Entscheidungsstichwort (Thema)

Kostenerstattung. KVdR. Beginn der Mitgliedschaft. griechischer Rentner/Rentenbewerber mit Wohnsitz in Griechenland

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein Versicherter hat einen Anspruch auf Kostenerstattung als Ausnahme von dem Sachleistungsgrundsatz auch dann, wenn er nicht zuvor versucht hat, die Sachleistung zu erlangen, jedoch von vornherein festgestanden hat, daß ihm diese Leistung von seiner Krankenkasse verweigert worden wäre.

 

Orientierungssatz

1. Gemäß Art 15 Abs 1, letzter Halbsatz, des deutsch-griechischen Abkommens finden auf Versicherte, die sich gewöhnlich in Griechenland aufhalten, die deutschen Rechtsvorschriften in gleicher Weise Anwendung, als ob sie sich im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland gewöhnlich aufhielten.

2. Zur Frage, ob die Mitgliedschaft eines Rentners/Rentenbewerbers mit Wohnsitz in Griechenland in der KVdR in jedem Falle bereits mit der Stellung des Rentenantrages oder erst mit dem Rentenbeginn beginnt.

 

Normenkette

SozSichAbk GRC Art. 15 Abs. 1; RVO § 165 Abs. 1 Nr. 3, §§ 315a, 306 Abs. 2, § 182 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 09.02.1984; Aktenzeichen L 16 Kr 91/82)

SG Köln (Entscheidung vom 10.05.1982; Aktenzeichen S 19 (4) Kr 80/80)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger die ihm in der Zeit zwischen dem 1. Januar 1978 und dem 19. Juli 1979 in Griechenland entstandenen Krankheitskosten zu erstatten hat.

Der Kläger ist griechischer Staatsangehöriger. Er war in der Bundesrepublik Deutschland erwerbstätig und ist 1976 in seine Heimat zurückgekehrt. Von hier aus beantragte er 1976 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit aus der deutschen Rentenversicherung. Die Landesversicherungsanstalt (LVA) Rheinprovinz stellte in ihrem Bescheid vom 19. Juli 1979 den 9. September 1976 als Tag des Versicherungsfalles fest; sie gewährte dem Kläger ab 11. März 1977 zunächst auf Zeit, später auf Dauer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Der Kläger beansprucht von der Beklagten die Erstattung der von ihm in der Zeit zwischen dem 1. Januar 1978 und dem 18. Juli 1979 verauslagten Arzt- und Arzneimittelkosten. Dieses Begehren lehnte die Beklagte mit dem Bescheid vom 5. März 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juni 1981 mit der Begründung ab, der Kläger sei frühestens am 19. Juli 1979 im Rahmen der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) Mitglied der Beklagten geworden; dies ergebe sich aus Art 15 Abs 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland über Soziale Sicherheit (deutsch-griechisches Abkommen) vom 25. April 1961 (BGBl II 1963, 679).

Das Sozialgericht (SG) Köln hat die Beklagte verurteilt, die Krankenversicherung des Klägers in der KVdR ab 11. März 1977 insoweit durchzuführen, als sie die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen in gesetzlicher Höhe zu erstatten habe. Das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen: Die Zugehörigkeit des Klägers zur deutschen KVdR während der streitigen Zeit folge aus Art 15 Abs 1 des deutsch-griechischen Abkommens. Durch den Rentenbescheid vom 19. Juli 1979 sei festgestellt worden, daß die Mitgliedschaftsvoraussetzungen bereits zum Zeitpunkt des Rentenbeginns vorgelegen hätten; der Kläger sei daher auch ab März 1977 im Rahmen der KVdR Mitglied der Beklagten. Seinem Erstattungsbegehren stehe auch nicht entgegen, daß ihm sowohl nach dem innerstaatlichen deutschen Recht als auch nach dem deutsch-griechischen Abkommen nur ein Sachleistungsanspruch zustehe. Die Beklagte habe dem Kläger die Leistungen aus der Krankenversicherung objektiv zu Unrecht vorenthalten, so daß er sich diese Leistungen selbst habe beschaffen müssen; sein Sachleistungsanspruch habe sich daher in einen Kostenerstattungsanspruch umgewandelt.

Die Beklagte rügt mit ihrer - vom LSG zugelassenen - Revision die Verletzung des Art 15 des deutsch-griechischen Abkommens. Die Abkommenspartner hätten durch Art 15 Abs 1, 2. Alternative, des deutsch-griechischen Abkommens den Fall der rückwirkenden Rentenzubilligung nicht erfassen wollen. Das LSG habe auch nicht beachtet, daß im umgekehrten Fall nach griechischem Recht die Beantragung einer griechischen Rente durch einen in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Antragsteller nicht zu einem rückwirkenden Krankenversicherungsschutz führe. Diese Gegenseitigkeitsregelung sei ausschlaggebend dafür, daß ein dem § 315a der Reichsversicherungsordnung (RVO) entsprechender Krankenversicherungsschutz für griechische Rentenantragsteller nicht vorgesehen sei. Dies ergebe sich auch aus Art 14 der Zusatzvereinbarung zur Durchführung und Ergänzung des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland über Soziale Sicherheit vom 28. März 1962 (BGBl II 1963, 1191) über die Notwendigkeit der Einschreibung beim Versicherungsträger des Aufenthaltsortes zur Erlangung von Krankenversicherungsleistungen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 9. Februar 1984 und das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 10. Mai 1982 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Beklagte zutreffend dem Grunde nach verurteilt, dem Kläger die in der streitigen Zeit entstandenen Krankheitskosten zu erstatten.

Nach Art 15 Abs 1 des deutsch-griechischen Abkommens - das Recht der Europäischen Gemeinschaft ist hier noch nicht anzuwenden - bestimmen sich die Versicherungspflicht oder die Versicherungsberechtigung eines griechischen Staatsbürgers in der deutschen Krankenversicherung nach deutschem Recht, wenn er sich zwar gewöhnlich in Griechenland aufhält, aber nach deutschen Rechtsvorschriften eine Rente bezieht oder - allein diese Variante kann für die streitige Zeit entscheidungserheblich werden - die Voraussetzungen für den Bezug einer solchen Rente erfüllt und diese Sozialleistung beantragt hat. Gemäß Art 15 Abs 1, letzter Halbsatz, des deutsch-griechischen Abkommens finden auf Versicherte, die sich gewöhnlich in Griechenland aufhalten, die deutschen Rechtsvorschriften in gleicher Weise Anwendung, als ob sie sich im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland gewöhnlich aufhielten. Durch diese Regelung soll die soziale Sicherheit der in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt gewesenen Griechen nach deutschem Recht auch nach ihrer Rückkehr nach Griechenland sichergestellt werden (vgl Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik vom 20. Februar 1963 zum Gesetzentwurf des deutschgriechischen Abkommens -BT-Drucks IV/1013-).

Nach dem Regelungsgehalt des deutsch-griechischen Abkommens sowie nach dem vom deutschen Gesetzgeber mit dem Ratifikationsgesetz vom 25. April 1961 verfolgten Zweck war daher nicht - wie die Beklagte meint - beabsichtigt, eine Gegenseitigkeit in dem Sinne zu begründen, daß ein in Griechenland wohnender Rentenantragsteller bei rückwirkender Zubilligung der Rente nur dann auch einen rückwirkenden Krankenversicherungsschutz haben sollte, wenn im umgekehrten Fall auch der deutsche Antragsteller, der eine griechische Rente beantragt hat, krankenversichert wäre. Die vereinbarte Gegenseitigkeit besagt vielmehr allein, daß sowohl griechische als auch deutsche Versicherte den gleichen Anspruch nach den Rechtsvorschriften des anderen Landes haben sollen, wobei jedoch die Ausgestaltung des jeweiligen nationalen Rechts unberührt bleibt.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Mitgliedschaft des Klägers in der KVdR in jedem Falle bereits mit der Stellung des Rentenantrages oder erst mit dem Rentenbeginn begonnen hat. Der Wortlaut des Art 15 Abs 1 des deutsch-griechischen Abkommens (eine Person, die ...die Voraussetzungen für den Bezug einer ...Rente erfüllt und die Rente beantragt hat, ...) spricht im Hinblick auf seine Übereinstimmung mit dem einleitenden Halbsatz in § 165 Abs 1 Nr 3 RVO dafür, daß die Abkommenspartner den Krankenversicherungsschutz in der deutschen KVdR für griechische Rentenantragsteller nur auf die versicherungspflichtigen Rentenbewerber im Sinne des § 165 Abs 1 Nr 3 RVO erstrecken und nicht auch die fiktive Mitgliedschaft der Rentenantragsteller, die die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente nicht erfüllen (§ 315a RVO), für die Dauer des Rentenverfahrens begründen wollten. Hingegen spricht dafür, daß in der in Art 15 Abs 1 des deutschgriechischen Abkommens getroffenen Vereinbarung auch die fiktive Mitgliedschaft der Rentenbewerber erfaßt worden sein könnte, neben der vorerwähnten allgemeinen Zielsetzung des deutschgriechischen Abkommens (BT-Drucks IV/1013) auch, daß bei einer am Wortlaut des Art 15 Abs 1 des deutsch-griechischen Abkommens haftenden Auslegung die dann während des Laufes des Rentenverfahrens bestehende Unsicherheit über die Mitgliedschaft zur Krankenversicherung nicht vermieden werden könnte; gerade das ist das - allerdings mit einer eigenen Beitragsverpflichtung des Rentenbewerbers verbundene - Ziel der Regelung des § 315a RVO. Die Frage kann hier aber dahingestellt bleiben, weil der Kläger jedenfalls während der Zeit, während der er Krankenpflege benötigt hat, sämtliche Voraussetzungen sowohl des Art 15 Abs 1 des deutsch-griechischen Abkommens als auch des § 165 Abs 1 Nr 3 RVO erfüllt und demgemäß seine Mitgliedschaft jedenfalls vom Tage des Rentenbeginns an bestanden hat.

Zu beachten ist aber, daß das Mitgliedschaftsverhältnis im Sinne des Art 15 Abs 1 des deutsch-griechischen Abkommens iVm § 165 Abs 1 Nr 3 RVO die Mitwirkungspflicht des Rentenbewerbers gemäß § 317 Abs 4 RVO auslöst, damit die zuständige Krankenkasse das Versicherungsverhältnis überhaupt durchführen kann. Gemäß § 317 Abs 4 Satz 1 RVO müssen die in § 165 Abs 1 Nr 3 RVO bezeichneten Personen, die eine Rente aus der Rentenversicherung beantragen, mit dem Antrag eine Meldung für die zuständige Krankenkasse einreichen, die der Rentenversicherungsträger gemäß § 317 Abs 4 Satz 2 RVO unverzüglich an die zuständige Krankenkasse weiterzugeben hat. Diese Verpflichtung hat auch der griechische Rentenbewerber zu erfüllen, weil ihn infolge der durch Art 15 Abs 1 des deutsch-griechischen Abkommens erfolgten Einsetzung in die Position des Versicherten im Sinne des § 165 Abs 1 Nr 3 RVO auch dessen Mitwirkungspflicht im Sinne des § 317 Abs 4 Satz 1 RVO trifft. Diese Regelung wird für die griechischen Rentner ergänzt durch Art 14 der Zusatzvereinbarung vom 28. März 1962 zur Durchführung und Ergänzung des Abkommens vom 25. April 1961 (BGBl II 1963, 1191, 1197). Hiernach sind die in Art 15 Abs 1 des deutsch-griechischen Abkommens genannten Personen verpflichtet, sich bei dem Träger des Aufenthaltsorts einzuschreiben, um Sachleistungen zu erhalten.

Für den vom Kläger hier geltend gemachten Erstattungsanspruch ist jedoch nicht entscheidungserheblich, ob der Kläger den Antrag gemäß § 317 Abs 4 RVO überhaupt gestellt hat, ob die Antragstellung gegebenenfalls aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen unterblieben ist und aus welchen Gründen die Gewährung der Sachleistung nach Maßgabe der Durchführungsvorschrift des Art 14 der Zusatzvereinbarung durch den griechischen Sozialversicherungsträger unterblieben ist. Denn der Sachleistungsanspruch des Klägers hat sich, wie das LSG zutreffend angenommen hat, in einen Kostenerstattungsanspruch gewandelt. Der erkennende Senat hat in dem Urteil vom 14. Dezember 1982 - 8 RK 23/81 - (SozR 2200 § 182 Nr 86 mwN) entschieden, daß ein Kostenerstattungsanspruch als Ausnahme von dem Sachleistungsgrundsatz nicht erst dann besteht, wenn die Krankenkasse den Antrag des Versicherten auf Gewährung einer Sachleistung zu Unrecht abgelehnt und ihn dadurch zur Behandlung auf eigene Kosten gezwungen hat, sondern auch schon dann, wenn der Versicherte zwar nicht versucht hat, die Sachleistung zu erlangen, jedoch von vornherein festgestanden hat, daß ihm diese Leistung verweigert worden wäre. Der Senat hat es für eine unnötige und sachwidrige Erschwerung gehalten, einem Versicherten, der notwendiger Krankenpflege bedarf, zuzumuten, sich um diese Leistung zu bemühen, wenn dieses Bemühen von vornherein aussichtslos ist; auch in einem solchen Fall zwinge das rechtswidrige Verhalten der Krankenkasse den Versicherten, sich die Krankenpflegeleistung selbst zu beschaffen.

Daß die dem Kläger in der streitigen Zeit entstandenen Krankheitskosten notwendig gewesen sind, hat das LSG festgestellt; da die Revisionsklägerin diese Feststellung nicht angegriffen hat, ist der Senat an sie gebunden. Ebenso hat nach den Feststellungen des LSG von vornherein festgestanden, daß die Beklagte dem Kläger die Sachleistung verweigert hätte, weil die Beklagte bereits in der Begründung des angefochtenen Bescheides und während des gesamten gerichtlichen Verfahrens die Auffassung vertreten hat, die Mitgliedschaft des Klägers und damit sein Anspruch auf Gewährung der Krankenpflege habe erst mit der Erteilung des Rentenbescheides begonnen. Die Beklagte hätte daher auch dann, wenn der Kläger seiner Meldepflicht gemäß § 317 Abs 4 RVO nachgekommen wäre, die nach Art 14 der Zusatzvereinbarung für die Durchführung der Sachleistung durch den griechischen Sozialversicherungsträger erforderliche Bescheinigung nicht erteilt und damit die Gewährung der Sachleistung zu Unrecht abgelehnt und den Kläger zur Behandlung auf eigene Kosten gezwungen.

Dementsprechend hat das LSG die Beklagte zu Recht dem Grunde nach zur Kostenerstattung verurteilt. Die Frage, ob die vom Kläger geltend gemachten Kosten angemessen sind, gehört nicht in das Grundverfahren, sondern ist im Betragsverfahren zu prüfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1660944

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