Leitsatz (amtlich)

1. Die Rücknahme eines Bescheides, mit dem ein Antrag auf Nachentrichtung freiwilliger Beiträge rechtswidrig abgelehnt worden ist, richtet sich nach § 44 Abs 2 SGB 10 und steht nach dessen Satz 2 im pflichtgemäßen Ermessen des Versicherungsträgers.

2. Für die Neubescheidung eines rechtswidrig abgelehnten Antrags auf Beitragsnachentrichtung sind grundsätzlich die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse maßgebend, wie sie im Zeitpunkt der Antragstellung bestanden.

3. Zur Höhe der Mindestbeiträge, insbesondere zur niedrigsten wählbaren Beitragsklasse (Beitragsberechnungsgrundlage) in Fällen einer Beitragsnachentrichtung nach vorangegangener Heiratserstattung (Art 2 § 28 ArVNG = Art 2 § 27 AnVNG).

 

Normenkette

SGB 10 § 44 Abs 2 S 2; ArVNG Art 2 § 28 Fassung: 1969-07-28; AnVNG Art 2 § 27 Fassung: 1969-07-28; SGB 10 § 44 Abs 1; SGB 10 Art 2 § 40 Abs 2 Fassung: 1980-08-18; RVO § 1388 Abs 1 Fassung: 1967-12-21; AVG § 115 Abs 1 Fassung: 1967-12-21; RVO § 1388 Abs 1 Fassung: 1972-10-16; AVG § 115 Abs 1 Fassung: 1972-10-16; RVO § 1419 Abs 3 Fassung: 1967-12-21; AVG § 141 Abs 3 Fassung: 1967-12-21

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 13.02.1985; Aktenzeichen L 4 An 48/84)

SG Lübeck (Entscheidung vom 03.04.1984; Aktenzeichen S 7 An 57/83)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Höhe der Mindestbeiträge bei Nachentrichtung freiwilliger Beiträge zur Angestelltenversicherung.

Die 1917 geborene Klägerin beantragte 1972 die Nachentrichtung von Beiträgen gemäß Art 2 § 27 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) im Hinblick darauf, daß ihr früher aus Anlaß ihrer Heirat Beiträge erstattet worden waren. Sie habe vom 1. März 1934 bis zum 31. Januar 1938 und vom 16. Februar 1944 an gearbeitet. Die Beitragserstattung wegen Heirat sei zwar nur für die Zeit nach der Währungsreform (vom 21. Juni 1948 bis zum 31. März 1959) durchgeführt worden. Die Nachentrichtung müsse aber auch für frühere Beschäftigungszeiten zulässig sein. Die Beklagte ließ mit Bescheid vom 4. August 1972 die Nachentrichtung von 130 Beiträgen der Klasse 100 zu je 17 DM für die Zeit von Juni 1948 bis März 1959 zu, lehnte sie aber gleichzeitig für die früheren Zeiten ab. Die hiergegen gerichtete Klage auf Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen der Klasse 100 auch für die Zeiten vor der Währungsreform (von März 1934 bis Januar 1938 und von Februar 1944 bis Juni 1948) hatte vor dem Sozialgericht (SG) Lübeck Erfolg (Urteil vom 27. April 1973). Auf die Berufung der Beklagten hob das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) dieses Urteil auf und wies die Klage ab (Urteil vom 5. Februar 1975). Das LSG ließ die Revision zu, die die Klägerin jedoch nicht einlegte.

Die Beklagte bewilligte der Klägerin, die bis März 1976 als Verwaltungsangestellte versicherungspflichtig beschäftigt gewesen war, aufgrund eines am 1. April 1976 eingetretenen Versicherungsfalles Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Rente wurde vom 1. September 1979 an in vorzeitiges Altersruhegeld umgewandelt. Mit Urteil vom 2. Juni 1982 (SozR 5750 Art 2 § 28 Nr 3) entschied der erkennende Senat in einem anderen Rechtsstreit, daß sich das Recht, Beiträge nach Art 2 § 27 AnVNG (= Art 2 § 28 ArVNG) nachzuentrichten, auch auf frühere Beitragszeiten erstreckt, die ohne Erstattung der für diese Zeiten entrichteten Beiträge untergegangen sind. Daraufhin beantragte die Klägerin im September 1982 bei der Beklagten, sie nunmehr zur Nachentrichtung von Beiträgen der Klasse 100 auch für Zeiten zuzulassen, für die ihr Nachentrichtungsbegehren früher erfolglos geblieben war. Mit Bescheid vom 25. Januar 1983 nahm die Beklagte ihren Bescheid vom 4. August 1972 gemäß § 44 Abs 2 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) insoweit zurück, als die Nachentrichtung für Zeiten vor der Währungsreform abgelehnt worden war, und ließ die Klägerin nunmehr auch zur Nachentrichtung von 95 Beiträgen für Zeiten bis Mai 1948 zu. Gleichzeitig entschied sie aber, daß die Nachentrichtung zum Beitragswert der früheren Klasse 100 nicht mehr zulässig, sondern der Mindestbeitrag des Jahres 1982 von monatlich 74 DM zu entrichten sei. Die Klägerin erhob Widerspruch und wollte die von ihr zunächst eingezahlten 1.710 DM als 95 Monatsbeiträge zu je 18 DM angerechnet haben, weil sie einen Anspruch "auf Folgenbeseitigung in ganzer Form" habe. Die Beklagte wies den Widerspruch gegen die Ablehnung der Annahme von 95 Beiträgen zu 18 DM zurück (Widerspruchsbescheid vom 23. März 1983).

Die Klägerin hat Klage beim SG Lübeck erhoben und beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides zu verurteilen, die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge in Höhe von monatlich 18 DM zu gestatten. Während des Klageverfahrens hat die Klägerin unter Vorbehalt einen weiteren Betrag eingezahlt. Damit hatte sie für den Fall, daß die Auffassung der Beklagten zutraf, insgesamt 95 Beiträge zu 74 DM entrichtet. Das SG hat jedoch der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, die Nachentrichtung in Höhe von 18 DM monatlich zuzulassen. Das LSG hat die Berufung der Beklagten durch Urteil vom 13. Februar 1985 zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte sei nach § 44 Abs 1 SGB 10 verpflichtet, die Nachentrichtung von Beiträgen in der 1972 geltenden niedrigsten Beitragsklasse 100 zu gestatten. Damals habe der Mindestbeitrag sogar nur 17 DM monatlich betragen. Soweit das SG die Beklagte zur Zulassung der Nachentrichtung zu Mindestbeiträgen von 18 DM verurteilt habe, sei das erstinstanzliche Urteil jedoch rechtskräftig geworden.

Gegen das Urteil des LSG hat die Beklagte die - vom LSG zugelassene - Revision eingelegt, mit der sie im wesentlichen geltend macht: Entgegen der Auffassung des LSG sei auf die Rücknahme des ablehnenden Bescheides vom 4. August 1972 nicht Abs 1, sondern Abs 2 des § 44 SGB 10 anzuwenden. Danach sei eine Rücknahme nur für die Zukunft vorgeschrieben (Satz 1), für die Vergangenheit stehe sie in ihrem (der Beklagten) Ermessen (Satz 2). Bei dessen Ausübung habe sie die Klägerin zwar so gestellt, wie wenn sie noch eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hätte. Hinsichtlich der Beitragshöhe könne sie sich jedoch über die zwingende Vorschrift des § 141 Abs 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) nicht hinwegsetzen. Sie habe auch in dem früheren Bescheid nicht über die Höhe der Beiträge entschieden und sei nicht gehalten, alle Folgewirkungen ihrer früheren Entscheidung abzuwenden. Die Entscheidungen der Vorinstanzen zwängen sie, Rentenleistungen für zurückliegende Zeiten aufgrund einer fiktiven Beitragsentrichtung nach dem Stand von 1972 zu erbringen, während die Beiträge der Versichertengemeinschaft erst seit 1983 zur Verfügung stünden.

Die Beklagte beantragt, die Urteile des LSG vom 13. Februar 1985 und des SG vom 3. April 1984 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß für die Beitragsnachentrichtung, die die Klägerin dem Grunde nach unstreitig vornehmen darf, auch hinsichtlich der Berechnungsgrundlage der Beiträge die Verhältnisse des Jahres 1972, in dem die Klägerin ihren Nachentrichtungsantrag gestellt hat, maßgebend sind.

Die Beklagte hat mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 25. Januar 1983 ihren früheren Bescheid vom 4. August 1972 im Anschluß an das Urteil des Senats vom 2. Juni 1982 (SozR 5750 Art 2 § 28 Nr 3) zurückgenommen, soweit sie damals die Nachentrichtung von Beiträgen für Zeiten vor Juni 1948 abgelehnt hatte. Sie hat die Klägerin nunmehr auch zur Nachentrichtung für die genannten Zeiten (insgesamt 95 Monate, endend mit dem Monat Mai 1948) zugelassen. Ferner hat sie in dem Bescheid vom 25. Januar 1983 über die - im vorliegenden Rechtsstreit allein noch umstrittene - Höhe der Beiträge entschieden, die die Klägerin nachentrichten will.

Bei ihrem Bescheid vom 25. Januar 1983 ist die Beklagte zutreffend davon ausgegangen, daß § 44 SGB 10 vom 18. August 1980 (BGBl I 1469) anzuwenden ist. Diese Vorschrift ist nach den Übergangs- und Schlußvorschriften zum SGB 10 am 1. Januar 1981 in Kraft getreten (Art II § 40 Abs 1 Satz 1). Sie galt daher schon, als die Beklagte den Bescheid vom 25. Januar 1983 erließ. Ihrer Anwendung steht nicht entgegen, daß der Bescheid, den die Beklagte zurückgenommen hat, soweit er die Klägerin belastete, noch vor Inkrafttreten des SGB 10, nämlich unter dem 4. August 1972, ergangen war. Denn nach Art II § 40 Abs 2 Sätze 1 und 2 SGB 10 ist § 44 SGB 10 auch anzuwenden, wenn nach dem 31. Dezember 1980 ein Verwaltungsakt aufgehoben wird und der aufzuhebende Verwaltungsakt vor dem 1. Januar 1981 erlassen worden ist. Ausgenommen sind nach Satz 3 der genannten Übergangsvorschrift nur solche Verwaltungsakte in der Sozialversicherung, die bereits bestandskräftig waren und bei denen auch nach § 1744 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der vor dem 1. Januar 1981 geltenden Fassung eine neue Prüfung nicht vorgenommen werden konnte. Ein solcher Verwaltungsakt war jedoch der Bescheid vom 4. August 1972 nicht, soweit darin die Nachentrichtung für bestimmte Zeiten abgelehnt wurde. Dabei kann offenbleiben, ob die Anwendung des § 1744 RVO auf Leistungsbescheide beschränkt war (vgl dazu BSGE 56, 165; 58, 49, 50). Denn jedenfalls war in § 1744 RVO die Rücknehmbarkeit rechtswidriger Bescheide nur zuungunsten des Betroffenen geregelt (BSGE -GS- 54, 223, 230/231), während es hier um eine Rücknahme des die Nachentrichtung ablehnenden Teils des früheren Bescheides, mithin um eine Rücknahme zugunsten der Klägerin geht.

Der Beklagten ist auch darin zuzustimmen, daß hier der Abs 2 des § 44 SGB 10 anzuwenden ist und nicht, wie das LSG angenommen hat, der Abs 1 dieser Vorschrift. Abs 1 gilt, wie sich aus seinem Satz 1 ergibt, nur für die Rücknahme von Verwaltungsakten, aufgrund deren Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Der Bescheid vom 4. August 1972, in dem über das Recht der Klägerin zur Beitragsnachentrichtung entschieden worden ist, war kein Leistungs- oder Beitragsbescheid in diesem Sinne. Er gehörte vielmehr zu den übrigen Verwaltungsakten, deren Rücknahme sich nach § 44 Abs 2 SGB 10 richtet. Nach Satz 1 dieser Vorschrift ist ein rechtswidriger, nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, für die Zukunft zurückzunehmen. Nach Satz 2 kann er auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Daß der Bescheid vom 4. August 1972, soweit er die Nachentrichtung ablehnte, nach dem erwähnten Urteil des Senats (SozR 5750 Art 2 § 28 Nr 3) rechtswidrig und auch nicht begünstigend war, hat die Beklagte zutreffend angenommen.

Die Unterscheidung zwischen der Rücknahme eines solchen Bescheides für die Zukunft - zu ihr ist der Versicherungsträger auch in den Fällen des § 44 Abs 2 SGB 10 stets verpflichtet - und einer Rücknahme für die Vergangenheit - sie liegt, nach dieser Vorschrift in seinem Ermessen - hat auch Bedeutung, wenn ein Antrag auf Entrichtung freiwilliger Beiträge zu Unrecht abgelehnt worden ist. Das wird deutlich, wenn ein Antragsteller sowohl die Entrichtung laufender Beiträge wie auch eine Beitragsnachentrichtung beantragt hatte und der Versicherungsträger das abgelehnt hatte. Dann muß er den früheren rechtswidrigen Bescheid zurücknehmen, soweit er die Entrichtung von Beiträgen für die Zukunft betrifft; im übrigen, dh hinsichtlich der Beitragsnachentrichtung, steht die Rücknahme in seinem Ermessen. Hatte aber der Antragsteller, wie die Klägerin, nur eine Nachentrichtung von Beiträgen beantragt, so hat der Versicherungsträger über die Rücknahme des Ablehnungsbescheids in vollem Umfang nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden. Wie dieses Ermessen im Einzelfall auszuüben ist, ob es sich insbesondere uU einer Rücknahmeverpflichtung nähern oder sogar auf eine solche reduzieren kann, hat der Senat im vorliegenden Fall offen lassen können; denn tatsächlich hat die Beklagte bereits, soweit sie die Beitragsnachentrichtung früher abgelehnt hatte, von ihrem Ermessen zugunsten der Klägerin Gebrauch gemacht und den ablehnenden Teil ihres früheren Bescheides vom 4. August 1972 zurückgenommen.

Zugleich hat sie in ihrem neuen Bescheid vom 25. Januar 1983 über den Nachentrichtungsantrag der Klägerin vom Jahre 1972 neu entschieden und die Klägerin auch für die Zeit vor Juni 1948 zur Nachentrichtung zugelassen. Bei dieser neuen, ihren früheren Bescheid ersetzenden Entscheidung mußte sie von den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen des Antragsjahres ausgehen, jedenfalls wenn dies für die Klägerin günstiger war und von ihr, wie geschehen, beantragt wurde. Das ergibt sich schon aus dem Restitutionsgedanken, der der Vorschrift des § 44 SGB 10 allgemein zugrunde liegt (vgl dazu Hauck/Haines, SGB 10, K § 44, RdNr 32; nach deren Ansicht folgt aus der Rücknahme eines rechtswidrigen Bescheids zugleich die Verpflichtung der Verwaltung zur Herstellung des Zustands, der ohne ihr rechtswidriges Verhalten bestanden hätte, soweit dies mit hoheitlichen Mitteln möglich ist). Für den Bereich der Beitragsnachentrichtung kommt hinzu, daß das Nachentrichtungsrecht, soweit es von einem Antrag abhängt, erst mit der Antragstellung entsteht und daß deshalb die Prüfung, ob die Voraussetzungen des Nachentrichtungsrechts vorliegen, grundsätzlich auf den Antragszeitpunkt zu beziehen ist (vgl BSGE 50, 21, 22).

Tatsächlich ist die Beklagte bei Erlaß ihres neuen Bescheides vom 25. Januar 1983 von den Verhältnissen des Antragsjahres 1972 ausgegangen, soweit es sich darum handelt, ob die Klägerin (wie für die Anwendung des Art 2 § 27 AnVNG erforderlich) bei der Antragstellung eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat. Die Klägerin hat eine solche Beschäftigung nur bis März 1976 ausgeübt, also zwar noch zZ ihres Nachentrichtungsantrags von 1972, dagegen nicht mehr bei ihrem Überprüfungsantrag von 1982. Trotzdem hat die Beklagte insoweit mit Recht nicht auf die Verhältnisse des Jahres 1982, sondern die des Jahres 1972 abgestellt.

Das gleiche muß aber auch gelten, wenn es sich nicht um den Grund des Nachentrichtungsrechts, sondern um die Höhe der nachzuentrichtenden Beiträge handelt. Auch dafür ist mithin von den Verhältnissen des Jahres 1972 auszugehen, auch von den rechtlichen Verhältnissen, die damals für die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach Art 2 § 27 AnVNG maßgebend waren. Insoweit verweist diese Vorschrift, die am 1. August 1969 in Kraft getreten und seitdem nicht mehr geändert worden ist (Art 2 § 2 Nr 6, Art 5 § 3 Abs 1 des Dritten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes vom 28. Juli 1969, BGBl I 956), in ihrem Abs 2 Satz 4 auf eine schon früher in Kraft getretene Nachentrichtungsregelung in Art 2 § 50 Abs 1 Satz 3 AnVNG, wonach die Beiträge in den Beitragsklassen des § 115 AVG nachzuentrichten sind.

§ 115 AVG, der die Höhe freiwilliger Beiträge regelt, schrieb in der seinerzeit (1972) maßgebenden Fassung die Bildung bestimmter Beitragsklassen vor, die in einer Rechtsverordnung in Anlehnung an die für die Pflichtversicherung vorgesehenen Klassen festzulegen waren (Art 1 § 2 Nr 16 des Finanzänderungsgesetzes 1967 vom 21. Dezember 1967, BGBl I 1259). Danach galten im Jahre 1972 für die freiwillige Versicherung - entsprechend den Beitragsklassen für die Pflichtversicherung der Selbstzahler - Beitragsklassen von 100 bis 2100 (§ 2 der RV-Beitragsklassen-Verordnung 1972 vom 21. Dezember 1971, BGBl I 2074). Unter diesen Beitragsklassen durfte die Klägerin wählen, wobei ihr allerdings nach oben gewisse Grenzen gesetzt waren, die sich an den Beitragsbemessungsgrenzen jeweils des Jahres orientierten, für das die Beiträge gelten sollten (Art 2 § 50 Abs 1 Satz 3 idF von Art 2 § 2 Nr 7 des Dritten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes; zur Wahlfreiheit der nach Art 2 § 27 AnVNG Nachentrichtungsberechtigten vgl im übrigen den Schriftlichen Bericht des Bundestags-Ausschusses für Sozialpolitik, auf dessen Veranlassung die fragliche Nachentrichtungsvorschrift in den Regierungsentwurf eingefügt wurde, zu BT-Drucks V/4474, S 7 unter 2).

Ihr Wahlrecht hat die Klägerin im Widerspruchsschreiben vom 3. Mai 1972 an die Beklagte und in der Verhandlung vor dem SG vom 27. Februar 1973 dahin ausgeübt, daß sie auch für die streitigen Zeiten Beiträge nach der Klasse 100 nachentrichten wolle. Von dieser Berechnungsgrundlage hätte deshalb die Beklagte auch bei Erlaß des Überprüfungsbescheids vom 25. Januar 1983 ausgehen und demgemäß die Klägerin zur Nachentrichtung zulassen müssen.

Daran war sie nicht deswegen gehindert, weil inzwischen - bei Eingang des Überprüfungsantrags der Klägerin im Jahre 1982 - die niedrigste Beitragsberechnungsgrundlage von 100 über 200 und 400 auf 410 DM angehoben worden war (§ 115 Abs 1 AVG idF des Art 6 § 1 Nr 11 des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes vom 22. Dezember 1981 - BGBl I S 1497 - iVm § 18 SGB 4 und der Bekanntmachung vom 16. November 1981, BAnz Nr 221, S 1). Diese neue Mindestberechnungsgrundlage galt zwar auch für freiwillig nachzuentrichtende Beiträge nach Art 2 § 27 AnVNG, jedoch nur, wenn die Nachentrichtung erstmals im Jahre 1982 beantragt wurde, nicht dagegen bei früheren Anträgen, über die im Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB 10 neu zu entscheiden war.

Was die Beklagte demgegenüber für ihre Auffassung vorbringt, hier sei die für 1982 festgesetzte Mindestberechnungsgrundlage anzuwenden (sie ergibt bei einem Beitragssatz von 18 vH einen Mindestbeitrag von monatlich 74 DM), rechtfertigt keine andere Entscheidung. § 141 Abs 3 AVG (= § 1419 Abs 3 RVO), auf den die Beklagte sich dabei beruft, regelt die Frage, in welcher Höhe freiwillige Beiträge nach einer Änderung des in § 112 Abs 1 AVG (= § 1385 Abs 1 RVO) bestimmten Beitragssatzes zu entrichten sind. Im vorliegenden Fall geht es aber nicht um die Höhe des Beitragssatzes; ihn hat das SG auf 18 vH beziffert, die Klägerin hat dagegen kein Rechtsmittel eingelegt. Streitig ist vielmehr nur die Beitragsberechnungsgrundlage, auf die der genannte Beitragssatz anzuwenden ist und die für die hier maßgebende Zeit in § 115 AVG (= § 1388 RVO) und in der erwähnten Rechtsverordnung geregelt war. Im übrigen ist zweifelhaft, ob § 141 Abs 3 AVG (= § 1419 Abs 3 RVO) überhaupt anzuwenden ist, wenn ein früherer, die Nachentrichtung ablehnender Bescheid zurückgenommen wird. Der Umstand, daß die Vorschrift nach ihrer Entstehungsgeschichte lediglich der Verwaltungsvereinfachung dienen sollte (zu BT-Drucks V/2341, S 8, zu Nr 20), könnte dafür sprechen, daß sie nur bei einer erstmaligen Entscheidung über die Beitragshöhe anwendbar ist. Praktische Schwierigkeiten, die früher - solange freiwillige Beiträge in der Regel noch im Markenverfahren zu entrichten waren - bei einer Nachentrichtung für weit zurückliegende Zeiten wegen der dann möglicherweise nicht mehr vorrätigen Beitragsmarken entstehen konnten, waren und sind bei einer Beitragsnachentrichtung nach Art 2 § 27 AnVNG nicht zu befürchten; denn insoweit mußten die Beiträge seit jeher unmittelbar an den zuständigen Versicherungsträger entrichtet werden (Abs 2 Satz 3).

Daß die streitigen Beiträge, obwohl sie der Versichertengemeinschaft erst 1983 zugeflossen sind, sich auch auf die von der Klägerin seit 1976 bezogene Rente auswirken, gilt unabhängig davon, nach welchen Vorschriften die Höhe der Beiträge zu berechnen ist, ob noch nach der Berechnungsgrundlage, die für 1972 galt, oder nach der späteren für 1982. Höhere Beiträge von monatlich 74 DM statt von 18 DM würden sich dabei nicht nur in höheren Rentenleistungen niederschlagen. Hier würde die Klägerin sogar mit den höheren Beiträgen, wie die Beklagte errechnet hat, Rentenleistungen erhalten, die weit höher wären als ihr Beitragsmehraufwand. Trotz dieser wirtschaftlich nachteiligen Folgen, die die Auffassung der Beklagten für die Versichertengemeinschaft hätte, hat der Senat für die Revision der Beklagten das Rechtsschutzinteresse bejaht, weil sie als Versicherungsträger in der Lage sein muß, die dem Gesetz entsprechende Beitragshöhe klären zu lassen. Andererseits konnte der Klägerin das Rechtsschutzinteresse für ihre Klage nicht versagt werden. Sie hat im Falle des Obsiegens niedrigere Beiträge zu entrichten, als wenn die Ansicht der Beklagten zuträfe. Daß dieses auch niedrigere Rentenleistungen nach sich zieht, will die Klägerin anscheinend in Kauf nehmen, weil sie sich als Ausgleich höhere Leistungen aus einer Zusatzversorgung verspricht.

Die Revision der Beklagten erwies sich hiernach als unbegründet; sie war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 143

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