Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufteilung der Hinterbliebenenrente zwischen Witwe und geschiedener Ehefrau

 

Orientierungssatz

Die Regelung des § 1268 Abs 4 RVO ist auch nicht dann zu beanstanden, wenn die Anwartschaften, aus denen sich die Hinterbliebenenrente herleitet, zu einem wesentlichen Teil während der Dauer der zweiten Ehe erworben wurden. Die gesetzliche Regelung unterscheidet nicht danach, wann die Anwartschaften begründet wurden. In Grundrechte der Frau, die mit dem verstorbenen Versicherten verheiratet war, als die Anwartschaften erworben wurden, wird damit nicht eingegriffen.

 

Normenkette

RVO § 1268 Abs 4; GG

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 22.01.1985; Aktenzeichen L 6 Ar 482/84)

SG Nürnberg (Entscheidung vom 10.07.1984; Aktenzeichen S 3 Ar 390/83)

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die ungeteilte Hinterbliebenenrente nach ihrem verstorbenen Ehemann, dem Versicherten Matthäus L., während die Beklagte und die beigeladene geschiedene Ehefrau des Verstorbenen sie zwischen erster und zweiter Ehefrau aufgeteilt sehen wollen.

Der Versicherte war in erster Ehe mit der Beigeladenen verheiratet. Diese 1937 geschlossene Ehe wurde 1960 geschieden. 1964 heirateten die Klägerin und der Versicherte. 1974 schloß der Versicherte mit seiner geschiedenen Ehefrau (der Beigeladenen) einen Vergleich, demzufolge er 20,20 DM an Unterhalt monatlich zu zahlen hatte. 1982 starb er. Zu dieser Zeit hatte er monatlich jeweils 175,-- DM an die Beigeladene gezahlt. Der Betrag überschritt ein Viertel des damals zeitlich und örtlich maßgebenden Regelsatzes der Sozialhilfe. Auf entsprechende Anträge hin gewährte die Beklagte sowohl der Klägerin als auch der Beigeladenen Hinterbliebenenrente, wobei sie die Gesamtrente auf die beiden Frauen aufteilte (Bescheide vom 12. Januar 1983, Widerspruchsbescheid gegenüber der Klägerin vom 13. Mai 1983).

Die Klägerin hat sich dagegen mit der Begründung gewandt, der Verstorbene habe seine Rentenanwartschaften zum großen Teil erst durch Beitragszahlungen nach der Scheidung der Ehe mit der Beigeladenen begründet. Einer früheren Ehefrau könnten in verfassungsrechtlich zulässiger Weise Rentenansprüche nur insoweit zugebilligt werden, als die entsprechenden Anwartschaften auch während dieser Ehezeit, also auch von der früheren Ehefrau mitbegründet worden seien. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10. Juli 1984). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung mit Urteil vom 22. Januar 1985 zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 1265, 1268 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sowie der Art 3, 6 und 14 Grundgesetz (GG).

Sie beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 10. Juli 1984 sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab 1. Januar 1983 die ungeteilte Witwenrente zu gewähren; hilfsweise beantragt sie, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

Gemäß § 1268 Abs 4 RVO ist die Hinterbliebenenrente zwischen der geschiedenen Ehefrau des Versicherten und seiner Witwe entsprechend der Zeit aufzuteilen, die beide Frauen mit dem Versicherten verheiratet waren. Wie der erkennende Senat bereits am 9. September 1986 in der Sache 5b RJ 14/86 im Anschluß an das Urteil des 1. Senats des Bundessozialgerichts -BSG- vom 12. November 1980 (BSGE 51, 1 = SozR 2200 § 1268 Nr 18) entschieden hat, gilt dies auch dann, wenn dabei die geschiedene Ehefrau eine höhere Hinterbliebenenrente erhält als ihr Unterhalt zugestanden hatte. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die gesetzliche Regelung für verfassungsgemäß angesehen und die genannte Entscheidung des 1. Senats des BSG mit Beschluß vom 10. Januar 1984 bestätigt (BVerfGE 65, 84 = SozR 2200 § 1268 Nr 23). Verfassungsrichter Katzenstein hat zwar zu diesem Beschluß eine abweichende Meinung vertreten (vgl SozR aaO, Seite 82 ff). Der erkennende Senat hat indes bereits bei seiner Entscheidung vom 9. September 1986 keine Veranlassung gesehen, deswegen die vom BVerfG schon entschiedene Rechtsfrage dem Verfassungsgericht vorzulegen (Art 100 GG). Daran wird festgehalten.

Die Regelung des § 1268 Abs 4 RVO ist auch nicht dann zu beanstanden, wenn die Anwartschaften, aus denen sich die Hinterbliebenenrente herleitet, zu einem wesentlichen Teil während der Dauer der zweiten Ehe erworben wurden. Die gesetzliche Regelung unterscheidet nicht danach, wann die Anwartschaften begründet wurden. In Grundrechte der Frau, die mit dem verstorbenen Versicherten verheiratet war, als die Anwartschaften erworben wurden, wird damit nicht eingegriffen. Wie das BVerfG im Beschluß vom 13. Mai 1986 (SozR 2200 § 1265 Nr 78) ausgesprochen hat, haben Ehefrauen "nicht durch ihre Leistung an der Begründung der Versichertenrente ihres Ehemannes mitgewirkt, von der die Geschiedenen-Witwenrente abgeleitet wird". Entsprechendes muß für die Witwenrente gelten. Daß die Hinterbliebenenversorgung der Witwe nach § 1264 RVO keine Leistung an die Witwe aufgrund eigener Anwartschaften darstellt, folgt auch daraus, daß selbst die Witwe die volle Hinterbliebenenrente erhält, die erst kurze Zeit mit dem Versicherten verheiratet war. Die vor dem 1. Juli 1977 geschiedene Ehefrau und die Witwe des Versicherten (sei sie vor oder nach dem 1. Juli 1977 Witwe geworden) erhalten Leistungen aus der Rentenversicherung, weil die Unterhaltspflicht des Versicherten oder dessen tatsächliche Unterhaltsleistungen über seinen Tod hinaus abgesichert werden.

Das angefochtene Urteil des LSG ist auch - anders als die Klägerin meint - nicht insoweit zu beanstanden, als es überhaupt einen Anspruch der Beigeladenen auf "Geschiedenen-Witwenrente" gemäß § 1265 Abs 1 Satz 1 RVO bejaht hat. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist Unterhalt im Sinne dieser Vorschrift nur ein nominell ins Gewicht fallender Betrag. Ein solcher Betrag liegt vor, wenn die vom Versicherten gezahlte Summe mindestens 25 vH des zeitlich und örtlich maßgebenden Regelsatzes der Sozialhilfe entspricht (BSG SozR 2200 § 1265 Nr 63 mwN). Im Sinne der Rechtsprechung des BSG waren daher - die tatsächlichen Feststellungen des LSG zugrunde gelegt, an die die Revisionsinstanz gebunden ist (§ 163 SGG) - die 175,-- DM, die der Versicherte im letzten Jahr vor seinem Tode monatlich an die Beigeladene gezahlt hat, Unterhalt (§ 1265 Abs 1 Satz 1 letzte Alternative RVO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1664925

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