Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 22.03.2000; Aktenzeichen L 11 KA 176/99)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. März 2000 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat dem Beklagten zu 2. die außergerichtlichen Kosten für das Beschwerdeverfahren zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die 1913 geborene, langjährig als Kieferorthopädin an der vertragszahnärztlichen Versorgung teilnehmende Klägerin, die zuletzt aufgrund einer ihr 1984 erteilten Ermächtigung in einer Gemeinschaftspraxis tätig war, wendet sich gegen die von der zu 1. beklagten Kassenzahnärztlichen Vereinigung festgestellte Beendigung ihrer Ermächtigung zum 1. Januar 1999. Die im Verlaufe des Rechtsstreits auch gegen den zu 2. beklagten Zulassungsausschuß (insoweit als Feststellungsklage) gerichtete Klage und die Berufung der Klägerin hatten im wesentlichen keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen mangels Zuständigkeit der Beklagten zu 1. als rechtswidrig angesehen, im übrigen aber auf die Regelungen des § 95 Abs 4 Satz 3 iVm Abs 7 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) verwiesen, die mit höherrangigem Recht vereinbar seien (Urteil vom 22. März 2000). Danach endete die Ermächtigung kraft Gesetzes mit dem 1. Januar 1999. Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision durch das LSG, hält die Altersgrenze von 68 Jahren für eine verfassungs- und europarechtswidrige Altersdiskriminierung und macht insoweit für vier Rechtsfragen den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) geltend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Beschwerde der Klägerin ist teilweise unzulässig und im übrigen unbegründet.

Hinsichtlich der unter D. der Beschwerdebegründung abgehandelten Frage, ob die Altersgrenzenregelung einen „Eingriff in die Freizügigkeit der Berufsausübung der Klägerin nach den europäischen Richtlinien über die Berufsausübung” darstellt, fehlt es bereits an der ordnungsgemäßen Darlegung eines Revisionszulassungsgrundes nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG. Wer diesen Zulassungsgrund geltend macht, muß nämlich auf der Grundlage des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG in der Beschwerdebegründung ua eine Rechtsfrage in eigener Formulierung klar bezeichnen. Eine solche Rechtsfrage läßt sich dem Vortrag nicht entnehmen, weil unklar bleibt, an welchem konkreten Rechtssatz des Europarechts die Begrenzung der Berufsausübung bzw Freizügigkeit der Klägerin als ermächtigter Zahnärztin auf das 68. Lebensjahr gemessen werden soll. Der bloße pauschale Hinweis auf europarechtliche Bestimmungen reicht dazu nicht aus. Es muß vielmehr angegeben werden, gegen welche Norm konkret verstoßen worden sein soll und aus welchen Gründen dies der Fall ist (vgl entsprechend für die Geltendmachung der Verfassungswidrigkeit einer Norm Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Aufl 1997, Kap IX RdNr 182 mwN). Auch das pauschale Zitieren zweier Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs und der Hinweis auf den Umstand, daß in anderen Staaten der Europäischen Union keine Altersgrenzen für Vertragsärzte existieren, entsprechen dem dargestellten prozeßrechtlichen Darlegungserfordernis nicht.

Die Beschwerde ist im übrigen unbegründet. Wegen grundsätzlicher Bedeutung ist die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nur zuzulassen, wenn die in der Beschwerde hinreichend deutlich bezeichnete Rechtsfrage in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist. Diese Voraussetzungen sind im Falle der Klägerin nicht erfüllt, weil die weiteren drei von ihr aufgeworfenen Rechtsfragen bereits vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und dem erkennenden Senat beantwortet worden sind und damit kein Klärungsbedarf für weitere höchstrichterliche Rechtsprechung zur 68-Jahres-Altersgrenze in der vertragszahnärztlichen Versorgung mehr besteht.

Die Frage, ob § 95 Abs 4 „Sätze 3 und 7” (gemeint wohl: Abs 4 Satz 3 und Abs 7 Satz 2) SGB V sowie § 28 Abs 1 der Zulassungsverordnung für Vertragszahnärzte (Zahnärzte-ZV) und Art 33 § 1 Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) gegen Art 14 Grundgesetz (GG) verstoßen, ist geklärt. Diese Regelungen (iVm § 72 Abs 1 Satz 2 SGB V) sehen vom 1. Januar 1999 an eine Beendigung der vertragszahnärztlichen Tätigkeit auch im Rahmen einer Ermächtigung mit dem Ende des Kalendervierteljahres vor, in dem der Vertragszahnarzt sein 68. Lebensjahr vollendet, ohne daß den betroffenen Zahnärzten eine – von der Klägerin für erforderlich gehaltene – Entschädigung gewährt wird. Das BVerfG hat bereits in seinem auch von der Klägerin zitierten Beschuß vom 31. März 1998 (SozR 3-2500 § 95 Nr 17 S 60 f = NJW 1998, 1776) darauf hingewiesen, daß Art 14 GG als Maßstab zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Altersgrenzenregelung bei Vertragsärzten von vornherein nicht in Betracht kommt, weil sich die angegriffenen Regelungen auf die berufliche Betätigung und nicht auf deren Ergebnis beziehen. Durch sie wird nämlich die Möglichkeit des Praxisverkaufs oder einer sonstigen Übertragung der Praxisräume und des Stammes von Privatpatienten nicht berührt. Die fehlende thematische Einschlägigkeit des Art 14 GG ist unabhängig davon, ob es sich bei den Betroffenen um Vertragsärzte oder Vertragszahnärzte handelt und auf welchem konkreten Berechtigungsakt (Zulassung oder Ermächtigung) die Befugnis zur Behandlung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung beruht.

Da die zweite von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage die sinngemäße Fragestellung enthält, ob die Grundsätze des oa Beschlusses des BVerfG „auch im vorliegenden Falle” vom Senat zu beachten sind, bestehen an sich schon Zweifel an der Formulierung einer Frage von allgemeiner, nämlich über den Einzelfall der Klägerin hinausgehender Bedeutung. Soweit sie im folgenden geltend machen will, die in bezug auf Vertragsärzte entwikkelten Grundsätze des BVerfG und des Urteils des Senats vom 25. November 1998 (BSGE 83, 135 = SozR 3-2500 § 95 Nr 18) seien auf die Gruppe der Vertragszahnärzte nicht übertragbar, kann ihr jedenfalls inhaltlich nicht gefolgt werden. Die Vorschriften der §§ 72 ff SGB V gelten für Vertragsärzte wie für Vertragszahnärzte gleichermaßen (§ 72 Abs 1 Satz 2 SGB V). Danach hängt die Teilnahme an der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung seit jeher von der persönlichen Eignung des (Zahn-) Arztes, dh einer subjektiven Zulassungsbeschränkung, ab (vgl § 98 Abs 2 Nr 10 SGB V iVm §§ 20, 21 Zahnärzte-ZV). Der Gesetzgeber hat die persönliche Eignung mit Rücksicht auf die hohen Anforderungen an die volle körperliche und geistige Leistungsfähigkeit der Leistungserbringer im System der gesetzlichen Krankenversicherung selbst in zulässiger Weise typisierend durch Schaffung einer allgemeinen Altersgrenze für Ärzte und Zahnärzte konkretisiert (vgl BVerfG SozR 3-2500 § 95 Nr 17 S 59 f). Der Senat hat sich darüber hinaus bereits in seiner Entscheidung vom 18. Dezember 1996 (BSGE 80, 9, 12 ff = SozR 3-2500 § 98 Nr 4 S 11 ff insoweit zur Zugangs-Altersgrenze von 55 Jahren) im einzelnen mit den geltend gemachten Unterschieden zwischen vertragsärztlicher und vertragszahnärztlicher Versorgung auseinandergesetzt und ist zu dem Ergebnis gelangt, daß bei den Zulassungs-Altersgrenzen keine Besonderheiten von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, die bei Zahnärzten eine abweichende Würdigung der Verfassungsmäßigkeit rechtfertigen könnten. Diese Erwägungen gelten bezüglich der Altersgrenze von 68 Jahren gleichermaßen.

Auch die Frage einer Beeinträchtigung der Berufsausübungsfreiheit des Art 12 GG durch die Altersbegrenzung ist schon durch die höchstrichterliche Rechsprechung geklärt. Sowohl das BVerfG (SozR 3-2500 § 95 Nr 17 S 58 Mitte bis S 60 unten) als auch der Senat (BSGE 83, 135, 140-144 = SozR 3-2500 § 95 Nr 18 S 68 bis 72) haben sich ausführlich mit dem Schutzbereich und den Schranken des Art 12 GG befaßt und entschieden, daß die gesetzlichen Regelungen damit in Einklang stehen. Neue entscheidungserhebliche Gesichtspunkte sind der Beschwerdebegründung insoweit nicht zu entnehmen. Soweit die Klägerin in diesem und anderem Zusammenhang wiederholt mit ihren individuellen Lebensverhältnissen argumentiert, fehlt der Bezug zu Rechtsfragen von allgemeiner Bedeutung, die einem Revisionsverfahren allein zugänglich sind. Auch der Hinweis auf ihr vermeintlich zeitlich unbegrenztes Recht, aufgrund einer Ermächtigung an der vertragszahnärztlichen Versorgung teilnehmen zu können, geht fehl. Zum einen kann die vertragszahnärztliche Tätigkeit aufgrund einer Ermächtigung – gleich ob nach aktuellem oder ausgelaufenem alten Recht – keinen weitergehenden Bestandsschutz beanspruchen als eine solche aufgrund einer entsprechenden Zulassung im engeren Sinne. Darüber hinaus hat die Rechtsprechung auch schon entschieden, daß gegen die nachträgliche gesetzlichen Befristung, dh das Auslaufen von Ermächtigungen, keine rechtlichen Bedenken bestehen (vgl BSGE 70, 167, 169 ff = SozR 3-2500 § 116 Nr 2 S 12 ff; BSGE 71, 280, 284 f = SozR 3-2500 § 116 Nr 3 S 23 f).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175743

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