Leitsatz (amtlich)

Für die Berechnung der Rentenversicherungsbeiträge nach AVG § 112 Abs 3 Buchst g Nr 1 (= RVO § 1385 Abs 3 Buchst f Nr 1) ist das dem Krankengeld zugrunde liegende Bruttoarbeitsentgelt bis zur Beitragsbemessungsgrenze der RV maßgebend.

 

Normenkette

AVG § 112 Abs. 3 Buchst. g Nr. 1 Fassung: 1974-08-07; RVO § 1385 Abs. 3 Buchst. f Nr. 1 Fassung: 1974-08-07; RehaAnglG § 12 Nr. 2 Fassung: 1974-08-07

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 23.02.1978; Aktenzeichen L 16 Kr 44/77)

SG Duisburg (Entscheidung vom 09.02.1977; Aktenzeichen S 21 Kr 49/76)

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe der von der Beklagten als Rehabilitationsträger für den Kläger zu tragenden Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten.

Der Kläger ist freiwillig weiterversichertes Mitglied der Beklagten. Sein monatliches Bruttoarbeitsentgelt betrug im September 1974 und im Januar 1975 je 3.171,- DM. Vom 1. Februar 1975 bis 31. März 1976 bezog er von der Beklagten Krankengeld. Für die Zeit seiner nach § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst a des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) begründeten Rentenversicherungspflicht als Rehabilitand (1. Februar 1976 bis 31. März 1976) trug die Beklagte die Beiträge nach § 112 Abs 4 Buchst h AVG, wobei sie der Berechnung ein dem Höchstregellohn in der Krankenversicherung entsprechendes Bruttoarbeitsentgelt von insgesamt 4.650,- DM (2 x 2.325,- DM) zugrundelegte. Hierüber stellte sie dem Kläger eine Entgeltbescheinigung als Ersatzversicherungskarte aus. Dem Widerspruch des Klägers half sie nicht ab (Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 1976). Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Duisburg die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Bescheides verurteilt, an die Beigeladene für den Kläger Beiträge unter Berücksichtigung des für die Rentenversicherung maßgebenden Bruttoarbeitsentgelts abzuführen (Urteil vom 9. Februar 1977). Das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 23. Februar 1978). Es hat zur Begründung ua ausgeführt: Aus § 112 Abs 3 Buchst g Nr 1 AVG lasse sich nur entnehmen, welcher Art die Beitragsbemessungsgrundlage sei. Über die Grenze, bis zu der das Bemessungsentgelt zu berücksichtigen sei, enthalte die Vorschrift keine Aussage. Die Grenze könne keine andere als die Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung nach § 112 Abs 2 AVG sein. Hierfür spreche schon der Wortlaut des § 112 Abs 3 AVG. Der ausdrückliche Bezug auf die Absätze 1 und 2 verknüpfe in sinnvoller Weise die Regelungen über das Bemessungsentgelt mit der über den Beitragssatz und die Beitragsbemessungsgrenze. Diese Verbindung entspreche der Systematik des Rentenversicherungsrechts. Die Verpflichtung des Rehabilitationsträgers, Beiträge zur Rentenversicherung zu entrichten, gehöre nicht zu den eigentlichen Krankenversicherungsleistungen. Dem Krankenversicherungsträger seien vielmehr die Pflichten auferlegt worden, die sonst der Arbeitgeber zu tragen habe. Die verpflichtende Norm finde sich zu Recht im Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) und im Rentenversicherungsrecht und nicht in dem die Krankenversicherung betreffenden Zweiten Buch der Reichsversicherungsordnung (RVO). Eine unzulässige Begünstigung der nicht versicherungspflichtigen Krankengeldbezieher gegenüber den krankenversicherungspflichtigen ergebe sich nicht, denn für alle gelte in gleicher Weise die Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 112 Abs 3 Buchst g Nr 1 AVG iVm § 112 Abs 4, § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst a AVG, § 182 Abs 4 und 9, § 180 Abs 1 und § 165 Abs 1 Nr 2 RVO. Nach dem Wortlaut des § 112 Abs 3 Buchst g Nr 1 AVG seien das Bruttoentgelt oder die Beträge, welche dem Krankengeld zugrunde liegen oder bei Gewährung zugrunde zu legen wären, maßgebend. Das Relativpronomen "welche" beziehe sich sowohl auf das Wort "Beträge" als auch auf "Bruttoarbeitsentgelt". Wenn aber für die Bemessung der Beiträge bei Arbeitnehmern das Bruttoarbeitsentgelt maßgebend sei, so könne nur dasjenige berücksichtigt werden, welches dem Krankengeld tatsächlich zugrunde liege. Dem Krankengeld für freiwillig weiterversicherte Angestellte, deren Jahresarbeitsverdienst (JAV) die Krankenversicherungspflichtgrenze übersteige, liege aber höchstens ein Bruttoarbeitsentgelt bis zu der in § 180 Abs 1 Satz 3 RVO genannten JAV-Grenze zugrunde. Die Auffassung des LSG, das Bruttoarbeitsentgelt sei bis zur Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung zu berücksichtigen, werde vom Wortlaut der Vorschrift nicht getragen. Seine Auslegung sei systemwidrig, denn nicht auf die Systematik des Rentenversicherungsrechts, sondern auf die des Krankenversicherungsrechts sei abzustellen. Bei den Beiträgen nach § 112 Abs 3 Buchst g Nr 1 AVG handele es sich um Leistungen der Krankenversicherung. Dem Krankenversicherungsträger seien damit keine Pflichten auferlegt, die sonst der Arbeitgeber zu tragen habe; denn Beitragspflicht zur Rentenversicherung bestehe für den Arbeitgeber und auch für den Arbeitnehmer grundsätzlich nur bei Bezug von Arbeitsentgelt. Handele es sich aber um Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, so seien die für das Leistungsrecht der Krankenversicherung maßgebenden Grundsätze zu berücksichtigen. Zwar seien die Sachleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit geordnet. Doch müsse bei den baren Leistungen das strenge Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen Beiträgen und Leistungen gewahrt bleiben.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger und die Beigeladene beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

II.

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.

Das LSG hat zu Recht entschieden, daß bei der Berechnung der Rentenversicherungsbeiträge des Klägers für die Zeit vom 1. Februar bis 31. März 1976 das vom Kläger im letzten Monat vor der Arbeitsunfähigkeit erzielte Bruttoarbeitsentgelt bis zur Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung zu berücksichtigen ist. Das ergibt sich aus § 112 Abs 3 Buchst g Nr 1 AVG. Nach dieser Vorschrift sind für die Berechnung des Beitrages nach den Absätzen 1 und 2 bei Versicherten nach § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst a AVG das Bruttoarbeitsentgelt oder die Beträge maßgebend, welche dem Krankengeld zugrunde liegen oder bei Gewährung von Krankengeld zugrunde zu legen wären. Der Wortlaut dieser Vorschrift ist nicht eindeutig. Es ist zweifelhaft, ob sich das Wort "welche" sowohl auf "Bruttoarbeitsentgelt" als auch auf "Beträge" oder nur auf letzteres bezieht. Jedoch ist es nach dem Gesetzeszusammenhang, in den die Vorschrift hineingestellt ist, wie auch nach dem Sinn und Zweck, den der Gesetzgeber mit ihr verfolgt hat, ausgeschlossen, daß die Höhe der Rentenversicherungsbeiträge nicht von der Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung, sondern bereits von dem für die Krankenversicherungspflicht der Angestellten nach § 165 Abs 1 Nr 2 RVO maßgeblichen Höchst-JAV begrenzt ist. Die Beklagte meint, diese Grenze sei deshalb maßgeblich, weil sich hiernach die Höchstbeiträge auch der freiwilligen Mitglieder sowie das Krankengeld bemessen. Hierbei übersieht sie jedoch, daß die Vorschriften über die Rentenversicherungspflicht der Rehabilitanden und über die Berechnung und Entrichtung der hierfür aufzuwendenden Beiträge dem Recht der Rentenversicherung und nicht dem Recht der Krankenversicherung angehören. Dies ergibt sich schon äußerlich aus der systematischen Einordnung in das AVG und in das Vierte Buch der RVO.

Diese Einordnung macht deutlich, daß die Höhe des Beitrags stets ein Merkmal desjenigen Versicherungssystems ist, zu dem er entrichtet wird. Wenn der Gesetzgeber den Krankenkassen auferlegt, Beiträge zur Rentenversicherung zu entrichten, so bindet er sie damit an die Vorschriften des Rentenrechts und damit auch an die dort geltenden Vorschriften über die Beitragshöhe. Die Frage des Gegenseitigkeitsprinzips stellt sich deshalb - anders als beim Krankengeld, dessen Berechnung sich nur nach den Vorschriften des Krankenversicherungsrechts richtet - hier überhaupt nicht.

Dieses Ergebnis wird auch noch durch folgende Überlegungen erhärtet: Die in § 12 Abs 2 RehaAnglG als ergänzende Leistung vorgesehene Beitragsleistung der Rehabilitationsträger ist Ausfluß des Grundanliegens der Rehabilitation, den Behinderten in das Erwerbsleben einzugliedern bzw wiedereinzugliedern. Die Rehabilitanden sollen während der Rehabilitationsmaßnahme so gestellt werden, wie sie ohne die Behinderung durch Krankheit stehen würden, dh so, als wenn sie fähig wären, die Versicherungsbeiträge aus eigener Arbeitsleistung sicherzustellen. Die Versicherungspflicht auf Kosten der Rehabilitationsträger ist demnach ein Äquivalent für den durch die Behinderung bedingten Verlust der Fähigkeit, sich aus den Erträgnissen einer Erwerbstätigkeit selbst ausreichend gegen die von den gesetzlichen Versicherungen abgedeckten Risiken zu versichern (Urteil des erkennenden Senats vom 30. November 1977 - 12 RK 28/76 - BSGE 45, 188). Demnach geht es nicht an, Rehabilitanden, die ohne die zur Rehabilitation führende Behinderung aus ihrem Erwerbseinkommen Beiträge bis zur Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung zahlen könnten und müßten, auf die rentenversicherungsrechtlich unmaßgebliche JAV-Grenze der Krankenversicherung herabzudrücken. In Übereinstimmung mit den Zielvorstellungen des Gesetzgebers ist daher § 112 Abs 3 Buchst g Nr 1 AVG dahin auszulegen, daß das Bruttoarbeitsentgelt, welches dem Krankengeld zugrunde liegt, bis zu der Beitragsbemessungsgrenze nach § 112 Abs 2 AVG für die Berechnung des Beitrages maßgebend ist, wie dies zutreffend auch schon die SV-Spitzenverbände in dem Gemeinsamen Rundschreiben vom 19. September 1974 (BKK 1975, 41, 48) vorgeschlagen haben. Entgegen der Auffassung der Beklagten führt dies nicht zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung zwischen den in der Krankenversicherung Pflichtversicherten und den höher verdienenden freiwillig Versicherten, da sich in beiden Fällen die Höhe des Beitrages nach § 112 Abs 3 Buchst g Nr 1 AVG als Äquivalent für die ausgefallene Beitragsleistung nach dem gleichen Bezugswert, nämlich dem infolge der Rehabilitationsmaßnahme ausgefallenen rentenversicherungspflichtigen Arbeitsverdienst bemißt.

Die vom Senat in Übereinstimmung mit dem LSG und den SV-Spitzenverbänden vorgenommene Auslegung des § 112 Abs 3 Buchst g Nr 1 AVG wird im Gegenteil allein der durch das RehaAnglG angestrebten und verfassungsrechtlich gebotenen Gleichbehandlung (§ 3 Abs 1 des Grundgesetzes - GG -) gerecht. Es ist nämlich kein sachlich einleuchtender Grund ersichtlich, weshalb die Rentenversicherungsbeiträge für Rehabilitanden in den Höchstbeträgen unterschiedlich begrenzt sein sollen, je nachdem welcher Rehabilitationsträger für die Rehabilitationsmaßnahme zuständig ist. Bei allen handelt es sich nämlich um die gleiche - im Rehabilitationsrecht begründete und im Rentenversicherungsrecht als Beitragspflicht des Rehabilitationsträgers normierte - ergänzende Leistung zur Rehabilitation, die lediglich wegen des im RehaAnglG beibehaltenen Systems der gegliederten Trägerschaft von verschiedenen Rehabilitationsträgern zu erbringen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Breith. 1980, 679

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