut Anlaß für den Eintritt einer Sperrzeit von vier Wochen gegeben habe.

Das Sozialgericht (SG) setzte mit Beschluß vom 17. Februar 1977 die Vollziehung des Bescheides vom 11. August 1976 aus. Daraufhin gewährte die Beklagte dem Kläger durch Bescheid vom 29. März 1977 erneut Alhi ab 24. Februar 1977. Schon am selben Tage hob sie jedoch diese Bewilligung mit Wirkung vom 10. März 1977 wieder auf, weil der Kläger an diesem Tage eine ihm vom Arbeitsamt angebotene Tätigkeit als Statiker in einem Ingenieurbüro in H abgelehnt hatte.

Das SG hat die Klagen gegen die Widerspruchsbescheide vom 27. August und 1. Oktober 1976 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und durch Urteil vom 20. Juni 1977 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 14. September 1978 die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen, soweit sie den Bescheid vom 14. Juli 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. August 1976 betraf. Im übrigen hat es das Rechtsmittel zurückgewiesen und die Klage gegen den Erlöschensbescheid vom 29. März 1977 abgewiesen.

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt: soweit die Berufung den Bescheid vom 14. Juli 1976 betreffe, sei das Rechtsmittel gemäß § 144 Abs 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeschlossen, weil es sich insoweit um wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen handele. Soweit die Berufung den Bescheid vom 11. August 1976 betreffe, sei sie unbegründet. Das gelte auch für die Klage gegen den Erlöschensbescheid vom 29. März 1977, der gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden sei. Der Kläger hätte für die Zeit vom 5. August 1976 bis zum 2. August 1977 keinen Anspruch auf Alhi, weil er in dieser Zeit nicht bereit gewesen sei, jede zumutbare Beschäftigung zu übernehmen, die er ausüben könne und dürfe. Es fehle damit an der Vermittlungsfähigkeit gemäß § 134 Abs 1 Nr 1 und Abs 2 iVm § 103 Abs 1 S 1 Nr 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Ab 3. August 1977 scheide die Gewährung von Alhi schon deshalb aus, weil der Kläger nicht mehr arbeitslos gewesen sei. Leistungen aus Anlaß von Arbeitslosigkeit für die Zeit nach Beendigung der Tätigkeit in S beträfen einen neuen Leistungsfall und könnten daher nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits sein.

Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 144 SGG, soweit das LSG die Berufung hinsichtlich des Sperrzeitbescheides vom 14. Juli 1976 als unzulässig verworfen hat. Im übrigen macht er eine Verletzung der §§ 103, 119 AFG geltend. Er sei bereit gewesen, nach dem Gesetz alle zumutbaren Arbeiten anzunehmen. Wenn er den Wunsch geäußert habe, im wesentlichen nur in Tätigkeiten im Rahmen seines Berufs als Statiker und Ingenieur vermittelt zu werden, könne das nicht gleichgesetzt werden mit der Weigerung, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen. Der Kläger habe sich auch nicht geweigert, andere Beschäftigungen außerhalb der Bauwirtschaft in Betracht zu ziehen. Er habe mit Vertretern der Beklagten über Vermittlungsmöglichkeiten in andere Berufe und über Fortbildungsmaßnahmen gesprochen. Außerdem habe er sich ständig selbst um Stellen gekümmert. Weiterhin seien im Juni 1976 nicht zwei Vermittlungsversuche von der Beklagten vorgenommen worden, sondern nur einer. Ein Büro B, auf das der Zeuge K bei seiner Vernehmung vor dem LSG verwiesen habe, sei dem Kläger nicht bekannt. Daß es im März 1977 im Büro Dr. K und G zu keiner Einstellung gekommen sei, könne ihm nicht angelastet werden. Man habe ihm dort ein Gehalt nach der Gruppe T 6 des Gehaltstarifs für Arbeitnehmer in Architekturbüros (3.400,-- DM) angeboten. Entsprechend seiner Ausbildung gehöre er in die Tarifgruppe TH in Anlehnung an den Tarifvertrag der IG Bau - Steine - Erden (3.600,-- bis 3.700,-- DM). Daß der Kläger hierüber nicht begeistert gewesen sei, sei eine natürliche Reaktion. Dennoch habe er sich bereit erklärt, zu diesem Gehalt anzufangen. Wenn der Arbeitgeber ihn dann nicht eingestellt habe, könne ihm das nicht zur Last gelegt werden.

Die Beklagte habe in jedem Fall ihre Fürsorgepflicht verletzt, als sie den Kläger, nachdem Vermittlungsversuche in seinem erlernten Beruf gescheitert waren, sofort auf die ABM-Plätze in H verwiesen habe. Das LSG habe aufgrund seiner Rechtsauffassung die Voraussetzungen der einzelnen Sperrzeiten nicht konkret geprüft. Für alle drei Fälle habe der Kläger jedoch einen wichtigen Grund iS vom § 119 Abs 1 AFG gehabt. Im Falle der Maßnahmen vom 7. Juli und 3. August 1976 habe eine untertarifliche Bezahlung vorgelegen. Das gelte auch für das Angebot vom 10. März 1977. Auch der Vermittlungsversuch der Beklagten im Juni 1977 im Büro B in H sei deshalb gescheitert, weil der Kläger 3.200,-- DM für seine Tätigkeit erhalten sollte. Dies sei wiederum eine unter Tarif liegende Bezahlung gewesen. Wenn er, wie das LSG ausgeführt habe, dort 3.600,-- bis 3.700,-- DM gefordert hätte, weshalb es nicht zur Einstellung gekommen sei, so habe der Kläger damit nur das im Jahre 1977 übliche Tarifgehalt der Gruppe TH ab fünf Berufsjahren gefordert.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 14. September 1978 und das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 20. Juni 1977 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. Juli 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. August 1976 und den Bescheid vom 11. August 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 1976 sowie den Bescheid vom 29. März 1977 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist in vollem Umfang gemäß § 160 Abs 1 SGG statthaft. Das LSG hat sie uneingeschränkt in seinem Urteilstenor zugelassen. Das Bundessozialgericht (BSG) ist gemäß § 160 Abs 3 SGG an die Zulassung gebunden. Zwar ist grundsätzlich auch eine Beschränkung der Zulassung möglich. Dies setzt jedoch voraus, daß diese Beschränkung zulässig ist und aus dem angefochtenen Urteil eindeutig hervorgeht (BVerwG MDR 1973 S 251, Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl 29. Nachtrag § 160 Anm 6). Zwar hat das LSG am Ende seines Urteils ausgeführt, es messe der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu, weil die Frage, inwieweit subjektive Fehleinschätzungen der Arbeitsmarktlage bei der Beurteilung der Arbeitsbereitschaft iS von § 103 Abs 1 S 1 und der Obliegenheitsverletzung des § 119 Abs 1 AFG zu berücksichtigen sind, durch die bisherige Rechtsprechung des BSG noch nicht hinreichend geklärt seien. Daraus läßt sich jedoch nicht eindeutig folgern, daß es damit die Zulassung der Revision lediglich auf die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Bescheide vom 11. August 1976 idF des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 1976 und 29. März 1977 beschränkt hat. Es hat insoweit nur eine Begründung dafür gegeben, weshalb es die Revision zugelassen hat. Ein eindeutiger Wille des LSG, die Zulassung der Revision einzuschränken, ist dieser Begründung nicht zu entnehmen, zumal dem der Ausspruch im Urteilstenor entgegensteht und auch die Rechtsmittelbelehrung nur eine Belehrung über die Einlegung der Revision enthält.

Die Revision ist zum Teil begründet.

Das Urteil des LSG kann insoweit keinen Bestand haben, als es die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen hat. Das LSG hat, soweit der Kläger das Urteil des SG hinsichtlich der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 14. Juli 1976 idF des Widerspruchsbescheides vom 27. August 1976 angefochten hat, zu Unrecht ein Prozeßurteil erlassen und nicht in der Sache entschieden. Die Berufung ist entgegen der Auffassung des LSG auch bezüglich der Rechtmäßigkeit dieser Bescheide nach § 143 SGG statthaft. Ein Ausschließungsgrund gemäß § 144 SGG, der hier allein in Betracht kommt, liegt nicht vor. Die Alhi wird in Form von wiederkehrenden Leistungen gewährt. Bei derartigen Leistungen ist die Berufung gemäß § 144 Abs 1 Nr 2 SGG nicht zulässig für einen Zeitraum bis zu dreizehn Wochen (drei Monaten). Der Anspruch, den der Kläger mit der Berufung verfolgt, umfaßt jedoch einen längeren Zeitraum. Zwar betrifft hier der Bescheid vom 14. Juli 1976, für sich allein betrachtet, einen Anspruch auf Alhi für nicht mehr als dreizehn Wochen (drei Monate). Der Kläger will mit seiner Aufhebung erreichen, daß ihm die für die Zeit vom 8. Juli bis 4. August 1976 gesperrte Alhi gezahlt wird. Dabei ist es gleich, in welche Form der Arbeitslose sein Klagebegehren kleidet. Die Anfechtungsklage allein löst schon, wenn sie zur Aufhebung des Verwaltungsakts führt, den Zahlungsanspruch aus (BSGE 18, 266,267). Dennoch kann dies im vorliegenden Fall nicht zum Ausschluß der Berufung führen. Der mit der Anfechtung des Bescheides vom 14. Juli 1976 verfolgte Anspruch kann nämlich für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen des § 144 Abs 1 SGG vorliegen, nicht isoliert gesehen werden. Für die Zulässigkeit der Berufung ist insoweit außer dem Bescheid vom 14. Juli 1976 noch der Erlöschensbescheid vom 11. August 1976 zu berücksichtigen, der ebenfalls Gegenstand des Berufungsverfahrens war und der die Leistungsverweigerung ab 5. August 1976, also im Anschluß an die Sperrzeit vom 8. Juli bis 4. August 1976 (Bescheid vom 14. Juli 1976), zum Inhalt hatte, und zwar auf unbestimmte Zeit. - Über die Rechtmäßigkeit des gemäß § 96 SGG in das Verfahren einbezogenen Erlöschensbescheides vom 29. März 1977 hat das LSG erstinstanzlich auf eine Klage und nicht auf die Berufung entschieden. - Gegenstand der Berufung sind hiernach zwar mehrere prozessuale Ansprüche. Dennoch hindert dies nicht, für die Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtsmittels, soweit sie den Bescheid vom 14. Juli 1976 betrifft, auch den prozessualen Anspruch über die Aufhebung des Erlöschensbescheides vom 11. August 1976 zu berücksichtigen. Der Grundsatz, daß für jeden einzelnen Streitgegenstand die Statthaftigkeit eines Rechtsmittels gesondert zu prüfen ist, gilt nicht uneingeschränkt, wie der 6. Senat des BSG in seinem Urteil vom 24. Januar 1974 (SozR 1500 § 144 Nr 1 = Breithaupt 1974 S 909; - ebenso Peters/Sautter/Wolff aaO § 144 Anm 3; Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, § 144 Anm 9) ausgesprochen hat. Hiernach gilt entsprechend der gesetzgeberischen Konzeption des SGG bei Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen iS des § 144 Abs 1 Nr 2 SGG die Sonderregelung, daß trotz Mehrheit prozessualer Ansprüche eine einheitliche Ermittlung des Beschwerdegegenstandes zu erfolgen hat, sofern die Bezugsdauer der verschiedenen prozessualen Ansprüche zusammenrechnungsfähig ist. Das ist dann der Fall, wenn die verschiedenen prozessualen Ansprüche den gleichen Entstehungsgrund haben und zu gleichartigen wiederkehrenden Leistungen führen, zumindest dann, wenn die Ansprüche - wie hier - für aneinander anschließende Zeiträume geltend gemacht werden.

Hier haben beide Ansprüche des Klägers ihre Wurzel in der wirtschaftlichen Sicherung des Teilnehmers am Arbeitsleben in Form der Alhi. Sie haben jeweils gleichartige wiederkehrende Leistungen zur Folge. Die angefochtenen Bescheide unterscheiden sich nur danach, daß mit dem Sperrzeitbescheid vom 14. Juli 1976 der Anspruch auf Alhi während der Sperrzeit ruhte (§§ 134 Abs 2, 119 Abs 1 letzter Satz AFG), während der Tatbestand, der zur Erteilung des Erlöschensbescheides gemäß §§ 134 Abs 2, 119 Abs 3 AFG führt, das Erlöschen des Anspruchs, also des Stammrechts, zur Folge hat. Das ändert jedoch nichts daran, daß die Leistungen, die der Kläger jeweils verfolgt, den gleichen Entstehungsgrund haben und auch gleichartig sind. Mithin ist die Bezugsdauer der einzelnen in einem einheitlichen Verfahren geltend gemachten Ansprüche zusammenzuzählen und danach die Frage zu beantworten, ob ein Anspruch auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu dreizehn Wochen (drei Monaten) gemäß § 144 Abs 1 Nr 2 SGG vorliegt. Das ist hier nicht der Fall. Der Kläger begehrt nach seinem Vorbringen Alhi für eine unbegrenzte Zeit von dem Zeitpunkt an, von dem ihm diese Leistung nicht mehr gewährt wurde. Das LSG hätte daher das Urteil des SG in vollem Umfang auf die Berufung des Klägers sachlich überprüfen müssen. Soweit es ein Prozeßurteil erlassen hat, ist daher das Urteil des Berufungsgericht aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

Im übrigen ist die Revision unbegründet.

Das LSG war befugt, über die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 29. März 1977 zu entscheiden. Eines Vorverfahrens bedurfte es nicht, da dieser Bescheid gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Er ist für die Zeit ab 11. März 1977 an die Stelle des Bescheides vom 11. August 1976 getreten. Das SG hat zwar den Bescheid vom 29. März 1977 nicht bei seiner Entscheidung berücksichtigt. Es ist jedoch anerkannt, daß das Berufungsgericht über den gemäß § 96 SGG erweiterten Streitgegenstand zu entscheiden hat, sofern die Beteiligten ihn im Berufungsverfahren mit in ihre Anträge einbeziehen, wie das hier geschehen ist. Damit wird lediglich der Umfang des Streitverhältnisses wiederhergestellt, den er gemäß § 96 SGG haben sollte (BSG SozR 1500 § 96 Nr 6). Zutreffend hat das LSG über diesen Bescheid auch kraft Klage und nicht kraft Berufung entschieden (BSGE 18, 231, 234).

Zu Recht hat das LSG die Klage gegen den Bescheid vom 29. März 1977 abgewiesen und die Berufung, soweit sie den Erlöschensbescheid vom 11. August 1976 idF des Widerspruchsbescheides vom 27. August 1976 betraf, zurückgewiesen. Diese Bescheide sind nicht aufzuheben.

Die Beklagte hat die Verwaltungsakte auf § 119 Abs 3 AFG gestützt und mit ihnen ihre Entscheidung über die Bewilligung von Alhi vom 12. März 1975 und 29. März 1977 gemäß § 151 AFG aufgehoben. Das LSG hat es dahingestellt sein lassen, ob die Voraussetzungen für die Verhängung einer Sperrzeit gemäß § 119 Abs 3 AFG jeweils vorgelegen haben. Es ist der Auffassung, die angefochtenen Bescheide seien schon deshalb rechtmäßig, weil der Kläger in den hier in Betracht kommenden Zeiträumen der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden habe. Er sei nicht bereit gewesen, jede zumutbare Beschäftigung aufzunehmen, die er hätte ausüben können und dürfen (§§ 134 Abs 1 Nr 1, Abs 2, 103 Abs 1 S 1 Nr 2 AFG). Das LSG hat die angefochtenen Bescheide damit auf eine andere rechtliche Grundlage gestellt, was hier zulässig ist.

Das Gericht hat bei einer Anfechtungsklage den Verwaltungsakt von Amts wegen zu überprüfen und hierbei alle Tatsachen und rechtlichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, und zwar auch solche, die die Verwaltungsbehörde ihrer Entscheidung nicht zugrunde gelegt hat. Ein solches Nachschieben von Gründen, das auch der Verwaltung gestattet ist, ist allerdings nur dann zulässig, wenn der Verwaltungsakt durch die neue Begründung nach Voraussetzungen, Inhalt und Wirkungen nicht wesentlich verändert und die Rechtsverteidigung des Betroffenen nicht in unzulässiger Weise beeinträchtigt oder eingeschränkt wird (BSG SozR 3900 § 41 Nr 4 mwN; Peters/Sautter/Wolff aaO § 54 Anm 2e aa; Meyer-Ladewig, aaO § 54 Anm 35; Eyermann- Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl, Anm 15).

Zu berücksichtigen ist zunächst, daß die angefochtenen Bescheide zwei Verfügungssätze enthalten: Einmal die Feststellung, daß eine zweite Sperrzeit eingetreten und der Anspruch auf Leistung deshalb gemäß § 119 Abs 3 AFG erloschen ist, und zum anderen die Aufhebung der Bewilligung von Alhi gemäß § 151 Abs 1 AFG. Die Feststellung des Erlöschens des Leistungsanspruchs gemäß § 119 Abs 3 AFG erfüllt die Merkmale eines (belastenden) Verwaltungsakts, weil sie Wirkungen hat, die über die bloße Begründung eines Bescheides hinausgehen. Sie hat zur Folge, daß es zum Neuerwerb eines Anspruchs auf Alhi anstelle der sogenannten kleinen Anwartschaft von zehn Wochen einer solchen von mindestens 26 Wochen entlohnter Beschäftigung bedarf (§ 134 Abs 1 Nr 4b AFG). Sie bedeutet also eine zusätzliche Beschwer für den Betroffenen.

Soweit die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Bewilligungsbescheide zu überprüfen ist, bestehen keine Bedenken, wenn die angefochtenen Bescheide auf die fehlende Verfügbarkeit des Klägers gestützt werden. Sie werden insoweit nicht nach Inhalt und Wirkung zu Ungunsten des Klägers verändert. Ihr Anspruch bleibt inhaltlich der gleiche. Auch hinsichtlich der Voraussetzung ergibt sich keine wesentliche Änderung; denn mit der Erfüllung des Tatbestandes des § 119 Abs 3 AFG dokumentiert der Arbeitslose letztlich, daß er der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung steht. Eine Verschlechterung der Rechtsposition des Klägers tritt gleichfalls nicht ein. Das Fehlen der Verfügbarkeit als eine der Voraussetzungen des § 134 Abs 1 AFG führt zwar zum Wegfall des Anspruchs auf Alhi. Der Anspruch kann jedoch bereits dann erneut entstehen, wenn der Arbeitslose innerhalb der Frist des § 135 Abs 1 Nr 2 AFG wieder verfügbar wird. Bei dem Erlöschen des Anspruchs gemäß § 119 Abs 3 AFG und der daraus folgenden Aufhebung des Bewilligungsbescheides kann der Arbeitslose hingegen, wie bereits ausgeführt wurde, erst nach Erwerb einer neuen - qualifizierten - Anwartschaftszeit wieder einen Anspruch auf Alhi erwerben. Auch die Rechtsverteidigung des Klägers ist nicht unangemessen beeinträchtigt. Er steht sich im Gegenteil besser. Bereits sein Einwand, er hätte nach Erlaß des Aufhebungsbescheides innerhalb der Frist des § 135 Abs 1 Nr 2 AFG der Arbeitsvermittlung wieder zur Verfügung gestanden, wäre erheblich. Das allein würde jedoch nicht ausreichen, wenn der Anspruch gemäß § 119 Abs 3 AFG erloschen ist.

Im Gegensatz zur Aufhebung der Bewilligungsbescheide kann der den Eintritt einer Sperrzeit und das deswegen eingetretene Erlöschen des Anspruchs feststellende Verfügungssatz der angefochtenen Bescheide nicht auf die vom LSG nachgeschobene Begründung einer fehlenden Verfügbarkeit des Klägers gestützt werden. Das ist schon wegen der materiell-rechtlichen Rechtsfolgen, die die fehlende Verfügbarkeit einerseits und den Eintritt einer erneuten Sperrzeit andererseits nach sich ziehen, unzulässig. Deshalb muß der in einem Erlöschensbescheid enthaltene feststellende Verfügungssatz im Anfechtungsfalle grundsätzlich darauf überprüft werden, ob die Voraussetzungen gemäß § 119 Abs 3 AFG vorliegen. Das ist auch im Interesse der Rechtssicherheit geboten. Im vorliegenden Fall ist es allerdings nicht zu beanstanden, daß das LSG eine derartige Überprüfung nicht vorgenommen hat. Der Kläger hat aufgrund seiner Tätigkeit in S die etwa ein Jahr gedauert hat, auf jeden Fall eine Anwartschaftszeit für einen Anspruch aus der Arbeitslosenversicherung erfüllt (§ 104 AFG). Die Feststellung des Eintritts einer erneuten Sperrzeit für sich gesehen kann daher für den Kläger keine Rechtswirkung mehr erzeugen, wenn die Aufhebung der Leistungsbewilligung nicht hieraus, sondern aus der fehlenden Verfügbarkeit des Klägers folgt. Die angefochtenen Verwaltungsakte haben sich in dieser Beziehung erledigt (vgl BSGE 42, 212, 216). Die Anfechtungsklagen sind insoweit aus diesem Grunde schon im Zeitpunkt der Entscheidung des LSG nicht mehr begründet gewesen. Da der Kläger nach seinem Vorbringen mit der Klage die Zahlung von Alhi für den hier streitigen Zeitraum erreichen will, kann nicht davon ausgegangen werden, daß in seinem Anfechtungsbegehren gleichzeitig bezüglich der Sperrzeitfeststellung die Erhebung einer Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 131 Abs 1 S 3 zu erblicken ist, zumal da hierfür ein Rechtsschutzinteresse nicht zu erkennen ist.

Zutreffend ist das LSG zu dem Ergebnis gelangt, daß die Bescheide vom 11. August 1976 (idF des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 1976) und 29. März 1977 nicht rechtswidrig sind. Dem Kläger stand ein Anspruch auf Alhi für die Zeit vom 5. August 1976 bis 2. August 1977 nicht zu, weil er in dieser Zeit der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stand; für die Zeit ab 3. August 1977 kann eine Leistung nicht in Betracht kommen, weil er infolge der Aufnahme seiner Beschäftigung in S nicht mehr arbeitslos war (§ 134 Abs 1 S 1 Nr 1 AFG). Ob ihm nach Beendigung dieser Beschäftigung Ansprüche gegen die Beklagte zustehen, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Es handelt sich insoweit allenfalls um einen neuen Versicherungsfall.

Nach § 103 Abs 1 Nr 2 AFG, der gemäß § 134 Abs 2 AFG entsprechend für den Anspruch auf Alhi gilt, ist ua Voraussetzung für die Verfügbarkeit, daß der Arbeitslose bereit ist, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen, die er ausüben kann. Das LSG hat hierzu folgende tatsächlichen Feststellungen getroffen:

Der Kläger habe sich der Beklagten gegenüber im wesentlichen nur zu Tätigkeiten im Rahmen seines Berufs als Statiker und Ingenieur bereit erklärt. Dies ergebe sich aus den Vermittlungsunterlagen, aber auch aus dem Vorbringen des Klägers im Verwaltungsverfahren und aus seiner Klagebegründung. Auch der Zeuge K habe sich bei seiner Vernehmung durch das LSG in diesem Sinne geäußert. Da der Kläger selbst früher immer wieder verlangt habe, daß die angebotenen Tätigkeiten seiner Ausbildung entsprechen müßten, könnten seine abweichenden Äußerungen im Berufungsverfahren nur als bloße Schutzbehauptungen angesehen werden. Im vorliegenden Fall sei die Arbeitsmarktlage im Sommer 1976 dadurch gekennzeichnet gewesen, daß arbeitslose Statiker, zumal ältere wie der Kläger, in absehbarer Zeit nicht damit hätten rechnen können, in ihrem Beruf wieder eine Anstellung zu finden. Zwischen Mitte und Ende 1975 sei es im Bauwesen zu einer Abschwächung der Konjunktur mit zahlreichen Betriebsschließungen und Entlassungen gekommen. Ab Mitte 1976 habe sich der Konjunkturrückgang auch auf die Architekturbüros und Ingenieurbüros ausgewirkt. Der Tiefpunkt der Entwicklung sei etwa in der Zeit von Juli 1976 bis April 1977 erreicht worden. In dieser Zeit seien selbst langjährige Mitarbeiter entlassen und - soweit Entlassungen hätten vermieden werden können - Gehälter gekürzt worden. Die besten Aussichten, wieder einen Arbeitsplatz zu bekommen, hätten damals noch jüngere Ingenieure mit einigen Jahren Praxis gehabt, weil sie einerseits noch keine hohen Gehälter hätten verlangen können, andererseits aber doch schon über die erforderlichen beruflichen Erfahrungen verfügt hätten.

An diese Feststellungen ist der Senat gemäß § 163 SGG gebunden. Der Kläger hat in bezug auf sie zulässige und begründete Revisionsgründe nicht vorgebracht. Sein Vorbringen in der Revisionsbegründung kann daher, soweit er damit eine andere tatrichterliche Würdigung erreichen will, nicht berücksichtigt werden (BSG SozR 2200 § 539 Nr 32).

Die rechtlichen Schlußfolgerungen, die das LSG aus dem festgestellten Sachverhalt gezogen hat, sind nicht zu beanstanden. Hiernach stand der Kläger in der Zeit vom 5. August 1976 bis 2. August 1977 der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung, weil er sich im wesentlichen nur zu Tätigkeiten im Rahmen seines Berufs als Statiker und Ingenieur zur Verfügung gestellt hat, obwohl ihm nach seinen individuellen Verhältnissen und der Arbeitsmarktlage nicht nur seiner Ausbildung entsprechende Tätigkeiten zugemutet werden konnten.

Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 30. Mai 1978 (SozR 4100 § 119 Nr 4) ausgeführt hat, wird ein echter Berufsschutz in der Arbeitslosenversicherung nur für die Auswirkungen einer konkreten Beschäftigung in der Zukunft gewährt. Da das Interesse des Arbeitsuchenden an der Realisierung seines Berufswunsches und damit an einer in der Regel fachlich und wirtschaftlich günstigen Verwendung sich prinzipiell mit dem Ziel des Gesetzes deckt, eine bestmögliche Plazierung der Arbeitskräfte zu sichern und unterwertige Beschäftigung zu verhindern (§§ 1, 2 Nr 1 AFG), braucht der Arbeitslose Verschlechterungen seines Status und der Arbeitsbedingungen nur hinzunehmen, wenn sie nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes unvermeidbar sind. Um sein Verfügbarkeit iS des § 103 AFG nachzuweisen, braucht sich der Arbeitslose demgemäß im allgemeinen auch nur zur Übernahme einer seinem Beruf entsprechenden Tätigkeit und allenfalls für verwandte und andere gleichwertige Beschäftigungen bereit zu erklären, bei denen ein beruflicher Nachteil für die Zukunft nicht zu erwarten ist. Erst wenn ihm nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes innerhalb angemessener Zeit Stellen dieser Art nicht vermittelt werden können, ist die Aufnahme auch anderer Arbeiten zuzumuten. In einem solchen Falle kann allerdings auf eine Beschäftigung zurückgegriffen werden, die gegenüber dem bisherigen Beruf des Arbeitslosen minderqualifiziert ist. Das bedeutet jedoch keinesfalls, daß der Arbeitnehmer sofort für alle unterhalb dieser Stufe vorhandenen Arbeitsangebote in Betracht kommt. Vielmehr sind zunächst auf der nächstunteren Qualifikationsstufe ausreichende und angemessene Vermittlungsbemühungen zu unternehmen. Erst wenn trotz ernsthafter Bemühungen in Verbindung mit sonstigen Erkenntnissen eine Unterbringung auch insoweit für absehbare Zeit auszuschließen ist, kann an eine weitere Ausweitung der Zumutbarkeitsgrenzen gedacht werden.

Das LSG hat festgestellt, daß auch nach über zweijähriger Arbeitslosigkeit im August 1976 eine Vermittlung des Klägers in eine seinem bisherigen Beruf gleichwertige Stellung nicht möglich war und die Vermittlungsschwierigkeiten in absehbarer Zeit auch nicht behoben werden konnten. Unter diesen Umständen war es dem Kläger zuzumuten, eine minder qualifizierte Stellung anzunehmen. Wie weit diese Herabstufung im vorliegenden Fall auszudehnen ist, kann dahingestellt bleiben. Der Kläger war überhaupt nicht bereit, eine Tätigkeit aufzunehmen, die unterhalb seiner bisherigen beruflichen Qualifikation lag, und stand schon deshalb der Arbeitsvermittlung gemäß § 103 Abs 1 S 1 Nr 2 AFG nicht zur Verfügung.

Unerheblich ist auch, aus welchen Gründen es dem Kläger an der Bereitschaft fehlte, eine minder qualifizierte Stellung einzunehmen. Insbesondere spielt es keine Rolle, ob er glaubte, zu diesem Verhalten berechtigt zu sein. Das Gesetz stellt für die Frage, ob der Arbeitslose subjektiv der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, nur auf dessen Bereitschaft ab, eine objektiv zumutbare Tätigkeit zu übernehmen (BSG SozR § 103 Nr 18; Hennig/Kühl/Heuer, Arbeitsförderungsgesetz, § 119 Anm 13).

Ob die Beklagte deshalb nicht berechtigt war, mit dem Bescheid vom 29. März 1977 den Bescheid vom gleichen Tage, der in Ausführung des Beschlusses des SG vom 17. Februar 1977 erging, aufzuheben, weil damit faktisch auch der Beschluß des SG außer Kraft gesetzt wurde, kann dahingestellt bleiben. Selbst wenn man zu dem Ergebnis käme, die Beklagte hätte insoweit nicht einen Aufhebungsbescheid erlassen dürfen, sondern eine Aufhebung des Beschlusses beim SG beantragen müssen, könnte dies nicht zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis führen. Er hätte zwar möglicherweise einen vorläufigen Zahlungsanspruch gehabt. Dessen Durchsetzung würde jedoch gegen Treu und Glauben verstoßen, weil er nunmehr zumindest aufgrund der Entscheidung des Senats weiß, daß ihm die begehrte Leistung nicht zusteht und er sie daher gemäß § 152 Abs 1 Nr 2 AFG sofort wieder zurückzahlen müßte; denn die Anordnung des SG ist durch dieses Urteil gegenstandslos geworden (Peters/ Sautter/Wolff aaO § 97 Anm 11; Meyer-Ladewig aaO § 97 Anm 17).

Die Revision kann daher, soweit das LSG ein Sachurteil erlassen hat, keinen Erfolg haben.

Da die Sache im übrigen an das LSG zurückverwiesen worden ist, wird dieses in seinem Urteil auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654395

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