Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 23.03.2000; Aktenzeichen L 7 U 2041/99)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. März 2000 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die gegen die Nichtzulassung der Revision im angefochtenen Urteil des Landessozialgerichts (LSG) gerichtete, auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung, der Divergenz und des Verfahrensmangels gestützte Beschwerde ist unzulässig. Die dazu gegebene Begründung entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) festgelegten Form. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erfordern diese Vorschriften, daß der Zulassungsgrund schlüssig dargetan wird (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 34, 47 und 58; vgl hierzu auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Aufl, 1997, IX, RdNrn 177 und 179 mwN). Daran mangelt es hier.

Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Der Kläger rügt als Verfahrensfehler eine Verletzung des § 112 Abs 2 Satz 2 SGG sowie des § 62 SGG iVm Art 103 Abs 1 des Grundgesetzes (GG). Das LSG habe das Sachund Streitverhältnis nicht ausreichend erörtert und zu Unrecht seinen Vertagungsantrag abgelehnt. Dadurch sei ihm keine ausreichende Gelegenheit gegeben worden, sich zu der vom LSG in der mündlichen Verhandlung vertretenen Rechtsauffassung, die von ihm vorgelegten Urkunden seien keine Urkunden iS des § 580 der Zivilprozeßordnung (ZPO), zu äußern. Mit diesem Vorbringen hat der Kläger eine Verletzung der genannten Vorschriften nicht schlüssig dargelegt, denn das LSG war im Rahmen des Rechtsgesprächs und zur Gewährung rechtlichen Gehörs keineswegs verpflichtet, seine Rechtsauffassung zur Urkundenqualität der vom Kläger vorgelegten Unterlagen zu äußern. Die Vorschrift des § 128 Abs 2 SGG, wonach das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden darf, zu denen sich die Beteiligten äußern könnten, konkretisiert den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 GG, § 62 SGG). Sie soll verhindern, daß die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten. In diesem Rahmen besteht jedoch weder eine allgemeine Aufklärungspflicht des Gerichts über die Rechtslage, noch die Pflicht, bei der Erörterung der Sach- und Rechtslage bereits die endgültige Beweiswürdigung darzulegen, denn es kann und darf das Ergebnis der Entscheidung, die in der nachfolgenden Beratung des Gerichts erst gefunden werden soll, nicht vorwegnehmen. Es gibt keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (BSG Beschlüsse vom 31. August 1993 – 2 BU 61/93 – HVBG-Info 1994, 209; vom 13. Oktober 1993 – 2 BU 79/93 – SozR 3-1500 § 153 Nr 1 und vom 17. Februar 1999 – B 2 U 141/98 B – HVBG-Info 1999, 3700). Hat aber nach dem eigenen Vorbringen des Klägers das LSG seine Rechtsauffassung zur – fehlenden – Urkundenqualität schon vor seiner Entscheidung geäußert, hätte die Beschwerde darlegen müssen, warum das LSG zur Vertagung und zur weitergehenden Erörterung der Rechtslage verpflichtet gewesen sein soll. Daran fehlt es.

Die vom Kläger weiter geltend gemachte Verletzung des § 106 Abs 1 SGG ist ebenfalls nicht schlüssig dargelegt. Nach dieser Vorschrift hat der Vorsitzende darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden. Der Kläger hält § 106 Abs 1 SGG für verletzt, weil der Senatsvorsitzende ihn nicht auf § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) hingewiesen habe. Hierzu legt der Kläger nicht hinreichend dar, daß das angefochtene Urteil auf dem behaupteten Verfahrensfehler beruhen kann. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit der behauptete Verfahrensmangel das Urteil beeinflußt haben könnte. Die Restitutionsklage nach §580 ZPO hat keinen verfahrensrechtlichen Zusammenhang mit einem Verfahren nach § 44 SGB X. Insbesondere wäre das LSG nicht verpflichtet gewesen, vor der Entscheidung über die Restitutionsklage den Ausgang eines Verwaltungsverfahrens nach § 44 SGB X abzuwarten. Insofern ist die prozessuale Situation abweichend zu der, daß das für die Zulässigkeit einer Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage obligatorische Widerspruchsverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Der Kläger hat jederzeit und auch heute noch die Möglichkeit, an die Beklagte mit einem Antrag nach § 44 Abs 1 SGB X heranzutreten.

Eine Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist für die Zulassung der Revision nur dann ausreichend begründet, wenn schlüssig erklärt wird, mit welchem genau bestimmten entscheidungserheblichen Rechtssatz das angegriffene Urteil des LSG von welcher genau bestimmten rechtlichen Aussage des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 21, 29 und 54). Dazu genügt es nicht darzulegen, daß die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entspricht, die etwa das BSG aufgestellt hat, sondern es ist darzutun, daß das LSG diesen Kriterien ausdrücklich widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen Abweichung (vgl Krasney/Udsching, aaO, RdNr 196 mwN; BSG SozR 1500 § 160a Nr 29; BSG Beschluß vom 28. September 1998 – B 4 RA 200/97 B – HVBG-Info 1999, 3008; BSG Beschlüsse vom 18. Juli 2000 – B 2 U 160/00 B – und 18. September 2000 – B 2 U 244/00 B –).

Es mag dahinstehen, ob der Kläger dem angefochtenen Urteil und den von ihm zitierten Urteilen des BSG überhaupt Rechtssätze entnommen und einander gegenübergestellt hat. Die Beschwerdebegründung läßt erkennen, daß Divergenzen zum Rechtsbegriff des Auffindens einer Urkunde iS des § 580 Nr 7 Buchst b ZPO vorliegen sollen. Hierzu hat der Kläger aber nicht dargelegt, daß der – vermeintlich abweichende – Rechtssatz des LSG entscheidungserheblich sei. Das LSG hat seine Entscheidung nämlich darauf gestützt, daß es sich bei den vom Kläger vorgelegten Unterlagen nicht um Urkunden iS des § 580 ZPO handele. Dies allein trägt indessen die angefochtene Entscheidung, so daß es auf die Definition des Rechtsbegriffs des Auffindens gar nicht mehr ankommt.

Nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. In der Beschwerdebegründung muß nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG diese grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aufgezeigt werden. Hierzu ist zunächst darzulegen, welcher konkreten abstrakten Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung beigemessen wird (BSG SozR 1500 § 160a Nr 11). Denn die Zulassung der Revision erfolgt zur Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen und nicht zur weiteren Entscheidung des Rechtsstreits. Die abstrakte Rechtsfrage ist klar zu formulieren, um an ihr die weiteren Voraussetzungen für die begehrte Revisionszulassung nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG prüfen zu können (Krasney/Udsching, aaO, IX, RdNr 181). Dazu ist erforderlich, daß ausgeführt wird, ob die Klärung dieser Rechtsfrage grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. Insbesondere hat der Beschwerdeführer darzulegen, daß die Rechtsfrage klärungsbedürftig, also zweifelhaft, und klärungsfähig, mithin rechtserheblich ist, so daß hierzu eine Entscheidung des Revisionsgerichts zu erwarten ist (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 1; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16). Zur Klärungsfähigkeit gehört auch, daß die Rechtsfrage in einem nach erfolgter Zulassung durchgeführten Revisionsverfahren entscheidungserheblich ist (BSG Beschluß vom 11. September 1998 – B 2 U 188/98 B –). Die Klärungsbedürftigkeit ist zu verneinen, wenn die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich beantwortet ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 51; BSG SozR 1500 § 160a Nrn 13 und 65) oder wenn die Antwort unmittelbar aus dem Gesetz zu ersehen ist (BSG SozR 1300 § 13 Nr 1), wenn sie so gut wie unbestritten ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17), wenn sie praktisch außer Zweifel steht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 4) oder wenn sich für die Antwort in anderen Entscheidungen bereits ausreichende Anhaltspunkte ergeben (Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 117; Krasney/Udsching, aaO, IX, RdNr 65).

Der Kläger hält die von ihm zu den Nr 9.a bis 9.g seiner Beschwerdebegründung formulierten Fragen für grundsätzlich bedeutsame Rechtsfragen iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG. Zur auf § 44 SGB X bezogenen Frage 9.a fehlen Darlegungen zu ihrer Klärungsfähigkeit. Es wird nicht ersichtlich, daß es für die abschließende Entscheidung der Restitutionsklage auf diese Rechtsfrage ankomme. Das gleiche gilt für die zu Nr 9.g gestellte Frage zur bloßen Behauptung des Vorliegens oder dem tatsächlichen Bestehen eines Wiederaufnahmegrundes. Auch hier ist nicht ersichtlich, ob und wie sich die Beantwortung der Frage auf den Ausgang der Klage auswirken soll. Zwar hat das LSG die Klage als unzulässig angesehen, weil der Kläger einen Wiederaufnahmegrund nicht schlüssig behauptet habe. Indessen hat es das Vorliegen dieses Grundes (Auffinden einer Urkunde) sachlich geprüft und entschieden. Hätte es sich auf den anderen prozessualen Standpunkt gestellt, hätte es die Klage als unbegründet abgewiesen, so daß im Ergebnis der Kläger auch dann unterlegen gewesen wäre. Hinsichtlich der Fragen zu den Nrn 9.b, 9.c, 9.e und 9.f zum Urkundenbegriff bzw zum Beweiswert von Urkunden iS des § 580 ZPO fehlen hinreichende Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit. Zwar ist die Frage, ob eine Seite der TrGA 402 sowie Kopien der Garagenverordnung und aus wissenschaftlichen Büchern Urkunden im Sinne dieser Vorschrift sind, noch nicht durch das BSG entschieden. Der Kläger hätte dennoch darlegen müssen, warum es einer höchstrichterlichen Entscheidung darüber bedarf. Der Begriff der Urkunde iS der §§ 580 Nr 7 Buchst b, 415, 416 ZPO ist geklärt. Hiervon ausgehend hat das LSG entschieden, daß eine einzelne Seite eines allgemein zugänglichen, veröffentlichten Regelwerkes diese begrifflichen Anforderungen nicht erfüllt. Urkunden in diesem Sinne sind nur solche, die sich auf Tatsachen beziehen, also als Beweismittel iS der §§ 415 ff ZPO dienen. Im übrigen ist insoweit auch die Klärungsfähigkeit der Fragen nicht hinreichend dargelegt. Selbst wenn die vorgelegten Unterlagen Urkunden iS des § 580 ZPO sein sollten, dürfen sie im Hauptprozeß nicht benutzbar gewesen sein (vgl Zöller, ZPO, 21. Aufl 1999, § 580 RdNr 23). Angesichts des Umstandes, daß sie infolge ihrer Veröffentlichung allgemein zugänglich waren, hätte der Kläger insofern darlegen müssen, daß diese Unterlagen in dem rechtskräftig abgeschlossenen Berufungsverfahren nicht benutzbar gewesen seien. An derartigen Ausführungen mangelt es. Schließlich ist zu der zu Nr 9.d formulierten Frage nach der Definition des Begriffs des Auffindens wiederum die Klärungsfähigkeit nicht hinreichend dargelegt. Es ist nicht ersichtlich, daß es für die Entscheidung des Rechtsstreits auf diese Frage ankomme, wenn die Klage allein schon wegen der fehlenden Urkundenqualität der vom Kläger vorgelegten Unterlagen abzuweisen war.

Nach alledem war die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen (§ 169 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI780400

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