Verfahrensgang

Thüringer LSG (Urteil vom 10.06.1998; Aktenzeichen L 1 U 182/98)

 

Tenor

Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 10. Juni 1998 wird als unzulässig verworfen.

Die Beigeladene hat dem Kläger auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten; im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die gegen die Nichtzulassung der Revision im angefochtenen Urteil des Thüringer Landessozialgerichts (LSG) gerichtete Beschwerde ist unzulässig. Die dazu gegebene Begründung entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) festgelegten Form. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erfordern diese Vorschriften, daß der Zulassungsgrund schlüssig dargetan wird (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 34, 47 und 58; vgl hierzu auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Aufl, 1997, IX, RdNrn 177 und 179 mwN). Daran mangelt es.

Die Revision kann nur aus den in § 160 Abs 2 SGG genannten Gründen – grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Abweichung, Verfahrensmangel – zugelassen werden. Die Beigeladene hat ihre Beschwerde ausschließlich auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützt, diese jedoch nicht hinreichend darlegt.

Nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. In der Beschwerdebegründung muß nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG diese grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aufgezeigt werden. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn zu erwarten ist, daß die Revisionsentscheidung die Rechtseinheit in ihrem Bestand erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird. Es muß eine klärungsbedürftige Rechtsfrage aufgeworfen sein, welche bisher revisionsgerichtlich noch nicht – ausreichend – geklärt ist (s ua BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 sowie Beschluß des Senats vom 16. Oktober 1997 – 2 BU 149/97 –). Demgemäß muß der Beschwerdeführer, der die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darzulegen hat, dartun, ob und inwieweit zu der aufgeworfenen Frage bereits Rechtsgrundsätze herausgearbeitet sind und in welchem Rahmen noch eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung derselben durch das Revisionsgericht zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erforderlich erscheint (vgl Krasney/Udsching, aaO, IX, RdNrn 65 und 66; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNrn 116 ff).

Die Beigeladene hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam,

„ob die tatbestandsmäßige Voraussetzung für die Anerkennung des Versicherungsfalls der BK 50 „soziale Bedeutung” bereits dann zu bejahen ist, wenn in Anwendung des § 1154 iVm § 581 RVO der reine Hörverlust zusammen mit einem Tinnitus, der auf die berufliche Lärmeinwirkung zurückzuführen ist, eine (Gesamt-)MdE von mindestens 20 vH ergibt und diesbezüglich die Richtlinien zur Begutachtung von arbeitsbedingten Hörschäden vom 01.01.1989 zur Auslegung bzw Konkretisierung nicht herangezogen werden können,

oder,

ob es unter Heranziehung der Richtlinien für die Anerkennung der BK 50 als Versicherungsfall erforderlich ist, daß, wie dies die Richtlinien unter IV Abs 3 Satz 2 vorsehen, allein aus dem Hörverlust eine MdE (GdK) von 20 vH resultieren muß und Ohrgeräusche erst nach Anerkennung der BK 50 als Versicherungsfall bei der Feststellung der Leistungen im Rahmen einer integrierenden MdE-Einschätzung zu berücksichtigen sind.”

Krankheiten, die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Berufskrankheiten der Sozialversicherung waren – wie etwa die hier im Streit stehende Berufskrankheit Nr 50 der Anlage zur 1. Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Verhütung, Meldung und Begutachtung von Berufskrankheiten vom 21. April 1981 (GBl I Nr 12 S 139 ≪”BK 50”≫) –, gelten gemäß § 215 Abs 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) iVm § 1150 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nur dann als Berufskrankheiten iS des 3. Buches der RVO (bzw des SGB VII), wenn sie vor dem 1. Januar 1992 eingetreten sind. Diese Rechtsvorschriften finden mithin nur noch auf Altfälle aus dem Beitrittsgebiet Anwendung und sind damit auslaufendes bzw bereits ausgelaufenes Recht. Soweit ein Rechtsstreit nur solches Recht betrifft, hat er in aller Regel keine grundsätzliche Bedeutung; da es Aufgabe des Revisionsgerichts ist, die Rechtsfortbildung zu fördern und die Einheit der Rechtsprechung zu wahren, sind grundsätzlich nur Rechtsfragen klärungsbedürftig, die sich aus dem geltenden Recht ergeben (Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 141 mwN). Eine Ausnahme gilt nur für den Fall, daß noch eine erhebliche Zahl von Fällen der Entscheidung harren und darin die Klärungsbedürftigkeit der Rechtssache liegt (BSG SozR 1500 § 160a Nr 19). Dies hat jedenfalls ein Versicherungsträger als Beschwerdeführer genau und im einzelnen darzulegen (Krasney/Udsching, aaO, IX, RdNr 187; Kummer, aaO; BSG aaO).

Diesen besonderen Anforderungen an die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit entspricht die Beschwerdebegründung der Beigeladenen nicht. Sie hat zwar insoweit im wesentlichen vorgetragen, nach der Statistik des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften seien „auch noch im Jahr 1997 allein von den gewerblichen Berufsgenossenschaften 971 Fälle der BK 50 entschieden” worden; „nach wie vor” seien noch keineswegs alle BK 50-Verfahren abgeschlossen, vielmehr harrten eine „nennenswerte Zahl von Fällen noch einer Entscheidung”. Außerdem sei bei Bekanntwerden des LSG-Urteils mit zahlreichen Anträgen gemäß § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) zu rechnen. Diese Ausführungen reichen indes nicht für eine schlüssige Darlegung der Klärungsbedürftigkeit in diesem besonderen Fall aus. Es wäre vielmehr erforderlich gewesen, im einzelnen genau darzulegen, wie viele Fälle noch insgesamt vorliegen, deren Entscheidung von der auf ein bestimmtes Kriterium zugeschnittenen Rechtsfrage, welche die Beigeladene für grundsätzlich bedeutsam hält, abhängt. Die vorgetragene Zahl der im Jahre 1997 entschiedenen Anträge auf Anerkennung als BK Nr 50 besagt darüber und damit über die tatsächliche Zahl von Fällen, für die die Beantwortung der von der Beklagten formulierten Frage entscheidungserheblich ist, nichts; dies gilt auch für die allgemeinen Erwägungen über die zu erwartenden Anträge auf Überprüfung gemäß § 44 SGB X.

Die Beschwerde der Beigeladenen war daher als unzulässig zu verwerfen (§ 169 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175422

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