Leitsatz (amtlich)

Von der wiederaufgelebten Witwenrente ist der auf die Zeit ab Entstehung des Anspruchs (= Auflösung der neuen Ehe) entfallende Teil einer anläßlich der neuen Eheschließung gezahlten Rentenabfindung selbst dann einzubehalten, wenn der Antrag auf Wiedergewährung der Rente erst später als 12 Monate nach Auflösung der neuen Ehe gestellt und deswegen die wiederaufgelebte Rente erst von einem späteren Zeitpunkt an gezahlt wird (Bestätigung von BSG 1973-09-18 12 RJ 128/72 = SozR Nr 36 zu § 1291 RVO).

 

Normenkette

RVO § 1291 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

SG Duisburg (Entscheidung vom 30.06.1977; Aktenzeichen S 12 J 251/76)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 30. Juni 1977 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten um die Höhe des auf eine wiederaufgelebte Witwenrente anzurechnenden Teils einer Heiratsabfindung.

Die Klägerin bezog ab 1. Januar 1966 aus der Versicherung ihres verstorbenen ersten Ehemannes Witwenrente. Diese wurde anläßlich der Eheschließung der Klägerin mit … (F.) am 13. November 1970 mit dem fünffachen Jahresbetrag abgefunden. Durch Urteil des Landgerichts Essen vom 29. Februar 1972 wurde die zweite Ehe der Klägerin aus beiderseitigem Verschulden geschieden. In einem Vergleich vom selben Tage verpflichtete sich F., der Klägerin ab 1. März 1972 einen monatlichen Unterhalt von DM 250,-- zu zahlen; der Unterhaltsanspruch der Klägerin sollte erlöschen, sobald ihre Rente wiederauflebte. F. leistete letztmals für den Monat Dezember 1975 Unterhalt.

Auf den Antrag vom 2. Oktober 1975 bewilligte die Beklagte der Klägerin dem Grunde nach wiederaufgelebte Witwenrente von monatlich DM 268,40 ab 1. Oktober 1975. Hierauf rechnete sie den Unterhaltsanspruch von DM 250,-- an; gegen den verbleibenden Betrag von monatlich DM 18,40 wurde die für die Zeit nach Wiederaufleben des Anspruchs gezahlte Rentenabfindung vom 1. März 1972 bis zum 30. November 1975 in Höhe von DM 7.366,50 aufgerechnet, so daß sich ein Zahlbetrag der Rente nicht ergab (Bescheid vom 13. Februar 1976).

Mit der Klage hat sich die Klägerin gegen die Anrechnung des Unterhaltsanspruchs auf die wiederaufgelebte Witwenrente gewandt und zugleich begehrt, die Zeit nach Wiederaufleben des Anspruchs auf Witwenrente, für die noch Abfindung gewährt worden sei, auf die Monate Oktober und November 1975 zu begrenzen. Im Verlaufe des Rechtsstreits hat sich die Beklagte verpflichtet, für die Zeit ab 1. Januar 1976 einen Unterhaltsanspruch gegen F. nicht mehr anzurechnen. Durch Urteil vom 30. Juni 1977 hat das Sozialgericht (SG) Duisburg die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 13. Februar 1976 verurteilt, der Klägerin die wiederaufgelebte Witwenrente unter Einbehaltung von nur 1/30 der gewährten Abfindung zu zahlen; es hat die Revision zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Die Beklagte dürfe nur denjenigen Teil der Abfindung einbehalten, der dem Zeitanteil des Fünfjahreszeitraums vom Wiederaufleben des Zahlungsanspruchs in Abhängigkeit von der Antragstellung entspreche (1. Oktober bis 30. November 1975). Entgegen dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18. September 1973 (BSG SozR RVO § 1291 Nr 36) könne nicht auf den Zeitpunkt abgestellt werden, in welchem das Grundrecht auf Gewährung der Witwenrente wiederauflebe. Dies laufe auf eine Bestrafung wegen allzu frühen Scheiterns der neuen Ehe hinaus und widerspreche dem Sinn des § 1291 Abs 2 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Hierdurch solle lediglich sichergestellt werden, daß der Rentenberechtigte, der eine Abfindung des Anspruchs erhalten habe, bei Wiederaufleben des Witwenrentenanspruchs nicht mehr erhalte, als wenn er die Rente ununterbrochen bezogen hätte. Nicht hingegen solle ein finanzieller Druck dahingehend ausgeübt werden, eine neue Ehe mindestens 5 Jahre aufrechtzuerhalten. Der Berechtigte könne sich durch eine spätere Antragstellung keinen finanziellen Vorteil verschaffen. Gegenüber der Möglichkeit, innerhalb des von der Abfindung erfaßten 5-Jahreszeitraums die Rente überhaupt nicht wiederaufleben zu lassen, sei die getroffene Regelung für den Berechtigten insofern günstiger, als sie jedenfalls seine Versorgung sicherstelle. Es bestehe kein Anlaß, diese Rechtswohltat in ihr Gegenteil zu verkehren, wenn der Antrag später als 1 Jahr nach Auflösung der neuen Ehe gestellt werde. Schließlich könne kein ungerechtfertigter Vorteil des Berechtigten darin gesehen werden, daß der zum Unterhalt an sich nicht verpflichtete geschiedene Ehegatte gleichwohl insoweit Unterhalt leiste, als die vorher bestehende Versorgung des Berechtigten durch die Eheschließung und die aus ihrem Anlaß gewährte Abfindung gemindert worden sei.

Mit ihrer Revision macht die Beklagte geltend, es müsse der auf die Zeit vom 1. März 1972 bis zum 30. November 1975 entfallende Teil der Rentenabfindung einbehalten werden. § 1291 Abs 2 Satz 1 RVO enthalte lediglich Berechnungsanweisungen für die Gewährung der wiederauflebenden Rente. Satz 2 der Vorschrift knüpfe nicht hieran, sondern an die nach § 1302 RVO gewährte Abfindung an und habe somit einen anderen Regelungsgehalt als Satz 1. Mit der Abfindung solle ein Anreiz zu einer Wiederheirat gegeben werden. Dieser Zweck werde in dem Augenblick nicht erreicht, in welchem die zweite Ehe aufgelöst werde. Damit zugleich entstehe der Anspruch auf wiederaufgelebte Witwenrente dem Grunde nach. Werde die Höhe der einzubehaltenden Abfindung von dem Zeitpunkt der Antragstellung abhängig gemacht, so werde damit nicht nur der Unterschied zwischen dem Stammrecht und den Einzelleistungen verwischt, sondern auch der Willkür und der ungerechtfertigten Bereicherung des Berechtigten der Weg bereitet. Der Berechtigte könne durch die Wahl des Zeitpunkts der Antragstellung erreichen, daß er uU die gesamte Abfindung behalte, obgleich deren Zweck nicht erreicht worden sei. Auch die Klägerin habe sich einen finanziellen Vorteil verschafft; bei rechtzeitiger Antragstellung hätte ihr Unterhaltsanspruch gegen F. angerechnet werden müssen. Die Auffassung des SG führe zu einer Benachteiligung derjenigen Berechtigten, die infolge fehlender oder geringfügiger Unterhalts-, Versorgungs- oder Rentenansprüche den Antrag rechtzeitig stellen müßten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 30. Juni 1977 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.

II

Die durch Zulassung statthafte Revision ist zulässig. Die Beklagte hat ihrer fristgerecht eingereichten Revisionsschrift eine beglaubigte Fotokopie der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem SG am 30. Juni 1977 beigefügt, ausweislich derer die Klägerin sich mit der Einlegung der Sprungrevision durch die Beklagte einverstanden erklärt hat. Damit ist dem Erfordernis des § 161 Abs 1 Satz 3 SGG genügt (vgl BSGE 12, 230, 231 ff; BSG SozR 1500 § 161 Nr 5).

Die Revision ist im Sinne der Zurückverweisung des Rechtsstreits begründet.

Die Beteiligten streiten darum, in welcher Höhe die Beklagte die der Klägerin anläßlich ihrer zweiten Eheschließung gewährte Abfindung von der wiederaufgelebten Witwenrente einbehalten darf. Dies richtet sich nach § 1291 RVO in seiner zur Zeit der Auflösung der zweiten Ehe der Klägerin maßgebenden Fassung des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) vom 23. Februar 1957 (BGBl I, S. 45). Nach § 1291 Abs 1 RVO fällt die Witwenrente mit Ablauf des Monats weg, in dem die Berechtigte wiederheiratet. Hat eine Witwe sich wiederverheiratet und wird diese Ehe ohne alleiniges oder überwiegendes Verschulden der Witwe (vgl insoweit die Neufassung der Vorschrift durch Art 1 § 1 Nr 20 des Rentenreformgesetzes -RRG- vom 16. Oktober 1972, BGBl I S. 1965) aufgelöst oder für nichtig erklärt, so lebt der Anspruch auf Witwenrente vom Ablauf des Monats, in dem die Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt ist, wieder auf, wenn der Antrag spätestens 12 Monate nach der Auflösung oder Nichtigkeitserklärung der Ehe gestellt ist; ein von der Witwe infolge der Auflösung der Ehe erworbener neuer Versorgungs-, Unterhalts- oder Rentenanspruch ist auf die Witwenrente anzurechnen (§ 1291 Abs 2 Satz 1 RVO). Eine bei der Wiederverheiratung gezahlte Abfindung ist in angemessenen monatlichen Teilbeträgen einzubehalten, soweit sie für die Zeit nach Wiederaufleben des Anspruchs auf Rente gewährt ist (§ 1291 Abs 2 Satz 2 RVO).

Zu dieser Vorschrift hat der 12. Senat des BSG in seinem Urteil vom 18. September 1973 (BSG SozR RVO § 1291 Nr 36) ausgesprochen, bei Auflösung oder Nichtigerklärung der zweiten Ehe vor Ablauf von 5 Jahren nach der Wiederheirat sei bei der Gewährung der wiederaufgelebten Witwenrente derjenige Teil der anläßlich der Wiederheirat gezahlten Rentenabfindung einzubehalten, der rechnerisch auf die Zeit von der Auflösung bzw Nichtigkeitserklärung der zweiten Ehe bis zum Ablauf der 5 Jahre entfalle, und zwar unabhängig davon, wann die wiederauflebende Witwenrente beantragt werde. Dieses Ergebnis sei allerdings aus dem insofern unklaren Wortlaut des § 1291 Abs 2 RVO nicht zu finden. Es rechtfertige sich jedoch nach Sinn und Zweck des § 1291 Abs 2 RVO in seinem Gesamtzusammenhang mit Abs 1 der Vorschrift und mit § 1302 RVO. Zu unterscheiden sei zwischen dem Anspruch auf die wiederauflebende Rente dem Grunde nach (Stammrecht) und dem sich erst daraus ergebenden einzelnen Leistungsanspruch. Dessen Beginn sei zwar vom Zeitpunkt der Antragstellung abhängig, beeinflusse jedoch nicht den Umfang der "einzubehaltenden" Abfindung. Insofern knüpfe § 1291 Abs 2 Satz 2 allein an § 1302 RVO an. Die Vorschrift bezwecke ua den Fortbestand der neuen Ehe. Dieser Zweck werde in dem Augenblick nicht erreicht, indem die neue Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt werde und damit zugleich der Anspruch auf die wiederauflebende Rente entstehe. Als Ausgleich für die verfehlte Zweckerreichung sei der auf die Zeit nach dem Wiederaufleben des Anspruchs entfallende Teil der Sonderleistung herauszugehen. Werde dessen Berechnung vom Zeitpunkt der Antragstellung abhängig gemacht, so werde dadurch nicht nur der Unterschied zwischen dem Anspruch dem Grunde nach und den Einzelleistungen verwischt, sondern auch der Willkür und der ungerechtfertigten Bereicherung des Rentenberechtigten der Weg bereitet.

Der Senat schließt sich dem im Ergebnis an.

Zu Recht hat der 12. Senat darauf hingewiesen, daß § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO nicht isoliert betrachtet werden kann. Vielmehr ist er in engem sachlichen Zusammenhang mit § 1291 Abs 1 und § 1302 RVO sowie auch mit § 1291 Abs 2 Satz 1 RVO zu sehen. Letztere Vorschrift enthält zwei Teile. Sie regelt einmal die Anspruchsberechtigung als solche und zum anderen die Frage des Leistungsbeginns (vgl BSGE 18, 62, 64). Die Anspruchsberechtigung als solche ist allein an den Tatbestand der Auflösung oder Nichtigerklärung der neuen Ehe sowie daran geknüpft, daß im Zeitpunkt der Eingehung der neuen Ehe wenigstens dem Grunde nach ein Rentenanspruch bestanden hat, der auf Reichs- oder Bundesrecht beruht hat und von einem Versicherungsträger im Bundesgebiet zu erfüllen war (BSGE 19, 97, 98; 25, 20, 21 f; BSG SozR 2200 § 1291 Nr 6), auch wenn etwa wegen fehlender Antragstellung eine Rente tatsächlich nicht gezahlt worden ist (BSGE 16, 202, 203; 25, 20, 21; BSG SozR RVO § 1291 Nr 16). Von einem Antrag hingegen ist die Anspruchsberechtigung als solche nicht abhängig. Der Antrag ist lediglich für den Leistungsbeginn von Bedeutung; insofern enthält der zweite Teil des § 1291 Abs 2 Satz 1 RVO eine partielle Ausnahmeregelung des Inhaltes, daß bei einer Antragsteilung innerhalb von 12 Monaten nach Auflösung der neuen Ehe die wiederaufgelebte Rente bereits mit Beginn des Monats nach Auflösung der Ehe und nicht erst entsprechend der Grundregel des § 1290 Abs 3 Satz 1 RVO vom Beginn des Antragsmonats an zu zahlen ist (vgl BSGE 18, 62, 64; BSG SozR RVO § 1291 Nr 36). An diesen Teil des § 1291 Abs 2 Satz 1 RVO schließt Satz 2 nicht an. Vielmehr ergibt sich aus der Verwendung der Worte "für die Zeit nach Wiederaufleben des Anspruchs auf Rente", daß allein der Zeitpunkt des Entstehens der Anspruchsberechtigung als solche und damit der Beginn des Monats nach Auflösung bzw Nichtigerklärung der Ehe für die Berechnung des mit der wiederaufgelebten Rente zu verrechnenden Teils der Rentenabfindung maßgebend sein soll (vgl auch BSGE 26, 114, 116) und der von der Antragstellung abhängige tatsächliche Beginn der Rentenzahlung hierfür ohne Bedeutung ist.

Der enge Sachzusammenhang zwischen § 1291 Abs 2 Satz 2 und § 1302 Abs 1 RVO führt zu demselben Ergebnis. Die sog "Abfindung" nach § 1302 Abs 1 RVO stellt weder eine der Kapitalabfindung nach §§ 603 ff RVO oder nach §§ 72 ff des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) vergleichbare Leistung (vgl BSGE 29, 296, 297; BSG SozR 2200 § 1302 Nr 1) noch eine Rentenvorauszahlung dar (BSGE 30, 110, 112). Vielmehr ist sie eine einmalige Leistung besonderer Art (BSGE 30, 110, 112) mit dem Zweck, zur Vermeidung unerwünschter Rentenkonkubinate eine neue Eheschließung des Berechtigten durch Gewährung einer "Starthilfe" zu erleichtern (vgl Beschlüsse des Großen Senats des BSG vom 9. Juni 1961 - BSGE 14, 238, 240 - und vom 21. Juli 1977 - GS 1/76, 2/76 -; ferner BSGE 18, 62, 63; 19, 153, 155; 23, 124, 126; 29, 296, 298; 30, 110, 111; BSG SozR RVO § 1291 Nr 30). Diese einmalige Leistung ist weder dem Grunde noch ihrer Höhe nach von der Dauer der neuen Ehe abhängig (vgl BSG SozR 2200 § 1302 Nr 1). Zwar wird als Abfindung das Fünffache des Jahresbetrages der bisher bezogenen Rente gewährt. Insoweit ist § 1302 Abs 1 RVO jedoch eine bloße Berechnungsvorschrift. Ihr kann schon deswegen nicht entnommen werden, daß die Abfindung nach Grund oder Höhe von einer mindestens 5jährigen Dauer der neuen Ehe abhängig ist, weil die Leistung auf der Grundlage der bisher bezogenen und nicht etwa der in den nächsten 5 Jahren zu gewährenden Rente berechnet wird. Dieser Inhalt und Zweck des § 1302 Abs 1 RVO sind auch bei der Auslegung des § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO zu berücksichtigen.

Dabei kann dahinstehen, ob hierin lediglich die Anrechnung des auf die Zeit nach Wiederaufleben des Anspruchs auf Rente entfallenden Teiles der Abfindung angeordnet wird, ohne zugleich einen entsprechenden Rückforderungsanspruch des Versicherungsträgers zu regeln (vgl BSGE 30, 110, 112 f; BSG SozR 2200 § 1302 Nr 1), oder ob dem Versicherungsträger ein Anspruch auf Rückzahlung des auf die Zeit nach Wiederaufleben der Rente entfallenden Teils der Abfindung mit der Maßgabe und unter der Einschränkung eingeräumt wird, daß dieser Anspruch nur durch Verrechnung mit der wiederaufgelebten Rente realisiert werden darf. Jedenfalls schließt § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO auf seiner Tatbestandsseite daran an, daß der mit der Gewährung der Abfindung verfolgte Zweck der Erleichterung einer neuen Ehe nicht erreicht worden ist; seiner Zwecksetzung nach soll er die sich daraus ergebende Möglichkeit einer Doppelbelastung der Versichertengemeinschaft ausschließen (BSGE 30, 110, 112; BSG SozR 2200 § 1302 Nr 1). Für beides ist der Zeitpunkt der Auflösung der neuen Ehe und nicht erst derjenige des antragsabhängigen Rentenbeginns maßgebend. Denn bereits in ersterem Zeitpunkt ist manifest geworden, daß der Zweck der Abfindung nicht erreicht worden ist; ebenso besteht, da schon mit der Auflösung der neuen Ehe der Rentenanspruch wiederauflebt, von diesem Zeitpunkt an die Möglichkeit der Doppelversorgung.

Allerdings kann nicht übersehen werden, daß es zu einer Doppelversorgung durch Gewährung der wiederaufgelebten Rente während des von der Abfindung erfaßten Zeitraums effektiv erst mit der tatsächlichen Zahlung dieser Rente und damit, sofern der hierfür erforderliche Antrag später als 12 Monate nach Auflösung oder Nichtigerklärung der neuen Ehe gestellt worden ist, erst zu einem späteren Zeitpunkt kommt. Eine sozialpolitisch unerwünschte Doppelversorgung kann jedoch nicht nur darin bestehen, daß eine wiederaufgelebte Rente ohne Anrechnung des auf die Zeit nach der Auflösung der neuen Ehe entfallenden Teils der Abfindung gezahlt wird. Sie kann auch auf andere Weise zustande kommen. Das gilt insbesondere, wenn der Empfänger einer Rentenabfindung aufgrund der Auflösung der zweiten Ehe einen neuen Versorgungs-, Unterhalts- oder Rentenanspruch erworben hat. Dieser kann gemäß § 1291 Abs 2 Satz 1 RVO erst von dem Zeitpunkt an auf die wiederaufgelebte Rente angerechnet werden, von dem an diese tatsächlich zu zahlen ist. Beantragt der Berechtigte die wiederaufgelebte Rente erst später als 12 Monate nach Auflösung der neuen Ehe, so würden ihm, falls der Beginn der Rentenzahlung für die Berechnung der Abfindung maßgebend wäre, bis zu diesem Zeitpunkt sowohl der Betrag der auf diesen Zeitraum entfallenden Abfindung als auch der neue Anspruch aus der zweiten Ehe in voller Höhe zugute kommen. Bei Antragstellung innerhalb der Frist des § 1291 Abs 2 Satz 1 RVO erhält er dagegen lediglich die wiederaufgelebte Rente unter Anrechnung des Anspruchs aus der neuen Ehe und des auf die Zeit nach Auflösung der zweiten Ehe entfallenden Teils der Abfindung. Damit würde die Berechnung des anrechenbaren Teils der Abfindung nach dem Zeitpunkt des tatsächlichen Beginns der wiederaufgelebten Rente zu einer vom Zweck des § 1291 Abs 2 RVO her nicht gerechtfertigten Besserstellung des Berechtigten führen und ihn in die Lage versetzen, unter Mißachtung der grundsätzlichen Nachrangigkeit (Subsidiarität) der Ansprüche aus der ersten Ehe die Rangfolge der Anrechnung und die Höhe des anrechenbaren Teils der Abfindung nach seinem Belieben zu bestimmen (vgl BSGE 19, 153, 155; 21, 279, 281; 34, 221, 224; 42, 110, 111; BSG SozR 2200 § 1291 Nr 8). Dem 12. Senat ist darin zuzustimmen, daß hierdurch der Willkür und der ungerechtfertigten Bereicherung des Rentenberechtigten der Weg bereitet würden. Zugleich wird damit die Meinung des SG widerlegt, daß der Rentenberechtigte sich durch eine spätere Antragstellung im Verhältnis zum Versicherungsträger in keinem Fall einen finanziellen Vorteil verschaffen könne. Unter diesem Gesichtspunkt ist zur Verhinderung des Mißbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten zu lasten der Versichertengemeinschaft die schon vom Wortlaut des § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO her gerechtfertigte Auslegung geboten, daß auf die wiederaufgelebte Rente der auf die Zeit ab Entstellung dieses Anspruchs entfallende Teil der Abfindung selbst dann anzurechnen ist, wenn die wiederaufgelebte Rente wegen verspäteter Antragstellung tatsächlich erst ab einem späteren Zeitpunkt gezahlt wird.

Die weiteren Bedenken des SG gegen diese Auffassung greifen nicht durch. Sie läuft nicht auf eine Art Bestrafung wegen eines allzu frühen Scheiterns der neuen Ehe hinaus, auch wird dem Gesetzgeber nicht unterstellt, er wolle einen finanziellen Druck auf den Berechtigten dahingehend ausüben, die neue Ehe mindestens 5 Jahre aufrechtzuerhalten. Das SG läßt insofern zunächst außer acht, daß nicht etwa die gesamte Abfindung, sondern nur ihr auf die Zeit nach Auflösung der neuen Ehe entfallender Teil auf die wiederaufgelebte Rente anzurechnen ist. Es hat ferner unter Vernachlässigung des Gesamtzusammenhanges des § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO zu einseitig ausschließlich auf die mit der Anrechnung der Abfindung verbundene Belastung des Versicherten abgehoben und nicht berücksichtigt, daß die Anrechnung begriffsnotwendigerweise eine tatsächliche Zahlung der wiederaufgelebten Rente voraussetzt (vgl BSGE 30, 1110, 114) und sich somit die angebliche Belastung des Berechtigten lediglich als eine vom Sinn und Zweck des § 1291 Abs 2 RVO her zulässige und gebotene Begrenzung eines rechtlichen Vorteils darstellt, der ohnehin schon nur in Ausnahme von dem Grundsatz des § 1291 Abs 1 RVO eingeräumt worden ist (vgl BSGE 30, 220, 222; 33, 109, 111). Damit zugleich trifft es nicht zu, daß bei der nach der Rechtsprechung des BSG gebotenen Auslegung die vom Gesetz eingeräumte Rechtswohltat für denjenigen, der die wiederaufgelebte Rente erst später als ein Jahr nach Auflösung der neuen Ehe beantragt, in ihr Gegenteil verkehrt wird. Unerheblich ist schließlich der Hinweis des SG darauf, daß der geschiedene Ehemann der Klägerin an sich nicht zum Unterhalt verpflichtet sei und es daher nicht als ungerechtfertigter Vorteil angesehen werden könne, wenn er gleichwohl Unterhaltsleistungen in dem Umfange übernommen habe, wie die vorher bestehende Versorgung der Klägerin durch die Eingehung der neuen Ehe gemindert worden sei. Dies ist für die Frage, wie der auf die wiederaufgelebte Witwenrente anzurechnende Teil der Abfindung zu berechnen ist, ohne Belang. Daß der geschiedene Ehemann der Klägerin Unterhalt geleistet hat, ohne hierzu rechtlich verpflichtet zu sein, ist lediglich im Rahmen des § 1291 Abs 2 Satz 1 RVO von Bedeutung und läßt es fraglich erscheinen, ob es sich bei den Unterhaltsleistungen um infolge Auflösung der Ehe erworbene Ansprüche handelt, die auf die wiederaufgelebte Rente angerechnet werden dürfen. Dieser Frage kann der Senat nicht nachgehen. Sie ist nicht mehr Gegenstand des Rechtsstreits, nachdem sich die Beklagte durch das von der Klägerin angenommene Teilanerkenntnis vom 30. Juni 1977 verpflichtet hat, für die Zeit ab 1. Januar 1976 einen Unterhaltsanspruch nicht mehr zur Anrechnung zu bringen, und die Klägerin ihrerseits die Anrechnung während der Monate Oktober bis Dezember 1975 nicht beanstandet hat.

Die Beklagte hat nach alledem der Berechnung des auf die wiederaufgelebte Witwenrente anzurechnenden Teils der Abfindung zutreffend den Zeitraum ab 1. März 1972 zugrunde gelegt. Dies muß zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen. Der Senat kann nicht abschließend entscheiden. Das SG ist nicht darauf eingegangen, daß der auf die wiederaufgelebte Rente anzurechnende Teil der Abfindung "in angemessenen monatlichen Teilbeträgen" einzubehalten ist (§ 1291 Abs 2 Satz 2 RVO). Hierdurch wird einerseits dem Interesse der Versichertengemeinschaft daran Rechnung getragen, daß möglichst der gesamte auf die wiederaufgelebte Witwenrente anzurechnende Teil der Abfindung durch Verrechnung mit der Rente getilgt wird; andererseits soll der Berechtigte vor einer unangemessenen Belastung durch Schmälerung der wiederaufgelebten Rente bewahrt bleiben. Unter Beachtung dessen richtet es sich nach den Verhältnissen des Einzelfalles, welcher Teilbetrag angemessen ist (vgl BSGE 26, 114, 116). Insofern ist nicht allein maßgebend, ob der monatliche Teilbetrag in einem angemessenen Verhältnis zum Gesamtbetrag des auf die wiederaufgelebte Rente anzurechnenden Teils der Abfindung steht. Vielmehr muß ein solches Verhältnis auch gegenüber dem Zahlbetrag der wiederaufgelebten Rente bestehen. Je niedriger der Zahlbetrag ist, desto geringer muß auch der angerechnete Teil der Abfindung sein. Bildet die wiederaufgelebte Rente das alleinige Einkommen des Berechtigten, so ist es jedenfalls unangemessen, die Abfindung in einer solchen Höhe anzurechnen, daß ein Zahlbetrag der wiederaufgelebten Rente nicht verbleibt. Etwas anderes kann wiederum dann gelten, wenn der Berechtigte neben der wiederaufgelebten Rente andere Einkünfte hat und aus ihnen seinen angemessenen Lebensunterhalt bestreiten kann. Dies erfordert die Feststellung, ob und ggf welche anderen Einkünfte der Berechtigte erzielt, wie hoch diese sind und welche Verpflichtungen ihnen gegenüberstehen. Dem Senat sind entsprechende Feststellungen verwehrt. Das SG hat sie nicht getroffen. Es wird sie nunmehr nachzuholen und auf ihrer Grundlage darüber zu befinden haben, ob die Teilbeträge, um welche die Beklagte die wiederaufgelebte Rente der Klägerin zur Verrechnung mit der einzubehaltenden Abfindung gekürzt hat bzw kürzt, angemessen sind. Zu diesem Zwecke ist der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1652151

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