Beteiligte

Kläger und Revisionsbeklagter

Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I

Der Kläger als überörtlicher Träger der Sozialhilfe begehrt von der beklagten Krankenkasse den Ersatz der Kosten, die er für die Unterbringung der Tochter des Beigeladenen im Westfälischen Landeskrankenhaus (WLKr) L. in der Zeit vom 1. November 1979 bis 31. Dezember 1981 aufgebracht hat. Der Beigeladene ist bei der Beklagten mit dem Anspruch auf Familienhilfe versichert.

Die Tochter des Beigeladenen mußte am 10. November 1977 wegen Angst- und Unruhezuständen bei vorausgegangener Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis in ein Krankenhaus aufgenommen werden. Sie äußerte den Drang, sich vor ein Auto zu werfen und hörte Stimmen, die ihr zum Selbstmord rieten. Wegen der bei ihr festgestellten "akuten paranoidhalluzinatorischen Schizophrenie mit Suizidgefährdung" wurde sie mit Psychopharmaka in erheblicher, aber dem jeweiligen Stand der Behandlung und ihrem Zustand angepaßter Dosierung behandelt. Nebenher erfolgte eine psychotherapeutische Behandlung. Bis zum 31. Oktober 1979 sah die Beklagte die Behandlung als erforderlich an und kam für die Kosten auf. Auch nach dieser Zeit (1. November 1979 bis 31. Dezember 1981) litt die Tochter des Beigeladenen unter einer "Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis" mit immer wieder auftretender Neigung zur Dekompensation, Suizidgefährdung sowie durch die Krankheit verursachten vielfältigen körperlichen und geistigen Störungen, insbesondere unter Angstzuständen, Energie- und Ausdauerdefizit, rascher Erschöpfbarkeit, Leistungsmängeln, mangelnder Toleranz gegenüber Konflikten sowie Labilität. Bei der Patientin wurde neben einer psychotherapeutischen Behandlung eine Milieu-, Sozio- und Arbeitstherapie durchgeführt. Die Patientin blieb im Krankenhaus, wenn auch unter gegenüber der vorangegangenen Behandlung lockereren Aufsicht, in der sogenannten Nachtklinik. Bei der Nachtklinik handelt es sich um eine offene Station innerhalb des Krankenhauses. Das Verhalten der Tochter des Beigeladenen wurde von besonders geschultem Personal beobachtet und dem Behandlungsteam übermittelt. Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme für diesen Teil der Behandlung ab.

Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 11. August 1982 die Beklagte verurteilt, die Kosten der Behandlung der Tochter des Beigeladenen im WLKr in der Zeit vom 1. November 1979 bis 31. Dezember 1981, mit Ausnahme der Urlaubstage und der Zeit vom 9. September 1981 bis 1. Oktober 1981, zu übernehmen und dem Kläger, der bisher die Kosten getragen hat, zu erstatten. Es hat im wesentlichen ausgeführt: Aus den Bekundungen des sachverständigen Zeugen Dr. L. ergebe sich, daß die psychotherapeutische Behandlung in Verbindung mit der Milieu-, Sozio- und Arbeitstherapie notwendig gewesen sei, um die seelische Gesundheit der Patientin wieder herzustellen. Die zunehmende seelische Belastbarkeit der Patientin habe ertastet und das Therapiekonzept den jeweiligen Erfordernissen angepaßt werden müssen. Die Arbeitsbelastungen, denen sie ausgesetzt worden sei, seien Therapieversuche gewesen. Es habe sich um die typischen Behandlungsmethoden eines psychatrischen Fachkrankenhauses gehandelt, die den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst entsprächen.

Mit der zugelassenen Sprungrevision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 184 Reichsversicherungsordnung (RVO).

Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

II

Die Sprungrevision der Beklagten ist unbegründet. Der klagende Landschaftsverband als Träger der Sozialhilfe hat gegen die beklagte Bundesknappschaft, wie das SG zu Recht entschieden hat, einen Anspruch auf Erstattung der Kosten, die dem Kläger bei der Behandlung der Tochter des bei der Beklagten versicherten Beigeladenen in der Zeit vom 1. November 1979 bis 31. Dezember 1981 entstanden sind.

Nach § 109 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) i.V.m. §§ 1531, 1532, 1533 Nr. 2 RVO in der vor dem 1. Juli 1983 gültigen Fassung konnte der Sozialhilfeträger vom Versicherungsträger insoweit Ersatz verlangen, als er vorgeleistet hat, der Versicherungsträger jedoch gegenüber dem Hilfebedürftigen zur Leistung verpflichtet gewesen ist. Diese Bestimmungen sind - jedenfalls soweit sie den vorliegenden Fall betreffen - inhaltsgleich mit Wirkung vom 1. Juli 1983 durch § 104 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) ersetzt worden. Der Kläger ist gemäß §§ 39, 40 Abs. 1 Nr. 1, 44 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zugunsten der Tochter des Beigeladenen in der streitigen Zeit mit seiner Hilfe eingetreten. Die Beklagte war jedoch gemäß §§ 205, 184 Abs. 1 RVO verpflichtet gewesen, für diese Kosten aufzukommen. Der Beigeladene war familienhilfeberechtigt (§ 205 RVO). Seine Tochter hat in der streitigen Zeit die bei ihr erforderliche Krankenhauspflege erhalten.

Reine Pflege, Anstaltspflege, hat in dieser Zeit nicht vorgelegen. Wie das Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung entschieden hat (vgl. BSGE 42, 16 = SozR 2200 § 182 Nr. 14, BSGE 47, 83 = SozR 2200 § 216 Nr. 2; SozR 2200 § 184 Nr. 11; BSGE 49, 216 = SozR 2200 § 184 Nr. 15, jeweils mit weiteren Hinweisen auf eine umfangreiche Rechtsprechung) ist die Leistungspflicht der Krankenkassen auf die medizinische Behandlung der Krankheit beschränkt. Entscheidend ist dabei nicht, ob die ärztliche oder pflegerische Tätigkeit quantitativ im Vordergrund steht. Vielmehr kommt es darauf an, ob die erforderlichen Pflegemaßnahmen Teil einer gezielten Behandlung sind. Diese Behandlung kann darauf gerichtet sein, die Krankheit zu heilen, aber auch darauf, ihr Fortschreiten zu verhindern, zu verlangsamen oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Auch die Dauer der Unterbringung im Krankenhaus und dann die Dauer der Pflegemaßnahmen sind kein Abgrenzungsmerkmal. Reine Pflege, die nicht mehr Teil einer medizinischen Behandlung ist, liegt dann vor, wenn sie lediglich dem Zweck dient, einem Zustand der Hilflosigkeit zu begegnen. Entscheidend ist, ob dieselbe Behandlung auch ambulant hätte durchgeführt werden können.

Die für den Senat bindenden (§§ 163, 161 Abs. 4 SGG) tatsächlichen Feststellungen des SG ergeben jedoch, daß in der streitigen Zeit die Tochter des Beigeladenen medizinisch behandelt wurde und daß diese Behandlung nur in einem Krankenhaus erfolgen konnte. Die Tochter des Beigeladenen war, wie das SG festgestellt hat, in der fraglichen Zeit weiterhin an Schizophrenie erkrankt. Obgleich sie sich auf dem Wege der Besserung befand, bedurfte sie der ständigen Beaufsichtigung durch geschultes Personal, das den von Ärzten ausgearbeiteten, überwachten und nach den Umständen geänderten Behandlungsplan verfolgte. Daß sie sich in der zwischen den Beteiligten umstrittenen Zeit (1. November 1979 bis 31. Dezember 1981) bereits in einer offenen Abteilung befand, in der sie nur des Nachts untergebracht war, ist - wie das SG festgestellt hat - Teil einer milieu-, sozio- und ergotherapeutischen Behandlung gewesen, die mit einer psychotherapeutischen Behandlung einherging. Nach Bedarf setzten die Ärzten auch Medikamente ein. Die Tochter des Beigeladenen, die durch ihre Krankheit selbstmordgefährdet war, bedurfte in der gesamten Zeit der ärztlichen Überwachung.

Auch eine solche stationäre Aufnahme mit einer derartigen Beobachtung und Behandlung ist Krankenhauspflege, wie sie die Krankenkassen als Sachleistung zu gewähren haben. Das wird besonders deutlich an der mit Wirkung vom 1. Januar 1982 durch das Gesetz zur Ergänzung und Verbesserung der Wirksamkeit kostendämpfender Maßnahmen in der Krankenversicherung vom 22. Dezember 1981 (Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz - KVEG -, BGBl. I 1578) eingefügten § 184 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs RVO, der hinsichtlich der psychiatrischen Behandlung ausdrücklich eine teilstationäre Behandlung vorsieht.

Die Leistungspflicht der Beklagten entfällt nicht wie die Beklagte in der Revisionsinstanz geltend gemacht hat deshalb, weil bei seelisch oder geistig Kranken die Krankenhausunterbringung länger dauern kann, daneben unter Umständen Rente gezahlt wird und es deshalb zu Doppelleistungen kommt. Richtig ist, daß eine Rente dazu bestimmt ist, den Lebensunterhalt zu decken. Ebenso ist es zutreffend, daß während eines von einer RVO-Krankenkasse bezahlten Krankenhausaufenthaltes der Lebensunterhalt des Versicherten weitgehend durch die Krankenhausbehandlung mit abgedeckt wird, ohne daß das Gesetz eine Eigenbeteiligung des Versicherten vorsieht. Dieser Umstand wird im allgemeinen deshalb nicht zu einer unbilligen Belastung der Krankenkassen und zu einem ungerechtfertigten Vorteil des Versicherten führen, weil die häuslichen Kosten zum Teil weiterlaufen (Miete, Gebühren, Versicherungen usw.), zum anderen Teil durch Mehrkosten - Besuchskosten, Trinkgelder - wieder aufgezehrt werden, die auch durch die Leistungen der Krankenversicherung nicht gedeckt werden (vgl. zur Problematik u.a. Nickel VersR 1973, 603, 604, Stamm VersR 1975, 690, 691). Zu einer ins Gewicht fallenden Ersparnis der eigentlich zum Lebensunterhalt bestimmten Mittel (Rente z.B.) deshalb, weil durch den Krankenhausaufenthalt der Lebensunterhalt des Versicherten gedeckt wird, kann es jedoch in Pflegefällen kommen. Es ist unerwünscht, daß der Krankenversicherte Ersparnisse zu Lasten seiner Krankenversicherung macht (vgl. Schroeder-Printzen, ZSR JA 617, 618). Da Krankenhausbehandlung heute auch langfristig Pflegebedürftigen zusteht, wenn ihre Leiden einer Behandlung zugänglich sind, kann auch während der Dauer einer nach § 184 RVO von der Krankenkasse zu gewährenden Krankenhauspflege eine Ersparnis auftreten, die so beachtlich ist, daß sich die Frage aufdrängt, wie sie auszugleichen ist. Dieser Ausgleich kann jedoch nicht in der Weise vorgenommen werden, wie dies bei den Hilfsmitteln geschehen ist, bei denen der wirtschaftliche Wert des medizinischen Hilfsmittels getrennt wird von dem Wert des Gebrauchsgegenstandes des täglichen Lebens, der ebenfalls in der von der Kasse gestellten Sache steckt (BSG SozR 2200 § 182b Nr. 12 m.w.N.). Ebensowenig kann das Problem unter dem allgemeinen Gesichtspunkt der Doppelleistung von der Rechtsprechung gelöst werden. Das ist nur dort möglich, wo das Gesetz selbst Anrechnungen vorschreibt, Leistungen ruhen läßt usw. Das Problem der Ersparnis häuslicher Aufwendungen bei länger dauerndem Krankenhausaufenthalt ist vom Gesetzgeber nicht im Sinne einer Kürzung von Leistungen angegangen worden. De lege lata kann daher eine solche Entscheidung auch - anders als die Beklagte meint - von der Rechtsprechung nicht getroffen werden (ebenso bereits BSGE 47, 83, 88 = SozR 2200 § 216 Nr. 2).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, 4 SGG. Da der Beigeladene nicht vertreten war, sind Kosten bei ihm nicht angefallen.5a RKn 22/82

Bundessozialgericht

 

Fundstellen

Haufe-Index 518371

Breith. 1984, 555

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