Leitsatz (amtlich)

Ist von der wiederaufgelebten Witwenrente der auf die Zeit ab Entstehung des Anspruchs (= Auflösung der neuen Ehe) entfallende Teil einer anläßlich der neuen Eheschließung gezahlten Rentenabfindung selbst dann einzubehalten, wenn der Antrag auf Wiedergewährung der Rente erst später als 12 Monate nach Auflösung der neuen Ehe gestellt und deswegen die wiederaufgelebte Rente erst von einem späteren Zeitpunkt an gezahlt wird, so kann der einzubehaltende Teil der Rentenabfindung nicht um den Betrag vermindert werden, der im Falle rechtzeitiger Antragstellung der Witwe in der Zeit zwischen der Entstehung des Anspruchs und der tatsächlichen Antragstellung als wiederaufgelebte Witwenrente zugestanden hätte (Anschluß an und Fortführung von BSG 1973-09-18 12 RJ 128/72 = SozR Nr 36 zu § 1291 RVO, BSG 1978-03-15 1/5 RJ 84/77).

 

Normenkette

RVO § 1291 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 08.02.1978; Aktenzeichen L 2 J 243/77)

SG Lüneburg (Entscheidung vom 14.09.1977; Aktenzeichen S 4 J 326/76)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 8. Februar 1978 geändert.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 14. September 1977 wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung der Beklagten wird unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Lüneburg vom 14. September 1977 die Klage in vollem Umfange abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Höhe einer auf die wiederaufgelebte Witwenrente anzurechnenden Heiratsabfindung.

Die Beklagte gewährte der Klägerin aus der Versicherung ihres im Jahre 1968 verstorbenen ersten Ehemannes Witwenrente. Diese wurde anläßlich der zweiten Eheschließung der Klägerin im September 1970 mit einem Betrag von DM 15.558,- abgefunden. Am 27. November 1972 verstarb der zweite Ehemann der Klägerin. Ihr wurde daraufhin aus dessen Versicherung ab 27. November 1972 Witwenrente bewilligt.

Auf den Antrag vom 30. September 1975 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 5. März 1976 der Klägerin ab 1. September 1975 wiederaufgelebte Witwenrente aus der Versicherung ihres ersten Ehemannes in Höhe von monatlich DM 436,90. Hierauf rechnete sie die Witwenrente aus der Versicherung des zweiten Ehemannes von monatlich DM 247,90 sowie einen weiteren Betrag von DM 150,- zur Tilgung des auf die Zeit vom 1. Dezember 1972 bis 30. September 1975 entfallenden Teils der Witwenrentenabfindung in Höhe von DM 8.816,20 an, so daß sich ein Zahlbetrag von monatlich DM 39,- ergab.

Auf die Klage, mit welcher sich die Klägerin gegen die Anrechnung des auf die Zeit ab 1. Dezember 1972 entfallenden Teils der Rentenabfindung auf die wiederaufgelebte Rente gewandt hat, hat das Sozialgericht (SG) Lüneburg unter Abweisung des weitergehenden Antrages festgestellt, daß der zurückzuzahlende Teil der Rentenabfindung als bis zum 31. August 1975 in Höhe von DM 3.100,- zurückgezahlt gelte (Urteil vom 14. September 1977). Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen (Urteil vom 8. Februar 1978) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen; auf die Berufung der Klägerin hat es unter Abänderung des Urteils des SG vom 14. September 1977 und des Bescheides vom 5. März 1976 die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 1. September 1975 wiederaufgelebte Witwenrente nach ihrem ersten Ehemann zu zahlen und von dieser Rente lediglich einen Abfindungsbetrag von DM 3.965,90 einzubehalten. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt:

Dem Grunde nach sei der auf die Zeit nach Wiederaufleben des Rentenanspruchs entfallende Teil der Rentenabfindung auf die wiederaufgelebte Rente anzurechnen, auch wenn diese erst nach Ablauf des Abfindungszeitraums beantragt worden sei. Der Höhe nach dürfe die Abfindung jedoch nicht mit dem gesamten auf die Zeit nach Wiederaufleben des Rentenanspruchs entfallenden Teil einbehalten werden. Zwar sei die Einbehaltung unabhängig von dem Zeitpunkt, in welchem die wiederaufgelebte Witwenrente beantragt werde und damit der Anspruch auf Auszahlung dieser Leistung entstehe, allein nach dem Zeitpunkt der Entstehung des Stammrechts auf die wiederaufgelebte Rente und somit der Auflösung der zweiten Ehe vorzunehmen. Beginne die wiederaufgelebte Witwenrente jedoch nicht auch in diesem Zeitpunkt, weil der Leistungsantrag erst später als 12 Monate nach Auflösung der zweiten Ehe gestellt worden sei, so könne es für den Umfang der Einbehaltung der nicht verbrauchten Abfindung nicht ohne Auswirkung bleiben, daß der Leistungsträger den als Stammrecht bestehenden Anspruch in der Zeit zwischen der Auflösung der zweiten Ehe und dem Beginn der Leistung nicht habe zu erfüllen brauchen. In diesem Falle sei der Leistungsträger zur Einbehaltung des nicht verbrauchten Teils der Rentenabfindung nur abzüglich der Rentenbeträge berechtigt, die er bei einer Antragstellung innerhalb von 12 Monaten nach Auflösung der zweiten Ehe aufgrund des dadurch entstandenen Stammrechtes hätte leisten müssen. Denn auch die Höhe der Einbehaltung müsse sich nach dem Stammrecht richten. Der Versicherungsträger habe deswegen den einzubehaltenden Betrag so zu errechnen, als sei mit dem Stammrecht auch der Leistungsanspruch entstanden, und dementsprechend den nicht verbrauchten Teil der Abfindung um die Beträge zu vermindern, die der Witwe aufgrund des Stammrechts dem Grunde nach zugestanden hätten, mangels eines rechtzeitigen Leistungsantrages aber nicht gezahlt worden seien. Anderenfalls werde der Versicherungsträger dadurch ungerechtfertigt bereichert, daß er zwar die der Witwe seit Auflösung der zweiten Ehe zustehenden Leistungen erspare, den nicht verbrauchten Teil der Abfindung bei späterer Antragstellung aber dennoch in voller Höhe einbehalten könne. Der Berücksichtigung des Stammrechts für die Höhe des Rückzahlungsbetrages stehe nicht entgegen, daß die Klägerin dadurch von der Auflösung ihrer zweiten Ehe an die günstigere Versorgung aus der ersten Ehe erhalte, obwohl diese grundsätzlich nur bei rechtzeitigem Antrag gewährt werden solle. Aufgrund des Stammrechts hätte die Klägerin in der Zeit von Dezember 1972 bis August 1975 wiederaufgelebte Witwenrente in Höhe von insgesamt DM 4.850,30 erhalten. Um diesen Betrag sei der nicht verbrauchte Teil der Rentenabfindung (DM 8.816,20) zu mindern und sie somit lediglich in Höhe von DM 3.965,90 einzubehalten.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 1291 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Mit seiner Erwägung, daß die Konstruktion des Stammrechts Einfluß auf die Einbehaltung gemäß § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO haben könne, habe das LSG Zusammenhänge übersehen, auf die im Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18. September 1973 (BSG SozR RVO § 1291 Nr 36) aufmerksam gemacht worden sei. Nach dem Zweck der Rentenabfindung sei es logisch, daß die Rückzahlungsverpflichtung zugleich mit dem Entstehen des Anspruchs auf wiederaufgelebte Rente dem Grunde nach und unabhängig davon, wann der Leistungsantrag gestellt werde, entstehe. Dieser Antrag sei nur Anknüpfungspunkt für die Verrechnungsmodalitäten einer nach Grund und Höhe feststehenden Forderung, die erst mit tatsächlich zur Entstehung gelangenden Einzelansprüchen im Wege der "Einbehaltung" getilgt werde.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die rechtliche Begründung des angefochtenen Urteils für zutreffend.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die durch Zulassung statthafte Revision der Beklagten ist zulässig und begründet.

Die Beteiligten streiten darum, in welcher Höhe die der Klägerin anläßlich ihrer zweiten Eheschließung gewährte Rentenabfindung von der nach Auflösung der zweiten Ehe wiederaufgelebten Witwenrente nach dem ersten Ehemann einzubehalten ist. Rechtsgrundlage hierfür ist § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO idF des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) vom 23. Februar 1957 (BGBl I S 45). Hat eine Witwe sich wieder verheiratet und wird diese Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt, so lebt der Anspruch auf Witwenrente vom Ablauf des Monats, in dem die Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt ist, wieder auf, wenn der Antrag spätestens 12 Monate nach der Auflösung oder Nichtigerklärung der Ehe gestellt ist; ein von der Witwe infolge Auflösung der Ehe erworbener neuer Versorgungs-, Unterhalts- oder Rentenanspruch ist auf die Witwenrente anzurechnen (§ 1291 Abs 2 Satz 1 RVO). Eine bei der Wiederverheiratung gezahlte Abfindung ist in angemessenen monatlichen Teilbeträgen einzubehalten, soweit sie für die Zeit nach Wiederaufleben des Anspruchs auf Rente gewährt ist (§ 1291 Abs 2 Satz 2 RVO).

Hierzu hat der 12. Senat des BSG in seinem Urteil vom 18. September 1973 (BSG SozR RVO § 1291 Nr 36) ausgesprochen, daß dann, wenn die zweite Ehe vor Ablauf von fünf Jahren nach der Wiederheirat der Witwe aufgelöst oder für nichtig erklärt wird, bei der Gewährung der wiederaufgelebten Witwenrente aus der Versicherung des ersten Ehemannes derjenige Teil der bei der Wiederheirat gezahlten Witwenrentenabfindung einzubehalten - genauer gesagt: mit den wiederaufgelebten Rentenleistungen zu verrechnen - ist, der rechnerisch auf die Zeit von der Auflösung bzw Nichtigkeitserklärung der zweiten Ehe bis zum Ablauf der fünf Jahre entfällt, und zwar unabhängig davon, wann die wiederauflebende Rente beantragt wird. Dem hat sich der erkennende Senat in seinem Urteil vom 15. März 1978 - 1/5 RJ 84/77 - angeschlossen, hierbei insbesondere auf den engen sachlichen Zusammenhang des § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO mit Satz 1 der Vorschrift einerseits und mit § 1302 Abs 1 RVO andererseits abgehoben und daraus hergeleitet, daß sowohl nach dem Wortlaut der maßgebenden Vorschriften als auch nach dem Zweck der sog "Rentenabfindung" für die Berechnung des mit der wiederaufgelebten Rente zu verrechnenden Teils der Rentenabfindung allein der Zeitpunkt des Entstehens der Anspruchsberechtigung als solche und damit der Beginn des Monats nach Auflösung bzw Nichtigerklärung der zweiten Ehe, nicht hingegen der Zeitpunkt des von der Antragstellung abhängigen tatsächlichen Beginns der wiederaufgelebten Rente maßgebend sei.

Das Berufungsgericht hat sich diesen Entscheidungen insofern angeschlossen, als es auch nach seiner Ansicht für die Frage, ob überhaupt eine Verrechnung des "nicht verbrauchten" Teils der Rentenabfindung vorgenommen werden kann, auf den Zeitpunkt der Auflösung der zweiten Ehe und nicht auf denjenigen des Leistungsantrages ankommt. Es meint jedoch, seiner Höhe nach sei der zu verrechnende Teil der Rentenabfindung dann, wenn die wiederaufgelebte Rente erst später als 12 Monate nach Auflösung der zweiten Ehe beantragt werde, nicht unabhängig von dem Zeitpunkt der Antragstellung; vielmehr müsse in diesem Falle der zu verrechnende Teil der Abfindung um die auf die Zeit zwischen der Auflösung der zweiten Ehe und der Antragstellung entfallenden Beträge der wiederaufgelebten Rente vermindert werden. Dem kann nicht gefolgt werden.

Die Meinung des LSG ist bereits vom Wortlaut des § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO nicht gedeckt. Danach ist die Abfindung einzubehalten, soweit sie für die Zeit nach Wiederaufleben des Anspruchs auf Rente gewährt ist. Dieser Zeitraum beginnt mit dem Ersten des Monats nach Auflösung oder Nichtigerklärung der Ehe (§ 1291 Abs 2 Satz 1 RVO) und endet mit Ablauf des für die Bemessung der Abfindung maßgebenden Fünfjahreszeitraums (§ 1302 Abs 1 RVO). Hiernach errechnet sich die Höhe des mit der wiederaufgelebten Rente zu verrechnenden Teils der Abfindung allein nach dem Verhältnis des gesamten Fünfjahreszeitraums zu dem Zeitraum zwischen der Auflösung bzw Nichtigerklärung der zweiten Ehe und dem Ende des Fünfjahreszeitraums. Eine andere Art der Berechnung des zu verrechnenden Teils der Abfindung, insbesondere seine Minderung um die infolge einer verspäteten Antragstellung vom Versicherungsträger in der Zeit zwischen dem Wiederaufleben des Rentenanspruchs und dem Beginn der tatsächlichen Rentenzahlung "ersparten" Rentenleistungen, sieht das Gesetz nicht vor.

Eine solche Minderung würde überdies im Widerspruch zum Gesetz stehen und zu dessen Umgehung führen. Nach § 1291 Abs 2 Satz 1 RVO ist die wiederaufgelebte Witwenrente lediglich dann vom Zeitpunkt des Wiederauflebens des Stammrechts an zu zahlen, wenn der Antrag spätestens 12 Monate nach diesem Zeitpunkt gestellt worden ist. Wird der Antrag später gestellt, so ist die wiederaufgelebte Rente entsprechend § 1290 Abs 3 Satz 1 RVO vom Beginn des Antragsmonats zu zahlen. Diese Vorschrift ist hinsichtlich des Leistungsbeginnes die Grundregelung. Ihr gegenüber stellt § 1291 Abs 2 Satz 1 RVO einen Sondertatbestand und eine Ausnahmeregelung dar (BSGE 18, 62, 64; BSG SozR RVO § 1291 Nr 36). Wäre entsprechend der Auffassung des LSG dann, wenn die Gewährung der wiederaufgelebten Witwenrente erst später als 12 Monate nach der Auflösung der zweiten Ehe beantragt wird, der mit der wiederaufgelebten Rente zu verrechnende Teil der Abfindung um die in der Zeit zwischen Auflösung der zweiten Ehe und tatsächlichem Rentenbeginn "ersparten" Rentenleistungen zu mindern, so würde dies zu einer unzulässigen extensiven Auslegung der Ausnahmevorschrift des § 1291 Abs 2 Satz 1 RVO und damit zugleich zu einer Umgehung der Grundregelung des § 1290 Abs 3 Satz 1 RVO führen. Der Empfängerin der wiederaufgelebten Witwenrente würde nämlich die Leistung aufgrund der Anrechnung auf den einzubehaltenden Teil der Rentenabfindung im wirtschaftlichen Endergebnis doch bereits vom Zeitpunkt der Auflösung der zweiten Ehe an gewährt, obgleich sie den hierauf gerichteten Antrag erst später als 12 Monate nach diesem Zeitpunkt gestellt hat. Eine solche Gesetzesumgehung läßt sich selbst mit der vom LSG angestellten Erwägung, daß die Regelung über den Leistungsbeginn bei verspäteter Antragstellung haushaltspolitische Ursachen habe und diese nur dort sinnvoll seien, wo auf Antrag zusätzliche Leistungen gewährt werden sollten, nicht rechtfertigen.

Die Auffassung des LSG stellt überdies unter Verkennung des Sinnes und Zweckes der aus Anlaß der Wiederverheiratung gewährten Rentenabfindung einen unzulässigen systematischen Zusammenhang zwischen den Sätzen 1 und 2 des § 1291 Abs 2 RVO her. Zwar wird mit der Gewährung einer Abfindung anläßlich der erneuten Eheschließung und mit der Aussicht auf ein Wiederaufleben der Rente aus der Versicherung des ersten Ehegatten für den Fall des Scheiterns der zweiten Ehe insofern derselbe Zweck verfolgt, als hierdurch der Anreiz zu einer Wiederheirat gegeben, die Furcht vor einer Verschlechterung der Unterhaltslage für den Fall des Scheiterns der zweiten Ehe beseitigt und so unerwünschten Rentenkonkubinaten entgegengewirkt werden soll (BSGE 14, 238, 240; 19, 153, 155; 23, 124, 126; 30, 110, 111; BSG SozR RVO § 1291 Nrn 22 und 36). Im übrigen jedoch sind die Rentenabfindung einerseits und die wiederaufgelebte Witwenrente andererseits nach Sinn und Zweck wesensverschieden. Ungeachtet ihrer mißverständlichen Bezeichnung ist die Rentenabfindung iS des § 1302 Abs 1 RVO weder eine der Kapitalabfindung nach §§ 603 ff RVO oder nach §§ 72 ff des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) vergleichbare Leistung noch eine Rentenvorauszahlung, sondern eine einmalige Leistung besonderer Art mit dem Zweck, durch Gewährung einer "Starthilfe" eine neue Eheschließung des Berechtigten zu ermöglichen und zu erleichtern (vgl Urteil des Senats vom 15. März 1978 - 1/5 RJ 84/77 - mit eingehenden weiteren Nachweisen). Die Abfindung stellt keinen Ersatz für die durch die zweite Eheschließung weggefallene Witwenrente dar (BSG SozR 2200 § 1302 Nr 1) und hat somit im Gegensatz zur Rente keine Unterhaltsersatzfunktion (BSGE 30, 110, 112). Hieran anschließend trifft § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO eine Regelung für den Fall, daß der mit der Gewährung der Abfindung verfolgte Zweck der Erleichterung einer neuen Eheschließung nicht erreicht worden und nunmehr mit der Erfüllung der Voraussetzungen für ein Wiederaufleben des Rentenanspruchs die Möglichkeit einer doppelten Belastung der Versichertengemeinschaft gegeben ist (BSGE 30, 110, 112; BSG SozR 2200 § 1302 Nr 1). § 1291 Abs 2 Satz 1 RVO verfolgt einen anderen Zweck. Durch die Gewährung wiederaufgelebter Witwenrente soll der unterhaltsrechtliche Status der Witwe in der Zeit vor Eingehung der neuen Ehe unter Berücksichtigung der seither erfolgten Rentenanpassungen (vgl § 1291 Abs 4 iVm § 1270 Abs 1 Satz 4 RVO) erhalten und zu diesem Zweck eine etwaige Versorgungslücke aus der zweiten Ehe durch die gegenüber Versorgungs-, Unterhalts- oder Rentenansprüchen aus dieser Ehe subsidiär wiederaufgelebte Witwenrente geschlossen werden (vgl BSGE 42, 110, 111 und die dort zitierten Entscheidungen; ferner BSGE 30, 220, 222; 38, 183, 184; BSG SozR RVO § 1291 Nrn 23, 31, 36; SozR 2200 § 1291 Nrn 1, 9). Angesichts dieser unterschiedlichen Zwecksetzungen der beiden Leistungen sind die Abfindung und die wiederaufgelebte Witwenrente vom System her ohne wechselseitigen Einfluß aufeinander (BSGE 30, 110, 112). Dementsprechend knüpft auch § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO nicht an Satz 1 der Vorschrift, sondern ausschließlich an § 1302 Abs 1 RVO an (BSG SozR RVO § 1291 Nr 36). Dies hat das LSG außer Betracht gelassen, indem es auch bezüglich der Berechnung des nach § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO mit der wiederaufgelebten Witwenrente zu verrechnenden Teils der Rentenabfindung auf den allein im Rahmen des § 1291 Abs 2 Satz 1 RVO relevanten Zeitpunkt des tatsächlichen Beginns der wiederaufgelebten Rente abgehoben hat.

Schließlich kann dem LSG nicht darin gefolgt werden, daß eine Auslegung des § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO iS des Urteils des BSG vom 18. September 1973 zu einer nach Sachlage ungerechtfertigen Bereicherung des Versicherungsträgers führe, indem dieser die der Witwe nach dem Stammrecht zustehenden Leistungen seit Auflösung der zweiten Ehe erspare, den nicht verbrauchten Teil des Abfindungsbetrages bei späterer Antragstellung aber dennoch in voller Höhe von dem Leistungsanspruch einbehalten könne. Allerdings ist dann, wenn der Antrag auf wiederaufgelebte Witwenrente erst später als 12 Monate nach Auflösung der zweiten Ehe gestellt worden ist, der Versicherungsträger zur Erbringung von Leistungen für die Zeit bis zur Antragstellung frei. Dies ist jedoch die gesetzliche (vgl § 1290 Abs 3 Satz 1 RVO) Konsequenz des eigenen Verhaltens der Antragstellerin. Grundsätzlich hat sie selbst die Folgen einer verspäteten Antragstellung zu tragen. Es geht nicht an, sich daraus für den Versicherungsträger möglicherweise ergebende wirtschaftliche Vorteile schlechthin als sachlich ungerechtfertigt anzusehen und deswegen die Konsequenzen des eigenen Verhaltens der Antragstellerin entgegen zwingenden gesetzlichen Vorschriften dem Versicherungsträger anzulasten. Ob etwas anderes dann zu gelten hat, wenn eine rechtzeitige Antragstellung infolge des Verhaltens des Versicherungsträgers unterblieben ist, kann auf sich beruhen. Die tatsächlichen Feststellungen des LSG bieten hierfür keine Anhaltspunkte. Im übrigen ist es angesichts der Unterschiede zwischen der Rentenabfindung und der wiederaufgelebten Witwenrente zweifelhaft, ob der Rechtsverlust infolge eines verspäteten Rentenantrages über eine der Witwe günstigere Berechnung des auf die Rente anzurechnenden Teils der Abfindung korrigiert werden könnte. Das braucht hier jedoch nicht erörtert zu werden.

Die Beklagte hat nach alledem zu Recht den auf die Zeit vom 1. Dezember 1972 bis 30. September 1975 entfallenden Teil der Rentenabfindung zur Verrechnung gegen die wiederaufgelebte Witwenrente gestellt. Dies muß unter Aufhebung der Vorentscheidungen zur Abweisung der Klage führen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1651851

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