Beteiligte

Kläger und Revisionsbeklagter

Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I.

Der Kläger begehrt von der Beklagten flexibles Altersruhegeld für die Zeit ab September 1988.

Der am 27. Juni 1928 geborene Kläger betrieb bis zum 2. Januar 1991 als selbständiger Bauunternehmer einen Betrieb für Hoch-, Tief- und Straßenbauarbeiten als Einzelfirma. Er war zunächst in der Handwerkerversicherung und dann freiwillig bei der Beklagten versichert. Er beschäftigte 50 bis 60 Mitarbeiter, darunter einen Geschäftsführer mit Handlungsvollmacht (Finanzrahmen bis 50.000,-- DM), eine weitere Prokuristin, zwei Bauingenieure, zwei kaufmännische Angestellte und zwei Schreibkräfte. Seit einer Operation im Juli 1984 übte er in seinem Büro überwachende Tätigkeiten aus. Dazu hielt er sich jeden zweiten Arbeitstag zwischen zehn Minuten und einer Stunde im Betrieb auf und ließ sich Bericht erstatten. Eine eigene Entscheidung hielt er sich bei Investitionen vor, die über 50.000,-- DM lagen. Im Jahre 1986 erzielte er aus dem Gewerbebetrieb Einkünfte in Höhe von über 150.000,-- DM. In den Folgejahren lag der jährliche Verdienst jedenfalls über 12.000,-- DM im Jahr.

Seit dem 1. Mai 1985 bezog der Kläger Berufsunfähigkeitsrente. Am 26. September 1988 beantragte er die Umwandlung der Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) in flexibles Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 16. Februar 1989; Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 1990). Der Kläger übe noch eine Erwerbstätigkeit aus, die über der Einkommensgrenze des § 1248 Abs. 4 Satz 1 Ziff b RVO liege.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 26. Juni 1990). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte verurteilt, die Rente des Klägers wegen BU ab 1. September 1988 in flexibles Altersruhegeld wegen Vollendung des 60. Lebensjahres umzuwandeln (Urteil vom 3. Dezember 1991). Es hat ausgeführt: Die selbständige Tätigkeit des Klägers sei rentenversicherungsrechtlich nicht relevant gewesen. Denn er sei nicht versicherungspflichtig gewesen. Der Kläger habe nach Beendigung seiner Pflichtversicherung nach dem Handwerkerversicherungsgesetz von seinem Recht, auf Antrag hin pflichtversichert zu werden (§ 1227 Abs. 1 Nr. 9 RVO) keinen Gebrauch gemacht.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 1248 RVO. Eine Erwerbstätigkeit, welche die in § 1248 Abs. 4 RVO genannte Grenze überschreite, stehe dem Altersruhegeld dann entgegen, wenn sie "ihrer Art nach grundsätzlich", d.h. ungeachtet der Bestimmungen über die Versicherungsfreiheit "denkbar rentenversicherungspflichtig" und in diesem Sinne "sozialversicherungsrechtlich relevant" sei.

Mit Wirkung vom 2. Januar 1991 hat der Kläger seinen Gewerbebetrieb veräußert. Die Beklagte hat in der Revisionsinstanz mitgeteilt, sie sei bereit, dem Kläger ab 1. Februar 1991 flexibles Altersruhegeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben soweit es die Zeit vor dem 1. Februar 1991 betrifft.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II.

Auf die Revision der Beklagten ist das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es dem Kläger Altersruhegeld für die Zeit zugesprochen hat, in der der Kläger noch Einkünfte aus gewerblicher Betätigung bezogen hat.

Für den vorliegenden Fall gilt noch das Recht der RVO. Ab dem 1. Januar 1992 ist zwar grundsätzlich an die Stelle der RVO das Sechste Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VI) getreten (Art 85 Abs. 1 Rentenreformgesetz 1992 ≪RRG≫; § 300 Abs. 1 SGB VI). Doch ist die RVO noch auf einen vor dem 1. Januar 1992 entstandenen Anspruch anzuwenden, wenn der Anspruch bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung der RVO geltend gemacht worden ist (§ 300 Abs. 2 SGB VI).

Aus § 1248 Abs. 4 Satz 1 Buchst b RVO ergibt sich, daß der Kläger keinen Anspruch auf flexibles Altersruhegeld hatte, solange er Einkünfte aus gewerblicher Tätigkeit bezog. Anspruch auf ein Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 1 RVO besteht danach dann nicht, wenn das Arbeitseinkommen des Antragstellers eine bestimmte Grenze überschreitet. Diese Grenze ist im Falle des Klägers überschritten; denn er hatte nach den für den erkennenden Senat gemäß § 163 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts vor seiner Geschäftsaufgabe ein jährliches Arbeitseinkommen von jeweils über 12.000,-- DM.

Der Kläger hat auch seine der Höhe nach erheblichen Einkünfte aus einer Einkunftsart bezogen, auf die es nach § 1248 Abs. 4 RVO ankommt. § 1248 Abs. 4 Satz 1 Buchst b RVO hat nicht etwa das Gesamteinkommen (vgl. § 16 Viertes Buch des Sozialgesetzbuches ≪SGB IV≫), sondern nur zwei ganz bestimmte, zwei aus dem Gesamteinkommen ausgewählte Arten von Einkommen des Versicherten für rentenschädlich erklärt, wobei diese beiden Einkunftsarten und ihre Rentenschädlichkeit durch die Quelle bestimmt werden, aus der sie stammen: einmal handelt es sich um die Quelle der unselbständigen Beschäftigung, zum anderen um den Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts. Das bedeutet, daß nur Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb und aus selbständiger Arbeit i.S. des Einkommensteuerrechts Arbeitseinkommen i.S. von § 15 SGB IV sein können. Alle aus anderen Quellen stammenden Einkommen, mögen sie noch so hoch und noch so nachhaltig sein, beeinträchtigen dagegen den Anspruch des Versicherten auf das flexible Altersruhegeld nicht: Einkünfte aus Kapitalvermögen (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 5 Einkommensteuergesetz ≪EStG≫); Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (vgl. §§ 2 Abs. 1 Nr. 6, 21 EStG), sonstige Einkünfte (vgl. §§ 2 Abs. 1 Nr. 7, 22 EStG, z.B. Spekulationsgewinne). Zwar bringen auch diese Einkünfte aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung und sonstige Einkünfte das Erfordernis eines gewissen persönlichen Einsatzes mit sich, ohne aber deshalb Einkünfte aus "selbständiger Tätigkeit" oder - ohne Hinzutreten weiterer Merkmale - Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu werden (insoweit ebenso bereits BSGE 53, 242, 243, 244 = SozR 2200 § 1248 Nr. 36). Daß die Einkünfte des Klägers aber solche aus Gewerbebetrieb gewesen sind, ist nicht zweifelhaft. Damit sind sie, da § 1248 Abs. 4 RVO lediglich auf diesen Umstand abstellt, "sozialrechtlich relevant". Dem § 1248 Abs. 4 RVO ist nicht etwa zu entnehmen, daß es neben den dort genannten Voraussetzungen ein weiteres unbestimmtes Tatbestandsmerkmal der "sozialrechtlichen Relevanz" gibt, bei dessen zusätzlichem Vorliegen Einkünfte aus Gewerbebetrieb erst rentenschädlich werden. Jede Auslegung findet ihre Grenze am Wortlaut einer Vorschrift. Eine Auslegung, die vom möglichen Wortsinn nicht mehr gedeckt wird, ist dem Richter verwehrt. Von einem zusätzlichen gesetzlichen Merkmal der "sozialrechtlichen Relevanz" ist im § 1248 Abs. 4 RVO keine Rede.

Die Annahme des LSG, § 1248 Abs. 4 RVO könne ein solches weiteres Merkmal enthalten, geht offenbar auf das Verständnis des LSG bezüglich der beiden vom LSG zitierten Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27. April 1982 und 31. Mai 1989 zurück (BSGE 53, 242 = SozR 2200 § 1248 Nr. 36 und BSGE 65, 113 = SozR 2200 § 1248 Nr. 48). Diese betreffen indes jeweils einen anderen Sachverhalt als den vorliegenden und schon deswegen ist der erkennende Senat an die dortigen Ausführungen über eine "sozialrechtliche Relevanz" nicht gebunden. In der erstgenannten Entscheidung handelt es sich um ein ehrenamtliches Stadtratsmitglied, das eine Aufwandsentschädigung bezog. Die "sozialrechtliche Irrelevanz" seiner Bezüge ergab sich bereits aus der Art seiner Einkünfte, die nach den damals bindenden tatsächlichen Feststellungen nur den Charakter einer Aufwandsentschädigung hatten. Die Aufwandsentschädigung eines Ehrenbeamten gehört zu keiner der in § 1248 Abs. 4 RVO genannten rentenschädlichen Einkunftsarten (BSGE 66, 150 = SozR 3-2200 § 1248 Nr. 1), ohne daß es dazu der Annahme bedarf, § 1248 Abs. 4 RVO enthalte ein im Gesetz nicht genanntes unbestimmtes Tatbestandsmerkmal der "sozialrechtlichen Relevanz", an dem es des weiteren fehle. Bei der Entscheidung des BSG vom 31. Mai 1989 ging es um die Einkünfte eines Vorstandsmitgliedes einer Brauerei, von dem das Urteil sagte: "Keiner Darlegung bedarf, daß der Kläger für seine Vorstandstätigkeit" Arbeitsentgelt "iS von § 14 Abs. 1 SGB IV, nämlich jährlich 60.000,-- DM erhalten hat". Schon daraus ergab sich die sozialrechtliche Relevanz dieses Entgelts bei der Prüfung der Entgeltgrenze des § 1248 Abs. 4 Satz 1 Buchst b RVO. Die weitere Darstellung, daß es sich auch um eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit gehandelt hatte, betonte diese Feststellung, ohne jedoch der damit schon geprüften "sozialrechtlichen Relevanz" etwas Erforderliches hinzuzufügen.

Bei den Ausführungen in den vom LSG genannten beiden Urteilen des BSG über die sozialrechtliche Relevanz handelt es sich somit jeweils um obiter dicta. Ein Urteil des BSG, das die Rentenunschädlichkeit von Einkommen deshalb verneint, weil es an einem angeblich geforderten zusätzlichen Merkmal der "sozialrechtlichen Relevanz" gefehlt hat, obwohl ein vom Gesetz genanntes rentenschädliches Entgelt oder Arbeitseinkommen vorgelegen hat, ist nicht bekannt. Es ist auch nicht der Sinn des § 1248 Abs. 4 RVO, bei einem unselbständig Beschäftigten einen strengen Maßstab anzulegen, dagegen bei den meist höheren, mitunter sogar sehr hohen Einkommen aus selbständiger Tätigkeit durch Einfügen eines zusätzlichen im Gesetz nicht auffindbaren Merkmals der "sozialrechtlichen Relevanz" Einkommen für den Regelfall als rentenunschädlich zu erklären.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518201

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