Leitsatz (amtlich)

1. Beiträge, welche die Deutsche Bundespost zur Nachversicherung der vor dem 1945-05-08 aus dem Dienst der Deutschen Reichspost ausgeschiedenen, bislang aber nicht nachversicherten Angehörigen des öffentlichen Dienstes im Jahre 1957 entrichtet hat, sind nicht deshalb zu Unrecht erbracht worden, weil die Verbindlichkeiten der Deutschen Reichspost mit dem 1958-01-01 erloschen sind. Dies gilt auch, wenn die Beitragsforderung vor dem 1958-01-01 nur zum Teil erfüllt worden ist. Eine Rückforderung der aus dem Sondervermögen der Deutschen Bundespost aufgewendeten Beiträge ist ausgeschlossen.

2. Die Vorschrift des RVO § 1402 Abs 2 S 1, wonach bei einer Nachversicherung für die Zeit vor dem 1924-01-01 der Berechnung der Beiträge stets ein Monatsentgelt von 150 DM zugrunde zu legen ist, gilt auch, wenn eine Nachversicherung vor dem Inkrafttreten des ArVNG unterblieben war und nach ArVNG Art 2 § 3 Abs 2 nachzuholen ist, wenn also die nachzuversichernde Person vor dem Inkrafttreten des ArVNG aus dem öffentlichen Dienst ausgeschieden war.

 

Normenkette

RVO § 1232 Fassung: 1957-02-23, § 1402 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 2 § 3 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; AKG §§ 1, 99

 

Tenor

1) Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 15. März 1960 teilweise aufgehoben:

a) Die Klage auf Feststellung, daß der Beigeladene zu 1) und der verstorbene Ehemann der Beigeladenen zu 2) gemäß § 99 des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes als nachversichert gelten, wird abgewiesen.

b) Die Klage auf Rückzahlung von 1.223,40 DM und 828,30 DM wird abgewiesen.

2) Im übrigen wird die Revision mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß auch die Bescheide der Beklagten vom 28. April 1958 aufgehoben werden.

3) Die Klägerin und die Beklagte haben die Kosten des Verfahrens eines jeden Beigeladenen je zur Hälfte zu tragen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Mit der Klage bestreitet die Deutsche Bundespost ihre Pflicht zur Nachversicherung von zwei ehemaligen Angehörigen der Deutschen Reichspost. Die Sache ist in beiden Fällen im wesentlichen gleichgelagert. Albert W war Oberpostschaffner, Karl T war Postschaffner gewesen. Der erste war 1932, der zweite im Jahre 1931 aus dem Postdienst entlassen worden. Da seinerzeit beiden für die Dauer von mehreren Jahren ein Teilruhegehalt zugebilligt worden war, war die Nachentrichtung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung zunächst bis zum Eintritt des Versicherungsfalls aufgeschoben (§ 7 der Verordnung über die Nachentrichtung von Beiträgen für versicherungsfreie Personen vom 4. Oktober 1930, in der Fassung der Verordnung vom 5. Februar 1932 - RGBl I, 64 -). Die Nachversicherung wurde auch dann noch nicht durchgeführt, als Albert W im Juli 1953 und Karl T im Juni 1955 invalide geworden waren. Vielmehr standen beim Eintritt des jeweiligen Versicherungsfalls die Vorschriften des § 1242 a der Reichsversicherungsordnung - RVO - ("in Ehren ausgeschieden") in der Fassung der Ersten Vereinfachungsverordnung vom 17. März 1945 (RGBl I, 41) und die Sozialversicherungsanordnung - SVA - Nr. 14 vom 19. Juli 1947 (ArbBlbrZ 1947, 240) entgegen. Erst nach Fortfall dieser Vorschriften und nach dem Inkrafttreten des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) entrichtete die Klägerin die Beiträge. Für W. zahlte sie - umgestellt im Währungsverhältnis von 1,- RM zu 1,- DM - die Summe von 1.223,40 DM und für T. den Betrag von 828,30 DM.

Die Beklagte beanstandete in zwei Bescheiden vom 28. April 1958 die Höhe der nachentrichteten Beiträge. Hinsichtlich des Betrages der überwiesenen Beiträge hatte sich die Klägerin nach dem Inhalt derjenigen Bescheinigungen gerichtet, die die Reichspostdirektion Hamburg im Jahre 1934 über die damals aufgeschobenen Nachversicherungen erteilt hatte. So wie es die damals geltenden Bestimmungen geboten, war die Klägerin für die Zeit bis zum 31. Dezember 1923 von der Lohnklasse II - maßgeblich für einen Monatsentgelt von 26 bis 52 Mark - ausgegangen. Demgegenüber wollte die Beklagte unter Berufung auf § 1402 Abs. 2 Satz 1 RVO nF einen Monatsentgelt von 150,- DM zugrunde gelegt wissen. Ferner verlangte die Beklagte, daß die Klägerin Beiträge auch für nachgewiesene Ersatzzeiten zahle, wiewohl nach dem älteren Recht eine Beitragsentrichtung hierfür nicht vorgesehen war. Die Beklagte war der Meinung: In bezug auf den Beitragssatz habe es die Klägerin zwar zutreffend auf die Verhältnisse der Jahre 1931 und 1932 abgestellt. Nicht richtig sei es jedoch, die in jenen Jahren gültige Beitragsbemessungsgrundlage anzuwenden. Stattdessen müsse nunmehr § 1402 Abs. 2 RVO gefolgt worden. Demzufolge verlangte die Beklagte von der Klägerin die Nachzahlung von 1.361,20 DM im einen und von 315,70 DM im anderen Fall.

Die von der Klägerin gegen diese Nachforderungen eingelegten Widersprüche blieben ohne Erfolg. Die Klagen wurden durch das Sozialgericht (SG) Hamburg abgewiesen (Urteile vom 16. September 1959).

Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg, das beide Sachen miteinander verbunden hat, gab den von der Klägerin eingelegten Berufungen statt (Urteil vom 15. März 1960). Es stimmt der Klägerin zu, die nunmehr in erster Linie überhaupt bestritt, in den vorliegenden Fällen zur Nachversicherung verpflichtet zu sein. Für die Nachversicherungsschuld hafte nicht die Deutsche Bundespost, sondern das Sondervermögen der Deutschen Reichspost. Ansprüche gegen dieses seien aber nach § 1 Abs. 1 des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes (AKG) vom 5. November 1957 (BGBl I, 1747) grundsätzlich mit dem 1. Januar 1958 erloschen; allerdings sei für das Gebiet der Nachversicherung in § 99 AKG bestimmt, daß Personen, die für die Zeit ihrer versicherungsfreien Beschäftigung nach den Vorschriften der RVO gesetzlich nachzuversichern gewesen waren und nicht nachversichert worden sind, als nachversichert "gelten". Hieraus folge, daß die Klägerin zu Unrecht die Nachversicherung der beiden ehemaligen Postbeamten vorgenommen habe; die ohne Rechtspflicht gezahlten Beiträge könne sie zurückfordern. Das LSG hat die angefochtenen Verwaltungsakte aufgehoben, es hat ferner auf Antrag der Klägerin festgestellt, daß der beigeladene Albert W und der verstorbene Ehemann der beigeladenen Gertrud T nach § 99 AKG als nachversichert gelten und hat schließlich die Beklagte zur Rückzahlung der überwiesenen Beträge von 1.223,40 DM und 828,30 DM verurteilt.

Die Beklagte hat das ihr am 1. April 1960 zugestellte Urteil mit der - von dem LSG zugelassenen - Revision am 20. April 1960 angefochten; begründet hat sie das Rechtsmittel mit dem am 24. Mai 1960 bei dem Bundessozialgericht (BSG) eingegangenen Schriftsatz. Die Beklagte meint, die Klägerin könne sich nicht auf § 99 AKG und auf das Erlöschen der Beitragsforderung gegen die Deutsche Reichspost berufen, weil sie die Nachversicherung eingeleitet habe und diese nunmehr auch der übernommenen Verpflichtung gemäß durchführen müsse.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 15. März 1960 aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die von dem SG Beigeladenen haben bislang in diesem Rechtszuge keinen Antrag gestellt.

Die Klägerin entgegnet, daß die Beklagte bei ihrer Argumentation einen wesentlichen Gesichtspunkt außer acht lasse. Sie habe keine Vorschrift zitiert, welche es rechtfertige, daß die Klägerin in die Nachversicherungsschuld der früheren Reichspost eingetreten sei. Eine derartige Bestimmung gebe es nicht; das Gegenteil sei vielmehr in dem AKG angeordnet.

Die Revision ist zugelassen und daher statthaft; sie ist in rechter Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). In der Sache selbst hat sie teilweise Erfolg.

Sowohl die Beitragsforderung der Beklagten, als auch die von der Klägerin erhobenen Erstattungsansprüche sind nicht berechtigt.

1. Die Klägerin ist, wie aus dem Allgemeinen Kriegsfolgengesetz folgt, zumindest seit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes, das ist der 1. Januar 1958 (§ 112 AKG) zur Nachversicherung des beigeladenen W und des verstorbenen Ehemannes der beigeladenen T nicht verpflichtet. Anstelle einer bislang nicht oder zum Teil nicht vorgenommenen Nachversicherung ist nunmehr gemäß § 99 AKG die fiktive Nachversicherung getreten.

a) Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind - wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat - gegeben. Zuzustimmen ist zunächst der Ansicht, daß die vor dem 8. Mai 1945 aus dem öffentlichen Dienst ausgeschiedenen Personen von ihrem ehemaligen Dienstherrn "nach den im Zeitpunkt ihres Ausscheidens geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze für die Zeit ihrer versicherungsfreien Beschäftigung nachzuversichern waren" (§ 1242 a RVO in der Fassung des Gesetzes vom 29. März 1928 - RGBl I, 117 - in Verbindung mit § 7 der Verordnung vom 4. Oktober 1930 aaO). Auf diese rechtliche Situation und nicht auf die gesetzlichen Maßnahmen, die im Gebiet der ehemaligen britischen Besatzungszone die Nachversicherung vor dem 1. März 1957 untersagten, stellt es § 99 Abs. 1 Satz 1 AKG durch die ausdrückliche Bezugnahme auf die "Reichsversicherungsgesetze" ab. Zu den "Reichsversicherungsgesetzen" zählen so, wie dieser Begriff in § 99 AKG zu nehmen ist, die Bestimmungen nicht, welche die Nachversicherung wegen eines unehrenhaften Ausscheidens aus der versicherungsfreien Beschäftigung ausschlossen. Letzteres ist hinsichtlich des § 141 Abs. 2 Satz 2 des Deutschen Beamtengesetzes (DBG)-Bundesfassung (BGBl 1950, 279) - bei der Entstehungsgeschichte des AKG als der Wille des Gesetzgebers klar ausgesprochen und niedergelegt worden (Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Geld und Kredit zur Bundestagsdrucks. Nr. 3529 - 1957 - S. 22 zu § 86 des Regierungsentwurfs). Dieser Wille ging darüber hinaus, wie die Gesetzesberatungen ebenfalls ergeben, dahin, die fiktive Nachversicherung in denjenigen Fällen vorzusehen, die in Art. 2 § 3 Abs. 2 ArVNG aufgeführt sind. Das will sagen: War eine Nachversicherung lediglich auf Grund des § 1242 a Abs. 1 RVO in der Fassung der Verordnung vom 17. März 1945 und infolge der SVA Nr. 14 Nr. 2 Buchst. b oder c wegen unehrenhaften Verhaltens unterblieben, so soll dies der Annahme nicht entgegenstehen, daß die betreffenden Personen - an sich - nachzuversichern waren. Diese Absicht des Gesetzgebers folgt aus dem offenkundigen Sinn des § 99 Abs. 1 Satz 1 AKG und dem Zusammenhang seiner tatbestandlichen Ordnung mit der gleichliegenden Regelung des Art. 2 § 3 Abs. 2 ArVNG. Deshalb erscheint das erste Erfordernis des § 99 Abs. 1 Satz 1 AKG, wonach im Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem öffentlichen Dienst eine Pflicht zur Nachversicherung bestanden haben muß, als erfüllt. Zweifel an dieser Auffassung könnten lediglich deshalb aufkommen, weil zu der Zeit, als die beiden früheren Postbeamten aus dem öffentlichen Dienst ausschieden, die Nachversicherung nicht sogleich zu verwirklichen, sondern die Beitragszahlung gestundet war. Die Beitragsentrichtung war jedoch nur "aufgeschoben" und damit nicht "aufgehoben". Die Nachversicherung hatte, wenn auch nicht in der Gegenwart, so doch bei Eintritt des Versicherungsfalles zu erfolgen. Dies hätte jedenfalls der Rechtslage entsprochen, wie sie sich nach den zur Zeit des Ausscheidens aus der versicherungsfreien Beschäftigung geltenden Reichsversicherungsgesetzen ergab (ebenso Rundschr. des Bundesfinanzministers vom 22. Oktober 1958, BArbBl S. 697). Darin hat erst die spätere "beamtenrechtliche" Gesetzgebung einen Wandel geschaffen. Diese hat aber - wie bereits dargelegt worden ist - nach dem Willen des § 99 AKG außer Betracht zu bleiben.

b) Nicht weniger kritisch als dieser Punkt erweist sich jedoch die weitere Frage, ob die beiden ehemaligen Postbeamten bisher "nicht nachversichert worden sind", wie es § 99 AKG voraussetzt. Als das AKG am 1. Januar 1958 (§ 112 Abs. 1, am 1. Tage des 2. Monats nach seiner Verkündung, das war der 5. November 1957) in Kraft trat, hatte die Klägerin die von ihr errechneten Beiträge bereits an die Beklagte überwiesen. Würden nun diese Beträge mit den zu fordernden Beitragssummen glatt übereinstimmen, dann fände § 99 AKG allerdings überhaupt keine Anwendung. So ist es aber nicht. Die Beklagte hat die von der Klägerin vorgenommene Beitragsberechnung allein schon aus dem Grunde zu Recht beanstandet, daß die Klägerin für jede Woche bis zum Schlusse des Jahres 1923 Beiträge lediglich in der Lohnklasse II gezahlt hat. Die Klägerin glaubt hierfür fälschlich, in § 1242 a RVO in der durch das Gesetz vom 29. März 1928 - RGBl I, 117 - eingeführten und später wieder geänderten Fassung eine Stütze zu finden. Hiergegen beruft sich die Beklagte zutreffend auf § 1402 Abs. 2 RVO nF. Danach sind die Beiträge für die Zeit vor dem 1. Januar 1924 nach einem Monatsentgelt von 150,- DM zu berechnen. Ein solcher Monatsentgelt löst gewiß eine wesentlich höhere als die zweite Beitragsklasse aus. Ob deshalb nun - wie die Beklagte meint - durchweg und einheitlich für die gesamten vor dem Stichtag zurückgelegten Versicherungszeiten die Beitragsklasse VI maßgebend ist, kann dahinstehen; für die zu treffende Entscheidung genügt die Einsicht, daß die Beitragsleistung zur Nachversicherung der beiden ehemaligen Postbeamten zu niedrig und daher ergänzungsbedürftig war.

Hinsichtlich der Beitragsbemessungsgrundlage ist deshalb auf § 1402 Abs. 2 RVO abzuheben, weil die älteren entgegenstehenden Vorschriften nach Art. 3 § 2 ArVNG aufgehoben worden sind und weil stattdessen nunmehr § 1402 RVO gilt. Diese Bestimmung ist in der vorliegenden Verbindung als Ergänzung zu § 1232 RVO zu verstehen. Das ergeben die einleitenden Worte des § 1402 Abs. 1 RVO ("In den Fällen des § 1232 ..."). § 1232 wirkt seinerseits infolge von Art. 2 § 3 Abs. 2 ArVNG für die Personen zurück, die vor dem 1. März 1957 unehrenhaft oder freiwillig aus der versicherungsfreien Beschäftigung ausgeschieden waren. An dieser Rückwirkung nimmt § 1402 RVO teil. Auf dieser Gesetzeslage baut Art. 2 § 50 ArVNG auf. Für diese Deutung spricht nicht zuletzt auch, daß der in § 1402 Abs. 2 enthaltene feste Maßstab eines Monatsentgeltes von 150,- DM (für die Zeit vor dem 1. Januar 1924) nicht neu ist, sondern bereits im Jahre 1945 mit Art. 5 der Ersten Vereinfachungsverordnung vom 17. März 1945 eingeführt werden sollte und in der britischen Besatzungszone auch eingeführt worden ist. Dem ist hinzuzufügen, daß Art. 25 Abs. 2 der Ersten Vereinfachungsverordnung diese Neuregelung der Nachversicherung bereits damals auf "alle die Fälle" erstreckte, "in denen die Nachversicherung bisher noch nicht durchgeführt worden" war. Hält man sich diese seit 1945 in der ehemaligen britischen Zone bestehende rechtliche Gegebenheit vor Augen, dann stellt sich die rückwirkende Geltung des § 1402 Abs. 2 Satz 1 RVO geradezu als eine Selbstverständlichkeit dar.

Das verkennt anscheinend auch die Klägerin nicht. Wohl mit Rücksicht hierauf möchte sie aber anerkannt wissen, daß die Nachversicherung nicht erst mit dem Abführen der Beiträge, sondern bereits vorher mit Erteilung der sogenannten Aufschubbescheinigung "durchgeführt" sei. Die hier in Betracht kommenden Bescheinigungen über Beginn und Ende der versicherungsfreien Beschäftigungszeiten und die Höhe der Bruttoentgelte wurden - wie oben erwähnt worden ist - im Jahre 1934 ausgehändigt. Allerdings ist - das ist der Klägerin zuzugeben - in § 1403 Abs. 1 RVO und in den älteren damit korrespondierenden Vorschriften davon die Rede, daß die "Nachentrichtung von Beiträgen" und nicht die "Nachversicherung" aufgeschoben wird. Indessen wird die Nachversicherung nicht schon als "durchgeführt" gelten können, wenn die Pflicht zu ihrer Verwirklichung lediglich in einer Bescheinigung verbrieft worden ist. Die Wendung "durchführen" wird sowohl in der Umgangssprache als auch im Gesetzestext nicht bloß gleichbedeutend mit dem Entstehen oder Anerkennen einer Verbindlichkeit gesetzt. Das zusammengesetzte Zeitwort "durchführen" deutet vielmehr auf Grund seiner ersten Silbe ("durch") auf ein Ziel, einen erreichten oder zu erreichenden Erfolg hin. Freilich kann man statt von "durchführen" auch von "ausführen" sprechen; dann meint man weniger das "beenden", "vollenden", "fertigstellen" als vielmehr das "besorgen", "tun", "vornehmen". Stets bezieht sich die Ausdrucksweise aber auf den Vorgang der "Erfüllung" (im Sinne des § 362 BGB) und nicht auf den der "Verpflichtung". Einen anderen als diesen üblichen Inhalt kann auch dem "Durchführen der Nachversicherung" nicht entnommen werden. Dafür besteht kein Anlaß. Im Gegenteil, in § 1232 Abs. 6 RVO wird z.B. (vgl. auch § 99 Abs. 3 AKG) ersichtlich, daß der Gesetzgeber mit dieser Wortprägung ebenfalls die Vorstellung verknüpft hat, es müsse eine über die rein schuldrechtliche Verbindlichkeit hinausgehende Rechtsänderung eintreten, wenn die Nachversicherung "durchgeführt" sein solle.

Aus allem folgt, daß die Beitragsschulden nicht durch restlose Erfüllung getilgt sind. Bezüglich der verbliebenen Restforderung ist - wie es § 99 Abs. 1 Satz 1 AKG ausspricht - noch "nicht nachversichert worden". Das gleiche gilt, soweit die Beklagte glaubt, für nachgewiesene Ersatzzeiten Beiträge erheben zu können. Da schließlich die mit Beiträgen zu belegenden Zeiten auch nicht bereits auf Grund anderer Vorschriften als nachversichert gelten, sind sämtliche Tatbestandsbedingungen des § 99 Abs. 1 Satz 1 AKG erfüllt. Die weitere Abwicklung der Sache kann sich fortan nur nach dieser Vorschrift richten.

2. An dem grundsätzlichen Erlöschen der gegen die Deutsche Reichspost gerichteten Beitragsforderungen ändert es nichts, daß die Klägerin vor dem Inkrafttreten des AKG zu verstehen gegeben hat, sie betrachte sich als beitragsschuldverpflichtet. Einem solchen rechtsgeschäftlichen Verhalten kommt neben der Regelung des § 99 AKG kein rechtlicher Wert mehr zu. Überdies könnte dem Handeln der Beklagten eine rechtliche Tragweite nur beigemessen werden, wenn sie dem Willen auf Schaffung einer selbständigen Verpflichtung hinsichtlich der Beitragsforderung gegolten hätte (§ 4 Abs. 1 Satz 2 AKG), oder wenn es sich im gegenwärtigen Falle um die Erfüllung von Ansprüchen aus einem gegenseitigen Vertrage handelte (§ 7 AKG). Eine einseitig abstrakte oder eine vertragliche Übernahme der Reichspostschuld durch die Beklagte ist aber aus dem festgestellten Sachverhalt nicht darzutun. Und als ein zweiseitig verpflichtender Vertrag, bei dem jede der beiden Leistungen um der anderen willen als deren Entgelt versprochen und geschuldet wird, ist - wie hier nicht näher dargelegt zu werden braucht - das unmittelbar durch das Gesetz begründete Nachversicherungsverhältnis nicht anzusehen (RVA AN 1895, 136; vgl. auch RGZ 56, 346, 353).

3. Doch sind auch die von der Klägerin erhobenen Erstattungsansprüche nicht gerechtfertigt. Das AKG hat der erbrachten Beitragsleistung nicht nachträglich die rechtliche Grundlage entzogen. Es hat es sogar umgekehrt bei dem Geschehenen bewenden lassen, indem es erklärt, daß die durch § 99 Abs. 1 Satz 1 erfaßten früheren Angehörigen des öffentlichen Dienstes, wenn sie nachversichert worden waren, auch nachversichert bleiben und nicht etwa nunmehr der fiktiven Nachversicherung unterliegen. Der Folgerung, daß die Nachversicherung im gegenwärtigen Fall als vorgenommen zu betrachten sind, kann übrigens nicht mit dem Einwand begegnet werden, die Klägerin habe die Schuld der Deutschen Reichspost nur zum Teil erfüllt und diese Teilerfüllung sei unzulässig. Der für das bürgerliche Recht in § 266 BGB verankerte Grundsatz, daß die Teilleistung prinzipiell wie eine Nichterfüllung anzusehen sei, gilt auf dem Gebiete der gesetzlichen Rentenversicherung nicht, jedenfalls insoweit nicht, als es sich darum handelt, daß der Arbeitgeber Pflichtbeiträge zu entrichten hat (vgl. Entscheidung des RVA in Amtliche Nachrichten 1915, 642).

Es bliebe allein die Möglichkeit, zu erwägen, daß eine Rechtspflicht der Beklagten zur Nachversicherung überhaupt zu verneinen gewesen wäre. Es kann jedoch auf sich beruhen, unter welchem Blickwinkel das Verhältnis der Deutschen Bundespost zur Deutschen Reichspost zu sehen ist, und ob, sowie aus welchem Gesichtspunkt das Sondervermögen der Bundespost für Verbindlichkeiten gegen die Reichspost haftbar gemacht werden konnte, bevor die Kriegsfolgegesetzgebung sich dieser Frage annahm. Auch dann, wenn man die Gesichtspunkte der Teilidentität, der Vermögensübernahme, der Funktionsnachfolge oder andere vornehmlich sozialpolitische Gründe nicht dafür gelten lassen wollte, daß sich ein Nachversicherungsgläubiger der Deutschen Reichspost an das Bundespostvermögen hätte halten können, muß es bei der erbrachten Beitragsleistung sein Bewenden haben. Einer Rückforderung der entrichteten Beiträge stünde jedenfalls der aus § 814 BGB abzuleitende Gedanke entgegen, daß die Beiträge in der erkennbaren Absicht aufgewandt worden sind, diese Zahlungen auch für den Fall des Nichtverpflichtetseins zu bewirken.

4. Was schließlich den von der Klägerin gestellten Antrag betrifft, festzustellen, daß der beigeladene W und der verstorbene Ehemann der beigeladenen T als nachversichert zu gelten hätten, so scheitert dieser Antrag an der Vorschrift des § 99 Abs. 9 AKG. Neben dem besonderen dort vorgesehenen Verwaltungs-"Feststellungs"-Verfahren ist für eine unmittelbare Feststellungsklage vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit kein Platz. Der entsprechende Antrag der Klägerin ist daher unzulässig, dieser Teil des angefochtenen Urteils mußte aufgehoben werden.

5. Soweit das Berufungsurteil den Klagen der Klägerin gegen die Beitragsnachforderungen stattgegeben hat, war es nach dem oben Ausgeführten zu bestätigen. Die Urteilsformel war indessen der Klarstellung halber dahin zu ergänzen, daß nicht nur die Widerspruchsbescheide, sondern auch die ersten Bescheide der Beklagten aufzuheben waren. Dahin geht, wie die Darlegungen des Berufungsurteils zweifelsfrei ergeben, die Entscheidung des Berufungsgerichts. Das Berufungsgericht wollte die durch die ursprünglichen Bescheide geschaffene und durch die Widerspruchsbescheide nicht aufgehobene Beschwer der Klägerin beseitigen. Die richtigstellende Ergänzung des Urteilstenors verwirklicht mithin insoweit die volle Absicht des Berufungsrichters.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2379781

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