Verfahrensgang

LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 15.01.2018; Aktenzeichen L 16 KR 374/17)

SG Lüneburg (Entscheidung vom 27.06.2017; Aktenzeichen S 16 KR 115/16)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 15. Januar 2018 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Das LSG Niedersachsen-Bremen hat mit Urteil vom 15.1.2018 den Anspruch des freiwillig versicherten selbstständigen Klägers auf Gewährung von Krankengeld (Krg) über den 11.6.2015 hinaus verneint. Aus dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2013 vom 21.1.2015 ergab sich, dass der Kläger negatives Einkommen aus Gewerbebetrieb und positives Einkommen aus Vermietung und Verpachtung erzielt hatte. Ab 19.1.2015 war der Kläger arbeitsunfähig krank. Die Beklagte zahlte ab 2.3.2015 Krg (94,84 Euro pro Tag). Die Beklagte teilte mit, dass ab 19.1.2015 kein Anspruch auf Krg aus selbstständiger Tätigkeit mehr bestanden habe. Auf die Rückforderung des bis 30.6.2015 überzahlten Krgs werde aber verzichtet (Bescheid vom 10.4.2015, Widerspruchsbescheid vom 14.3.2016). Das Begehren auf Zahlung von weiterem Krg ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Während des Klageverfahrens hat der Kläger den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2014 vorgelegt; unter Zugrundelegung dieses Einkommens wäre der Krg-Anspruch niedriger gewesen (26,44 Euro pro Tag), sodass ein Rückforderungsanspruch wegen überzahlten Krgs bestanden hätte. Auf eine Rückforderung des überzahlten Krgs habe die Beklagte verzichtet (SG Lüneburg Urteil vom 27.6.2017). Das LSG hat sich dem angeschlossen und ausgeführt: Bei freiwillig versicherten selbstständig Erwerbstätigen sei im Regelfall auf das Einkommen aus dem letzten vor der Arbeitsunfähigkeit (AU) abgeschlossenen Kalenderjahr abzustellen. Falls kein Einkommen erzielt worden sei, scheide trotz Beitragszahlung ein Anspruch auf Krg aus. Niedrigere Einnahmen könnten nach der Rechtsprechung des BSG im Beitragsrecht nur durch Vorlage von Einkommensteuerbescheiden belegt werden. Für den streitbefangenen Zeitraum (über den 11.6.2015 hinaus) könne daraus nichts Günstigeres hergeleitet werden.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem vorgenannten Urteil des LSG hat der Kläger Beschwerde eingelegt. Er beruft sich auf Divergenz und auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Kläger die geltend gemachten Zulassungsgründe der Divergenz und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht hinreichend aufgezeigt hat (§ 160a Abs 2 S 3 SGG). Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

1. Divergenz liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn das Urteil des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet dies: Die Beschwerdebegründung muss erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz in der in Bezug genommenen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht. Ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das BSG die oberstgerichtliche Rechtsprechung im Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (stRspr, vgl zum Ganzen nur BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17 mwN).

Der Kläger ist der Ansicht, das Urteil des LSG weiche von den Urteilen des BSG vom 6.11.2008 (B 1 KR 28/07 R - BSG SozR 4-2500 § 47 Nr 10 und - B 1 KR 8/08 R - Juris) ab. In den genannten Entscheidungen habe das BSG Folgendes ausgeführt:

"Das Krankengeld bemisst sich bei hauptberuflich selbständig Erwerbstätigen nach dem erzielten Arbeitseinkommen und nicht nach dem für die Beitragsbemessung maßgebenden Mindesteinkommen. Krankengeld kann grundsätzlich nur als Ersatz für diejenigen Einkünfte beansprucht werden, die der Versicherte vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bzw. vor Beginn der stationären Behandlung als Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen (tatsächlich) bezogen hat und die wegen der Erkrankung entfallen. Dies gilt auch für Versicherte, die - wie der Kläger - keine Arbeitnehmer sind (Urteil B 1 KR 28/07 R Rdnr. 11 bzw. B 1 KR 8/08 R Rdnr. 12 …)."

Der Kläger führt dazu weiter aus, dass in diesen Urteilen festgestellt werde, "dass § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V eine gesetzliche Vermutung enthält, die widerlegt werden kann, so dass das konkrete Arbeitseinkommen zu ermitteln ist". Dies gelte für alle Fälle, in denen das vor Eintritt der AU tatsächlich erzielte Arbeitseinkommen von dem der Beitragsbemessung zugrunde liegenden Einkommen abweiche, also auch dann, wenn dieses Einkommen - wie vorliegend - höher gewesen sei als das für die Beitragsbemessung maßgebliche Einkommen. Jedenfalls enthielten die vorgenannten Entscheidungen des BSG keine ausdrückliche Einschränkung dahin, dass von dem für die Beitragsbemessung maßgeblichen Einkommen nur dann abgewichen werden dürfe, wenn das tatsächliche Einkommen niedriger sei.

Das LSG habe, ohne dies ausdrücklich in den Entscheidungsgründen zu erwähnen, die Berücksichtigung des Steuerbescheids für das Jahr 2014 (vom 12.2.2016) ausgeschlossen. Einen speziellen Rechtssatz derart, dass der nachträgliche Nachweis eines tatsächlich vor Eintritt der AU erzielten höheren Arbeitseinkommens ausgeschlossen sei, habe das LSG zwar nicht ausdrücklich formuliert. Auch ohne Benennung eines speziellen Rechtssatzes im Urteil der Berufungsinstanz könne aber Divergenz zu Entscheidungen des BSG vorliegen, nämlich, wenn das LSG einen der höchstrichterlichen Rechtsprechung widersprechenden Rechtssatz nur sinngemäß aufgestellt und in scheinbar fallbezogene Ausführungen gekleidet habe (Hinweis auf BSG Beschluss vom 19.12.2011 - B 12 KR 42/11 B - Juris). Dies sei vorliegend der Fall, da das LSG ausdrücklich festgestellt habe, "dass der letzte vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit eingereichte Steuerbescheid vom 21.01.2015" datiere und erst "während des Klageverfahrens der Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2014 vorgelegt worden" sei (siehe Beschwerdebegründung S 3 Abs 4).

Damit beruhe das LSG-Urteil auf dem Rechtssatz,

"dass das für die Berechnung des Krankengeldes maßgebliche Einkommen allein nach dem Steuerbescheid zu ermitteln ist, der zum Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit vorliegt, auch wenn dieser Steuerbescheid nicht auf das der Arbeitsunfähigkeit vorausgehende Jahr bezogen ist und die gesetzliche Vermutung des § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V jedenfalls dann nicht widerlegt werden kann, wenn das tatsächlich erzielte Einkommen höher ist, als das zuletzt durch Vorlage des Einkommenssteuerbescheids nachgewiesene Einkommen".

Mit diesem Vortrag ist eine Divergenz nicht hinreichend aufgezeigt worden. Wie der Kläger bereits selbst einräumt, finden sich die von ihm aufgestellten Rechtssätze im LSG-Urteil nicht ausdrücklich. Ausgehend von den Darlegungen des Klägers kann eine Divergenz aber auch nicht sinngemäß angenommen werden, da die Entscheidungsgründe des LSG gerade maßgeblich unter (stützender) Heranziehung der Rechtsprechung des BSG ergangen sind. Überdies wird die behauptete Divergenz auch nicht entscheidungserheblich dargetan. Denn es wird nicht plausibel vorgetragen, dass ein (Rest-)Anspruch auf Zahlung von Krg über den 11.6.2015 hinaus überhaupt entstanden ist. Es bleibt unklar, bis zu welchem Zeitpunkt die AU des Klägers bestanden hat, insbesondere, ob sie im streitbefangenen Zeitraum vorgelegen hat (dazu sogleich unter 2.).

2. Der Kläger hat auch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht hinreichend dargelegt. Er hält für grundsätzlich bedeutsam die Frage:

"Kann die gesetzliche Vermutung des § 47 Abs. 2 Satz 2 SGB V, wonach für Versicherte, die nicht Arbeitnehmer sind, als Regelentgelt der kalendertägliche Betrag gilt, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung aus Arbeitseinkommen maßgeblich war, auch dadurch widerlegt werden, dass für den Referenzzeitraum des der Arbeitsunfähigkeit vorausgehenden Jahres ein tatsächlich erzieltes höheres Arbeitseinkommen nachgewiesen wird, als im zuletzt ausgestellten, dem Referenzzeitraum vorausgehenden und für die Beitragsbemessung maßgeblichen Steuerbescheid?"

Der Kläger ist der Meinung, dass sich die aufgeworfene Frage nicht anhand der von ihm genannten Urteile des BSG vom 6.11.2008 (aaO) hinreichend deutlich beantworten lasse und damit nicht geklärt sei. Es kann dahinstehen, ob der Kläger die ungeachtet der Urteile geltend gemachte (erneute) Klärungsbedürftigkeit ausreichend dargelegt hat. Jedenfalls lässt sich den Darlegungen des Klägers - wie bereits unter 1. ausgeführt - unter Berücksichtigung der bindenden Feststellungen des LSG nicht hinreichend plausibel entnehmen, dass die aufgeworfene Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich zu beantworten wäre. Es bleibt nach dem Vortrag unklar, aus welchem Grund sich ein Restanspruch auf Zahlung von Krg ab dem streitigen Zeitraum ergeben sollte. Hierzu bezieht sich der Kläger lediglich auf seine eigene in der Berufungsbegründung vorgelegte Berechnung eines vermeintlichen Restanspruchs auf Krg unter Berücksichtigung von angenommenen AU-Zeiten bis 6.4.2016, die das LSG in seinem Urteil hingegen gar nicht festgestellt hat.

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI12903250

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