Leitsatz (amtlich)

1. Die Verrechnung von Arbeitslosengeld gegen eine Beitragsforderung erfordert, soweit es auf den Eintritt von Sozialhilfebedürftigkeit ankommt, Feststellungen zu den Aufwendungen für Unterkunft.

2. Bei der Prüfung der Sozialhilfebedürftigkeit ist Kindergeld als Einkommen zu berücksichtigen (Abgrenzung zu BSG vom 25.3.1982 - 10 RKg 2/81 = BSGE 53, 208 = SozR 1200 § 52 Nr 6).

 

Orientierungssatz

1. Auf das Einkommen anderer Personen einer Haushaltsgemeinschaft iS des § 11 BSHG kann nur zurückgegriffen werden, soweit der Gesamtbedarf der Haushaltsgemeinschaft durch das Gesamteinkommen gedeckt ist.

2. Eine Einschränkung des Amtsermittlungsgrundsatzes dahin, daß die Kosten der Unterkunft vom Bürger nachgewiesen werden müssen, läßt sich dem § 54 Abs 6 SGB 1 auch in der Fassung durch das 1. SGB-ÄndG vom 20.7.1988 nicht entnehmen.

3. Das Heranziehen der Pfändungsfreigrenzen nach § 850c ZPO bei der Berechnung der Aufrechnungsschutzgrenze im Rahmen des § 51 Abs 2 SGB 1 durch die BA ist nicht zu beanstanden, soweit sie zu einem geringeren Verrechnungsbetrag führt, als die Grenze der Hilfebedürftigkeit.

 

Normenkette

SGB 1 § 51 Abs 2, §§ 52, 54 Abs 3 Fassung: 1988-07-20; BSHG § 76 Abs 1, § 77 Abs 1, § 11; SGB 1 § 54 Abs 6; ZPO § 850c

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 22.11.1988; Aktenzeichen L 7 Ar 154/87)

SG Lüneburg (Entscheidung vom 22.04.1987; Aktenzeichen S 13 Ar 299/85)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) nach § 52 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB 1) berechtigt ist, Beitragsschulden des Klägers an die beigeladene Berufsgenossenschaft unter Berücksichtigung eines Anspruchs auf Kindergeld mit dem ihm zustehenden Arbeitslosengeld (Alg) zu verrechnen.

Der Kläger bezog Alg ab 3. Januar 1985. Im Februar 1985 beantragte die beigeladene Berufsgenossenschaft bei der beklagten BA, ihre rückständigen Beitragsforderungen gegen den Kläger gemäß § 52 SGB 1 zu verrechnen.

Der Kläger erhielt Alg in Höhe von 331,80 DM wöchentlich und für seine drei in der Ausbildung befindlichen Kinder anteilig Kindergeld in Höhe von 370,-- DM monatlich (= 85,38 DM wöchentlich). Seine Ehefrau erzielte ein monatliches Nettoeinkommen von 837,24 DM.

Die Beklagte setzte gegenüber dem Kläger nach dessen Anhörung den Verrechnungsbetrag für die Zeit ab dem 15. Februar 1985 auf wöchentlich 57,18 DM fest (Bescheid vom 14. Mai 1985; Widerspruchsbescheid vom 4. September 1985). Damit der Kläger bei der Verrechnung nicht hilfsbedürftig im Sinne des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) werde, war der Verrechnungsbetrag so bemessen, daß dem Kläger von Alg und Kindergeld ein Betrag von wöchentlich 360,-- DM (im Urteil S 3 irrig 369,-- DM) verblieb, der dem pfändungsfreien Betrag nach § 850c der Zivilprozeßordnung (ZPO) bei Unterhaltspflicht für drei Personen entspricht. Die Ehefrau wurde wegen ihres eigenen Einkommens nicht berücksichtigt.

Der Kläger griff die Verrechnung in vollem Umfang als ungesetzlich an, da das Alg den Pfändungsfreibetrag nicht übersteige und das Kindergeld, da unpfändbar, nicht berücksichtigt werden dürfe. Seine Klage hatte im ersten Rechtszug Erfolg (Urteil des Sozialgerichts -SG- vom 22. April 1987), wurde aber aufgrund der vom SG zugelassenen Berufung in zweiter Instanz abgewiesen (Urteil des Landessozialgerichts -LSG- vom 22. November 1988).

Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung der §§ 52 und 51 Abs 2 SGB 1.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 22. November 1988 aufzuheben und im übrigen den Bescheid der Beklagten vom 14. Mai 1985 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. September 1985 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist im Sinne der Rückverweisung begründet. Ob die gegen den Verwaltungsakt der Verrechnung (BSGE 53, 208, 209 = SozR 1200 § 52 Nr 6; BSGE 64, 17, 22 = SozR 1200 § 54 Nr 13) erhobene Anfechtungsklage zu Recht abgewiesen wurde, kann der Senat ohne Feststellungen zu den tatsächlichen Aufwendungen des Klägers für die Unterkunft nicht abschließend beurteilen.

Aus dem Berufungsurteil ergibt sich, daß der Bescheid entsprechend der vom Kläger mit der Klageschrift vorgelegten Kopie den Verrechnungsbetrag auf wöchentlich 57,18 DM bis zur Erreichung der zur Verrechnung gestellten Beitragsforderung der Beigeladenen in Höhe von 1.654,91 DM festsetzt. Ob der Kläger zum 1. April 1985 wiederum eine Arbeit aufgenommen hat, so daß der Verrechnungsbescheid nur für die Zeit vom 15. Februar bis zum 1. April 1985 von Bedeutung ist, berührt nicht die Rechtmäßigkeit der Verrechnung.

Das LSG geht ersichtlich davon aus, daß der Beigeladenen die Beitragsforderung in der verrechneten Höhe zusteht. Das ist im Sinne einer entsprechenden Sachverhaltsfeststellung unter Verwendung von Rechtsbegriffen zu verstehen.

Bei Beitragsforderungen ist nach § 51 Abs 2 SGB 1 in der Fassung des Gesetzes vom 18. August 1980 die doppelte Grenze zu beachten, daß die Aufrechnung nur bis zur Hälfte des Leistungsanspruchs erfolgen darf (1.) und daß der Leistungsberechtigte nicht sozialhilfebedürftig werden darf (2.). Der § 51 Abs 2 SGB 1 enthielt in der ursprünglichen Fassung nur die Grenze zu 1. Insoweit war zweifelhaft, ob bei Anwendung von Abs 2 zusätzlich als Voraussetzungen des Abs 1 die Aufrechnung nur in den Grenzen der Pfändbarkeit und der fehlenden Sozialhilfebedürftigkeit erfolgen konnte (verneinend BSGE 45, 271, 274 = SozR 1200 § 31 Nr 3). Mit der Neufassung der Vorschrift durch das Gesetz vom 18. August 1980 wurde in § 51 Abs 2 SGB 1 die fehlende Sozialhilfebedürftigkeit ausdrücklich als Voraussetzung genannt. Das ist vom Bundessozialgericht (BSG) als rückwirkende Klarstellung verstanden worden (BSGE 51, 98, 99 = SozR 1200 § 51 Nr 9 unter Aufgabe der vorstehenden Entscheidung). Damit ist zugleich geklärt, daß Abs 2 nur die fehlende Sozialhilfebedürftigkeit aus Abs 1 übernimmt, nicht aber auch die Pfändbarkeit.

Das LSG meint abschließend, die Beklagte hätte nicht nur, wie geschehen, in Höhe von 57,18 DM wöchentlich, sondern in Höhe von 165,90 DM aufrechnen dürfen, da die Hälfte des auf 331,80 DM wöchentlich festgesetzten Alg 165,90 DM betrage und den nach dem BSHG auf wöchentlich 88,15 DM zu berechnenden Lebensbedarf übersteige. Da der Kläger auf ausdrückliches Befragen der Beklagten keinen Mehrbedarf geltend gemacht habe, sei sein Bedarf nach § 22 Abs 1 BSHG der Regelsatz für einen Haushaltungsvorstand oder einen Alleinstehenden, der nach den maßgebenden Runderlassen des Niedersächsischen Sozialministers für die Zeit bis zum 30. Juni 1985 wöchentlich 82,15 DM und danach wöchentlich 88,15 DM betragen habe. Damit hat das LSG den Regelbedarf iS des § 22 Abs 1 BSHG mit dem aufgrund der Verordnung zur Durchführung des § 22 BSHG (Regelsatzverordnung) vom 20. Juli 1962 (BGBl I 515) idF der Verordnung vom 10. Mai 1971 (BGBl I 451) vom Land festgesetzten Regelsatz als inhaltsgleich angesehen. Das verstößt gegen die Regelsatzverordnung und damit gegen Bundesrecht. Nach § 3 Abs 1 Satz 1 Regelsatzverordnung werden laufende Leistungen für die Unterkunft nämlich in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen gewährt. Dementsprechend umfaßt die umfangreiche Aufzählung der einzelnen Bedarfsansätze in § 1 Abs 1 der Regelsatzverordnung, die mit den Regelsätzen abgegolten werden, nicht den Bedarf für die Unterkunft. Der Regelbedarf iS des § 22 BSHG besteht somit nach der Regelsatzverordnung aus dem Regelsatz zuzüglich der tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft. Letztere hat das LSG aber nicht festgestellt.

Auf die Feststellung der Kosten für die Unterkunft kann auch nicht mit der Begründung verzichtet werden, bei einem Einkommen des Klägers an Alg von 331,80 DM wöchentlich und seiner Ehefrau von monatlich 837,24 DM sei anzunehmen, daß sie die Kosten der Unterkunft trage. Denn auf das Einkommen anderer Personen einer Haushaltsgemeinschaft iS des § 11 BSHG kann nur zurückgegriffen werden, soweit der Gesamtbedarf der Haushaltsgemeinschaft durch das Gesamteinkommen gedeckt ist. Dabei schließt der Umstand, daß auch in den Fällen des § 11 BSHG jedem Haushaltsangehörigen ein eigener Anspruch auf Sozialhilfe zusteht, die Berechnung unter Berücksichtigung des Gesamteinkommens und des Gesamtbedarfs der Haushaltsgemeinschaft nicht aus.

Auf die am Gesamtbedarf der Haushaltsgemeinschaft einschließlich der Kosten für die Unterkunft orientierte Berechnungsweise kann auch bei Anwendung der Vorschriften des BSHG im Rahmen des § 51 Abs 2 SGB 1 nicht verzichtet werden. Würde die Anwendung der Vorschriften des BSHG ergeben, daß nach der Verrechnung zwar noch der Lebensbedarf des Leistungsempfängers, nicht aber der ohne die Aufrechnung gedeckte Lebensbedarf der Kinder gedeckt wäre, so würde die Aufrechnung einen Sozialhilfeanspruch zwar nicht beim Leistungsempfänger, wohl aber bei dessen Kindern auslösen. Dies wäre mit der Zielsetzung des § 51 Abs 2 SGB 1 nicht vereinbar.

Die Sozialhilfebedürftigkeit als Grenze der Aufrechnung nach § 51 Abs 2 SGB 1 ist damit begründet worden, daß sich ein Leistungsträger nicht letztlich auf Kosten eines Trägers der Sozialhilfe befriedigen dürfe. Dies könne weder aus sozialpolitischen Gründen noch wegen des subsidiären Charakters der Leistungen nach § 9 iVm § 2 BSHG hingenommen werden (BT-Drucks 8/2034 auf Seite 42 zu § 26). Deshalb ist nach Maßgabe des Sozialhilferechts zu prüfen, ob als Folge der Verrechnung Hilfsbedürftigkeit eintritt.

Die Entscheidung des LSG kann hier auch nicht mit der Begründung aufrechterhalten werden, das Gesamteinkommen der Haushaltsgemeinschaft übersteige den Gesamtbedarf so weit, daß selbst unter Berücksichtigung der höchstmöglichen Miete der Verrechnungsbetrag keine Hilfsbedürftigkeit auslöse.

Zu dem für die Beurteilung der Hilfsbedürftigkeit maßgebenden Einkommen der Haushaltsgemeinschaft gehören nach § 76 BSHG alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Gesetz, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit gewährt werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem BVG. Das Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) gehört nicht zu dem nach § 77 Abs 1 BSHG nur beschränkt zu berücksichtigenden Einkommen. Es ist vielmehr beim Bezugsberechtigten nach § 76 Abs 1 BSHG auf die Hilfe zum Lebensunterhalt anzurechnen (Bundesverwaltungsgericht vom 11. Oktober 1985 - 5 B 80/85 - NVwZ 1986, 382; entsprechend zum Kinderzuschuß zur Sozialversicherungsrente BVerwGE 39, 314).

Gegenüber der vom BSHG vorgeschriebenen Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen bei der Bedürftigkeitsprüfung kann sich der Kläger nicht auf die eingeschränkte Pfändbarkeit von Kindergeld und auf die Neuregelung des Pfändungs- und Abtretungsrechts im Gesetz vom 20. Juli 1988 (BGBl I S 1046) berufen. Während § 51 Abs 1 SGB 1 die Aufrechnung nur zuläßt, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs 2 und 3 pfändbar sind, enthält § 51 Abs 2 SGB 1 diese Einschränkung für Beitragsansprüche nicht. Dem steht die Entscheidung des 10. Senats des BSG nicht entgegen, mit Kindergeld könnten auch nach dem Inkrafttreten des SGB 1 keine Beitragsansprüche verrechnet - aufgerechnet - werden (BSGE 53, 208 = SozR 1200 § 52 Nr 6; zustimmend Hauck/Haines, Kommentar zum Sozialgesetzbuch, SGB 1, § 52 RdNr 4b). In dieser Entscheidung ist nämlich anerkannt, daß bei Beitragsansprüchen nicht auf die Pfändbarkeit der Ansprüche auf Geldleistungen abzustellen ist (aaO S 210). Die Entscheidung, daß gleichwohl nach dem Sinn des § 1 BKGG auch in den Fällen des § 52 Abs 2 SGB 1 die Verrechnung gegen einen Anspruch auf Kindergeld ausgeschlossen sei, läßt sich somit nicht dahin fortführen, daß § 1 BKGG auch bei der Prüfung der Sozialhilfebedürftigkeit die Berücksichtigung des Kindergeldes ausschließt.

Der Regelsatz für in Haushaltsgemeinschaft lebende Kinder deckt die vollen Kosten der Kinder unter Berücksichtigung der regionalen Unterschiede. Das bundeseinheitlich bemessene Kindergeld ist demgegenüber als Zuschuß zu den Lebenshaltungskosten der Kinder konzipiert. Würde das Kindergeld nicht als Einkommen angerechnet, so würde der volle Lebensbedarf der Kinder und zusätzlich ein Zuschuß gewährt. Das ist mit Sinn und Zweck des BSHG nicht zu vereinbaren. Nach § 4 der Regelsatzverordnung ist bei der Festsetzung der Regelsätze darauf Bedacht zu nehmen, daß sie zusammen mit den Durchschnittsbeträgen für die Kosten der Unterkunft unter dem im Geltungsbereich der jeweiligen Regelsätze erzielten durchschnittlichen Netto-Arbeitsentgelt unterer Lohngruppen zuzüglich Kindergeld bleiben, soweit nicht die Verpflichtung, den Lebensunterhalt durch die Regelsätze im notwendigen Umfang zu sichern, insbesondere bei größeren Haushaltsgemeinschaften dem entgegensteht. Diese Regelung bestätigt, daß das Kindergeld bei der Sozialhilfe als Einkommen zu berücksichtigen ist und nicht zuzüglich zur Sozialhilfe gezahlt wird.

Das hier nach der Verrechnung verbleibende Gesamteinkommen berechnet sich somit wie folgt: Das Alg beträgt wöchentlich 331,80 DM abzüglich des Verrechnungsbetrags von 57,18 DM, also 274,-- DM wöchentlich. Das sind monatlich (13/3) 1.187,30 DM. Zuzüglich des Kindergeldes in Höhe von 370,-- DM und des Einkommens der Ehefrau in Höhe von 837,24 DM ergibt dies monatlich 2.394,54 DM. Dieser Betrag übersteigt den Gesamtregelsatz für die Haushaltsgemeinschaft von 1.338,-- DM um 1.056,-- DM. Kosten in dieser Höhe für die Unterkunft von fünf Personen sind aber nicht sicher auszuschließen.

Auf die Berücksichtigung der Kosten für Unterkunft kann auch nicht mit der Begründung verzichtet werden, der Kläger habe diese Kosten nicht beziffert, obgleich ihm Gelegenheit gegeben worden sei, darzulegen, daß der Mindestbedarf nach dem BSHG unterschritten würde. Eine Einschränkung des Amtsermittlungsgrundsatzes dahin, daß die Kosten der Unterkunft vom Bürger nachgewiesen werden müssen, läßt sich dem § 54 Abs 6 SGB 1 auch in der Fassung durch das 1. SGB-Änderungsgesetz vom 20. Juli 1988 nicht entnehmen. Nach dieser Vorschrift kann das Vollstreckungsgericht davon ausgehen, daß die Pfändung zulässig ist, wenn der Leistungsberechtigte innerhalb der ihm gesetzten Frist keine Tatsachen vorträgt, die gegen die Billigkeit der Pfändung sprechen oder die Annahme rechtfertigen, daß er durch die Pfändung hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt wird, soweit es für die Zulässigkeit der Pfändung eines Anspruchs auf Geldleistungen darauf ankommt. Auf diese Vorschrift kann die Übung der Beklagten nicht gestützt werden, Sozialhilfebedürftigkeit zu verneinen, wenn der Leistungsberechtigte nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist durch eine Bescheinigung des Sozialamts nachweist, daß er durch die Verrechnung sozialhilfebedürftig wird. Eine Verpflichtung, das Sozialamt wegen der von der Beklagten gewünschten Bescheinigung aufzusuchen, bedarf der gesetzlichen Grundlage. § 54 SGB 1 begründet eine solche Verpflichtung jedoch nicht einmal für den dort geregelten Tatbestand der Pfändung. Überdies regelt die Vorschrift die Darlegungslast des Vollstreckungsgläubigers und des Vollstreckungsschuldners in ihrer Auswirkung auf die Entscheidungsgrundlage des Vollstreckungsgerichts nach Maßgabe des Verhandlungsgrundsatzes (Beibringungsgrundsatzes). Ihrer entsprechenden Anwendung im Rahmen der Verrechnung steht damit entgegen, daß Behörde und Gericht das Fehlen der Sozialhilfebedürftigkeit von Amts wegen festzustellen haben.

Der Senat verkennt nicht die Schwierigkeiten einer für das Bundesgebiet zuständigen Verwaltung, deren Aufgaben bisher die Anwendung des Sozialhilferechts nicht erforderte, im Einzelfall die Sozialhilfebedürftigkeit zu prüfen und dabei die regional unterschiedlichen Regelsätze anzuwenden. Diese Schwierigkeiten hat der Gesetzgeber indes sowohl bei Einführung des § 54 Abs 3 Nr 2 SGB 1 als auch bei Änderung des § 51 Abs 2 SGB 1 in Kauf genommen. Er hat nämlich sowohl die Aufrechnung als auch die Verrechnung ausdrücklich davon abhängig gemacht, daß der Leistungsberechtigte dadurch nicht hilfsbedürftig im Sinne der Vorschriften des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt wird. Danach ist weder erforderlich, daß der Leistungsberechtigte tatsächlich Sozialhilfe beantragt und bezieht, noch, daß er eine Bescheinigung des Sozialamts hierüber vorlegt. Deshalb ist eine Auslegung, die letzteres entgegen dem Gesetzeswortlaut fordert, nicht möglich.

Andererseits vermag der Senat auch der Auffassung des Klägers nicht zu folgen, der meint, die Verrechnung müsse unabhängig vom Eintritt der Sozialhilfebedürftigkeit (und damit unabhängig von den Aufwendungen für Unterkunft) schon deshalb entfallen, weil die Beklagte die Pfändungsfreigrenzen anwende und hierbei das Kindergeld nicht berücksichtigen dürfe. Im Rahmen des § 51 Abs 2 SGB 1 hat die Beklagte zur Milderung der oben aufgezeigten Verwaltungsschwierigkeiten im Runderlaß 51/84 vom 8. März 1984 die Regelung getroffen, grundsätzlich bei Berechnung der Aufrechnungsschutzgrenze die Tabelle zu § 850c der Zivilprozeßordnung (ZPO) heranzuziehen. Diese Verwaltungsübung beruht darauf, daß die Pfändungsfreigrenzen durchschnittliche Kosten für die Unterkunft berücksichtigen und im allgemeinen höher liegen, als Miete zuzüglich Regelsatz. Die Verwaltungspraxis der Beklagten ist rechtswidrig, wie bereits ausgeführt, soweit sie im Einzelfall einen höheren Lebensbedarf nur berücksichtigen will, wenn der Leistungsberechtigte diesen durch eine Bescheinigung des Sozialamts nachweist. Soweit jedoch die Pfändungstabelle zu einem geringeren Verrechnungsbetrag führt, als die Grenze der Hilfsbedürftigkeit, ist das Vorgehen der Beklagten nicht zu beanstanden. Nach § 51 Abs 2 SGB 1 steht die Verrechnung, soweit der Empfänger dadurch nicht hilfebedürftig wird, im Ermessen der Behörde. Die Ermessensrichtlinie, eine Verrechnung erst beim Überschreiten auch der Pfändungsfreigrenze vorzunehmen, bindet die Ermessensausübung auch im Verhältnis zum Kläger. Die Beklagte ist aufgrund ihrer Verwaltungspraxis jedoch aus den bereits genannten Gründen nicht gehalten, das Kindergeld bei Prüfung des Pfändungsfreibetrages unberücksichtigt zu lassen.

Der Runderlaß ist nicht dahin zu verstehen, daß bei der Prüfung, inwieweit der Pfändungsfreibetrag überschritten wird, nur das pfändbare Einkommen zu berücksichtigen ist. Es soll vielmehr das nach den §§ 76 und 77 BSHG anzurechnende Einkommen nur insoweit verrechnet werden, als es die Pfändungsfreigrenze übersteigt. Im übrigen bindet der Dienstblatt-Runderlaß, der keine Rechtsnorm ist, die Beklagte nur mittelbar als Ermessensselbstbindung bei Ausübung des Verrechnungsermessens. Auch veröffentlichte Richtlinien bewirken eine Ermessensselbstbindung nur im Rahmen ihrer Handhabung. Diese und nicht die objektiv gebotene Auslegung ist maßgebend (BSGE 48, 88 = SozR 2200 § 1236 Nr 14; BVerwG Urteil vom 25. März 1981 - 7 C 8/79 - DOK 1981, 1010), was auch als Änderung von Verwaltungsvorschriften durch eine abweichende Praxis bezeichnet wird (BVerwG vom 30. April 1981 - 2 C 8/79 - DVBl 1981, 1062). Nach den Feststellungen des LSG ist davon auszugehen, daß die Beklagte allgemein hiernach verfährt und dabei das Kindergeld berücksichtigt.

Das führt entgegen der Auffassung der Revision nicht zu einer mittelbaren Inanspruchnahme des Kindergeldes. In Anspruch genommen wird vielmehr das Alg. Die Verwendung des Kindergeldes für den Lebensbedarf der Kinder wird nicht berührt, sondern im Gegenteil vorausgesetzt.

Damit erweist sich der angefochtene Verwaltungsakt nur dann als rechtswidrig, wenn festgestellt wird, daß bei Berücksichtigung der Aufwendungen für die Unterkunft der Lebensbedarf der Haushaltsgemeinschaft nicht mehr gedeckt ist. Das LSG wird in der abschließenden Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

BSGE, 63

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