Leitsatz (amtlich)

Für die Tätigkeit im Vorverfahren erhält der Bevollmächtigte 25 bis 305 DM.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Kostenerstattungsanspruch des Klägers aus § 63 SGB 10 ist ein öffentlich-rechtlicher Anspruch. Er wird durch einen Bescheid mit der Kostenentscheidung und dem nachfolgenden Bescheid über die Kostenfestsetzung (§ 63 Abs 3 SGB 10) geregelt.

2. Der Streit über die Rechtmäßigkeit dieser Kostenfestsetzung ist eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit iS des § 51 SGG; für sie sind die Sozialgerichte zuständig.

3. Der Rechtsanwalt erhält gemäß § 116 BRAGebO im Verfahren vor dem Sozialgericht eine Rahmengebühr von 35,-- DM bis 455,-- DM, wobei hinsichtlich einer Feststellung nach dem SchwbG als einer nicht gesondert geregelten Angelegenheit gemäß § 118 BRAGebO ein Gebührensatzrahmen von 5/10 bis 10/10 vorgesehen ist.

4. Die Höhe der Anwaltsgebühren für das Widerspruchsverfahren bemißt sich in sinngemäßer Anwendung des § 83 Abs 1, § 84 Abs 1, § 105 Abs 2, § 116 Abs 1 BRAGebO auf etwa 2/3 der im gerichtlichen Verfahren vor dem SG anfallenden Rahmengebühr.

5. Sind alle Umstände der Angelegenheit von mittlerer Größe, dann ist jede Abweichung von der Mittelgebühr unbillig.

6. Im Erstattungsstreit braucht das Gericht kein Gutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer einzuholen.

 

Normenkette

SGB X § 63 Fassung: 1980-08-18; BRAGebO §§ 12, 116, 118; SGB X § 63 Abs. 3 Fassung: 1980-08-18; SGG § 51 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03; BRAGebO § 116 Abs. 1, § 12 Abs. 2 S. 1, § 83 Abs. 1, § 84 Abs. 1, § 105 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 07.06.1982; Aktenzeichen L 11 Vs 2379/81)

SG Karlsruhe (Entscheidung vom 11.11.1981; Aktenzeichen S 1 Vs 1958/81)

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten besteht Streit darüber, wie hoch die notwendigen Aufwendungen sind, die der Beklagte dem Kläger zu erstatten hat.

Der am 27. April 1921 geborene Kläger, von Beruf Hobler, stellte beim Versorgungsamt am 24. August 1979, vertreten durch seinen Bevollmächtigten, Rechtsbeistand V. (Bevollmächtigter), einen Antrag auf Feststellung einer Behinderung und des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) sowie auf Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises. Er wies darauf hin, daß sich seine Schädigungsfolgen, die nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) durch Bescheid vom 25. Juli 1958 mit leichter Herzmuskelschädigung und kleinen Splitternarben an der linken Brustkorbseite festgestellt worden waren, verschlimmert hätten und er im Mai 1979 in Krankenhausbehandlung gewesen sei. Von diesem Krankenhaus zog das Versorgungsamt einen Befundbericht bei und wartete das Ergebnis des Erhöhungsantrages nach dem BVG ab, der nach Einholung eines versorgungsärztlichen Gutachtens mit Bescheid vom 11. März 1980 abgelehnt wurde. Nach zweimaliger Sachstandsanfrage des Bevollmächtigten erkannte das Versorgungsamt mit Bescheid vom 16. Juni 1980 als Behinderungen nach dem SchwbG "leichte Herzmuskelschädigung, kleine Splitterchen an der linken Brustkorbseite" mit einer MdE um 30 % an und führte aus, der Zustand nach Fraktur des fünften Brustwirbelkörpers bedinge keine meßbare MdE. Hiergegen legte der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Widerspruch ein und beantragte die ergänzende Befragung des Werksarztes der Maschinenfabrik L.. Außerdem legte er eine Fotokopie eines Arztschreibens der Röntgenabteilung des Krankenhauses, in dem er im Mai 1979 behandelt worden war, vor. Mit Schriftsatz vom 17. Oktober 1980 regte er die Einholung eines Befundberichtes über die ebenfalls dort gefertigte Knochenszintigraphie an und beantragte die zusätzliche Anerkennung von chronisch rezidivierendem Wirbelsäulensyndrom bei Fehlstellung, degenerativen Veränderungen und Zustand nach Wirbelkörperfraktur. Außerdem richtete er drei Sachstandsanfragen an das Versorgungsamt. Das Landesversorgungsamt half dem Widerspruch am 11. März 1981 ab. Es stellte als Behinderungen fest: leichte Herzmuskelschädigung, kleine Splitter an der linken Brustkorbhälfte, Lungenemphysem bei Bronchitisneigung, Folgen nach Bruch des fünften und sechsten Brustwirbels, Gefügestörungen im Bereich der Lendenwirbelsäule. Es bewertete die MdE um 50 %. Ferner sprach es aus, daß die Kosten des Vorverfahrens in voller Höhe zu erstatten seien und die Beiziehung eines Bevollmächtigten notwendig gewesen sei. Der Kläger beantragte am 19. März 1981, die Kosten des Vorverfahrens wie folgt festzusetzen:

§§ 118, 116, 12 BRAGO

245,-

- DM

Auslagenersatz

36,75 DM

6,5 % Mehrwertsteuer

18,31 DM

--

----------

Zusammen

300,06 DM

Zuzüglich 4 % Zinsen.

Mit Bescheid vom 12. Mai 1981 setzte das Versorgungsamt die zu erstattenden Kosten auf insgesamt 150,64 DM ausgehend von einer Mittelgebühr des halben Gebührenrahmens nach § 116 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) von 123,-- DM fest. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Bescheid vom 26. Juni 1981). Das Sozialgericht (SG) verurteilte den Beklagten, dem Kläger als Kosten des Vorverfahrens 176,46 DM zu zahlen. Es errechnete eine Gebühr von 140,-- DM als arithmetisches Mittel zwischen dem Mindestbetrag von 35,-- DM und der Mittelgebühr von 245,-- DM aus § 116 BRAGO. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es ging davon aus, daß für das Verwaltungsverfahren und das Vorverfahren zusammen eine einheitliche Gebühr festzusetzen sei, und zwar aus dem Gebührenrahmen des § 116 Abs 1 Nr 1 BRAGO von 35,-- bis 455,-- DM, wobei sich nach § 118 Abs 1 BRAGO die Mindestgebühr auf 17,50 DM ermäßigen könnte. Trotz dieses vollen Gebührenrahmens müsse jedoch der Durchschnittsfall im Verwaltungsverfahren auf 7,5/10 der Mittelgebühr im sozialgerichtlichen Klageverfahren, also von 245,-- DM auf 183,75 DM gekürzt werden. Diese Gebühr für den Durchschnittsfall sei von dem Beklagten nur zu 2/3 zu erstatten, da sie nur insoweit als auf das Vorverfahren entfallend anzusehen sei.

Das LSG hat die Revision zugelassen. Der Kläger rügt in seiner Revision insbesondere die Konstruktion einer "Mittel-Mittelgebühr" durch das Berufungsgericht. Bei richtiger Anwendung des § 118 BRAGO hätte der volle Betragsrahmen vom § 116 BRAGO übernommen werden müssen. Eine Kombination des auf Wertgebühren zugeschnittenen Gebührensatzrahmens in § 118 BRAGO mit dem Betragsrahmen in § 116 BRAGO sei unzulässig. Die von dem Kläger für seinen Bevollmächtigten verlangte Gebühr in Höhe von 245,-- DM für das Vorverfahren sei nicht unbillig.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11. November 1981 und das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 7. Juni 1982 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 12. Mai 1981 idF des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 1981 zu verurteilen, ihm weitere Vorverfahrenskosten in Höhe von 128,60 DM zuzüglich 4 % Zinsen seit dem 19. März 1981 zu erstatten.

Der Beklagte beantragt, Die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Er ist der Meinung, da der Gesetzgeber die Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte im Hinblick auf § 63 des Sozialgesetzbuches X (SGB X) bisher nicht geändert habe, bleibe es dem Revisionsgericht überlassen, allgemeine Regeln für die Gebührenfestsetzung durch ein Urteil zu schaffen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist zulässig und zum Teil begründet.

Für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet. Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit. Nicht der Vergütungsanspruch des Rechtsbeistands gegen den Kläger ist Gegenstand des Rechtsstreits, vielmehr der Anspruch des Klägers auf Kostenerstattung durch den Beklagten. Die Beziehungen des Klägers zum Beklagten während des gesamten Verwaltungsverfahrens und des Widerspruchsverfahrens richten sich nach dem SGB X und den §§ 78 bis 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und sind von einem Über- und Unterordnungsverhältnis geprägt. Der Kostenerstattungsanspruch des Klägers aus § 63 SGB X ist ein öffentlich-rechtlicher Anspruch. Er wird durch einen Bescheid mit der Kostenentscheidung und dem nachfolgenden Bescheid über die Kostenfestsetzung (§ 63 Abs 3 SGB X) geregelt. Der Streit über die Rechtmäßigkeit dieser Kostenfestsetzung ist daher eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit iS des § 51 SGG. Für sie sind auch die Sozialgerichte zuständig. Über Verwaltungsakte nach dem SGB X haben gemäß § 62 des Gesetzes entweder die Verwaltungs- oder die Sozialgerichte zu entscheiden. Die Verwaltungsgerichte sind nach § 40 Abs 1 der Verwaltungsgerichtsordnung zuständig, sofern Streitigkeiten nicht ausdrücklich einer anderen Gerichtsbarkeit zugewiesen sind. § 51 Abs 4 SGG verlangt ausdrücklich eine gesetzliche Zuweisung der Streitigkeiten zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit. Diese Zuweisung ist hier im § 3 Abs 6 des Gesetzes zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (SchwbG) erfolgt. Zwar besagt diese Vorschrift nichts über Kostenstreitigkeiten aus dem Verwaltungsverfahren, jedoch muß die Zuständigkeit auch für Streitigkeiten aus den Nebenentscheidungen zu § 3 SchwbG für die Sozialgerichte angenommen werden. Es gibt weder im SchwbG oder der BRAGO noch dem SGB X eine entgegenstehende Vorschrift.

Auch die Berufung war nicht unzulässig; die Regelung in § 197 Abs 2 SGG trifft den vorliegenden Fall nicht.

Der Anspruch des Klägers auf Kostenerstattung ergibt sich aus § 63 SGB X. Diese Vorschrift ist auch im Bereich des SchwbG anzuwenden, weil nach § 1 SGB X die Vorschriften für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden, die nach dem SGB ausgeübt wird, gelten, soweit sich aus dem Allgemeinen Teil und den besonderen Teilen des SGB nichts Abweichendes ergibt. Der in § 1 Abs 1 Satz 2 ausgesprochene Vorbehalt für die Verwaltungstätigkeit der Behörden der Länder trifft hier nicht zu, weil das Schwerbehindertenrecht bereits als ein besonderer Teil des SGB gilt (Art 2 § 1 Nr 3 SGB I und Art 1 § 10 SGB I).

Durch die Entscheidung im Widerspruchsbescheid vom 11. März 1981 ist bindend festgelegt, daß der Beklagte die Kosten des Klägers im Vorverfahren in voller Höhe zu erstatten hat. Das entspricht dem Inhalt des § 63 Abs 1 SGB X, nach dem die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen bei einem erfolgreichen Widerspruch zu erstatten sind. Hierbei handelt es sich, wie das LSG schon ausgeführt hat, um den Kostenerstattungsanspruch lediglich für das Vorverfahren, nicht aber auch für das dem Widerspruch vorausgehende Verwaltungsverfahren.

Von dem Kläger werden als notwendige Aufwendungen allein die Gebühren und Auslagen seines Bevollmächtigten geltend gemacht. Diese Gebühren sind nach § 63 Abs 2 SGB X erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. Der Beklagte hat diese Notwendigkeit im Widerspruchsbescheid vom 11. März 1981 angenommen. Der Senat geht mit dem LSG ebenfalls hiervon aus.

Der Bevollmächtigte des Klägers im Vorverfahren war ein Rechtsbeistand. Dessen Gebühren richten sich gemäß Art IX Abs 1 Satz 1 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung kostenrechtlicher Vorschriften (idF vom 18. August 1980, BGBl I 1503) nach der BRAGO.

Die BRAGO enthält keine spezielle Vorschrift über die Gebühren für das Verwaltungs- und das Vorverfahren in den Rechtssachen, die im Streitfall vor die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit gehören. Auf diesen Umstand hat bereits der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 29. Juni 1967 (BGHZ 48, 134) hingewiesen.

In § 116 BRAGO ist geregelt, daß der Rechtsanwalt im Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit 1. vor dem SG 35,-- DM bis 455,-- DM, 2. vor dem LSG 55,-- DM bis 655,-- DM und vor dem Bundessozialgericht (BSG) 95,-- DM bis 1090,-- DM erhält, soweit es sich nicht um Verfahren 1. auf Grund der Beziehungen zwischen Ärzten, Zahnärzten und Krankenkassen (Kassenarztrecht) sowie öffentlich-rechtlicher Versicherungsträger untereinander und 2. auf Grund öffentlich-rechtlicher Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und der Bundesanstalt für Arbeit oder einer Berufsgenossenschaft handelt. In diesen Fällen werden die Gebühren nach dem Gegenstandswert berechnet. Die Vorschrift gilt nach ihrem Wortlaut nur für die Gerichtsverfahren.

§ 118 BRAGO spricht davon, daß in anderen als den im 3. bis 11. Abschnitt des Gesetzes geregelten Angelegenheiten der Rechtsanwalt 5/10 bis 10/10 der vollen Gebühr erhält, die je als Geschäftsgebühr, Besprechungsgebühr und Beweisaufnahmegebühr anfallen können. Da die Gebühren für das Verwaltungs- und Vorverfahren in sozialrechtlichen Sachen nicht gesondert in den Abschnitten 3 bis 11 des Gesetzes geregelt sind, bezieht sich § 118 BRAGO dem Wortlaut nach auch auf diese als eine andere Angelegenheit. Auf der anderen Seite geht diese Vorschrift erkennbar davon aus, daß für die hier geregelten Fälle ein Gegenstandswert ermittelt wird. Denn nach § 11 BRAGO bestimmt sich die volle Gebühr nach der Tabelle, die dem Gesetz als Anlage beigefügt ist. Vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit wird in den Fällen des § 116 Abs 1 BRAGO jedoch ein Gegenstandswert nicht ermittelt. Es ist auch nicht angängig, im Vorverfahren dieser Angelegenheiten einen Gegenstandswert zu ermitteln, um dann die Gebühren eines Bevollmächtigten errechnen zu können. Die sachlichen Schwierigkeiten und sozialpolitischen Überlegungen, die den Gesetzgeber veranlaßt haben, in § 116 Abs 1 BRAGO von einem Gegenstandswert abzusehen, gelten auch für das Vorverfahren (BGHZ 48, 134, 138f). Das zeigt auch der vorliegende Fall. Welchen wirtschaftlichen Wert die Einstufung als Schwerbehinderter für den Kläger im einzelnen hat, ist schwerlich auszumachen.

§ 1 Abs I BRAGO bestimmt jedoch, daß sich die Vergütung des Rechtsanwalts nach diesem Gesetz bemißt; bei fehlender Bestimmung über die Gebühren ist das Gesetz sinngemäß anzuwenden (§ 2 BRAGO). Bei dieser Gesetzeslage kann Ausgangspunkt für die Entscheidung des BSG nur der Sinn und Zweck, den der Gesetzgeber mit den Bestimmungen der §§ 116 und 118 BRAGO in der Systematik des Gesetzes verfolgte, sein.

Ausgehend von dieser Überlegung bieten sich verschiedene Lösungsmöglichkeiten an (vgl dazu die Zusammenstellung bei Thelen in Die Angestelltenversicherung 1982 S 242). Die Auffassung, die das Berufungsgericht im angefochtenen Urteil vertreten hat, erscheint dem Senat jedoch wegen ihrer umständlichen Berechnungsart nicht praktikabel. Das Berufungsgericht meint, der Gebührenrahmen reiche von 17,50 DM bis 455,-- DM, die Mittelgebühren im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren jedoch nur 7,5/10 der Mittelgebühr im sozialgerichtlichen Klageverfahren, also statt 245,-- DM nur 183,75 DM. Diese spezielle Mittelgebühr hat das Berufungsgericht noch auf 2/3 als Teilgebühr von 122,50 DM für das Widerspruchsverfahren angesetzt.

Der Senat geht von der Wertentscheidung des Gesetzgebers aus, daß der Rechtsanwalt im Verfahren vor Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit vor dem SG 35,-- DM bis 455,-- DM erhält und nach § 118 BRAGO ein Gebührensatzrahmen von 5/10 bis 10/10 für die nicht gesondert geregelten Angelegenheiten vorgesehen ist, der bis zu dreimal anfallen kann. Hieraus ist zu entnehmen, daß im allgemeinen für die den gerichtlichen Verfahren vorausgehenden Tätigkeiten im Verwaltungs- und Vorverfahren die Gebühr für den Rechtsanwalt geringer als im Gerichtsverfahren ist, allerdings auch die volle Höhe erreichen kann. Dabei geht der Senat davon aus, daß die speziellen Regelungen für das Bußgeld und das Strafverfahren zwar zu berücksichtigen, aber wegen des stark unterschiedlichen außergerichtlichen Verfahrens nicht ausschlaggebend sind. In § 105 BRAGO wird im Bußgeldverfahren vor der Verwaltungsbehörde eine Gebühr für den Rechtsanwalt als Verteidiger von 35,-- DM bis 465,-- DM angesetzt (Abs 1), während er für das Bußgeldverfahren vor dem Amtsgericht eine Gebühr in Höhe von 70,-- DM bis 930,-- DM (§ 105 Abs 2 mit § 83 Abs 1 Nr 3 BRAGO), also aus einem doppelt so hohen Rahmen erhält. Ebenso sind die Gebühren für den Rechtsanwalt als Verteidiger in der Hauptverhandlung aufgerundet doppelt so hoch wie die für das Verfahren außerhalb der Hauptverhandlung (vgl § 83 Abs 1 und § 84 Abs 1 BRAGO). Diese im Gesetz erkennbaren Wertentscheidungen machen deutlich, daß die Gebühren für das Vorverfahren der Angelegenheiten, die im Streitverfahren vor die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit gehören, geringer anzusetzen sind als die im Gerichtsverfahren. Das gilt jedenfalls, soweit es sich um das isolierte Vorverfahren ohne Einschluß des Verwaltungsverfahrens handelt.

Da § 63 Abs 1 SGB X anordnet, daß bei einem erfolgreichen Widerspruch die notwendigen Aufwendungen zu erstatten sind, und als erstattungsfähig insbesondere die Gebühren und Auslagen eines Bevollmächtigten im Vorverfahren angesehen werden (§ 63 Abs 2 SGB X) nicht jedoch auch die des dem Vorverfahren vorangehenden Verwaltungsverfahrens, wie das LSG zutreffend entschieden hat, besteht für die Behörden- und die Gerichtspraxis ein Bedürfnis, für dieses Vorverfahren einen Gebührenrahmen festzusetzen. Dieser Rahmen läßt sich allerdings nicht mathematisch aus den gegebenen Größen der BRAGO ermitteln. Er ist vielmehr in angemessener Höhe unter Berücksichtigung der aufgeführten Wertentscheidungen des Gesetzes aufzuzeigen. Der Senat hält einen Rahmen für die Berechnung der Gebühr im Vorverfahren von 25,-- DM bis 305,-- DM für angemessen; dies ist etwa 2/3 der im gerichtlichen Verfahren vor dem SG anfallenden Rahmengebühr. Sie hebt sich von den außergerichtlichen Gebühren im Straf- und Bußgeldverfahren nach oben ab, erreicht aber nicht 7,5/10, wie sie das Berufungsgericht aus § 118 BRAGO - allerdings für das Vorverfahren einschließlich Verwaltungsverfahren - errechnet hat.

Der Senat hat diesem Rahmen bewußt nicht Überlegungen über den Arbeitsaufwand eines Rechtsanwaltes im Widerspruchsverfahren und im Sozialgerichtsverfahren zugrunde gelegt. Der Arbeitsanfall kann in einzelnen Sachen sehr unterschiedlich sein und muß nicht vor dem SG höher sein als im Widerspruchsverfahren. Es ist jedoch eine allgemeine, die BRAGO durchziehende Entscheidung des Gesetzgebers, die Gebühren in der höheren Instanz höher anzusetzen als in der vorausgehenden.

Der Senat hat auch nicht übersehen, daß § 119 Abs 1 BRAGO festlegt, das Vorverfahren bilde zusammen mit dem vorangegangenen Verwaltungsverfahren eine Angelegenheit. Er braucht aber nicht zu entscheiden, ob der von ihm gefundene Rahmen für das Widerspruchsverfahren als ein eigenständiger Betragsrahmen anzusehen ist oder nur als ein Anteil. Er läßt es offen, ob für das vollständige Verwaltungsverfahren (Vorverfahren und das diesem vorangehende Verwaltungsverfahren) der Rahmen auf den Betrag von 35,-- DM bis 455,-- DM - wie vor dem SG - zu erhöhen ist oder ob - der tatsächlichen Zweiteilung des Verfahrens entsprechend - für das Verwaltungsverfahren lediglich der Differenzbetrag zwischen der vom Senat für das Widerspruchsverfahren festgesetzten Beträgen und den Beträgen im sozialgerichtlichen Verfahren als eigene oder ebenfalls Anteilsgebühr anzusetzen ist. In beiden Fällen würde allerdings dem Anliegen des § 118 BRAGO entsprochen, den Höchstsatz für das umfassende Verwaltungsverfahren genauso hoch anzusetzen wie den des erstinstanzlichen Sozialgerichtsverfahrens.

Die dem Kläger zu erstattenden Aufwendungen sind nach § 12 BRAGO demnach aus dem (Anteils-) Betragsrahmen von 25,-- DM bis 305,-- DM festzustellen. Nach § 12 BRAGO bestimmt der Rechtsanwalt bei Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Wenn die Gebühr jedoch von einem Dritten zu ersetzen ist, ist die Bestimmung des Rechtsanwalts nicht verbindlich, falls sie unbillig ist. Von der Unbilligkeit ist der Beklagte zu Recht ausgegangen. Er hat die von dem Bevollmächtigten bestimmte Gebühr an der angemessenen, nicht unbilligen zu messen (vgl § 315 BGB). Die Feststellung der Unbilligkeit ist durch das Gericht voll nachzuprüfen.

Die von dem Kläger geforderte Gebühr seines Rechtsbeistandes in Höhe von 245,-- DM ist unbillig. Sie weicht nicht nur unerheblich von der nach Auffassung des Gerichts billigen Gebühr ab. Auch die von dem Beklagten festgesetzte Gebühr von 123,-- DM entspricht nicht den vom Senat festgelegten rechtlichen Maßstäben. Der Beklagte hat aus dem vorgegebenen Rahmen unter Berücksichtigung aller maßgebenden Umstände eine Gebühr zu errechnen, die angemessen, insbesondere ihrerseits nicht unbillig ist. Die Umschreibung der Gebühr als nicht unbillige, angemessene ist hinreichend bestimmt; ihre Höhe ist bestimmbar (vgl BVerfG SozR 3100 § 64e Nr 3).

Zur Feststellung der angemessenen Gebühr für die Rechtsvertretung im Widerspruchsverfahren über die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers ist von folgenden Gesichtspunkten auszugehen: Die Schwerbehinderteneigenschaft ist für den Kläger allenfalls von mittelmäßiger Bedeutung. Gemessen an den im Sozialrecht insgesamt anfallenden Angelegenheiten sind die durch die Schwerbehinderteneigenschaft zu erlangenden Vorteile häufig nur gering, jedoch beim Kläger etwas höher anzusetzen, weil er auch die Vorteile, die im Arbeitsrecht dem Schwerbehinderten eingeräumt werden, erlangte, da er noch berufstätig war. Zum Umfang der Tätigkeit des Bevollmächtigten ist zu sagen, daß sie hier weit über das einfache Maß hinausging, weil sie nicht nur den Widerspruch und die Widerspruchsbegründung umfaßte, sondern auch Anregungen für eine weitere Erforschung des Sachverhaltes und eine Auseinandersetzung mit dem bisherigen Beweisergebnis. Sie ist deshalb als oberhalb der mittleren Ebene liegend anzusehen. Auf der anderen Seite traten keine Schwierigkeiten auf. Rechtliche Fragen bedurften keiner Erörterung. Die tatsächlichen Umstände waren für den Kläger und seinen Bevollmächtigten, soweit sie diese vorzutragen hatten, ohne sonderliche Schwierigkeiten festzustellen. Deshalb kann nur von einer mäßigen Schwierigkeit der Bevollmächtigtentätigkeit ausgegangen werden. Die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers, also des Klägers, sind als mittelmäßig zu bezeichnen. Weitere besondere Umstände, die für die Gebührenfestsetzung im vorliegenden Fall Bedeutung haben könnten, sind nicht ersichtlich. Sowohl die Beteiligten als auch das SG und das LSG sind ebenfalls zu der Auffassung gelangt, daß das Vorverfahren eine Angelegenheit betraf, die insgesamt als von mittlerer Art anzusehen ist. In einem Fall, der so eindeutig auf die Mitte fixiert werden kann, ist jede Abweichung von der Mittelgebühr unbillig; selbst wenn bei der Gebührenfestsetzung ein Ermessen bestehen sollte. Die Gebühr ist deshalb als mittlere des Rahmens von 25,-- DM bis 305,-- DM, also mit 165,-- DM, festzusetzen.

Da diese Gebühr von der geforderten (245,-- DM) ganz erheblich abweicht, ist die getroffene Bestimmung durch den Rechtsbeistand unbillig. Der Senat braucht deshalb nicht zu entscheiden, ob die von einem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung über die Rahmengebühr, wenn sie von einem Dritten zu ersetzen ist, schon dann nicht verbindlich ist, wenn sie von der als billig erkannten Gebühr überhaupt abweicht oder erst, wenn eine gewisse Relation, etwa 20 %, erreicht werden. Der Senat neigt der Ansicht zu, daß nicht erst eine um 20 % überhöhte Gebühr als unbillig unverbindlich ist, sondern schon jede, die von der billigen Gebühr nicht unerheblich abweicht.

Im übrigen braucht das Gericht im Erstattungsstreit nicht ein Gutachten des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer einzuholen, wie dies in § 12 Abs 2 BRAGO für den Rechtsstreit zwischen dem Auftraggeber und dem Bevollmächtigten vorgesehen ist (BGH DVBl 69, 204, 205).

Die zu erstattenden Aufwendungen setzen sich wie folgt zusammen:

Gebühr nach BRAGO

165,-

- DM

Ersatz für Postgebühren

(§ 26 Satz 2 BRAGO, 15 %)

24,75 DM

6,5 % Mehrwertsteuer

12,33 DM

--

----------

Summe

202,08 DM

Die Entscheidung über die Kosten des Gerichtsverfahrens beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1415616

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