Leitsatz (amtlich)

Auslegung des RVO § 1291 Abs 2:

Eine unzutreffende Ausdrucksweise ergibt sich weder aus ArVNG Art 2 § 26 Abs 1 iVm RVO § 1291 Abs 2 nF noch aus dem Sinnzusammenhang, und es darf deshalb nicht zu einer Berichtigung des Gesetzeswortlauts geschritten werden.

Es fehlt an Anhaltspunkten dafür, daß es dem Sinn des Gesetzes entspräche, nicht nur Ansprüche von ehemaligen Witwen in der Rentenversicherung der Arbeiter unter gewissen Voraussetzungen wiederaufleben zu lassen, sondern unter diesen Voraussetzungen auch solchen Witwen einen Rentenanspruch zuzubilligen, die vor ihrer Wiederverheiratung nicht anspruchsberechtigt waren.

Eine Fortbildung des Rechts durch abändernde Rechtsfindung ist bezüglich des Abs 2 nicht möglich.

 

Normenkette

RVO § 1291 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 2 § 26 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; SGG § 43 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle vom 19. Oktober 1960 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

Die am 29. Juni 1916 geborene Klägerin begehrt eine Witwenrente aus der Rentenversicherung der Arbeiter nach ihren am 4. März 1945 verstorbenen ersten Ehemann Wilhelm T..., der bei der Beklagten versichert gewesen war, gemäß § 1291 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 2 § 26 Abs. 1 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG). Sie war nach dem Tode ihres ersten Ehemannes am 31. Mai 1952 eine neue Ehe eingegangen, die durch Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 24. Januar 1959 aus Verschulden des zweiten Ehemannes geschieden worden ist. Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin vom 6. April 1959 durch Bescheid vom 8. Juni 1959 mit der Begründung ab, daß ihr ein Witwenrentenanspruch nach § 1291 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht zustehe, weil sie vor ihrer Wiederverheiratung nach den damals geltenden Vorschriften keinen Witwenrentenanspruch gehabt habe, so daß für das Wiederaufleben einer Witwenrente im Sinne des § 1291 Abs. 2 RVO kein Raum sei.

Ihre am 6. Juli 1959 beim Sozialgericht Braunschweig erhobene Klage ist mit Urteil vom 22. April 1960 abgewiesen worden. Das Sozialgericht ist wie die Beklagte der Auffassung, daß § 1291 Abs. 2 RVO nur von dem Wiederaufleben der Witwenrente nach Auflösung der zweiten Ehe spreche, so daß nur die Fälle erfaßt seien, in denen vor Eingehen der zweiten Ehe bereits ein Witwenrentenanspruch bestanden habe. Wenn also, wie hier, nach den früheren Vorschriften ein Witwenrentenanspruch vor der Wiederverheiratung nicht bestanden habe, komme die Gewährung einer Witwenrente nach Auflösung der zweiten Ehe nicht in Betracht.

Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht durch Urteil vom 19. Oktober 1960 zurückgewiesen; es hat die Revision zugelassen. Auch das Berufungsgericht vertritt die Auffassung, daß der Klägerin ein Anspruch auf Witwenrente nicht zustehe. Da nach § 1291 RVO der Witwenrentenanspruch "Wiederaufleben" solle, müsse der Witwenrentenanspruch vor der Wiederverheiratung bestanden haben. Ein Anspruch auf Witwenrente bestehe daher nicht, wenn die Witwe nach den damaligen gesetzlichen Bestimmungen vor ihrer Wiederverheiratung keine Witwenrente bezogen habe oder ihr kein Anspruch auf Witwenrente zugestanden habe. "Wiederaufleben" könne nur etwas, was früher schon einmal bestanden habe und nur infolge Eintritts eines Ereignisses untergegangen sei. Der Klägerin habe aber weder beim Tode ihres ersten Ehemannes noch bei ihrer Wiederverheiratung Witwenrente zugestanden. Denn die Voraussetzungen des § 1256 Abs. 1 und 2 RVO aF, der auch bei der Wiederverheiratung der Klägerin noch gegolten habe, weil ihr Ehemann vor dem 1. Juni 1949 gestorben sei, seien nicht erfüllt gewesen. Die Klägerin sei weder invalide gewesen noch habe sie das 60. Lebensjahr oder bei Geburt von mindestens vier waisenrentenberechtigten Kindern das 55. Lebensjahr vollendet gehabt noch habe sie mindestens vier waisenrentenberechtigte Kinder beim Tode des Ehemannes oder mindestens zwei waisenrentenberechtigte Kinder unter sechs Jahren erzogen.

Gegen dieses ihr am 2. November 1960 zugestellte Urteil hat die Klägerin durch ihren Prozeßbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 14. November 1960, eingegangen beim Bundessozialgericht am 15. November 1960, - unter Stellung eines Revisionsantrages - Revision eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 21. November 1960, eingegangen beim Bundessozialgericht am 22. November 1960, begründet.

Sie ist der Auffassung, daß die vor dem 1. Januar 1957 geltende unterschiedliche Regelung der Witwenrente für Witwen von Angestellten und Arbeitern gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verstoße.

Im übrigen sei durch Art. 2 § 18 ArVNG "bestimmt worden, daß § 1264 RVO rückwirkend auf alte Versicherungsfälle anzuwenden sei, die vor dem 1. Januar 1957 eingetreten seien. Wenn auch für die Zeit vor dem 1. Januar 1957 keine Rente auszuzahlen sei, so stehe dennoch auch solchen Witwen, deren Ehemänner vor dem 1. Januar 1957 gestorben seien und die nach bisherigem Recht nach keinen Anspruch auf Witwenrente gehabt hätten, vom 1. Januar 1957 an Witwenrente zu. Sie meint, daß ihr auf Grund ihres Rentenantrages eigentlich ein Anspruch schon seit dem Todestag ihres ersten Ehemannes zustünde, da der Anspruch bereits mit dem Eintritt des Versicherungsfalles entstehe. Dieser habe bis zum 31. Dezember 1956 lediglich geruht. Damit aber seien die Voraussetzungen des § 1291 RVO gegeben.

Sie beantragt,

unter Aushebung des angefochtenen Urteils, der Entscheidung des Sozialgerichts Braunschweig vom 22. April 1960 sowie des Bescheides der Beklagten vom 8. Juni 1959 die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Witwenrente ab 1. April 1959 in gesetzlicher Höhe zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Ansicht der Klägerin sei unzutreffend. Denn ein Anspruch auf Witwenrente stehe der Klägerin erst vom 1. Januar 1957, nicht aber vom Tode ihres ersten Ehemannes an zu. Im Zeitpunkt ihrer Wiederverheiratung habe sie daher keinen Witwenrentenanspruch gehabt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist statthaft, da das Berufungsgericht sie zugelassen hat. Bedenken gegen ihre Zulässigkeit bestehen daher nicht. Sie konnte jedoch keinen Erfolg haben.

Der Große Senat des Bundessozialgerichts hat durch Beschluß vom 9. Juni 1961 (BSG 14, 238 ff) die für diesen Streitfall allein maßgebende Rechtsfrage, ob ein Anspruch nach § 1291 Abs. 2 RVO auch dann zu gewähren ist, wenn die Klägerin vor ihrer zweiten Eheschließung keinen Anspruch auf Witwenrente nach ihrem ersten, verstorbenen Ehemann hatte, weil sie die nach damaligen Recht erforderlichen persönlichen Voraussetzungen nicht erfüllte, verneint. Der erkennende Senat hat sich der Auffassung des Großen Senats bereits in seinem Urteil vom 15. Februar 1962 in Sachen Wolf ./. LVA Baden (4 RJ 98/59) angeschlossen. Er trug keine Bedenken, diese Rechtsprechung fortzusetzen.

Für Witwen, die eine neue Ehe schließen und deren Rente aus diesem Grunde wegfällt (§ 1291 Abs. 1 RVO), sieht das ArVNG erstmalig das Wiederaufleben des Rentenanspruchs vor, wenn die neue Ehe ohne alleiniges oder überwiegendes Verschulden der Witwe aufgelöst oder für nichtig erklärt wird (§ 1291 Abs. 2 RVO). Dies gilt nach den Übergangsvorschriften auch für Ansprüche auf Witwenrente aus Versicherungsfällen vor dem Inkrafttreten des Gesetzes, sofern die neue Ehe nach diesem Zeitpunkt aufgelöst oder für nichtig erklärt worden ist (Art. 2 §§ 5, 26 Abs. 1 ArVNG). Dabei ist es gleichgültig, ob die Witwenrente vor dem 1. Januar 1957 nach § 1287 RVO aF oder nach dem 31. Dezember 1956 nach Art. 2 § 26 Abs. 2 ArVNG in Verbindung mit § 1291 Abs. 1 RVO weggefallen ist oder wegfällt. Wenn jedoch bei Schließung der zweiten Ehe die Voraussetzungen des Rentenbezugs in der Person der Witwe nicht erfüllt waren, läßt sich der Klageanspruch jedenfalls aus dem Wortlaut des Gesetzes nicht herleiten; denn ein Anspruch, der nicht bestand, konnte nicht durch Wiederverheiratung wegfallen (§ 1287 RVO aF) und kann deshalb auch nicht wiederaufleben.

Es war aber weiter zu prüfen, ob der Gesetzgeber sich in der Übergangsvorschrift des Art. 2 § 26 Abs. 1 ArVNG in Verbindung mit § 1291 Abs. 2 RVO nF mit den Worten "so lebt der Anspruch auf Witwenrente ... wieder auf" insofern im Ausdruck vergriffen hat, als nicht nur ein wegen Wiederverheiratung weggefallener Rentenanspruch Wiederaufleben, sondern auch ein Anspruch auf Witwenrente neu entstehen soll, dessen Voraussetzungen nach der Rechtslage in Zeitpunkt der Wiederverheiratung der Witwe nicht gegeben waren und der am 1. Januar 1957 wegen Bestehens der neuen Ehe nicht entstehen konnte. Diese Annahme liegt schon deshalb fern, weil der Unterschied zwischen dem Wiederaufleben und der Neuentstehung eines Anspruchs recht auffällig ist und auch die Ausdrücke "Anspruch" und "wiederaufleben" ihrem rechtlichen Gehalt nach klar und der Gesetzessprache geläufig sind. Auch die Entstehungsgeschichte des ArVNG und die Motive ergeben nichts für eine unrichtige Ausdrucksweise des Gesetzes. Nach der amtl. Begründung des Regierungsentwurfs (Deutscher Bundestag, 2. Wahlperiode, Drucks. Nr. 2437, zu §§ 1295, 1305 RVO) sollte durch die Aussicht, daß die bei der Wiederverheiratung wegfallende Rente unter bestimmten Voraussetzungen nach Auflösung der neuen Ehe wieder auflebt, ebenso wie durch die Erhöhung der Abfindung auf das Fünffache des Jahresbetrages (§ 1302 RVO) den Witwen ein Anreiz zur Wiederheirat gegeben und damit vor allem den unerwünschten Rentenkonkubinaten (Onkelehen) entgegengewirkt werden. Diesem besonders herausgestellten Zweck kann aber das von der Klägerin erstrebte Ergebnis - wie dies auch für viele durch die Übergangsvorschrift des Art. 2 § 26 Abs. 2 ArVNG erfaßte Altfälle gilt - nicht dienen, weil die Klägerin beim Inkrafttreten des ArVNG bereits wieder verheiratet war. Ebensowenig läßt sich für die Beantwortung der Frage, ob der Gesetzgeber sich im Ausdruck vergriffen hat, daraus entnehmen, daß es in der amtlichen Begründung zu § 1295 des Entwurfs des ArVNG (jetzt § 1291) heißt, mit den Abs. 2 und 3 sollten "gewisse Ungerechtigkeiten, die sich aus dem bisherigen Recht ergeben haben, beseitigt werden" (BT-Drucks. Nr. 2437 aaO). Hiermit ist nichts Konkretes über die Absichten des Gesetzgebers gesagt; vor allem läßt die Begründung nicht erkennen, inwieweit Ungerechtigkeiten lediglich für die Zukunft vermieden oder auch in Altfällen beseitigt werden sollten. Eine unzutreffende Ausdrucksweise ergibt sich also weder aus dem Gesetz selbst noch aus dem Sinnzusammenhang, und es darf deshalb nicht zu einer Berichtigung des Gesetzeswortlautes in dem von der Klägerin gewünschten Sinne geschritten werden.

Weiter war allerdings zu prüfen, ob eine analoge Anwendung des § 1291 Abs. 2 RVO nF in Verbindung mit Art. 2 § 26 Abs. 1 ArVNG in der Weise zulässig und geboten ist, daß auch ehemalige Witwen, bei denen im Zeitpunkt ihrer Wiederverheiratung die persönlichen Voraussetzungen für eine Witwenrente nicht vorlagen, die also damals lediglich eine "Aussicht" auf eine Rente hatten, mit der Auflösung der neuen Ehe einen Rentenanspruch unter denselben Voraussetzungen erwerben, unter denen er bei denjenigen Witwen wiederauflebt, die bereits vor ihrer Wiederverheiratung einen Anspruch auf Witwenrente hatten. Es ist kein Anhaltspunkt dafür gegeben, daß diese Frage bewußt unbeantwortet geblieben wäre, z.B. deshalb, weil man es der Rechtsprechung überlassen wollte, das Recht zu finden. Ein Analogieschluß wäre allerdings auch dann möglich, wenn sich aus dem Gesetz ergäbe, daß übersehen worden sei, einen Rentenanspruch für ehemalige Witwen in der Lage der Klägerin zu normieren. Dies ist jedoch nicht der Fall. Eine ergänzende Rechtsfindung setzt stets voraus, daß die Notwendigkeit der Ausdehnung einer gesetzlichen Regelung auf ähnliche Tatbestände sich den Gesetz selbst entnehmen läßt. Da nach dem ArVNG bei einem Teil der ehemaligen Witwen - nämlich bei denjenigen, deren neue Ehe vor dem 1. Januar 1957 aufgelöst worden ist - sogar ein bereits existent gewesener Anspruch nicht wieder auflebt, ist die Annahme nicht begründet, daß ehemaligen Witwen, die bisher keinen Anspruch auf Witwenrente hatten, ein solcher Anspruch nach dem sich aus dem Wortlaut und dem Sinn der Vorschriften des ArVNG über das Wiederaufleben eines Witwenrentenanspruchs erkennbaren objektivierten Willen des Gesetzgebers (vgl. BVerfG 1, 312) habe zuerkannt werden sollen. Auch aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes, die in Zweifelsfällen für eine ergänzende Rechtsfindung herangezogen werden kann, läßt sich nichts Entscheidendes für die Rechtsauffassung der Klägerin herleiten, obwohl als Ziel der Neuregelung klar hervortritt, den Arbeitern und ihren Hinterbliebenen im wesentlichen die gleiche Sicherung zu gewähren wie den Versicherten und ihren Hinterbliebenen in der Angestelltenversicherung, für die schon seit Jahrzehnten der Grundsatz der unbedingten Witwenrente galt (§ 68 AVG, § 32 AVG aF). Während die grundsätzliche Gleichstellung der Witwen in den beiden Zweigen der Rentenversicherung im Regierungsentwurf nur für die Zeit nach dem Inkrafttreten der Neuregelungsgesetze vorgesehen war (vgl. Deutscher Bundestag, 2. Wahlperiode, Drucks. Nr. 2437, 58), ging der Ausschuß für Sozialpolitik bei der Beratung des Entwurfs über dieses Ziel hinaus. In seinem schriftlichen Bericht heißt es in der Begründung zu Art. 2 § 17 (jetzt § 18) ArVNG: "Der Ausschuß hielt es für richtig, den Grundsatz der unbedingten Witwenrente - entgegen dem geltenden Recht und dem Regierungsentwurf - auch auf Todesfälle vor dem 1. Juni 1949 auszudehnen, um die Hinterbliebenen in der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten auch insoweit gleichzustellen." Diese Ausführungen lassen indessen nicht erkennen, daß die angeführte Gleichstellung auch für ehemalige, also wiederverheiratete Witwen von Arbeitern gelten sollte. Es fehlt somit an Anhaltspunkten dafür, daß es dem Sinn des Gesetzes entspräche, nicht nur Ansprüche von ehemaligen Witwen in der Rentenversicherung der Arbeiter unter gewissen Voraussetzungen wiederaufleben zu lassen, sondern unter diesen Voraussetzungen auch solchen Witwen einen Rentenanspruch zuzubilligen, die vor ihrer Wiederverheiratung nicht anspruchsberechtigt waren.

Für einen Analogieschluß läßt sich auch nicht begründet vorbringen, man unterstelle dem Gesetzgeber des ArVNG einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, wenn man annehme, er habe Witwen in der Lage der Klägerin bewußt schlechter stellen wollen als Witwen, die im Zeitpunkt ihrer Wiederverheiratung bereits anspruchsberechtigt waren. Der Gleichheitsgrundsatz verbietet anerkanntermaßen nur, daß wesentlich Gleiches ungleich, nicht aber, daß wesentlich Ungleiches entsprechend der bestehenden Ungleichheit ungleich behandelt wird; er soll nicht den Ermessensspielraum einengen, den das GG dem Gesetzgeber einräumt. Der Gleichheitsgrundsatz ist erst verletzt, wenn ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht ersichtlich ist, wenn die getroffene Regelung als willkürlich bezeichnet werden muß (vgl. BVerfG 1, 14, 16, Leitsatz 18 und S 52). Der Ausschluß der Klägerin vom Bezug der Witwenrente ist ebensowenig willkürlich wie das Nichtwiederaufleben eines früheren Rentenanspruchs für den Fall, daß die neue Ehe vor dem 1. Januar 1957 aufgelöst worden ist. Als sachlicher Grund dafür, daß das Gesetz für die Fallgruppe der Klägerin keine Rente gewährt, läßt sich vor allem der Umstand anführen, daß diese Witwen sich in ihrer Lebensweise noch nicht auf einen Rentenbezug eingestellt und durch ihre Wiederverheiratung keine wirtschaftlichen Werte aufgegeben hätten, daß also noch kein "Besitzstand" vorhanden war, der es hatte angezeigt erscheinen lassen, ihn nach Auflösung der neuen Ehe wieder zu begründen und zu festigen. Für den Gesetzgeber konnten auch finanzielle Erwägungen maßgebend sein, die oft von Bedeutung sein werden, wenn zu prüfen ist, ob und wieweit eine gesetzlich eingeführte Vergünstigung auf Tatbestände ausgedehnt werden kann, die in der Vergangenheit liegen und deshalb durch die Neuregelung nicht ohne weiteres erfaßt werden. Ob der Gesetzgeber des ArVNG gerade die hier angedeuteten Erwägungen angestellt hat, ist unerheblich; jedenfalls läßt sich nicht feststellen, daß ein vernünftiger sachlicher Grund für die vorgenommene Differenzierung nicht vorgelegen haben kann.

Es war schließlich zu prüfen, ob eine Fortbildung des Rechts durch abändernde Rechtsfindung (vgl. Enneccerus/Nipperdey aaO § 59) mit dem von der Klägerin erstrebten Ergebnis möglich ist. Auch diese Frage war zu verneinen. Da sich nach den obigen Ausführungen weder aus dem Wortlaut des Gesetzes noch aus seinem Sinnzusammenhang ergibt, daß der Grundsatz der unbedingten Witwenrente auch auf Fälle des früheren Rechts habe ausgedehnt werden sollen, in denen die Witwe im Zeitpunkt ihrer Wiederverheiratung noch keinen Anspruch auf Rente hatte, ist der grundsätzlich an Gesetz und Recht gebundene Richter (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht befugt, die von der Revision erstrebte Ausdehnung allein deshalb vorzunehmen, weil er sie für nicht unbillig oder gar für billig hält. Eine das Gesetz ändernde Rechtsfindung kommt, wie u.a. das BAG (NJW 1955, 807) mit Recht ausgeführt hat, nur bei Gesetzen in Frage, deren bisheriges Auslegung auf später überholten Rechtsanschauungen beruht, mit neueren Rechtsgrundsätzen nicht vereinbar ist und zu nicht mehr zu rechtfertigenden Ergebnissen führt und die deshalb im Interesse der Rechtseinheit und der Rechtsgleichheit mit dem neueren Recht in Übereinstimmung zu bringen sind (vgl. hierzu auch BGHZ 1, 90 und 315; BSG 10, 101). Diese Voraussetzungen liegen bei dem noch sehr jungen ArVNG nicht vor.

Wenn die Klägerin zusätzlich meint, daß ihr nach dem vom 1. Januar 1957 an geltenden Recht, d.h. nach § 1264 RVO in Verbindung mit Art. 2 § 18 ArVNG, ein Anspruch auf Witwenrente bereits seit Eintritt des Versicherungsfalles, d.h. des Todes ihres ersten Ehemannes, zustehe und dieser Anspruch bis zum 1. Januar 1957 lediglich als ruhend anzusehen sei, so hat sie nicht berücksichtigt, daß der Anspruch nach Art. 2 § 25 Abs. 2 ArVNG erst mit Wirkung vom 1. Januar 1957 entstanden sein könnte.

Da das Berufungsgericht daher zu Recht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen hat, war die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

Die Entscheidung ergeht mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2277303

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