Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitwirkungspflicht. Rückforderung von Kinderzuschüssen

 

Orientierungssatz

1. Die Mitwirkungspflichten eines Versicherten dem Versicherungsträger gegenüber können auch die Anzeige von Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse betreffen.

2. Es besteht jedoch für ihn keine Rechtspflicht den Versicherungsträger auf ein möglicherweise fehlerhaftes Verwaltungshandeln aufmerksam zu machen. Steht dem groben Verschulden des Versicherungsträgers allenfalls ein leichtes Verschulden des Versicherten (leichte Fahrlässigkeit) gegenüber, ist eine Rückforderung nicht zulässig.

 

Normenkette

RVO § 1301 S 2 Fassung: 1965-06-09, § 1262 Abs 1; SGB 1 § 60 Abs 1 Nr 2 Fassung: 1975-12-11

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 20.08.1979; Aktenzeichen L 9 J 128/79)

SG Stuttgart (Entscheidung vom 06.11.1978; Aktenzeichen S 14 J 2438/78)

 

Tatbestand

Der im Jahr 1924 geborene Kläger bezieht seit 1967 von der Beklagten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Er war bis zum Jahr 1976 verheiratet. Aus der Ehe sind sechs Kinder hervorgegangen, für die er Kinderzuschüsse bezog. Im Jahr 1975 trennten sich die Ehegatten, vier Kinder zogen mit der Ehefrau des Klägers in eine eigene Wohnung. Der Landkreis E als Sozialhilfeträger gewährte der Frau des Klägers und den vier bei ihr lebenden Kindern ab Oktober 1975 Hilfe zum Lebensunterhalt. Das Landratsamt stellte im gleichen Monat bei der Beklagten den Antrag, die "Kinderzuschüsse als Kostenersatz dem Sozialhilfeträger ... direkt zugehen zu lassen". Die Beklagte teilte darauf durch Bescheid vom 19. Mai 1976 dem Kläger mit, da dieser seiner Unterhaltspflicht nicht nachkomme, "werden wir zum nächstmöglichen Zeitpunkt den Kinderzuschuß für obengenannte (vier) Kinder an das Kreissozialamt zur Auszahlung bringen". Der Kläger legte Widerspruch ein. Er führte aus, er sei zwar grundsätzlich damit einverstanden, daß das Sozialamt das Kindergeld beanspruchen könne, er habe aber beim Landratsamt Einspruch erhoben und das Landratsamt müsse zunächst erst einmal darüber entscheiden. Mit Bescheid vom 26. Oktober 1976 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch zurück. Den Bescheid focht der Kläger nicht an. Im September 1977 fragte das Landratsamt bei der Beklagten nach dem Verbleib der früher angeforderten Kinderzuschüsse an. Nunmehr entdeckte die Beklagte, daß die Abführung der Kinderzuschüsse an den Sozialhilfeträger bisher unterblieben war.

Sie überwies im November 1977 den Betrag von 6.116,-- DM und ab Dezember 1977 die laufenden Kinderzuschüsse an den Landkreis.

Die Beklagte forderte mit Bescheid vom 4. November 1977 von dem Kläger die Rückzahlung von vier Kinderzuschüssen für Januar bis Juli 1977 und von drei Kinderzuschüssen für August bis November 1977, zusammen in Höhe von 6.116,-- DM. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos.

Auf die Klage des Versicherten hin hat das Sozialgericht (SG) Stuttgart mit Urteil vom 6. Dezember 1978 den Bescheid der Beklagten vom 4. November 1977 aufgehoben. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG "vom 6. November 1978" als unbegründet zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Sowohl der Kläger als auch die Beklagte hätten die Überzahlung grob fahrlässig verursacht. Zu Unrecht gewährte Leistungen dürften aber auch von einem bösgläubigen Empfänger nicht zurückgefordert werden, sofern der Versicherungsträger grob fahrlässig gehandelt habe.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision trägt die Beklagte vor: Sie habe nicht grob fahrlässig gehandelt. Durch die Verfeinerung der Verfahrensabläufe bei der Rentensachbearbeitung sei zB ein Fehler, der vielleicht vor fünf Jahren als schwerwiegend habe angesehen werden können, heute nicht mehr als durch grobe Fahrlässigkeit entstanden zu bewerten. Der Gesetzgeber habe den Versicherten, der bewußt die unrechtmäßige Leistung erwirke, nicht schützen wollen.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die

Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.

Auf die Schriftsätze seiner Prozeßbevollmächtigten vom 6. und 10. Dezember 1979 wird Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Deren Bescheid vom 4. November 1977 ist, wie das LSG - allerdings nur im Ergebnis zutreffend - festgestellt hat, rechtswidrig. Die Beklagte kann den verlangten Betrag nicht vom Kläger zurückfordern.

Das LSG ist von der Vorschrift des § 1301 Reichsversicherungsordnung -RVO- (in der am 1. Juli 1965 in Kraft getretenen Fassung des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes -RVÄndG-) als Rechtsgrundlage für den Rückforderungsbescheid ausgegangen. Diese bestimmt, daß der Träger der Rentenversicherung eine zu Unrecht gezahlte Leistung nicht zurückzufordern braucht (Satz 1) und nur zurückfordern darf, wenn drei besondere Voraussetzungen kumulativ vorliegen (Satz 2). Diese Vorschrift kann aber nur geprüft und angewendet werden, wenn dem Träger der Rentenversicherung überhaupt ein (Erstattungs-) Anspruch gegen den Leistungsempfänger zusteht. Ein derartiger Anspruch wird von § 1301 RVO nicht begründet, sondern vorausgesetzt. Insoweit besteht eine einheitliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), Unterschiede bestehen nur darin, aus welchen Rechtsnormen der Anspruch abzuleiten ist. Der Rückforderungsanspruch kann sich aus dem "Gesamtzusammenhang" des Gesetzes ergeben (vgl BSG, Urteil vom 25. August 1965 - 5 RKn 72/61 - BSGE 23, 259, 260 = SozR Nr 2 zu § 93 Reichsknappschaftsgesetz -RKG-; Urteil vom 28. Januar 1972 - 5 RKn 51/70 - BSGE 34, 29, 31 = SozR Nr 16 zu § 1301 RVO), er kann aus dem Rechtsinstitut des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs, das eine mit der Rechtslage nicht übereinstimmende Vermögenslage zum Ausgleich bringen soll, abgeleitet werden (vgl BSG Urteil vom 19. Dezember 1978 - 3 RK 39/77 = SozR 2200 § 1301 Nr 9 S 24) oder er kann auf die entsprechend anzuwendenden Vorschriften des § 48 Abs 2 Satz 5 Verwaltungsverfahrensgesetz und § 48 Abs 1 oder 2 des Entwurfs zum Sozialgesetzbuch 10 (SGB 10) - jetzt § 50 Abs 1 und 2 SGB 10 - gestützt sein (Urteil vom 10. Juni 1980 - 4 RJ 103/79). Nach Wolff/Bachof (Verwaltungsrecht I, 9. Aufl 1974, § 44 I b 6) ist der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch als eigenständiges Rechtsinstitut aus dem besonderen Rechtsgrundsatz abzuleiten, daß eine mit der Rechtslage nicht übereinstimmende Vermögenslage auszugleichen ist; der Anspruch geht auf Rückgewähr des rechtsgrundlos erhaltenen Betrages und kann ua auch einem Träger der öffentlichen Verwaltung gegenüber einer Zivilperson zustehen.

Legt man diese - im Ergebnis einhelligen - Rechtsauffassungen zugrunde, so ist als erste Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch der Beklagten gegen den Kläger anzusehen, daß dieser die drei bzw vier Kinderzuschüsse zu seiner Rente für die Zeit von Januar bis November 1977 zu Unrecht bezogen hat. Ob das der Fall war, ist jedoch fraglich.

Der Kläger war in dieser Zeit Gläubiger der von der Beklagten festgestellten und geschuldeten Rente (§ 1247 Abs 1 RVO) und damit auch der Kinderzuschüsse, um die sich die Rente erhöhte (§ 1262 Abs 1 RVO; BSG Urteil vom 1. Juli 1959 - 4 RJ 45/78 = BSGE 10, 131). Seine Gläubigerstellung ergab sich materiell aus dem Gesetz und formell aus dem Bewilligungsbescheid von 1967 mit den jeweiligen Änderungen, in denen die Rente einschließlich der Kinderzuschüsse festgesetzt worden ist. Die gesetzliche Stellung des Klägers ist vor und in der streitigen Zeit nicht verändert worden. Daß der Kläger, wie das LSG ausführt, seit Oktober 1975 seiner Unterhaltspflicht gegenüber seinen vier bei der Mutter lebenden Kindern nicht nachgekommen sei, hat an seinem Anspruch auf alle Kinderzuschüsse nichts geändert. Die RVO kennt keinen automatischen Wegfall des Anspruchs auf Kinderzuschüsse bei Verletzung der Unterhaltspflicht; auch die Neuregelung in § 48 SGB I sieht keinen derartigen Wegfall vor.

Der Bescheid der Beklagten vom 19. Mai 1976 bewirkt kein unmittelbares Erlöschen des Anspruchs des Klägers auf die streitigen Kinderzuschüsse. Er kündigt zwar die Auszahlung der Zuschüsse an das Kreissozialamt an und bereitet insofern die künftige Verminderung des Rentenanspruchs um die Zuschüsse vor, er legt aber noch keinen Zeitpunkt fest, zu dem der Anspruch des Klägers auf die Zuschüsse erlöschen soll. Er stellt eine Absichtserklärung der Beklagten dar, für einen Verwaltungsakt mit anspruchsverändernder Wirkung fehlt ihm die erforderliche Bestimmtheit.

Letztlich kann jedoch dahinstehen, ob mit dem Eintritt der Bindungswirkung des Bescheides vom 19. Mai 1976 die Forderung des Klägers auf die nach dem Stichtag fällig werdenden Kinderzuschüsse untergegangen sein konnte, so daß die trotzdem geleisteten Zahlungen der Beklagten zu Unrecht erfolgt wären. Denn die Revision der Beklagten bleibt auch aus anderen Gründen ohne Erfolg.

Das LSG hat den Rückforderungsbescheid nach § 1301 Satz 2 RVO als rechtswidrig angesehen, weil die - nach seiner Ansicht grob fahrlässig handelnde - Beklagte für die Überzahlung ein Verschulden trifft, das durch das Verschulden des - ebenfalls grob fahrlässig handelnden - Klägers nicht aufgewogen wird. Mit der Revision wendet sich die Beklagte gegen die Auffassung, daß sie grob fahrlässig gehandelt habe, jedoch zu Unrecht. Wie der Senat früher entschieden hat, kann die Entscheidung des Tatsachengerichts darüber, wie bei der Rückforderung von zu Unrecht gezahlter Rente das Verschulden des Leistungsempfängers an der Überzahlung dem Grade nach - ob als leicht oder grob fahrlässig - zu bewerten ist, vom Revisionsgericht nur in bestimmten Grenzen nachgeprüft werden (BSG, Urteil vom 28. November 1978 - 4 RJ 130/77 = BSGE 47, 180 = SozR 2200 § 1301 Nr 8). Das gilt in gleicher Weise für das Verschulden des Versicherungsträgers. Auch hier kann das Revisionsgericht nur prüfen, ob der Tatrichter sich des Unterschiedes zwischen der gewöhnlichen und der groben Fahrlässigkeit bewußt gewesen ist (BSGE aaO S 182) und ob die Schlußfolgerungen des Tatrichters handgreiflich falsch sind (Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 12. Aufl, § 144 V 2 c).

Aufgrund dieser Prüfung ist festzustellen, daß die Auffassung des LSG zum Verschulden der Beklagten nicht zu beanstanden ist. Mit der Definition, grob fahrlässig handele, wer die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maß verletzt und das unbeachtet läßt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen, hält sich das Berufungsgericht im Rahmen der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes (vgl BSGE aaO, § 182, aber auch Urteil vom 31. August 1976 - 7 RAr 112/74 = BSGE 42, 184, 187). Auch nach § 45 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGB 10 liegt grobe Fahrlässigkeit vor, wenn die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt wird. Die Folgerungen des LSG aus dem von ihm festgestellten Sachverhalt sind nicht zu beanstanden. Wenn die Beklagte nach Erlaß des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 1976 die für die Auszahlung des Kinderzuschusses zuständige Stelle nicht angewiesen hat, die Zahlung ab sofort nicht mehr an den Rentner, sondern an den Landkreis Esslingen durchzuführen, dann konnte das vom LSG ohne Denkfehler als grob fahrlässiges Verschulden an der Überzahlung bewertet werden. Daran vermag auch der Hinweis der Beklagten auf die "Verfeinerung" der Verfahrensabläufe bei der Rentensachbearbeitung nichts zu ändern. Daß zu einem Verwaltungsakt, der eine bereits gewährte Leistung entzieht, versagt, zum Ruhen bringt oder anderweit beeinträchtigt, immer auch eine Anweisung an die Amtskasse gehört, die Auszahlung entsprechend diesem Verwaltungsakt zu ändern, ist eine Erkenntnis, die von der Verfeinerung der Sachbearbeitung nicht verdrängt worden sein kann.

Schließlich bekämpft die Revision die Auffassung, das Verschulden der Beklagten an der Überzahlung (§ 1301 Satz 2 Fall 1 RVO) sei durch das Verhalten des Klägers nicht verdrängt worden. Auch insoweit hat die Revision keinen Erfolg.

Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 1301 Satz 2 RVO ist die Rückforderung nur erlaubt, wenn sowohl der Leistungsempfänger sich schuldhaft (Fall 2) als auch der Versicherungsträger sich schuldlos verhalten hat (Fall 1); dabei mag die wirtschaftliche Vertretbarkeit (Fall 3) hier unberücksichtigt bleiben. Der Text ergibt nichts dafür, daß, wenn den Versicherungsträger für die Überzahlung ein Verschulden trifft, die Rückforderung etwa deshalb zulässig sein sollte, weil der Leistungsempfänger die Überzahlung schuldhaft (mit)verursacht hat.

Die Entstehungsgeschichte ergibt nichts Gegenteiliges. § 1301 idF des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter hatte gelautet:

Der Träger der Rentenversicherung braucht Leistungen

nicht zurückzufordern, die er vor rechtskräftiger

Entscheidung nach dem Gesetz zahlen mußte oder die er

zu Unrecht gezahlt hat.

Dem hatte § 620 RVO aF fast wörtlich entsprochen. Bei den Beratungen zum Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz (UVNG) wurde geklärt, die Vorschrift solle "aus Gründen sozialer Billigkeit erweitert" werden (BT-Drucks IV/938 - neu -, S 18); vgl jetzt § 628 RVO idF des UVNG. In den bald danach einsetzenden Beratungen zum RVÄndG wurde beschlossen, "die Vorschrift (des § 1301 RVO) der entsprechenden Regelung in der Unfallversicherung (§ 628) anzupassen" (BT-Drucks zu IV/3233, S 6). Außer diesem Hinweis auf eine Änderung aus Gründen sozialer Billigkeit, also im Sinne einer Begünstigung des Versicherten/Leistungsempfängers, enthalten die Materialien keine weitere Begründung.

Die Regelung kann nur dahin verstanden werden, daß der Gesetzgeber an den Versicherungsträger größere Anforderungen stellen will als an den Leistungsempfänger, der typischerweise ungewandt und nicht in der Lage ist, das Verhalten der ihm gegenüber hoheitlich auftretenden Behörde zu kontrollieren. Sie ist deshalb in erster Linie als Schutzvorschrift für den Leistungsempfänger zu verstehen; dieser soll für eine vom Versicherungsträger schuldhaft verursachte Überzahlung nicht einstehen müssen. Außerdem dürfte der Gesetzgeber davon ausgegangen sein, daß der Leistungsempfänger die an ihn ausgezahlte Sozialleistung typischerweise alsbald für seinen Lebensunterhalt verbraucht, so daß regelmäßig der Leistungsempfänger durch eine Rückforderung in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten könnte.

Eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß es bei einer vom Versicherungsträger verschuldeten Überzahlung auf das Verhalten des Versicherten nicht ankomme, hat die Rechtsprechung für den Fall angenommen, daß ein erhebliches eigenes Verschulden des Versicherten vorliegt. So hat der 5. Senat unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung die Rückforderung auch dann gebilligt, wenn der Versicherungsträger die Überzahlung nur fahrlässig, der Leistungsempfänger hingegen vorsätzlich verursacht hat. Er hält die Rückforderung für möglich, wenn das Verschulden des Leistungsempfängers so erheblich und für die Überzahlung so wesentlich gewesen wäre, daß demgegenüber das fehlerhafte Verhalten im Verantwortungsbereich des Versicherungsträgers als unwesentlich angesehen werden und demgemäß unberücksichtigt bleiben könne (Urteil vom 29. September 1965 - 5 RKn 38/62 = SozR Nr 3 zu § 93 RKG). In dem Urteil vom 28. Januar 1972 - 5 RKn 51/70 - (BSGE 34, 29 = SozR Nr 16 zu § 1301 RVO) hat er ausgeführt, wenn der Empfänger die Gewährung der unrechtmäßigen Leistung vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldet habe, hindere den Versicherungsträger das eigene Verschulden nicht, die zu Unrecht erbrachte Leistung zurückzufordern; nur bei einfacher Fahrlässigkeit könne ein schutzwürdiges Vertrauen des Versicherten noch unterstellt werden. Der 11. Senat trägt Bedenken, dem 5. Senat zu folgen, wenn dieser dem Versicherungsträger, der eine Überzahlung mitverschuldet hat, eine Rückforderung generell nur dann gestattet, wenn diese vom Empfänger mindestens grob fahrlässig mit herbeigeführt worden ist; er hält aber die Rückforderung jedenfalls dann für zulässig, wenn der Empfänger die Überzahlung grob fahrlässig mit herbeigeführt hat (Urteil vom 14. September 1976 - 11 RA 124/75 = SozR 2200 § 1301 Nr 3 S 7). Der erkennende Senat schließlich hat eine vom Leistungsempfänger grob fahrlässig verursachte Überzahlung der durch Vorsatz herbeigeführten gleichgestellt; er hat allerdings im Gegensatz zum 11. Senat die Rückforderung bei beiderseitiger leichter Fahrlässigkeit des Versicherungsträgers und des Leistungsempfängers nicht gebilligt (Urteil vom 31. Oktober 1978 - 4 RJ 115/77 - SozR 2200 § 1301 Nr 7 und Urteil vom 28. November 1978 - 4 RJ 130/77 - BSGE 47, 180 = SozR 2200 § 1301 Nr 8).

Diese Rechtsprechung beruht auf der Erwägung, daß es zu sozialpolitisch unerwünschten Ergebnissen und zu Ungerechtigkeiten führte, wenn eine erhebliche schuldhafte Mitverursachung der Überzahlung durch den Leistungsempfänger völlig unbeachtet bliebe. Ein solcher Sachverhalt liegt hier jedoch nicht vor. Nachdem die Beklagte in dem Bescheid vom 19. Mai 1976 kein Datum genannt hatte, von dem an sie die Zahlung der Kinderzuschüsse an den Kläger einstellen wollte, hätte dieser allenfalls vermuten können, daß ihm von irgendeinem späteren Zeitpunkt an ein niedrigerer Rentenzahlbetrag zustand. Andererseits hatte der Kläger seinerseits die Beklagte darauf hingewiesen, daß er beim Landratsamt Einsprüche eingelegt habe, und hatte von der Beklagten verlangt, vor der Kürzung der Kinderzuschüsse die Entscheidung über seine Einsprüche abzuwarten. Der Kläger hatte auch hinzugefügt, daß er grundsätzlich damit einverstanden sei, wenn das Sozialamt das Kindergeld erhalte. Bei dieser Sachlage konnte der Kläger durchaus der Meinung sein, daß die Beklagte mit der Kürzung noch zuwarte. Es kann dahingestellt bleiben, ob das Verhalten des Klägers - er nahm die volle Rente in Empfang, ohne Rückfragen zu halten - als nicht schuldhaft zu bewerten ist oder ob ihm eine leichte Fahrlässigkeit zuzurechnen ist, in keinem Falle kann ihm aber grobe Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden. Das LSG ist bei seiner Bewertung des Verhaltens des Klägers offensichtlich fehlerhaft verfahren (vgl BSG, Urteil vom 28. November 1978 - 4 RJ 130/77 aaO), denn es hat angenommen, daß der Kläger eine Mitwirkungspflicht dadurch verletzt habe, daß er es unterlassen habe, dem Versicherungsträger unverzüglich Mitteilung von der Überzahlung zu machen. Abgesehen davon, daß das LSG ohne Nachprüfung ein Erkenntnisvermögen des Klägers am unrechtmäßigen Empfang von Rententeilen unterstellt hat, ist es auch zu Unrecht von einer Rechtspflicht des Klägers zum Handeln ausgegangen. Das Sozialrecht erlegt dem Versicherten zwar bestimmte Mitwirkungspflichten auf, die ihren wesentlichen Niederschlag in den §§ 60 bis 64 SGB I gefunden haben, deren Grenzen in § 65 SGB I beschrieben werden und für deren Verletzung § 66 SGB I Sanktionen vorsieht. Eine Rechtspflicht für den Versicherten, den Versicherungsträger "unverzüglich" auf sein fehlerhaftes Verwaltungshandeln aufmerksam zu machen, hat der Gesetzgeber jedoch nicht konstituiert.

Da sonach dem groben Verschulden des Versicherungsträgers allenfalls ein leichtes Verschulden des Versicherten gegenübersteht, war der Beklagten eine Rückforderung versagt. Ihre Revision war daher als unbegründet zurückzuweisen. Der erkennende Senat hat in diesem Zusammenhang die Urteilsformel des LSG richtiggestellt. Das Urteil des SG Stuttgart, gegen das die Berufung zurückgewiesen worden war, war am 6. Dezember 1978 und nicht am 6. November 1978 erlassen worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

NJW 1981, 2718

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